My home is my castle – Betreten und Durchsuchen von Privatwohnungen beim Corona-Verstoß-Verdachtsfall

Von EPHK Dirk Weingarten[2], Ass. Jur., Polizeiakademie Hessen

1. Prolog

Corona Zeiten machen einsam. So ist es während heißen Phase der Pandemie vielerorts untersagt sich mit Gleichgesinnten im Freien zu treffen oder gemeinsame Unternehmungen auszuleben. Unter diesen Umständen kommt manch einer auf die glorreiche Idee dies dann doch in den eigenen vier Wänden zu tun; was keiner sieht kann keinen stören, mag sich dann so manch einer sagen. Gäste sind schnell gefunden und dann kann es schon losgehen. Problematisch dabei ist jedoch, dass die Ansteckungsgefahr in Räumen ungleich höher liegt als im Freien[3], Corona-Verordnungen was dagegen haben und dann auch noch die kommen, die nicht eingeladen sind; party invaders – die Polizei.

Diese erscheint dann entweder aufgrund eigener Wahrnehmung oder ein wachsamer Nachbar hat den entscheidenden Hinweis gegeben. Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf.

2. Sachverhalt [4]

Am Abend des 28.03.2021 fand in dem Einfamilienhaus der Betroffenen eine Feierlichkeit mit 27 Personen (davon 16 Erwachsene) statt, die aus mehreren verschiedenen Haushalten stammten. Zum nicht unerheblichen Teil waren unter den Gästen auch auswärtige Besucher, die von weit her angereist waren. Die Polizei wurde auf die Feierlichkeit aufmerksam, da durch die vielen parkenden Fahrzeuge eine Verkehrsbehinderung vorlag. Aufgrund der Tatsache, dass durch die Feier ganz offensichtlich ein Verstoß gegen die Corona-Verordnung (Kontaktbeschränkung) vorlag, beabsichtigte die Polizei die Feierlichkeit aufzulösen. Die Betroffenen leisteten den Anordnungen der Polizei indes nicht Folge und verschlossen sich in ihrem Haus, um die Feierlichkeit unvermittelt fortzusetzen. Daraufhin wurde die Wohnung durch die Polizei betreten und durchsucht.

3. Normen

3.1 Grundgesetz (GG)

3.1.1 Art. 13 Unverletzlichkeit der Wohnung

(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

[…]

(7) Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

3.2 Infektionsschutzgesetz (IfSG[5])

3.2.1 § 16 Allgemeine Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten

(1) Werden Tatsachen festgestellt, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder ist anzunehmen, dass solche Tatsachen vorliegen, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 sind die Beauftragten der zuständigen Behörde und des Gesundheitsamtes zur Durchführung von Ermittlungen und zur Überwachung der angeordneten Maßnahmen berechtigt, Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel aller Art zu betreten und Bücher oder sonstige Unterlagen einzusehen und hieraus Abschriften, Ablichtungen oder Auszüge anzufertigen sowie sonstige Gegenstände zu untersuchen oder Proben zur Untersuchung zu fordern oder zu entnehmen. Der Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist verpflichtet, den Beauftragten der zuständigen Behörde und des Gesundheitsamtes Grundstücke, Räume, Anlagen, Einrichtungen und Verkehrsmittel sowie sonstige Gegenstände zugänglich zu machen. […]

(4) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) wird im Rahmen der Absätze 2 und 3 eingeschränkt.

[…]

3.2.2 § 25 Ermittlungen

(1) Ergibt sich oder ist anzunehmen, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist oder dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so stellt das Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen an, insbesondere über Art, Ursache, Ansteckungsquelle und Ausbreitung der Krankheit. […]

(2) Für die Durchführung der Ermittlungen nach Absatz 1 gilt § 16 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2, 3, 5 und 8 entsprechend. […]

[…]

3.2.3 § 28b Bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei besonderem Infektionsgeschehen, Verordnungsermächtigung

(1) Überschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die durch das Robert Koch-Institut veröffentlichte Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) den Schwellenwert von 100, so gelten dort ab dem übernächsten Tag die folgenden Maßnahmen

  1. private Zusammenkünfte[6] im öffentlichen oder privaten Raum sind nur gestattet, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich der zu ihrem Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres teilnehmen; Zusammenkünfte, die ausschließlich zwischen den Angehörigen desselben Haushalts, ausschließlich zwischen Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern, oder ausschließlich in Wahrnehmung eines Sorge- oder Umgangsrechts oder im Rahmen von Veranstaltungen bis 30 Personen bei Todesfällen stattfinden, bleiben unberührt;

[…]

3.2.4 § 73 Bußgeldvorschriften

(1a) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

[…]

11b. entgegen § 28b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erster Halbsatz an einer Zusammenkunft teilnimmt,

[…]

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1a Nummer 7a bis 7d, 8, 9b, 11a, 17a und 21 mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünfundzwanzigtausend Euro geahndet werden.

