Der aktuelle Verfassungsschutzbericht – Akteure und Trends

Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei, Lübeck

1. Einleitung

Dieser Beitrag wertet den aktuellen Verfassungsschutzbericht, die aktuelle Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz, aus. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht untersucht extremistische Straftaten sowie Akteure des Jahres 2022, wurde am 20.6.2023 veröffentlicht und vorgestellt. Wie in jedem Jahr stellten auch 2023 die Bundesinnenministerin und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, aktuell Bundesinnenministerin Nancy Faeser sowie Thomas Haldenwang, den Verfassungsschutzbericht vor. Dieser Verfassungsschutzbericht umfasst 380 Seiten, im Jahr zuvor waren es noch 368 Seiten.

Bundesinnenministerin Faeser sagte in ihrem Statement zu diesem aktuellen Verfassungsschutzbericht aus dem Juni 2023:

Wir schützen unsere Demokratie gegen die aktuellen Bedrohungen von innen und von außen. Der verbrecherische russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Sicherheitslage in ganz Europa verändert. Wir haben starke Maßnahmen ergriffen, um uns gegen Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe zu wappnen. Auch unsere harte Gangart gegen Islamisten setzen wir fort. Hier besteht weiter Grund zu höchster Wachsamkeit. Unsere Sicherheitsbehörden haben in diesem Jahr bereits zwei mögliche islamistische Anschläge in Castrop-Rauxel und in Hamburg verhindert. Wir gehen mit voller Härte gegen Extremisten vor, die unsere Demokratie verachten und Menschen in unserem Land bedrohen. Der Verfassungsschutzbericht zeigt, dass Extremisten gewalttätiger und jünger werden und sich Ideologien zunehmend vermischen. Unsere entscheidenden Instrumente dagegen sind gut ausgestattete Sicherheitsbehörden, eine konsequente Strafverfolgung, politische Bildung und eine starke Zivilgesellschaft.

Der Rechtsextremismus ist weiterhin die größte extremistische Bedrohung in Deutschland. Besondere Sorge macht mir, dass Angriffe auf Geflüchtete wieder stark zugenommen haben. Es ist abscheulich, Menschen anzugreifen, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror suchen.

Auch im Bereich des Linksextremismus sind die Hemmschwellen gesunken, politische Gegner, aber auch die Polizei mit großer Brutalität anzugreifen. Deshalb handeln wir auch hier so entschieden.“[1]

In ihrer Amtszeit als Bundesinnenministerin ist dies der zweite Verfassungsschutzbericht, den Nancy Faeser vorstellte und im Vorwort des aktuellen Verfassungsschutzberichtes beginnt sie interessanterweise nicht mit Kommentaren zu Extremismusbereichen wie dem Rechtsextremismus sondern zu den Themen „Bedrohung durch Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe“. So bedeute der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auch für die Innere Sicherheit Deutschlands eine „Zeitenwende“.[2] So nimmt ihr Kommentar zum Ukrainekrieg und den Folgen für die Innere Sicherheit Deutschland im Bereich Cyberattacken, Spionage und Desinformationsveranstaltungen deutlich mehr Raum (insgesamt ca. 40-50%) ein als die Extremismusbereiche, die bisher im klaren Fokus ihrer Verfassungsschutzbehörde des Bundes standen, nämlich vor allem der Rechtsextremismus.

Zum Phänomenbereich Rechtsextremismus führt Bundesinnenministerin Faeser aus, dass sie „Rechtsextremismus und seine menschenverachtenden Erscheinungsformen entschlossen und konsequent“ bekämpfe. Dafür brauche es „repressive und präventive Maßnahmen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden genauso wie Maßnahmen der politischen Bildung, der Demokratieförderung und Extremismusprävention“. Hier erklärt sie ihren im März 2022 vorgestellten Aktionsplans gegen Rechtsextremismus sowie die Entwicklung der Gesamtstrategie der Bundesregierung gegen Extremismus und zur Stärkung der Demokratie als entscheidend.[3]

