Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte und das Forschungsprojekt GeVoRe

Von Prof. Dr. Anja Schiemann und Ass. jur. Maren Wegner, beide Deutsche Hochschule der Polizei

Durch das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, das am 30.5.2017 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2017, 1226), sollte der Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften gestärkt werden. Doch auch nach der Gesetzesnovellierung, die u.a. einen eigenständigen neuen Straftatbestand vorsieht, der mit einer erhöhten Strafandrohung versehen ist, kann man stetig Presseartikel zu gewalttätigen Übergriffen beispielsweise auf Polizeibeamte lesen.

1. Einleitung

Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte stärker zu schützen, indem die Strafen für Tätlichkeiten gegen diese Personenkreise erhöht werden, war bereits Anliegen des 44. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Durch dieses im November 2011 in Kraft getretene Gesetz wurde die obere Strafrahmengrenze in § 113 StGB von zwei auf drei Jahre Freiheitsstrafe angehoben, das Beisichführen gefährlicher Werkzeuge in den Katalog der Regelbeispiele aufgenommen und der geschützte Personenkreis ausgeweitet.

Die gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen der so genannten Blockupy-Bewegung waren dann unter anderem Anlass, den Angriff auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte eigenständig im StGB zu regeln. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die PKS über die Jahre einen Anstieg der Straftaten gegen Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte sowie gleichgestellter Personengruppen verzeichnet. Zudem weisen steigende Zahlen in der Strafverfolgungsstatistik auf die Zunahme strafbarer Widerstandshandlungen hin.

2. Gesetz zum Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften

2.1 Gesetzesänderung

Herzstück der Änderung des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften ist die Herauslösung der Tatalternative des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB und die Überführung in einen eigenständigen Straftatbestand (§ 114 StGB). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der neue Straftatbestand des § 114 StGB dem besonderen Schutz des Vollstreckungsbeamten bei allgemeinen Diensthandlungen dienen. Daher ist in § 114 StGB der Bezug zu einer konkreten Vollstreckungshandlung gerade nicht erforderlich und ein tätlicher Angriff schon dann strafbar, wenn die Vollstreckungsbeamten bloße Ermittlungstätigkeiten vornehmen. Weiter erfasst sind darüber hinaus natürlich auch Vollstreckungshandlungen, da diese zugleich eine Diensthandlung darstellen.

Daneben gibt es noch zwei Änderungen im Bereich der Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 StGB. § 113 Abs. 1 StGB sanktioniert nach wie vor den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB erfasste bereits vor der Änderung das Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs durch den Täter oder Teilnehmer, setzte jedoch voraus, dass die Täter*innen die Absicht hatten, diese(s) bei der Tat zu verwenden. Die spezifische Verwendungsabsicht entfiel mit der Änderung, sodass die straferhöhende Indizwirkung des Regelbeispiels bereits mit dem Besichführen erfüllt ist. Erweitert wird der Katalog der Regelbeispiele darüber hinaus um die gemeinschaftliche Tatbegehung mit einem anderen Tatbeteiligten (§ 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB). Der Gesetzgeber weist in seiner Begründung auf die erhöhte Gefahr gemeinschaftlichen Vorgehens mehrerer Angreifer für die betroffenen Polizisten hin. Durch § 114 Abs. 2 StGB kommen die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 StGB auch beim tätlichen Angriff zur Anwendung.
Der zuvor in § 114 StGB geregelte Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, wird in § 115 StGB unter der ergänzten Überschrift „Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen“ überführt.

2.2 Ziel des Gesetzes

Das Ziel des Gesetzes, nämlich den Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften zu stärken, ist ein ehrbares. Allerdings ist fraglich, ob das mit dem Gesetz bezweckte Ziel durch eine weitere Strafschärfung erreicht werden kann. Denn die meisten Übergriffe gegen Polizeibeamte erfolgen aus situativen Erregungen heraus, so dass eine Abwägung des potenziellen Delinquenten in Bezug auf das Strafmaß eher unwahrscheinlich ist. Es ist also mehr als fraglich, ob Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte durch Strafschärfungen minimiert werden.