4. Entscheidung des AG Bonn

Die Durchsuchung der Wohnung war zulässig, da Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sich in ihr Personen befanden, die in Gewahrsam genommen werden durften, da dies unerlässlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Die entsprechenden Voraussetzungen der geltenden Corona–Vorschriften lagen vor und aufgrund der beharrlichen Verweigerung und Verbarrikadierung der Teilnehmer war dies die einzig verbleibende Möglichkeit, die Fortsetzung der Ordnungswidrigkeiten effektiv zu unterbinden. Angesichts der erheblichen Gefährdungen, die durch eine Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus ausgingen, handelte es sich bei den Ordnungswidrigkeiten auch um solche mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit. Die Nachtzeitvorschriften mussten nicht beachtet werden, da sich das Geschehen vor 21 Uhr abspielte.

Die polizeiliche Maßnahme verstieß auch nicht gegen das verfassungsmäßige Gebot der Verhältnismäßigkeit. Auch das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung des Art. 13 GG stand der getroffenen Maßnahme nicht entgegen, denn die Betroffenen als Gastgeber der Feierlichkeit weigerten sich beharrlich, den Anordnungen der Polizei Folge zu leisten und beenden die Verstöße gegen die Kontaktbeschränkungen nicht. Sie zogen sich vielmehr in das Haus zurück und feierten die Party unvermittelt weiter. Hierdurch entstand eine große Gefährdung durch eine weitere unkontrollierte Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus.

Die Gefährdung durch das Virus ist groß, sowohl individuell als auch für die Gesamtbevölkerung. Ziel der Anstrengungen von staatlicher und behördlicher Seite ist es, einen nachhaltigen Rückgang der Fallzahlen, insbesondere der schweren Erkrankungen und Todesfälle zu erreichen. Nach einem Rückgang ab Ende Dezember 2020 stiegen die 7-Tage-Inzidenz und Fallzahlen im Bundesgebiet seit Februar wieder an und beschleunigten sich gar. In den meisten Kreisen handelte es sich um ein diffuses Geschehen, sodass oft keine konkrete Infektionsquelle ermittelt werden konnte und man von einer anhaltenden Zirkulation in der Bevölkerung ausgehen musste. Neben der Fallfindung und der Nachverfolgung der Kontaktpersonen sind daher die individuellen infektionshygienischen Schutzmaßnahmen von herausragender Bedeutung, unter anderem die Kontaktreduktion. Zahlreiche Häufungen werden vor allem in Privathaushalten, in Kitas und zunehmend Schulen sowie dem beruflichen Umfeld einschließlich der Kontakte unter der Belegschaft beobachtet. Die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten von SARS-CoV-2 ist dabei besonders besorgniserregend.

Das Robert Koch-Institut (RKI)[7] schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Hierbei spielen Kontakte in Risikosituationen und deren Dauer (wie z.B. langer face-to-face Kontakt) eine besondere Rolle. Dies gilt auch bei Kontakten mit Familienangehörigen oder Freunden außerhalb des eigenen Haushalts und im beruflichen Umfeld.

Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung und auch der Schutz vor den gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie überwiegt das von Egoismus und Gleichgültigkeit geprägte Verhalten der Betroffenen, so dass der Eingriffsbefugnis Vorrang vor dem Grundrechtsschutz gilt. Dass ein enthemmtes und enges Zusammensein mehrerer Personen in einer aktuellen Pandemiesituation eine gegenwärtige konkrete Gefahr einer Infektion darstellt, sollte sich denknotwendigerweise jedem verständigen und neutralen Beobachter förmlich aufdrängen.