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bewertete den aktuellen Verfassungsschutzbericht seines Bundesamtes wie folgt: „Der Verfassungsschutzbericht verdeutlicht erneut die Gefahren für die Innere Sicherheit in Deutschland: Spionage, Cyberoperationen und Einflussnahmeversuche ausländischer Nachrichtendienste sind hemmungsloser und ausgefeilter geworden. Extremisten nutzen Krisen, um in der bürgerlichen Mitte Anschluss zu finden und teilen dabei auch Verschwörungsmythen, Desinformation und Propaganda. Sorge bereitet, dass die Akteure immer gewaltorientierter und zum Teil auch jünger werden. Viele sind weniger ideologisch festgelegt und basteln ihr Weltbild nach einem Baukastenprinzip mit Versatzstücken aus dem Internet zusammen. Wir stellen fest, dass Grenzen innerhalb von Phänomenbereichen verschwimmen und sich Mischszenen bilden. Auch wenn der Rechtsextremismus unverändert die größte Gefahr für unsere Demokratie darstellt, ist auch im islamistischen Terrorismus besondere Wachsamkeit geboten. Ein hohes Radikalisierungsniveau sehen wir ebenso im gewaltorientierten Linksextremismus. Als Frühwarnsystem haben wir diese Entwicklungen im Blick und treten ihnen entschieden entgegen.“[4]

Das Bundeskriminalamt (BKA) registrierte für das Jahr 2022 insgesamt 58.916 (im Jahr 2021 waren es noch 55.048) politisch motivierte Straftaten. Davon sind 16.340 (27,7 %) Propagandadelikte (im Jahr 2021 waren es mit 13.832 Propagandadelikten also 25,1 % von den Gesamtstraftaten). 4.043 Straftaten (6,9 %) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen, im Jahr 2021 waren es mit 3.889 noch 7,1 %.

Von den 58.916 politisch motivierten Straftaten wurden 35.452 Straftaten (60,2 % aller extremistischen Straftaten in Deutschland im Jahr 2021) mit extremistischem Hintergrund ausgewiesen. Von diesen 35.452 extremistischen Straftaten ordneten die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden 20.967 dem Rechtsextremismus zu, 3.847 (im Jahr 2021 noch 6.142) der Kategorie Linksextremismus zu, 418 Straftaten dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – religiöse Ideologie“ und 1.974 (im Jahr 2021 noch 776) dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie“ zugeordnet. Damit wurden 8.246 (2021 noch nur 5.948) Straftaten mit einem extremistischen Hintergrund ohne Zuordnung zu einem bestimmten Phänomenbereich gemeldet.

Die 35.452 Straftaten mit extremistischem Hintergrund im Jahr 2022 in Deutschland stellen einen traurigen Höchststand dar. Von diesen 35.452 Straftaten waren 2.847 Gewalttaten.[5]

2. Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus

2.1 Straftaten

Im Jahr 2022 wurden von den deutschen Sicherheitsbehörden 20.967 (im Vorjahr waren es noch 20.201) Straftaten von Rechtsextremisten erfasst, darunter waren 1.016 (im Vorjahr noch 945) Gewalttaten. Dazu zählen vor allem zwei versuchte Tötungsdelikte. Als weitere Teilmenge der rechtsextremistischen Straftaten wurden zudem 13.026 rechtsextremistisch motivierte Propagandadelikte nach §§ 86, 86a StGB registriert (im Vorjahr noch 11.866). Rechtsextremisten verübten im Jahr 2022 879 Körperverletzungen,18 Brandstiftungen und 91 Widerstandsdelikte. Im Jahr 2022 zählten die deutschen Sicherheitsbehörden auch zwei versuchte Tötungsdelikte von Rechtsextremisten. [6]

