Urteile in Kürze: Unfallschäden, geschlechtsneutrale Anrede, Prozesskostenhilfe u. a.
von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau
Auskunftspflicht über bekannte Unfallschäden
Das Landgericht Coburg hat in seinem Urteil vom 24.9.2020 (Az: 15 O 68/19) einen Sachverhalt entschieden, der vermutlich häufig der Grund für Rechtsstreitigkeiten ist.
Sachverhalt
Der Kläger hatte im Jahr 2018 vom Beklagten einen 7 Jahre alten Pkw erworben. Die Laufleistung des Fahrzeugs war mit 122000 km angegeben, der Kaufpreis betrug € 10.500,00. Des Weiteren hatten die Vertragsparteien einen Gewährleistungsausschluss vereinbart. Der beklagte Verkäufer hatte dem Kläger aber zugesichert, dass das Fahrzeug, in der Zeit als es im Eigentum des Beklagten war, keinen Unfallschaden erlitten hatte mit Ausnahme eines Schadens an der Frontstoßstange.
Der Kläger hatte mit dem Fahrzeug danach einen Unfall. In diesem Rahmen wurde das Fahrzeug des Klägers begutachtet. Dabei wurden Vorschäden festgestellt, die teilweise repariert worden waren. Das Fahrzeug hatte schon vor dem Erwerb durch den Beklagten, also dem späteren Verkäufer, einen Unfall gehabt und war beschädigt worden. Es musste dabei für mehr als € 5.000,00 repariert werden.
Der Kläger focht den Kaufvertrag mit dem Beklagten an und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Er behauptete dabei, der Verkäufer habe das Fahrzeug von seinem Bruder gekauft und sei in dem ihn betreffenden Kaufvertrag auf einen reparierten Unfallschaden hingewiesen worden. Der Beklagte wiederum berief sich darauf, dass er die Unfallfreiheit des Fahrzeugs nur für die Zeit seines Besitzes zugesichert habe. Zu der Frage, ob der Beklagte von dem Unfall des Fahrzeugs während der Besitzzeit seines Bruders wusste, machte der Beklagte teilweise widersprüchliche Angaben, außerdem sei der Schaden repariert worden und der Kläger hätte ausreichend Gelegenheit zur Besichtigung des Pkw vor dem Kauf gehabt.
Der Beklagte bestritt eine arglistige Täuschung durch Verschweigen des Unfallschadens beim Vorbesitzer.
Entscheidung
Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Es stellte fest, dass der Verkäufer eines gebrauchten Fahrzeugs dem potentiellen Käufer von sich aus, d.h. auch wenn er nicht direkt danach gefragt wird, bekannte Mängel oder frühere Unfallschäden zu offenbaren habe. Dies sei auch dann der Fall, wenn die Schäden bereits fachgerecht repariert wurden. Eine Ausnahme gelte lediglich für sogenannte Bagatellschäden, also ganz geringfügige Schäden, wie beispielsweise im Lack. Angesichts der Reparaturkosten von mehr als € 5.000,00 liege eine solche Ausnahme hier jedoch nicht vor, so dass eine Aufklärung des Klägers über diesen Unfallschaden auch geboten gewesen sei. Das Gericht ging davon aus, dass dem Beklagten der frühere Unfallschaden tatsächlich bekannt gewesen sei, weshalb der beklagte Verkäufer auch arglistig gehandelt habe, weil er den Käufer hierüber nicht informiert habe. Der beklagte Verkäufer habe es zumindest billigend in Kauf genommen, dass der Käufer bei wahrheitsgemäßer Auskunft über den Unfallschaden den Kaufvertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt, insbesondere zu diesem Preis, abgeschlossen hätte. Daher sei die Vertragsanfechtung des Käufers wirksam und der Kaufvertrag daher rückgängig zu machen. Der beklagte Verkäufer musste deshalb das Fahrzeug zurücknehmen und den Kaufpreis an den Kläger zurückzahlen. Hierbei war jedoch ein Abzug für die vom Kläger zwischenzeitlich gefahrenen fast 20.000 km im Wege des sogenannten Vorteilsausgleichs vorzunehmen. Hierbei handelte es sich um einen Betrag von knapp € 2.700,00. Darüber hinaus hatte der Beklagte die Kosten des Verfahrens und die Zinsen zu tragen.
Fazit
Das Landgericht stellte klar, dass die Auskunftspflichten des Verkäufers umfassend an seinem Kenntnisstand gemessen werden und nicht an den einschränkend formulierten Zusicherungen innerhalb des Kaufvertrages.