5. Wohnungskontrolle; Betreten vs. Durchsuchen

Bevor weitere Maßnahmen rechtlich bewertet werden können, ist der Begriff der „Wohnungskontrolle“ zu beschreiben. Darunter wird überwiegend ein Eindringen der Polizei in den privaten Lebensraum, also die Wohnung verstanden, welcher körperlich stattfindet – zumeist gegen den Willen des Hausrechtinhabers. Kurzum: Die Polizei betritt die Wohnung ohne Einwilligung. Folglich ist dies zumindest ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG.

Ob es sich dann weiterhin um ein „nur“ Betreten oder Durchsuchen handelt, bemisst sich u. a. an den Ausführungen einer BVerwG Entscheidung aus 2004[8].

„Kennzeichnend für die Durchsuchung ist demgegenüber die Absicht, etwas nicht klar zu Tage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann. Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung. Eine solche Durchsuchung ist als ein in typischer Weise Eindringen in das private Leben des Bürgers und in die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, zu charakterisieren.“

Betritt die Polizei zu einer „Wohnungskontrolle“ die Wohnung, um die Einhaltung von Corona Vorschriften zu überprüfen, ist es zwingend notwendig auch die Personalien Anwesender zu erheben, um überprüfen zu können, wer wie alt ist, wer zu welchem Haushalt gehört und zu welchem Anlass das Treffen stattfindet. Eine einfache Nachschau und ein Zählen der Anwesenden ist sehr wahrscheinlich nicht ausreichend.

Daraus folgt, dass sich eine „Wohnungskontrolle“ an den hohen Hürden der Wohnungsdurchsuchung bemisst.

6. § 16 IfSG als Wohnungsbetretungs-/durchsuchungsinstrument?

  • 16 IfSG befindet sich im 4. Abschnitt – Verhütung übertragbarer Krankheiten, des IfSG; will heißen: Die Gefahr ist in einem bestimmten Bereich noch nicht aufgetreten[9].

Gem. § 25 IfSG, der sich im 5. Abschnitt – Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des befindet, will heißen: Die Gefahr ist bereits aufgetreten, Kranke werden festgestellt[10],  wird zwar auf § 16 IfSG (rechtsfolgen[11]-)verwiesen, die Zuständigkeit ist jedoch im Gegensatz zu § 16 IfSG ausdrücklich den Gesundheitsbehörden zugeschrieben[12].

Bei dem zuvor genannten § 16 IfSG handelt es sich um eine „Generalklausel[13]“. Diese wurde ursprünglich in Anlehnung an die landesrechtlichen polizeirechtlichen Generalklauseln geschaffen und sollte diese als spezielle Ermächtigungsgrundlage im Bereich des Infektionsschutzrechts ablösen, da zuvor ein Tätigwerden im Bereich des Infektionsschutzes nur aufgrund der allgemeinen landesrechtlichen polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln möglich gewesen war[14]. Auch wenn mit § 16 IfSG eine eigenständige infektionsschutzrechtliche Ermächtigungsnorm geschaffen wurde, sollen im Übrigen weiterhin die Grundsätze des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts, wie etwa die Regeln über die Inanspruchnahme von Störern und Nichtstörern, Anwendung finden[15].

Zwar sind laut IfSG in erster Linie die Gesundheitsbehörden alleinzuständig, nichts desto trotz ist eine Eilzuständigkeit, Treffen unaufschiebbarere Erstmaßnahmen, für die Polizei aber auch denkbar. Unter Wahrung der zuvor genannten „Grundsätze des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts“ hat dann auch für die jetzt an Stelle des Gesundheitsamtes einschreitende Polizei der Grundsatz „speziell vor allgemein“ zu gelten; so dass erst dann auf eine Generalklausel zugegriffen werden darf, wenn Standardmaßnahmen nicht verfügbar sind. Und dann kommen die länderpolizeilich geregelten Wohnungsbetretungs- und –durchsuchungsvorschriften zum Tragen. Darauf wird in den nachfolgenden Szenarien eingegangen. So dass an dieser Stelle festgehalten werden kann, dass die §§ 25 Abs. 2, 16 IfSG keine tragfähige Ermächtigungsgrundlage zum Betreten/Durchsuchen von Wohnungen darstellen kann.