3. Projekt GeVoRe

3.1. Einführung

Das an der Deutschen Hochschule der Polizei am Fachgebiet Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik seit November 2019 durchgeführte Forschungsprojekt „Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte – GeVoRe“ evaluiert daher im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes qualitativ die Auswirkungen der Gesetzesänderung der §§ 113, 114, 115 StGB auf die beteiligten Akteure und die Strafverfolgungsbehörden. Allerdings werden nicht nur die Straftatbestände der sog. Widerstandsdelikte einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung unterzogen, sondern auch die Diskurse um Gewalt gegen Einsatzkräfte sowie die dynamischen, mitunter konfliktträchtigen Situationen zwischen Vollstreckungsbeamten (bzw. ihnen gleichgestellten Personen) und bürgerlichen Akteuren analysiert. Gerade in Bezug auf die Interaktionsdynamiken bestehen in der bisherigen Forschung wesentliche Defizite. Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für zwei Jahre gefördert.

Im Rahmen des Forschungsprojektes sind verschiedene Erhebungsschritte vorgesehen, sodass sich das Forschungsdesign durch eine Methodentriangulation auszeichnet. Um ein umfassendes Bild der Effektivität der Strafvorschriften zu erhalten, ist es erforderlich, das Gesetz bezüglich der rechtlichen und kriminalpolitischen Fragestellungen qualitativ zu evaluieren. Dabei werden die Erkenntnisse zu den Erfahrungen relevanter Personengruppen hauptsächlich auf leitfadengestützten, problemzentrierten und narrativen Interviews basieren. Die Erhebungen werden durch die Untersuchung rechtlicher Einzelprobleme in Form einer Gesetzesevaluation komplettiert.

3.2 Diskursanalyse

In einem ersten Arbeitspaket werden derzeit mit Hilfe einer Diskursanalyse die diskursive Konstitution von Wissen und Meinungen hinsichtlich der Thematik der Gewalt gegen Einsatzkräfte innerhalb der Gesellschaft rekonstruiert.  Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein gesamtgesellschaftlicher Konsens dahingehend besteht, dass Gewaltanwendung gegenüber Einsatzkräften nur in wenigen Ausnahmefällen gebilligt wird und damit als sozial inakzeptabel eingeschätzt wird. Herausragende Ereignisse, bei denen jedoch Gewalt gegenüber Einsatzkräften stattgefunden hat, wie bspw. beim G20-Gipfel in Hamburg oder jüngst die sogenannten Gelbwestenproteste in Frankreich verdeutlichen jedoch, dass unterschiedliche Diskurspositionen vertreten werden, sodass eine Fokusverlagerung auf die jeweiligen Positionen dazu beitragen kann, Erkenntnisse über Einstellungsmuster beziehungsweise Legitimationsstrategien im Hinblick auf die Anwendung von Gewalt abzuleiten.

Das Vorhaben wird derzeit im Rahmen der Analyse von Online-Diskursen umgesetzt.  Es wird einerseits die mediale Berichterstattung zum Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte sowie zum Gesetzesvorhaben, andererseits die sich anschließende Kommunikation analysiert. Um die etwaigen Diskurspositionen möglichst umfassend zu erfassen, werden Inhalte von überregionalen Medien ausgewertet, die – gemessen an ihren Abonnentenzahlen – eine besonders hohe Reichweite aufweisen.

3.3 Aktenanalyse

Im zweiten Arbeitspaket erfolgt auf Grundlage einer Analyse von Verfahrensakten von Verfahren aus dem Zeitraum von 2015 bis 2019/20, die den Tatvorwurf eines Widerstandsdeliktes gegenüber Kräften der Polizei, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes enthalten, eine Auswertung nach phänomenologischen Kriterien. In diesem Zusammenhang sollen sowohl die Merkmale des Opfers, des Täters und der spezifischen Interaktionsdynamik erhoben werden.

In Ergänzung werden insgesamt leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews sowohl mit den Geschädigten als auch mit den Täter*innen durchgeführt. Die Interviews intendieren, die nicht-sichtbaren Merkmale sowohl auf Seiten der Täter*innen als auch des Opfers zu erheben und die unterschiedlichen Perspektiven des Übergriffs gegenüberzustellen – im Fokus steht somit die Wahrnehmung von der Interaktionsdynamik. Dieses Vorgehen zielt darauf, Erkenntnisse über den Eskalationsprozess zu erlangen und diese im Lichte der Gesetzesänderung zu betrachten. Zudem können Handlungsempfehlungen für die Polizei- und Rettungskräfte erarbeitet werden, situative Deeskalationsstrategien umzusetzen. Sollten Sie als Leser*in Interesse haben, als Interviewpartner*in auf Geschädigtenseite zur Verfügung zu stehen, können Sie sich gerne auf unserer Homepage näher www.gevore.de informieren und uns kontaktieren.