Ein anderes Problem, das nicht Gegenstand der Entscheidung war, sich aber gleichwohl im Rahmen der Entscheidung auswirkte, war, die Berechnung des „Vorteilsausgleichs“ für die gefahrenen Kilometer. Hier ist das Gericht von einem Betrag von ca. 0,14 ct/Kilometer ausgegangen. Ob diese Berechnung dem tatsächlichen Wertverlust entspricht bzw. ob der aus dem Betrieb des Fahrzeugs gezogene Vorteil so anzusetzen ist, stellt sich, wenn die Verfahren etwas länger dauern. Man erinnere sich daran, dass die Klagen wegen des Dieselskandals bei Vielfahrern häufig deshalb finanziell uninteressant werden, weil der Vorteilsausgleich den Zahlungsanspruch gegenüber dem Verkäufer schnell übersteigt. 0,14 ct waren hier für ein gebrauchtes Fahrzeug mit 122.000 km ……., bei einem Neufahrzeug sehe die Rechnung vermutlich ganz anders aus, weshalb sich eine obsiegende Entscheidung für den Kläger nach der zweiten Instanz und 100.000 km vermutlich nicht mehr lohnt.
Die Festlegung auf „Herr“ oder „Frau“ ist grundrechtswidrig
Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 3.12.2020, Az: 2-13 O 130/20
Sachverhalt
Eine nicht-binäre Person, d.h. eine Person, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnete, buchte eine Bahnfahrkarte über das Internet. Beim Kauf und der Registrierung war die Anrede auszuwählen, die lediglich Herr oder Frau auswies. Es war nicht möglich, eine andere geschlechtsneutrale Anrede zu wählen. Es war auch nicht möglich, die Auswahl ganz offen zu lassen. Diese Anredeformen wurden auch später bei der Kommunikation zwischen den Parteien beibehalten, wobei die Person nunmehr als „Herr“ angesprochen worden war. Da sie hier eine rechtliche Beeinträchtigung empfand, klagte sie.
Entscheidung
Das Landgericht Frankfurt am Main gab der Klage zumindest zum Teil statt. Die klagende Person könne jedenfalls nicht gezwungen werden, zwischen der Anrede Herr oder Frau zu entscheiden, wenn aus ihrer Sicht keine Anrede zuträfe. Es müsse auch die Möglichkeit der geschlechtsneutralen Anrede geschaffen werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze auch die geschlechtliche Identität. Insoweit verwies die Kammer auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Außerdem sei für die Nutzung der Angebote, die Angabe des Geschlechts völlig unerheblich. Das Gericht machte dann den Vorschlag, dass die Beklagte auf Grußformeln wie „Guten Tag“ zurückgreifen oder auf geschlechtsspezifische Ansprachen ganz verzichten könne.
In dem Urteil wurde dem weiteren Antrag auf Entschädigung (Schmerzensgeld) wegen Diskriminierung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (AGG) nicht stattgegeben. Die Persönlichkeitsverletzung sei nicht so schwerwiegend und auch nicht böswillig erfolgt, sondern nur „Reflex massenhafter Abwicklung standardisierter Vorgänge“.
Fazit
So langsam hat auch die rechtliche Akzeptanz von Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind, auch in der Juristerei Platz gegriffen. Insoweit ist es sicherlich gerechtfertigt, dies auch in der Kommunikation auf Formularen, Anträgen und ähnlichem vorzusehen. Letztendlich ist die Kenntnis eines dritten Geschlechts bzw. Zwitterwesens nicht neu (Hermaphroditos = Gestalt der griechischen Mythologie, die sowohl männliche als auch weibliche körperliche Merkmale aufweist).
Das Gericht hat meines Erachtens sehr klug zwischen der persönlichen (zufälligen) rechtlichen Beeinträchtigung unterschieden und der vorsätzlich bösartigen Diffamierung einer Minderheit. Es ist Tatsache, dass die Zweigeschlechtlichkeit ein seltenes Phänomen ist, mit dem die Wenigstens auch nur einmal in ihrem Leben in Berührung kommen. Daher ist die Unterscheidung zwischen Mann und Frau für die meisten von uns der Normalfall. Aus diesem Gesichtspunkt heraus kann das „Vergessen“ der Erwähnung eines dritten Geschlechts keine entschädigungswürdige Verunglimpfung im Sinne eines Schmerzensgeldes sein.
Einschränkung der Prozesskostenhilfe
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat mit Beschluss vom 17.11.2020 (Az: 13 UF 134/20) eine Entscheidung getroffen, die eine Beschränkung des Anspruchs auf Gewährung von Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe klärt.
