Auflagen zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckung bei Versammlungen

Die versammlungsrechtliche Rechtsprechung im Wandel der Pandemie

von PD Michael Wernthaler, Polizeipräsidium Ludwigsburg

Seit dem Frühjahr 2020 erfuhren die versammlungsrechtlichen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte mit fortschreitenden Inzidenzzahlen eine stete Veränderung. Der nachfolgende Beitrag soll die Entwicklung der versammlungsrechtlichen Rechtsprechung während der Covid 19–Pandemie im Bereich der Auflagen chronologisch darstellen und die Veränderungen beleuchten. Die nachfolgende Erörterung beschäftigt sich mit den Regelungen zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB).

Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) bei Versammlungen als Auflage

30.10.2020 VG Karlsruhe lehnt Auflage zum Tragen einer MNB bei Versammlungen ab

Die Stadt Karlsruhe ordnete erstmals am 27.10.2020 anlässlich der demonstrativen Aktionen der Initiative „Querdenker 721“ am 31.10.2020, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) an, während bei vorangegangenen Versammlungen auf eine entsprechende Auflage verzichtet wurde. Erwartet wurden ca. 500 Personen. Mit der Veranstaltung wollte sich die Initiative nach eigenem Bekunden insbesondere gegen die Verpflichtung zum Tragen einer MNB wenden und dies durch deren bewusstes Nichttragen zum Ausdruck bringen.

Zur Begründung für die Maskenpflicht führte die Stadt Karlsruhe an: Das Nichttragen einer MNB stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, denn auf der gewählten Versammlungsfläche gelte bereits aufgrund von § 3 Abs. 1 Nr. 11 Corona-Verordnung (Corona-VO) i.d.F. vom 19.10.2020 bei einer 7-Tages-Inzidenz innerhalb des Stadtkreises K von mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner eine Maskenpflicht. Auf einer Versammlung ließen sich naturbedingt Menschenansammlungen nicht vermeiden. Bei erwarteten 500 Versammlungsteilnehmern, die sich über einen längeren Zeitraum an einem Ort aufhalten, sei das Infektionsrisiko hoch. Hinzukomme, dass das Abstandsverhalten auf der Versammlung am 4.10.2020 nach den polizeilichen Feststellungen und dem von einem Bürger vorgelegten Bildmaterial phasenweise kritisch gewesen sei. Die Polizei habe auf die Ordner einwirken müssen; einzelne Teilnehmer hätten in der Folge von der Versammlung ausgeschlossen werden müssen. Die Auflage stelle sich als verhältnismäßig dar. Eine Maske sei geeignet, die Übertragung des Covid19-Virus über den Austausch von Atemluft und Aerosolen zu reduzieren. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich, zumal die Auflage Ausnahmen für bestimmte Fallgruppen vorsehe (bspw. Kinder unter sechs Jahren, Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer MNB aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen nicht möglich oder zumutbar ist oder wenn ein anderweitiger, mindestens gleichwertiger Schutz für andere Personen – etwa durch Plexiglasabtrennungen (sog. Gesichtsschild) – gegeben ist).

Die Antragstellerin entgegnete, dass die aktuellen Zahlen der Covid19-Infizierten die Auflage nicht rechtfertige; derzeit gebe es keine Intensivpatienten im betroffenen Stadtteil. Das Tragen einer MNB sei zudem gesundheitsgefährdend. Außerdem habe es bei früheren gleichartigen Versammlungen eine solche Auflage nicht gegeben. Alternativ wäre eine Erhöhung der Sicherheitsabstände von 1,5 auf 2,00 m möglich. Ein Flatterband stelle sicher, dass auf der Versammlungsfläche kein öffentlicher Publikumsverkehr stattfinde. Schließlich vereitele die Auflage den gerade gegen die Maskenpflicht gerichteten Kundgabezweck.

Mit Beschluss vom 30.10.2020, Az.: 3 K 4416/20, sah das VG Karlsruhe, bei verständiger Würdigung sämtlicher erkennbarer Umstände, bei Durchführung der Versammlung so wie geplant, mit Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit[1]. Die Verpflichtung zum Tragen einer MNB ergebe sich jedoch nicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 11 Corona-VO, denn bei Versammlungen gelten die Regelungen des § 11 Abs. 2 Corona-VO, wonach die Versammlungsleitung auf die Einhaltung der Abstandsregel nach § 2 Corona-VO hinzuwirken hat. Die in § 3 Corona-VO geregelte Verpflichtung zum Tragen einer MNB findet hierbei dagegen keine Erwähnung. Sie hätte nur im Wege einer weiteren Auflage angeordnet werden können.