7. Weitere Szenarien

7.1 Anlasslose Kontrollen

Anlasslose Kontrollen sind seitens der Politik[16] und Polizei[17] nicht gewünscht, hinsichtlich ihrer zulässig besteht weiterhin Klärungsbedarf[18]. Insbesondere am Tag wird teilweise von einer grundsätzlichen Zulässigkeit ausgegangen[19]. Ein Betreten und Durchsuchen einer Wohnung ist jedoch im Kern zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert zulässig, wenn sie zudem verhältnismäßig ist. Folglich ist eine anlasslose Kontrolle als im Ergebnis unzulässig abzulehnen; entsprechende Argumente sind den nachfolgenden Sachverhaltsgestaltungen zu entnehmen.

7.2 Hinweis auf Verstoß, somit Verdacht des Verstoßes, kein Hinweis auf „Infizierte“

Diese Hinweise können unmittelbar vor Ort aus der Bevölkerung kommen, sonstige Mitteilungen oder auch über sog. Denunziantenportale[20]. Sodann ist zu unterscheiden, aus welchem Grund die Wohnung betreten und gegebenenfalls durchsucht werden soll?

7.2.1 Ziel Gewahrsamnahme

Ist der Anlass ein möglicher Verstoß gegen die Corona-Verordnung (hier: Verbot privater Zusammenkünfte), bleibt festzustellen, dass ein solch möglicher Verstoß wie bei dem oben dargestellten Fall des AG Bonn auf die entsprechenden Wohnungsbetretungs/-durchsuchungsvorschriften – mit oben genannten Argumenten – mit dem Ziel der präventiven Gewahrsamnahme gestützt werden kann.

7.2.2 Gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben

Es gibt aber auch die Möglichkeit eine Betretungs-/Durchsuchungshandlung auf die Voraussetzungen „Abwehr einer gegenwärtigen (konkreten) Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“, zu stützen. Dazu soll die konkrete Gefahr eines „jeden Gesundheitsschadens“ genügen. Dieser brauche weder besonders schwer noch besonders langandauernd zu sein. Hinzukommen muss, dass die Gefahr, die abgewehrt werden soll, gegenwärtig ist. Dies ist dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder doch so unmittelbar bevorsteht, dass mit seinem Eintritt jederzeit zu rechnen ist[21]. Da noch immer nicht abschließend ausgeforscht ist, welche insbesondere Langzeitfolgen Covid-Erkrankung nach sich ziehen[22] und die bisher teilweise schwerwiegenden Krankheitsverläufe nicht nur für Risikopatienten, kann nach verständiger Sichtweise eines Dritten nicht von einer „freiwillige Selbstgefährdung“ der Partypeople ausgegangen werden.

Fraglich ist, ob es sich um eine konkrete oder „nur“ abstrakte Gefahr handelt. In dieser Fallkonstruktion ist es ungewiss, ob eine Person positiv erkrankt ist. Liegen Hinweise vor, dass eine Person wahrscheinlich infiziert ist, lesen Sie bitte unter 6.3. weiter.

„Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde oder beeinträchtigt worden ist, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts schließen lassen. Allerdings muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben. Bei einem geringen Gewicht des gefährdeten Rechtsguts steigen die Anforderungen an die Prognosesicherheit sowohl hinsichtlich des Grads der Gefährdung als auch hinsichtlich ihrer Intensität.“, so dass Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung.[23] Dies betrifft zum einen die Ansprüche an den Grad der Wahrscheinlichkeit (Wahrscheinlichkeitsprognose) und auch wie genau Tatsachen (Umstände des Einzelfalls) beim Einschreiten bekannt sind.

Was die Wahrscheinlichkeitsprognose betrifft ist diese Hürde mit den oben genannten Argumenten zu meistern. Hinsichtlich der konkreten Gefahr insbesondere, was die „Notwendigkeit von Maßnahmen betrifft“, gestaltet sich es ein wenig schwieriger. Das RKI führt zum Nowcasting und zur R-Schätzung wie folgt aus: „Das Nowcasting erstellt eine Schätzung des Verlaufs der Anzahl von bereits erfolgten SARS-CoV-2-Erkrankungsfällen in Deutschland unter Berücksichtigung des Diagnose-, Melde- und Übermittlungsverzugs. Aufbauend auf dem Nowcasting kann eine Schätzung der zeitabhängigen Reproduktionszahl R durchgeführt werden. Die Reproduktionszahl beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt. Sie kann nicht alleine als Maß für Wirksamkeit/Notwendigkeit von Maßnahmen herangezogen werden. Wichtig sind außerdem u.a. die absolute Zahl der täglichen Neuinfektionen sowie die Schwere der Erkrankungen. Die absolute Zahl der Neuinfektionen muss klein genug sein, um eine effektive Kontaktpersonennachverfolgung zu ermöglichen und die Kapazitäten von Intensivbetten nicht zu überlasten.“ So wurden teilweise „Corona-Ampelsysteme“[24] etabliert, an Hand derer Maßnahmen folgen.