Sachverhalt
Der Antragsteller war vom Amtsgericht Straußberg zur Zahlung von Ehegatten-Unterhalt (Trennungsunterhalt) verurteilt worden. Hiergegen legte er Beschwerde und beantragte für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe.
Entscheidung
Das OLG Brandenburg entschied, dass dem Antragsteller keine Verfahrenskostenhilfe gewährt werden könne, da er Eigentümer eines Mercedes-Benz der C-Klasse sei. Dieses Fahrzeug habe einen Fahrzeugwert von ca. € 15.000,00. Dies stelle ein verwertbares Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO dar. Hinzu käme, dass das Fahrzeug beruflich nicht benötigt würde. Das Gericht stellte fest, dass auch im Falle der beruflichen Nutzung höherwertige Fahrzeuge gegebenenfalls durch geringer wertige zu ersetzen sind, wenn es erforderlich ist, hier mit dem Erlös einen Prozess zu finanzieren.
Fazit
Prozesskostenhilfe oder wie hier im Familienrecht Verfahrenskostenhilfe wird gewährt, wenn der Kläger oder Antragsteller einen Antrag stellt, der nach überschlägiger Einschätzung des Gerichts Aussicht auf Erfolg haben könnte und der Antragsteller bedürftig ist. Das bedeutet, dass er aufgrund seiner Einkünfte und seines Vermögens nicht in der Lage ist, einen Prozess vorzufinanzieren. Dies hat unmittelbar die Wirkung, dass ein Verfahren eröffnet werden kann, ohne dass die Zahlung der Gerichtskosten oder Anwaltskosten vom Kläger vorzufinanzieren sind.
Häufig werden vom Antragsteller in solchen Fällen die Einkünfte niedrig angesetzt oder Vermögen verschwiegen. Dies ist, wenn das Gericht keinen Anhaltspunkt für die Unvollständigkeit der Angaben des Antragstellers hat, vom Gericht in der Regel kaum nachzuprüfen. Im Familienrecht kämpfen die Parteien aber um Unterhalt, gegebenenfalls Zugewinn und ähnliches, weshalb die wirtschaftliche Situation der betroffenen Personen sich aus den Akten ergibt. Für die Höhe der Leistungsfähigkeit hat vorher schon das Amtsgericht die wirtschaftliche Situation des Antragstellers geprüft, weshalb diese Informationen dem OLG vorlagen. Dies hätte sich der Antragsteller von vornherein ausrechnen können.
Pech gehabt!
Lamborghini als Mietwagen ist übertrieben
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat mit Urteil vom 25.11.2020 (Az: 14 U 93/20) eine Entscheidung getroffen, deren zugrunde liegender Sachverhalt als Ausnahme anzusehen sein dürfte.
Sachverhalt
Der Kläger war Beteiligter an einem Verkehrsunfall, der sich im April 2018 ereignete. Der Kläger fuhr dabei einen Ferrari, der bei dem Unfall beschädigt wurde, weshalb das Fahrzeug sich für 11 Tage in einer Reparaturwerkstatt befand. Als Mietwagen mietete sich der Kläger als Ersatz einen Lamborghini und verlangte diese Mietkosten vom Geschädigten zurück. Es handelte sich dabei um einen Betrag von € 5.600,00. Die Unfallverursachung war unstreitig. Die Haftpflichtversicherung des beklagten Unfallverursachers hielt die Anmietung eines Lamborghini für nicht angemessen. Sie verwies darauf, dass ein Porsche Carrera oder ein 8er BWM als Mietwagen für den Kläger zumutbar gewesen seien. Diese Fahrzeuge, so der Vortrag der Versicherung, könnten für eine Tagesmiete von € 90,00 – 230,00 angemietet werden. Weshalb die Versicherung lediglich bereit war, einen Betrag von € 1.600,00 zu erstatten. Damit war der Kläger nicht zufrieden und erhob Klage vor dem Landgericht Hannover. Dort wurde die Klage abgewiesen. Hiergegen richtete sich dann die Berufung.
Entscheidung
Die Berufung vor dem OLG Celle hatte keinen Erfolg. Das OLG entschied, dass ein Anspruch auf die Erstattung der restlichen Mietwagenkosten nicht bestehe. Es verwies zwar auf die Grundregel, dass ein Unfallgeschädigter grundsätzlich als Ersatzfahrzeug denselben oder vergleichbaren Wagentyp mieten könne, weshalb auch derjenige, der einen Sportwagen fahre, im Haftpflichtschadensfall grundsätzlich einen typengleichen Sportwagen als Mietwagen wählen könne. Nach der Auffassung des Gerichts gelte diese Regel aber nicht schrankenlos.