Zu Recht wurde jedoch von der Stadt Karlsruhe eine hohe Gefahr für das verfassungsrechtlich geschützte Leben und die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen bejaht. In Karlsruhe lag die 7-Tage-Inzidenz am 30.10.2020 bei 115,4 Infizierten auf 100.000 Einwohner. Daher war es offensichtlich, dass in der gegenwärtigen Lage bei einem ungeregelten Zusammentreffen von sehr vielen Menschen im Rahmen einer Versammlung eine erhebliche Gefährdung der Rechtgüter von Leib und Leben zu besorgen war.

Die Auflage, wonach alle Teilnehmer der Versammlung eine MNB tragen müssen, ist jedoch unverhältnismäßig. Das Tragen einer MNB ist zwar grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Erreichung des Gesundheitsschutzes, die konsequente Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 m stellt jedoch ein anderes, ebenso geeignetes Mittel dar, um das Ansteckungsrisiko unter freiem Himmel gleich wirksam zu reduzieren. Die Versammlungsanmelderin hatte sogar angeboten die Abstände auf zwei Meter zu erhöhen, um den Mindestabstand jederzeit sicherzustellen. Tatsachen, die begründeten, dass die Versammlungsfläche für die angemeldete Teilnehmerzahl von 500 ungeeignet – weil zu klein – sei, konnten von der Stadt Karlsruhe ebenso wenig vorgebracht werden, wie die Prognose nicht belegt werden konnte, das die Teilnehmer der Versammlung der Abstandspflicht voraussichtlich nicht nachkommen werden. Belastbare behördliche Feststellungen sprachen bei früheren gleichartigen Versammlungen nur von einzelnen Fehlverhalten und dass sich die Versammlungsleitung bemüht zeigte, den Anforderungen der Polizei unverzüglich Folge zu leisten. Das Abstandsverhalten sei, so der Polizeibericht, nur phasenweise kritisch gewesen, so dass mehrfach auf die Ordnerleitung eingewirkt werden musste, um die Abstände entsprechend einzuhalten, letztlich habe sich dies jedoch akzeptabel gestaltet. Im Fazit wurde die Verpflichtung zum Tragen einer MNB durch das VG Karlsruhe abgelehnt.

6.11.2020 VG Karlsruhe bestätigt Auflage zum Tragen einer MNB bei Versammlungen

Für den 7.11.2020 wurde in Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) eine Corona-Versammlung angemeldet, gegen die das zuständige Landratsamt als Versammlungsbehörde die Auflage erlassen hatte, von den Versammlungsteilnehmern, dem Versammlungsleiter sowie den Ordnern ist während der Versammlung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, bei Verweigerung seien sie von der Versammlung auszuschließen. Alternativ zu einer MNB durfte auch ein Plexiglas-Gesichtsschutz getragen werden, wenn die betroffene Person über eine ärztliche Bescheinigung verfügt, die ihr attestiert, dass sie keine MNB tragen kann. Gegen diese Auflage richtete sich der Widerspruch des Antragstellers.

Das VG Karlsruhe stellte im Eilverfahren am 0.11.2020, Az.: 5 K 4555/20 fest, dass die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet sei. Bei der Verpflichtung zum Tragen einer MNB handelt es sich um eine – selbstständig anfechtbare – Auflage und nicht etwa um ein Verbot der angemeldeten Versammlung, da der Versammlungszweck durch die Auflage nicht vereitelt wird.[2] Diese Auflage sei zum Schutz der öffentlichen Ordnung zulässig und auch rechtmäßig, da sie erforderlich und geeignet ist, eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG zu verhindern und sich auf das zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter unbedingt notwendige Maß unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränkt. Dabei war zu berücksichtigen, dass Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Versammlung einräumt, dieses Recht aber durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt wird.[3]

Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 der Fünften Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung (nachfolgend: Corona-VO), die seit dem 19.10.2020 in Kraft ist, kann die zuständige Behörde bei Versammlungen weitere Auflagen festlegen. Beispielhaft – aber nicht ausschließlich – werden dabei Regelungen angeführt, welche der Einhaltung der Hygieneanforderungen nach § 4 dienen. Die Maßnahmen stehen hierbei im Ermessen der Behörde („kann“), wobei sich dieses Ermessen an der Zielsetzung des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 Corona-VO) und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu orientieren hat. Als Ziel wird die Bekämpfung der Pandemie des Virus SARS-CoV-2 (Coronavirus) zum Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger genannt, dem in Art. 2 Abs. 2 GG auch Verfassungsrang zukommt. Zu diesem Zweck sollen Infektionsgefahren wirksam und zielgerichtet reduziert, Infektionswege nachvollziehbar gemacht und die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgungskapazitäten gewährleistet werden. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestand nach Auffassung des VG Karlsruhe gegen die Verpflichtung, während der Versammlung eine MNB zu tragen, keine rechtlichen Bedenken, was ihre Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit betraf.

Das Gericht geht, wie die ober- und höchstgerichtliche Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass das Einhalten von Abständen sowie das Tragen von MNB durch Teilnehmer und insbesondere Ordner in einem System verschiedener Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos ein tauglicher Baustein sei[4] und insbesondere dann wirksam wird, wenn möglichst viele Personen eine MNB tragen. Diese allgemeinen Überlegungen greifen auch und insbesondere bei Versammlungen unter freiem Himmel, weil dort zum einen andere Maßnahmen wie das Einhalten von Abstandsgeboten und Husten- und Niesetikette mit zunehmender Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht durchgehend sichergestellt werden können. Zum anderen sind gerade Versammlungen häufig dadurch geprägt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr kommunikatives Anliegen durch gemeinsames Rufen zu höherer Aufmerksamkeit bringen, damit jedoch auch ein gegenüber dem normalen Alltagsverhalten deutlich gesteigertes Risiko besteht, feine Tröpfchen von Speichel im näheren Umfeld zu verteilen, die eine MNB auffangen kann.

Die Anordnung, dass alle Versammlungsteilnehmer eine MNB tragen ist erforderlich, da es mit der konsequenten Einhaltung eines physischen Mindestabstandes von 1,5 m kein anderes, ebenso geeignetes Mittel gebe, um das Ansteckungsrisiko unter freiem Himmel gleich wirksam zu reduzieren. Dass dem so sei, habe der Verlauf der Kundgebung gegen die Anti-Corona-Maßnahmen am 31.10.2020 auf dem Karlsruher Schlossplatz gezeigt, die kurz vor der Auflösung stand, weil die Teilnehmer die Abstandsregeln nicht einhielten.

Daher ist die vom Antragsgegner auf die Versammlung des Antragstellers angepasste Pflicht zum Tragen einer MNB insbesondere vor dem Hintergrund eines seit Wochen stark zunehmenden Infektionsgeschehens und der daraufhin erfolgenden Ausrufung der Pandemiestufe 3 das erforderliche und im Übrigen auch verhältnismäßige Mittel, um dem Umstand zu begegnen, dass sich Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, soweit sie nicht sitzen, bei lebensnaher Betrachtung im Versammlungsbereich bewegen und dabei die gebotenen Mindestabstände unterschreiten können. Insbesondere muss sich der Antragsgegner angesichts der mittlerweile alarmierenden Entwicklung des Infektionsgeschehens auch nicht darauf verweisen lassen, im Verlaufe der Versammlung kurzfristig, in Abhängigkeit vom konkreten Versammlungsgeschehen weitergehende Auflagen zu erlassen, sollte die Abstandspflicht in erheblichem Umfange tatsächlich nicht eingehalten werden. Das Infektionsgeschehen habe zum Zeitpunkt der Entscheidung (6.11.2020) einen Höchststand erreicht. Erstmals seien in Deutschland mehr als 20.000 neue Infektionen mit dem Coronavirus innerhalb eines einzigen Tages registriert worden.