Wann aber im Einzelnen die Schwelle von einer abstrakten Gefahr zur konkreten Gefahr überschritten ist, erschließt sich dem Verfasser nicht auf den ersten Blick – und das geht womöglich anderen Polizeibeschäftigten auch so. Und da es sich bei Art. 13 GG um ein sehr bedeutendes Grundrecht handelt, kann die Empfehlung hinsichtlich einer präventivpolizeilicher Betretung resp. Durchsuchung einer Wohnung bei schlicht Hinweisen auf Verstoß, somit Verdacht des Verstoßes, kein Hinweis auf „Infizierte“, nur lauten: Keine Maßnahme mangels Ermächtigungsgrundlage! Im Ergebnis müsste der Polizei gerade in dem Moment des Betretens der Wohnung positiv bekannt sein, dass das Virus gerade im Begriff ist, sich von einem Virusträger auf andere auszubreiten.

7.2.3 Und repressiv?

Wegen des Verstoßes gegen die Corona Regeln kommt auch ein Tätig werden gem. §§ 46, 53 OWiG iVm. § 102 StPO in Betracht. Wie das BVerfG immer wieder[25] zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung zum Zwecke der Strafverfolgung hervorhebt, „ist daher der Verdacht erforderlich, dass eine Straftat (hier: Ordnungswidrigkeit) begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Eine Durchsuchung, die der Ermittlung von Tatsachen dienen soll, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind, ist unzulässig.“ Dieser Umstand (konkrete Tatsache, dass sich zu viele Personen gem. Corona-Vorgaben in der Wohnung befinden) ist durchaus begründbar, aber: Ist § 102 StPO überhaupt eine für diese Fälle dienliche Ermächtigungsgrundlage? Nein, denn § 102 StPO dient als Ermächtigungsgrundlage zur Ergreifungsdurchsuchung (1. Alt), hier müsste erst einmal in der Wohnung ermittelt werden, ob die Ordnungswidrigkeit überhaupt vorliegt, oder zur Ermittlungsdurchsuchung (2. Alt.), hier: Auffinden von Beweismittel, passt ebenso wenig, auch hier müsste erst einmal in der Wohnung ermittelt werden. Werden erst die Voraussetzungen des § 102 StPO im Anschluss durch die Maßnahme gem. § 102 StPO geschaffen und liegen sie zu Beginn der Maßnahme nicht vor, verbietet sich eine Anwendung des § 102 StPO. Und zudem: Da es sich „nur“ um eine Ordnungswidrigkeit handelt, sind an die Verhältnismäßigkeit hohe Maßstäbe geknüpft; die kaum erfüllt werden dürften.

Der Polizei bleiben zudem die Möglichkeiten, das Objekt zu beobachten, abwandernde Personen (abgesetzt) zu kontrollieren und oder die Sachlage an der Wohnungstür zu regeln.

7.3 Hinweis auf Infizierte

Bei sog. Conoa-Ansteckungsparties (Gesicherte Erkenntnisse über anwesende Infizierte liegen vor) oder wenn ansonsten Hinweise auf infizierte Teilnehmer vorliegen, ist die Betretungs-/Durchsuchungshandlung auf die Voraussetzungen „Abwehr einer gegenwärtigen (konkreten) Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“, zu stützen. Mit den unter 6.2.2 genannten Argumenten sind die Maßnahmen bei solchen Gegebenheiten zulässig; denn je höher der Rang des Schutzguts ist, desto geringer braucht die Wahrscheinlichkeit zu sein. So, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Ergebnis zugunsten der polizeilichen Maßnahme zu werten ist. Vor dem Hintergrund und den Argumenten oben unter 6.2.3 ist eine repressive Durchsuchungsmaßnahme – mit der Notwendigen Sachkenntnis (Tatsachen, Ergreifungsdurchsuchung, §§ 46, 53 OWiG iVm. §§ 102 Abs. 1, 105 StPO, ggf. Nachtzeitaschranke, Verhältnismäßigkeitsabwägungen) durchaus denkbar.