Nach der Auffassung des Gerichts müsse sich ein Unfallgeschädigter für eine kurze Dauer auch mit einem weniger komfortablen Wagentyp begnügen, wenn ein typengleiches Fahrzeug nur für eine besonders hohe Miete zu haben ist. So einen Fall sah das Gericht hier gegeben. Das Gericht verwies darauf, dass der Tagesmietpreis für einen Lamborghini deutlich über demjenigen für ein Fahrzeug aus der höchsten Fahrzeugklasse der Fraunhofer- oder Schwacke-Liste läge. Daher sei es nicht mehr angemessen, lediglich aus Gründen der Fahrfreude und des allgemeinen Prestiges auf Kosten des Schädigers einen exorbitant teuren Lamborghini anzumieten. Der Kläger habe auch mit einem sportiven BMW, Audi, Mercedes oder Porsche auf technisch hohem Niveau unterwegs sein können. Auch die Reputation berücksichtigte das Gericht und sah das in den vorgenannten Fahrzeugen als ausreichend gewährleistet an. Die besonderen Fahreigenschaften eines Ferrari und dessen Ansehen stellen keine Werte dar, auf die der Geschädigte nicht für wenige Tage hätte verzichten können.
Fazit
Dieses Urteil des OLG Celle ist gut nachzuvollziehen, weil sich die Preise für diese Fahrzeug in einem außergewöhnlich hohen Bereich bewegen. Tatsächlich gibt es mit Versicherungen regelmäßig Konflikte, weil die Mietwagenkosten von Versicherungen häufig angegriffen werden. Dieser Angriff bezieht sich sowohl auf die Frage, welche Fahrzeugklasse angemietet wird als auch auf die Dauer der Anmietung. Hier erwartet die Versicherung regelmäßig, dass sich der Geschädigte mit einem geringerwertigen Fahrzeug als Mietwagen begnügt. Des Weiteren wird die Dauer der Mietzeit häufig angegriffen. Nun könnte man argumentieren, dass jeder Gutachter in seinem Gutachten über ein verunfalltes Fahrzeug auch eine Reparaturdauer angibt und dies von der Versicherung als Grundlage für eine angemessene Reparaturzeit angesehen wird, jedoch sind diese Angaben in der Praxis häufig unzureichend. Man stelle sich beispielsweise vor, dass an einem Donnerstagabend ein Verkehrsunfall geschieht. Der Halter des Fahrzeugs ist sich nicht darüber im Klaren, ob das Fahrzeug noch verkehrssicher ist oder ob möglicherweise ein Totalschaden vorliegt. Er ruft am darauffolgenden Tag, also einem Freitag, einen Gutachter an, der die Begutachtung für den Montag vorsieht. Am Montag wird dann das Fahrzeug begutachtet und zwei Tage später, also am Mittwoch, dem Halter zugeschickt. Wenn er jetzt das Fahrzeug in eine Werkstatt bringt, so sind seit dem Unfall schon 6 Tage vergangen, die zur reinen Reparaturzeit noch hinzugezählt werden müssten. Sollten sich während dieser Reparaturzeit noch Wochenende und/oder Feiertage hinzugesellen, so wird aus einer Reparaturzeit von 10 Tagen schnell die doppelte Zeit, für die dann ein Mietfahrzeug benötigt würde.
Lehrmittelfreiheit und Digitalunterricht
Ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 06.10.2020 (Az: L 7 As 66/19) behandelt eine Problematik, die angesichts des Zwangs, den Unterricht in digitaler Form oder aber auch mit digitaler Unterstützung zu führen, früher oder später behandelt werden musste.
Sachverhalt
Eine Familie aus Niedersachsen bezog Hartz IV-Leistungen. Die Schule der Tochter aus dieser Familie entschied, dass die Schüler in der 6. Klasse im Unterricht I-pads nutzen sollten, um den Unterricht zu unterstützen. Die Eltern wurden aufgefordert, solche Geräte zu kaufen. Die Eltern erwarben zwar ein solches Gerät, beantragten aber vergeblich beim Jobcenter die Kostenübernahme.
Hiergegen erhoben die Eltern Klage und trugen vor, dass das Mädchen sich ohne Nutzung des Ipads ausgegrenzt fühle, da sie ansonsten als einzige ihre Aufgaben in Papierform bekäme, alle anderen Kinder könnten das vorgegebene Tablet nutzen. Die Schule habe extra eine Ipad-Klasse eingerichtet und die Eltern des Mädchens hatten zugestimmt, weil sie darauf verließen, dass die Kosten des Ipads als notwendiges Arbeitsmittel vom Jobcenter übernommen würde.