Die angegriffene Auflage ist auch im Übrigen verhältnismäßig. Darüber hinaus stellt die Auflage einen geringfügen Eingriff dar, welcher den Zweck der Versammlung nicht vereitelt, sondern – gerade im Gegenteil – ihn angesichts des zunehmenden Infektionsgeschehens ermögliche. Darüber hinaus hat der Antragsgegner mit dem Verweis auf den allgemeinen Hinweis zur MNB auch dem Umstand Rechnung getragen, dass es teilnahmewillige Personen geben könnte, denen aus medizinischen Gründen das Tragen einer MNB nicht möglich ist.

Bereits am 26.10.2020 hatte das VG Karlsruhe, Az.,: 5 K 4333/20 anlässlich einer gleichgelagerten Anmeldung ähnlich entschieden und die Auflage zum Tragen einer MNB insbesondere dadurch begründet, dass die Antragstellerin selbst während des Kooperationsgespräches mit dem Antragsgegner am 22.10.2020, welches im Rathaus stattfand und in welchem ebenfalls die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes besteht, keine solche Bedeckung trug und damit bereits zum Ausdruck gebracht hat, dass sie einer entsprechenden Verpflichtung nicht nachkommen möchte und insofern nicht unerhebliche Zweifel daran bestehen, dass sie diese auch als Veranstaltungsleiterin nicht durchsetzen wird. Angesichts dieses Verhaltens, so das VG, ist auch aus Sicht des Gerichts nicht damit zu rechnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Eigenverantwortung oder Verantwortung Dritten gegenüber freiwillige Maßnahmen zum Infektionsschutz treffen.

9.11.2020 VG Sigmaringen bestätigt ebenfalls die Auflage zum Tragen einer MNB bei Versammlungen

Das VG Sigmaringen entschied am 9.11.2020, Az.: 10 K 4054/20 anlässlich einer ähnlichen Anti-Corona-Versammlung erneut über die Pflicht zum Tragen einer MNB. Der Antragsteller hatte am 6.11.2020 beim Ordnungsamt der Stadt Sigmaringen für neun aufeinanderfolgende Termine im Zeitraum 9.11. – 28.12.2020 mehrere Versammlungen zum Thema „Lichterspaziergang – Mama, Mama! Maske? (gegen die bestehende Maskenpflicht )“ angemeldet. Die Kundgebungen sollten jeweils um 19:00 Uhr beginnen und um ca. 20:00 Uhr enden. Die Versammlungsteilnehmer sollten sich zu Beginn auf dem Marktplatz einfinden, wo der Lichterspaziergang beginnen sollte. Dabei sollten Laternen (ggf. auch Transparente) mitgeführt und Lieder gesungen werden. Es wurden ca. 100 bis 150 Teilnehmer erwartet.

Die Stadt Sigmaringen bestätigte die Anmeldung und verfügte u.a. die Auflage eine MNB zu tragen, sofern sich die Versammlungsteilnehmer nicht auf einen Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 2 Corona-VO berufen konnten. Zur Begründung wurde mit Verweis auf § 11 Abs. 2 ausgeführt, dass innerhalb von Fußgängerzonen eine Maskenpflicht bestehe, es sei denn, dass sichergestellt werden könne, dass ein Mindestabstand eingehalten werden könne. Die Versammlungsteilnehmer würden sich jedoch frei auf dem Marktplatz bewegen und als Gruppe auf das Thema aufmerksam machen. Es sei daher nicht sichergestellt, dass die Abstandsvorgaben konsequent eingehalten werden könnten.

Mit seinem Eilantrag wandte sich der Antragsteller gegen die Maskenpflicht mit der Begründung, im Zollernalbkreis würden aktuell nur 6 Corona-Patienten intensivmedizinisch versorgt. Das entspräche einem Anteil von 23% der vorhandenen Intensivbetten. Die Fallzahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) seien nicht aussagekräftig, da sie sich nur auf positiv Getestete, nicht aber auf Menschen mit Krankheitssymptomen bezögen. Nach Ansicht von „führenden Medizinern“ stelle das Tragen einer Maske sogar eine Gesundheitsgefährdung dar. Wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit sei für einschränkende Maßnahmen eine tragfähige Gefahrenprognose erforderlich, an der es hier fehle. Die Versammlung im August 2020 mit tausenden Teilnehmern hätte nicht zu Entwicklung eines „Hotspots“ geführt. Richte sich eine Versammlung – so der Antragsteller weiter – wie hier, gerade gegen das Tragen von Masken, so widerspreche eine entsprechende Auflage dem Zweck der kollektiven Meinungskundgabe diametral und sei daher nicht gerechtfertigt.