3.4 Strafjustizielle Aufarbeitung des Übergriffs

Im dritten Arbeitspaket sollen die Auswirkungen der Gesetzesänderung in der Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis untersucht werden. Im Fokus der Untersuchung stehen verschiedene Aspekte. Zum einen soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die rechtsdogmatischen Problemstellungen, die bspw. hinsichtlich der Auslegung der Tatbestandsmerkmale, dem Konkurrenzverhältnis sowie dem Schutzzweck der Normen im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Diskussion offenbar geworden sind, in der Strafverfolgungspraxis relevant sind. Zum anderen soll untersucht werden, ob und ggf. inwieweit die Änderungen der Vorschriften den Gang eines Ermittlungsverfahrens und damit letztlich die Effektivität der Strafverfolgung beeinflussen. Im Vordergrund stehen hierbei einerseits die Frage, ob die Änderungen das Festnahmerisiko erhöht haben, andererseits, wie die Strafschärfung im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt wird. Zuletzt soll ebenfalls der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Änderungen im Strafmaß niederschlagen. Dieses Vorhaben wird methodisch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Strafverfolgungspraxis auf Grundlage von qualitativen leitfadengestützten Experteninterviews umgesetzt.

Zusätzlich werden in diesem Arbeitspaket strafgerichtliche Entscheidungen sowohl auf Grundlage aller ab 2014 veröffentlichten Urteile als auch auf Basis der durch die Verfahrensakten (Arbeitspaket 1) erfassten Entscheidungen analysiert. Der im Rahmen der Verfahrensaktenanalyse gewählte Zeitraum von 2015 – 2020 ermöglicht es hierbei, die Entwicklungen hinsichtlich der Höhe des Strafmaßes und der Strafzumessungskriterien im zeitlichen Vergleich zu identifizieren, da die Vorschriften im Erhebungszeitraum in Kraft getreten sind.

3.5 Protest Policing

Das vierte Arbeitspaket wird sich dem Themenkomplex des Protest Policing und der Frage nach den Wechselwirkungsprozessen zwischen den Gesetzesänderungen und dem Protestgeschehen in Versammlungen widmen. Hierbei sollen Vertreter*innen aus der Polizei, die innerhalb von Versammlungsgeschehen Führungspositionen einnehmen, mit Hilfe von leitfadengestützten Interviews befragt werden. Im Fokus stehen hierbei Erkenntnisse hinsichtlich der Fragestellung, ob und inwieweit die erfolgten Änderungen im Rahmen polizeilicher Maßnahmen gegenüber Versammlungsteilnehmer*innen Berücksichtigung finden.
Dieser Teil soll den interperspektivischen Ansatz des Projektes vervollständigen, da das Versammlungsgeschehen besondere konfliktträchtige Ereignisse darstellen, sodass davon auszugehen ist, dass der § 114 StGB häufig zur Anwendung kommen wird, woraus möglicherweise Diskrepanzen zur Versammlungsfreiheit resultieren. Dieses Spannungsfeld soll im Rahmen dieses Arbeitspaketes beleuchtet werden. Gleichzeitig bietet das Themenfeld des Protest Policing vielfältige Aspekte, die den Gegenstand eines eigenen Forschungsprojektes bilden können.

4. Fazit

Gewalttätige Übergriffe gegenüber Einsatzkräften stellen nicht nur einen Tabubruch dar, weil sie gegen das allgemein geltende Gebot des Gewaltverzichts verstoßen, sondern insbesondere, weil sie sich gegen Personen richten, die einer besonderen Aufgabenverpflichtung nachkommen. Die Debatte um den strafjustiziellen Umgang mit entsprechenden Straftaten ist nicht neu – so lösen Übergriffe auf Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte im kriminalpolitischen Kontext nach wie vor die Forderung nach höheren Strafen aus.

Sowohl die gesellschaftliche als auch die rechtswissenschaftliche Diskussion um Übergriffe weist hierbei zahlreiche Kontroversen auf. Das Forschungsprojekt „Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte – GeVoRe“ hat sich daher zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zu einer evidenzbasierten Kriminalpolitik zu leisten.

Für Fragen und Anregungen stehen Ihnen die Projektmitarbeiterinnen gerne zur Verfügung.

Ass. jur. Maren Wegner, M.A.
Deutsche Hochschule der Polizei
Fachgebiet für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik
maren.wegner@dhpol.de
Tel. 02501 – 806 803

Marie Heil, M.A.
Deutsche Hochschule der Polizei
Fachgebiet für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik
marie.heil@dhpol.de
Tel. 02501 – 806 845