Das Recht am eigenen Bild – Wann liegt eine Gefahr für das Persönlichkeitsrecht eines Polizeibeamten vor?

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Juli 2015, Az.: 1 BvR 2501/13

von PD Michael Wernthaler, Polizeipräsidium Ludwigsburg

Vorwort

Bei öffentlichen Versammlungen sind Polizeibeamte oftmals im Fokus der Presseberichterstattung oder werden gezielt von sogenannten „(Demo-)Beobachtern“ in ihrem Handeln beobachtet und hierbei oftmals fotografiert oder videografiert. Die Verwaltungsgerichte haben bereits mehrfach Entscheidungen getroffen, wann ein polizeilicher Eingriff in die Pressefreiheit zulässig ist und hierbei hohe Anforderungen an die Zulässigkeit gestellt. Polizeibeamte sind hierbei bei öffentlichen Versammlungen überwiegend „Zeugen des aktuellen Zeitgeschehens“ und haben deshalb entsprechende Bilddokumentationen zu dulden, da sie unter den Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG  oder als „Teilnehmer von öffentlichen Versammlungen, Aufzügen oder ähnlichen Vorgängen“ unter den Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG  fallen.

§ 23 KunstUrhG
(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:
1. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte;
2. …
3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben;

Besonders lästig und fragwürdig wird das Fotografieren bzw. Videografieren dann, wenn der Polizeibeamte aus unmittelbarer Nähe, oftmals mit einem hochauflösenden Zoomobjektiv offensichtlich porträtiert wird und sich die Frage aufdrängt, was das polizeiliche Gegenüber mit diesem Porträtfoto beabsichtigt, auf dem kein szenarisches Umfeld abgelichtet ist. Oftmals drängt sich der Verdacht auf, dass diese Fotos ausschließlich der Veröffentlichung auf einschlägigen Internetseiten dienen sollen.

Mit der Frage, ob ein solches, im Rahmen einer öffentlichen Versammlung vermeintlich gefertigte Porträtfoto, gegen das Recht auf informelle Selbstbestimmung (Persönlichkeitsrecht) des betroffenen Polizeibeamten verstößt, hatte sich das Bundesverfassungsgericht in einer Verfassungsbeschwerde zu befassen.

Sachverhalt

Der Klage lag der Sachverhalt zu Grunde, dass die Polizei am 22. Januar 2011 in Göttingen am Rande einer dort stattfindenden Versammlung den Kläger aufgefordert hatte seine Personalien anzugeben. Zur Begründung hätten die Polizeibeamten behauptet, er habe Fotografien der Beamten angefertigt. Tatsächlich, so erwiderte der Kläger, habe er jedoch keine (Porträt-)Aufnahmen gemacht, sondern die Beamten lediglich auf die von ihnen gefertigten Filmaufnahmen angesprochen. Es sei auch nicht beabsichtigt gewesen, Aufnahmen zu veröffentlichen und er habe auch zu keiner Zeit geäußert, er würde Fotos für ein Bürgerforum verwenden. Der Personalausweis habe sich ca. 4 Minuten lang in den Händen eines der Polizeibeamten befunden. Mit der Übergabe des Ausweises an den Beamten sei eine Personalienfeststellung abgeschlossen gewesen. Die Maßnahme sei rechtswidrig gewesen, weil es für den Eingriff in seine allgemeine Handlungsfreiheit und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung keine Rechtsgrundlage gegeben hätte.
Die Polizei argumentierte, eine Personalienfeststellung sei nicht durchgeführt worden. Sie sei lediglich geplant gewesen, weil die Betroffenen Porträtfotos von Polizeibeamten ohne deren Einverständnis angefertigt und die Verbreitung durch die Verwendung der Aufnahmen für das Bürgerforum „Bürger beobachten Polizei“ angekündigt hätten. Zu einer Überprüfung des Personaldokuments des Klägers sei es jedoch nicht gekommen. Die Maßnahme sei zum Zweck der Deeskalation abgebrochen worden, weil sie die Aufmerksamkeit der umstehenden Versammlungsteilnehmer erregt habe. Die Maßnahme, so sie denn aufgrund ihrer Geringfügigkeit einen Eingriffscharakter aufweise, sei zudem gerechtfertigt gewesen, denn die Polizeibeamten hätten einen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) befürchten müssen. Das Bürgerforum veranstalte regelmäßig Treffen von Bürgern, die jedermann offen ständen. Dort hätten die Fotos gesichtet werden sollen. Die Polizeibeamten hätten deshalb davon ausgehen dürfen, dass eine Veröffentlichung der Fotos geplant gewesen sei; zumindest habe eine Anscheinsgefahr vorgelegen.

Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hatte ebenso wie zuvor das Verwaltungsgericht Göttingen die polizeilichen Maßnahmen als zulässig erachtet und hierbei offengelassen, ob tatsächlich eine Identitätsfeststellung vorlag, da nach Auffassung der vorinstanzlichen Gerichte auf jeden Fall eine Rechtsgrundlage  vorlag, wonach die Polizei die Identität einer Person feststellen kann, sofern dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Die Polizeibeamten seien zu Recht von einer Gefahr der Begehung einer Straftat nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG durch den Kläger ausgegangen. Der Kläger und seine Begleiterin hatten sich durch „Buttons“ an ihrer Kleidung als Angehörige der Interessengemeinschaft „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ zu erkennen gegeben und den Eindruck erweckt, Nahaufnahmen von den Polizeibeamten zu fertigen. Hinreichende Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten der Kläger hätte sich aus deren gleichgelagertem Vorverhalten ergeben, wonach die Gefahr bestand, dass die von den Polizeibeamten gefertigten Nahaufnahmen öffentlich zur Schau gestellt, d.h. zumindest innerhalb der Gruppe oder sogar im Internet verbreitet werden könnten. Bei der polizeilichen Identitätsfeststellung ginge es im vorliegenden Fall auch nicht um eine Gefahrenabwehrmaßnahme auf der ersten Stufe, wie z.B. ein Fotografier- oder Filmverbot, sondern – lediglich – um die einer möglichen weiteren Polizeimaßnahme vorgeschalteten Identitätsfeststellung.

Die Erwiderung des Klägers, die Polizeibeamten selbst hätten in unzulässiger Weise ohne Anlass nahezu durchgehend die friedliche Versammlung gefilmt und seien diesbezüglich von Versammlungsteilnehmern mehrfach auf die Rechtswidrigkeit ihrer Filmaufnahmen aufmerksam gemacht worden, wurde von den vorinstanzlichen Gerichten mit dem Hinweis verworfen, dass selbst dann, wenn die Videoaufzeichnungen der Polizeibeamten rechtwidrig sein sollten, dies kein Grund sei, zu Beweiszwecken von den Polizeibeamten Nahaufnahmen zu fertigen. Diesbezügliche Aufnahmen seien für eine gerichtliche Überprüfung nicht notwendig, vielmehr wäre maßgeblich zu dokumentieren, was die Polizeibeamten gefilmt haben.

In der Summe kamen die vorinstanzlichen Gerichte zu der Bewertung, dass „die Polizeibeamten im maßgeblichen Zeitpunkt der von ihnen angeordneten Identitätsfeststellung von der Gefahr der Begehung von Straftaten nach §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG durch den Kläger ausgehen“ konnten, denn „die Beamten der Bereitschaftspolizei Hannover sahen sich mit ihnen unbekannten Personen konfrontiert, die einer ihnen ebenfalls unbekannten Interessensgemeinschaft angehörten und den Eindruck erweckten, aus unmittelbarer Nähe Aufnahmen von ihnen zu fertigen. Dass sie vor diesem Hintergrund die Personalien des Klägers und seiner Begleiterin feststellen wollten, um weitere Maßnahmen zu ergreifen bzw. einen möglichen späteren Rechtsverstoß verfolgen zu können, ist daher nicht zu beanstanden“.

Entscheidung und Begründung des Bundesverfassungsgerichts

Zunächst stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das Befragen und die Aufforderung an den Kläger, mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen, in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung  eingreift. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die vorinstanzliche Feststellung, dass das Gewicht des Grundrechtseingriffs verhältnismäßig gering sei, gleichwohl bedarf der Eingriff der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Einzelfall, die es nachfolgend zu prüfen galt.