Auf Nachfragen des AG Sigmaringen führte die Stadt Sigmaringen aus, dass der Marktplatz zwar ausreichend Platz für maximal 150 Teilnehmer unter Wahrung des geforderten Mindestabstandes bieten würde, jedoch bestehe durch die Besonderheit der Versammlung, in der die Teilnehmer ständig in Bewegung seien und zudem Lieder sängen, die Gefahr eines erhöhten Aerosol-Ausstoßes. Das Tragen einer MNB erscheine deshalb geboten. Desweiteren weise der Zollernalbkreis eine 7-Tages-Inzidenz am 8.11.2020 von 124,1 je 100.000 Einwohner auf. 21 Corona-Patienten würden derzeit stationär versorgt, davon sechs intensivmedizinisch, fünf invasiv beatmet, nur noch fünf von 26 Intensivbetten seien noch frei.

Das AG Sigmaringen verwarf daraufhin den Widerspruch und begründete dies mit der Rechtslage gem. der Corona-VO in der Fassung vom 1.11.2020, wonach nach § 11 Abs. 2 Corona-VO i.V.m. § 15 Abs. 1 VersammlG die Versammlungsleitung für die Einhaltung der Hygienevorschriften nach § 4 Corona-VO verantwortlich ist. Weitere Auflagen können nach Satz. 2 erlassen werden, bspw. die Verpflichtung zum Tragen einer MNB[5], sofern zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährden, was durch die geplante Versammlung unstrittig vorliegt, sodass das Verhältnis der allgemeinen versammlungsrechtlichen Normen zu den Bestimmungen in § 11 Corona-VO keiner vertiefenden Betrachtung bedarf, denn die 7-Tages-Inzidenz im Zollernalbkreis lag weit über 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Desweiteren – so das AG Sigmaringen – ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von 1 – 2 m um eine infizierte Person herum erhöht. Beim Schreien und Singen – letzteres soll auf den von Antragsteller angemeldet Versammlung stattfinden – werden vermehrt Aerosole ausgeschieden. Eine Maske kann das Risiko einer Übertragung im unmittelbaren Umfeld einer infizierten Person reduzieren. Auf dieser Grundlage ist anzunehmen, dass von den mobilen Versammlungen mit einer Teilnehmerzahl von jeweils 100 bis 200 singenden Personen ohne das Tragen von MNB eine unmittelbare Gefahr ausgehe.

Das in § 11 Abs. 2 Satz 2 Corona-VO eröffnete Ermessen wurde rechtsfehlerfrei ausgeübt. Die Auflage eine MNB zu tragen dürfte, insbesondere auch im Lichte des Art. 8 GG, verhältnismäßig sein. Sie diene einem legitimen Zweck, nämlich der Vermeidung von SARS-CoV-2-Infektionen und damit dem Gesundheitsschutz und ist geeignet diesen zu erreichen. Auch an der Erforderlichkeit bestehe kein Zweifel, denn es bestehen berechtigte Zweifel, dass die Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 m bei einer sich in Bewegung befindlichen Gruppe von 100 bis 150 Menschen effektiv sichergestellt werden kann, zumal die zum Infektionsschutz erforderlichen Abstände wegen des Singens eher größer sein müssen.

Die Auflage erweist sich auch im engeren Sinn als verhältnismäßig, denn die Verpflichtung eine MNB während der Versammlung zu tragen, lässt die Durchführung der Veranstaltung unter dem angemeldeten Motto, ohne Beschränkung der Teilnehmerzahl und in der vorgesehenen Art und Weise (Ortswahl, Spaziergang, Laternen und Singen) unberührt. Auch angesichts des Umstandes, dass sich die Versammlung gerade gegen die „Maskenpflicht“ im öffentlichen Raum richten soll, ist eine Gefährdung des Demonstrationserfolgs nicht ersichtlich.[6]