Was dann im Ergebnis sowohl ein präventives, aber auch eine repressives Betreten/Durchsuchen zulässig machen würde.

8. Zusammenfassung

  • Eine Wohnungskontrolle ist als Wohnungsdurchsuchung zu bewerten.
  • Unterschiedliche Vorschriften sind zu beachten.
  • § 16, 25 IfSG (alleine) sind für die Polizei keine taugliche Ermächtigungsgrundlage zur Wohnungsbetretung/-durchsuchung.
  • Anlasslose Wohnungskontrollen sind unzulässig.
  • Eine Wohnungskontrolle nachdem sich dorthin Partygäste flüchten, die fortwährend gegen Corona-Vorschriften verstoßen, mit dem Ziel der Gewahrsamnahme, ist zulässig.
  • Eine präventive Wohnungskontrolle nach Hinweisen/eigener Wahrnehmung zum Aufenthalt mehrere Personen, die gegen Corona-Vorschriften verstoßen mit dem Ziel der Abwehr einer gegenwärtigen (konkreten) Gefahr ist unzulässig.
  • Unter den gleichen Beweggründen repressiv zu betreten/durchsuchen ist ebenfalls unzulässig.
  • Liegen gesicherte Hinweise vor, dass Infizierte anwesend sind, ist sowohl präventiv aber auch repressiv ein Betreten und Durchsuchen zulässig.

[1] Die Ausführungen geben die persönliche Meinung des Autors wieder. Erreichbar ist er unter: info@dirk-weingarten.de.

[2] Dirk Weingarten ist Dozent an der Polizeiakademie Hessen für die Fächer Polizei-, Verwaltungs- und Zivilrecht und öffentliches Dienstrecht

[3] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/122138/Ansteckungsgefahr-in-Innenraeumen-SARS-CoV-2-wird-vor-allem-ueber-ausgeatmete-Aerosole-verbreitet.

[4] Frei nach einer Entscheidung des AG Bonn, Beschl. v. 28.03.2021 – 951 XIV(L) 95/21.

[5] Stand: 28.5.2021 (BGBl. I S. 1174)

[6] Private Zusammenkünfte zeichnen sich darüber aus, dass die Teilnehmerzahl dem Veranstaltenden persönlich bekannt und durch diesen begrenzt ist.

[7] Das Robert Koch-Institut (RKI) ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention. (https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html)

[8] BVerwG, Urt. v. 25.08.2004 – 6 C 26/03.

[9] BeckOK InfSchR/Zwanziger, 6. Ed. 1.7.2021, IfSG § 16.

[10] OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.10.2020 – 13 MN 390/20.

[11] BeckOK InfSchR/Gabriel, 6. Ed. 1.7.2021, IfSG § 25 Rn. 20.

[12] BeckOK InfSchR/Gabriel, 6. Ed. 1.7.2021, IfSG § 25 Rn. 14.

[13] BeckOK InfSchR/Zwanziger, 6. Ed. 1.7.2021, IfSG § 16 Rn. 3.

[14] BT-Drs. 3/1888, 21.

[15] Kießling/Mers, 2. Aufl. 2021, IfSG § 16 Rn. 5.

[16] https://www.tagesschau.de/inland/kontrollen-corona-101.html.

[17] https://www.berliner-zeitung.de/news/polizeigewerkschaft-werden-wohnungen-nicht-ohne-anlass-kontrollieren-li.153599.

[18] https://www.soester-anzeiger.de/lokales/soest/corona-verbote-polizei-kontrolliert-jetzt-auch-im-privaten-raum-notbremse-oeffnet-tueren-90476163.html

[19] https://verfassungsblog.de/corona-kontrolle-in-der-wohnung/.

[20] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-online-formular-essen-100.html.

[21] VGH München, Urt. v. 20.03.2015 – 10 B 12.2280.

[22] https://www.deutschlandfunk.de/long-covid-was-wir-ueber-langzeitfolgen-von-covid-19-wissen.2897.de.html?dram:article_id=492315.

[23] BVerfG, Urt. v. 27. 7. 2005 – 1 BvR 668/04.

[24] https://www.berlin.de/corona/lagebericht/.

[25] BVerfG, Beschl. v. 31.01.2020 – 2 BvR 2992/14.