Allerdings hätten die Gerichte des Ausgangsverfahrens bei der Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr.1 Nds. SOG die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verkannt.  Zwar sei der Grundrechtseingriff verhältnismäßig gering, da die Identitätsfeststellung weder heimlich noch anlasslos stattfand und die Persönlichkeitsrelevanz der im Zusammenhang mit einer Identitätsfeststellung erhobenen Informationen von vornherein begrenzt sei , gleichwohl bedarf der Eingriff jedoch der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im Einzelfall, wobei die Gerichte gehalten seien, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinreichend zu berücksichtigen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebietet hierbei insbesondere eine Auslegung des einfachen Rechts, bei der abschreckende Effekte auf den Gebrauch des Grundrechts möglichst gering gehalten werden.

Beabsichtigt die Polizei, gegen die Fertigung von Lichtbildern und Videoaufnahmen präventivpolizeilich, bspw. durch ein Film- oder Fotografierverbot , sei es wie im vorliegenden Fall durch eine Identitätsfeststellung – einzuschreiten, ergibt sich durch den Grundrechtseingriff, hier Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, die Anforderung einer konkreten Gefahr für das polizeiliche Schutzgut. Dies ist eine Frage der tatsächlichen Umstände im Einzelfall. Gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr besteht – bspw. eine unzulässige Verbreitung der Film- oder Videoaufnahmen – so bedarf es hierfür hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte. Diese konnte das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall nicht erkennen.

Der Begründung, die eingesetzten Polizeibeamten hätten schon deshalb von einer unzulässigen Verbreitung ausgehen dürfen, weil ein anderer Grund für die Beamten nicht ersichtlich gewesen sei, wollte das Bundesverfassungsgericht nicht folgen. Die Polizeibeamten hätten vielmehr verkannt, dass der Anlass für die Aufnahmen hier ausdrücklich darin lag, dass die Polizei selbst Bild- und Tonaufnahmen der Versammlungsteilnehmer anfertigte.

Fertigen Versammlungsteilnehmer, die von der Polizei gefilmt und videografiert werden, ihrerseits Ton- und Bildaufzeichnungen von den eingesetzten Polizeibeamten an, kann aber nicht ohne nähere Begründung von einem zu erwartenden Verstoß gegen § 33 Abs. 1 KunstUrhG und damit von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs.1 KunstUrhG sanktionierte Vorbereitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es bei der Anfertigung der Aufnahmen lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizeilicherseits gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten handelt.

Fazit

Die Feststellung der Identität einzelner Versammlungsteilnehmer, die ihrerseits Ton- und Bildaufzeichnungen von Polizeibeamten fertigen, stellt einen Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und bedarf deshalb einer konkreten Gefahr für das polizeiliche Schutzgut. Eine diesbezügliche konkrete Gefahr kann nicht schon allein deshalb angenommen werden, weil für die Polizeibeamten kein anderer Grund als die rechtwidrige Veröffentlichung oder Zurschaustellung ihrer Porträtbilder erkennbar ist, vielmehr müssen weitere konkrete Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Verhalten der Versammlungsteilnehmer vorliegen. Diese liegen insbesondere dann nicht vor, wenn die Polizei ihrerseits die Versammlungsteilnehmer videografiert und die Bild- und Tonaufzeichnungen der Versammlungsteilnehmer in einem zu erwartenden Rechtsstreit als Beweismittel für die rechtswidrige Videografierung durch die Polizei dienen soll.

Zusammenfassung

  1. Das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden
  2. In dieses Recht wird eingegriffen, wenn die Polizei die Identität einer Person feststellt. Für den Rechtseingriff ist deshalb eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut erforderlich.
  3. Eine solche Gefahr könnte die verbotswidrige Veröffentlichung oder Zurschaustellung von polizeilichen Nahaufnahmen, die von Versammlungsteilnehmern gefertigt wurden, sein (§ 33 Abs. 1 KunstUrhG).
  4. Eine solche Gefahr ist jedoch nicht schon deshalb anzunehmen, weil es keinen anderen erkennbaren Grund für die Bildfertigung als die illegale Veröffentlichungsabsicht gibt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Polizei ihrerseits selbst Bild- und Tonaufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern fertigt. Und die von den Versammlungsteilnehmern gefertigten Videoaufzeichnungen in einem erwarteten Rechtsstreit als Beweismittel dienen sollen.