20.11.2020 VG Stuttgart bestätigt Auflage zum Tragen eines Plexiglas-Gesichtschutzes bei Versammlungen

Das VG Stuttgart bestätigte schließlich am 20.11.2020, Az.: 1 K 5607/20 das Tragen eines Plexiglas-Gesichtsschutzes (sog. Vollvisier) für Versammlungsteilnehmer, die ein ärztliches Attest vorweisen können, welches vom Tragen einer MNB befreit. Zur Begründung führte das VG Stuttgart mit Verweis auf die Corona-VO in der Fassung vom 18.11.2020 aus, dass die Auflage grundsätzlich durch § 15 Abs. 1 VersG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 Corona-VO gestützt werde. Die Tatbestandsvoraussetzung einer unmittelbaren Gefahr dürfte angesichts der aktuellen Pandemielage ohne weiteres vorliegen (für Baden-Württemberg eine 7-Tages-Inzidenz von 133,6 Fällen pro 100.000 Einwohner, im Main-Tauber-Kreis bei 87,6). Das der Stadt Bad Mergentheim zustehende Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden, da die Auflage geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn seien. Eine MNB sei zwar grundsätzlich besser geeignet eine Verbreitung des Virus durch ausgestoßene respiratorische Flüssigkeitspartikel zu erschweren, jedoch seien Vollvisiere geeignet, direkt auf die Scheibe auftreffende Tröpfchen abzufangen. Erforderlich sei die Auflage, da bei einer in Bewegung befindlichen Gruppe von ca. 60 Personen in der Innenstadt die Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 m nicht effektiv sichergestellt werden könne. Des Weiteren habe die Inaugenscheinnahme des auf der letzten unter demselben Motto abgehaltenen Versammlung aufgenommenen Videos bestätigt, dass etwa die Hälfte der Teilnehmer keine MNB trugen. Es handelt sich also entgegen der statistischen Wahrscheinlichkeit bei dem Personenkreis, der über ein Attest verfügt, welches vom Tragen einer MNB befreit, nicht um eine zu vernachlässigbare Größe. Dies rechtfertige, diesen Personenkreis ersatzweise jedenfalls zum Tragen eines sogenannten Vollvisiers zu verpflichten. Die Auflage sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne, da sie die Durchführung der Versammlung als Aufzug unter dem angemeldeten Motto, mit der angemeldeten Teilnehmerzahl und in der vorgesehenen Art und Weise unberührt lasse und nur geringfügig in die Versammlungsfreiheit eingreife, was angesichts der derzeitigen Pandemielage zum Schutz der Bevölkerung gerechtfertigt sei.

Zusammenfassung

Die zunehmenden Infektionszahlen sowie das uneinsichtige Verhalten der Versammlungsteilnehmern bei den Anti-Corona bzw. Querdenker-Demonstrationen – insbesondere die stete Missachtung der Hygiene- und Abstandsregeln – führten zu einer ständigen Verschärfung der Auflagen und schließlich zum Verbot der Versammlungen. Somit reagierten die Verwaltungsgerichte insbesondere auf das uneinsichtige Verhalten der Versammlungsteilnehmer.

Neben der Bewertung des aktuellen Infektionsgeschehens, der Situation in den Krankenhäusern hinsichtlich der Verfügbarkeit von Intensivbetreuungsplätzen und der 7-Tages-Inzidenzzahlen pro 100.000 Einwohner, kommt somit der polizeilichen Berichterstattung besondere Bedeutung zu. Die Verwaltungsgerichte verwiesen in ihren Begründungen immer wieder auf die Schilderungen der Polizei zum Verhalten der Versammlungsteilnehmer bei zurückliegenden gleichartigen Veranstaltungen und würdigten hierbei das uneinsichtige Verhalten der Versammlungsteilnehmer durch ständig verschärfte Auflagen. Eine ausführliche polizeiliche Dokumentation des Versammlungsverlaufs ist deshalb zwingend erforderlich, insbesondere, wenn mit künftig gleichen Anmeldern, Teilnehmern und Versammlungsthemen zu rechnen ist.


[1] VGH Mannheim, Beschluss v. 1605.2020 – 1 S 1541/20, juris, Rn. 4

[2] . VG München, Beschl. v. 2.11.2005 – M 7 S 05.5397 – Rn. 13, juris

[3] BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96 -, DVBl. 2002, 256, 259

[4] vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20

[5] So auch VG KA, Beschluss v. 30.10.2020 – 3 K 4416/20

[6] Vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.06.2020 – 1 BvQ 74/20 -, juris Rn. 3, am Maßstab des § 32 Abs. 1 BVerfGG