Entscheidung
Das Landessozialgericht wies die Klage ab. Nach den bestehenden rechtlichen Bestimmungen sei das I-pad nicht vorgeschrieben und stelle daher keinen Mehrbedarf dar, der vom Jobcenter finanziert werden müsse. Die Schülerin benötige das Gerät nicht, um ihren Schulabschluss erreichen zu können.
Das Gericht bewertete das I-pad gegenüber einkommensschwachen Familien knapp oberhalb von Hartz-IV als Luxus. Die Schulträger hätten außerdem selbst die Aufgabe, die Schüler mit Lernmitteln auszustatten. Es handele sich deshalb auch nicht um einen notwendigen Bedarf für die Schule. Zumindest war das Gericht der Auffassung, dass Empfängern von Grundsicherung kostenfreie Leihmöglichkeiten verschafft werden müssten, wenn eine I-pad-Klasse eingerichtet werden sollte.
Das Gericht wendete sich auch ausdrücklich dagegen, dass die Schule eine bestimmte Marke, in diesem Fall ein Tablet der Firma Apple vorschreibe. Hier sei die Pflicht zur Neutralität der Schule verletzt. Die Bevorzugung der Firma Apple sei rechtsmissbräuchlich, was durch das Jobcenter nicht mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden dürfe.
Das Landessozialgericht maß dieser Fragestellung eine grundsätzliche Bedeutung zu und eröffnete daher die Voraussetzung für eine Revision beim Bundessozialgericht.
Fazit
Es ist derzeit nicht bekannt, ob die Eltern Revision gegen das Urteil eingelegt haben. Sollte dies der Fall sein, so wird das Bundessozialgericht sich hierzu noch einmal äußern. Natürlich ist die Frage der Digitalisierung auch eine finanzielle Frage. Diese würden den kommunalen Schulträgern zur Last fallen, die finanziell hiermit sicherlich überfordert wären. Hierzu muss man unterscheiden:
Erstens gibt es zum einen die Lehrmittelfreiheit, was bedeutet, dass die Schüler mit Büchern und Lehrern versorgt werden. Hierfür ist das jeweilige Land zuständig, das die Schulen mit Büchern und Lehrern versorgt. Zweitens gibt es noch neben der Lehrmittelfreiheit den Anspruch auf sächliche Ausstattung. Dieses umfasst neben Mobiliar auch technische Geräte, wobei in der Vergangenheit hierunter Tafeln, Overhead-Projektoren, Fernsehgeräte und Computer verstanden wurden.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine „Orientierungshilfe zur Zusammenarbeit von Schulen und Schulträgern“ herausgebracht. Diese Orientierungshilfe trägt den Titel „Wartung und Pflege von IT-Ausstattungen in Schulen“. Hier ist sehr detailreich aufgeführt, wie die Aufgaben verteilt werden sollen. Danach haben der Schulträger (das Land) die Pflicht, bei der Medienkonzeptentwicklung mitzuwirken, sowie Schulung und Beratung des Kollegiums und gegebenenfalls auch des nicht-lehrenden Personals vorzunehmen. Der Kommune fällt dabei der sogenannte Second-level-support zu, was bedeutet, dass Geräte angeschafft werden sollen, verkabelt und Netzwerke eingerichtet werden sollen. Darüber hinaus die Wartung bzw. Behebung von Fehlfunktionen des Netzwerks und Reparaturen. Dies hat natürlich sehr kostenträchtige Folgen. Sollte man davon ausgehen, dass die Schule beschließt, dass der Unterricht zukünftig mit Tablets erfolgen soll, die dann über das W-Lan der Schule in das gemeinsame schuleigene Netzwerk eingebunden werden, Schulaufgaben über diese Verbindung verteilt und von den Schülern individuell an ihren Tablets bearbeitet werden sollen, so wären dies Lehrmittel, die von den Kommunen beschafft werden müssten.
Soweit die Theorie. Da hierfür die Kommunen keine ausreichenden Mittel haben, werden die Eltern aufgefordert, ihren Kindern diese Arbeitsmittel zu kaufen. Dies führt, wie in diesem Fall zu Ausgrenzungsproblematiken, wenn die Eltern hierzu nicht in der Lage sind. Das Gericht hat also mit dem Hinweis, die Schulen an ihre Pflicht zu erinnern, einen wunden Punkt berührt, dessen es sich auch bewusst war. Daher ist nachvollziehbar, dass das Gericht diesem Fall eine grundsätzliche Bedeutung zumaß.