2.2 Aktuelle Akteure und Trends

Das Personenpotenzial Rechtsextremismus in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich an: Von 33.300 im Jahr 2020 auf 33.900 in 2021 sowie auf 38.800 im Jahr 2022. Erklärt wird dies auch mit der Aufnahme von 10.200 Mitgliedern der Partei AfD („Verdachtsfall Rechtsextremismus“). Von den aktuell 38.800 deutschen Rechtsextremisten werden 14.000 als gewaltorientiert eingestuft, 500 mehr als im Jahr zuvor.[7]

Die Verfassungsschutzbehörden beschreiben die Akteurslandschaft des Rechtsextremismus als heterogen und kategorisieren u.a. in Neonazis, „subkulturell geprägte Rechtsextremisten“, die „Neue Rechte“ („Identitäre Bewegung“, „Compact“, „Institut für Staatspolitik“, Ein Prozent e.V.“) sowie das Parteienspektrum.

Extremisten versuchen, Anschluss an bürgerlich-demokratische Kreise zu erreichen. Dieser Strategie folgen Rechtsextremisten verstärkt seit der Corona-Pandemie und auch seit Beginn des Ukrainekrieges. Während die Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen während der Pandemie nur vereinzelt Unterwanderungsversuchen von Rechtsextremisten ausgesetzt waren, traten in den als „Heißer Herbst“ angekündigten Protesten, die in einen „Wutwinter“ übergehen sollten, extremistische Akteure und Gruppierungen wahrnehmbarer in Erscheinung, führt das BfV aus. Diese Agitation verfing jedoch nicht in der breiten Bevölkerung.[8] Im Laufe des Jahres 2022 agitierten Rechtsextremisten wieder verstärkt gegen Migranten und Asylsuchende, vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten, so das BfV.[9]

Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine differenzierten Rechtsextremisten ihre zuvor mehrheitlich prorussische Haltung, so das BfV. In weiten Teilen zeigte sich die rechtsextremistische Szene befürwortend und verständnisvoll für den russischen Angriffskrieg.

Rechtsextremisten aus verschiedenen Bereichen haben sich in den letzten Jahren vor allem in den östlichen und nördlichen Bundesländern vermehrt um den Erwerb von Grundstücken und Immobilien bemüht. Ihr Ziel ist es dabei, einzelne Regionen oder Ortschaften ideologisch zu prägen bzw. zu vereinnahmen.

Im Bereich der rechtsextremistischen Parteien beobachtete das BfV im Jahr 2022 eine erhöhte Dynamik. Auch wenn NPD, „DIE RECHTE“ und „Der III. Weg“ bei Wahlen weiterhin keine Rolle spielten, leisteten ihre Organisationsstrukturen einen wichtigen Beitrag für die szeneinterne Vernetzung und den inneren Zusammenhalt der rechtsextremistischen Szene. Zudem traten mit der Regionalpartei „Freie Sachsen“ und der neonationalsozialistisch geprägten Kleinstpartei „Neue Stärke Partei“ (NSP) zwei neue rechtsextremistische Parteien verstärkt in Erscheinung. Mit dem erstinstanzlichem Urteil vom 8.3.2022 bestätigte das Ver­waltungsgericht Köln die durch das BfV vorgenommene Einstufung der „Alternative für Deutschland“ (AfD) als Verdachtsfall Rechtsextremismus. In Verlautbarungen der Partei und einer Reihe von Funktionsträgern kommen ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis sowie fremden- und minderheitenfeindliche und muslim- und islamfeindliche Positionen zum Ausdruck, erklärt das BfV.[10]

Im Bereich des Rechtsextremismus sind in letzter Zeit neue Dynamiken zu beobachten. So bestehen zum einen alte Strukturen, beispielsweise gewaltbereite Neonazis sowie „subkulturelle Rechtsextremisten“ in Gruppen organisiert, zum anderen aber auch neue Formen wie rechtsextremistische Netzwerke im Internet („Atomwaffendivision“ sowie „Sonderkommando 1418“) sowie sich selbst radikalisierende Einzelpersonen, aus denen Einzeltäter werden können, die Gewalttaten begehen.

Die aktuellen Fälle rechtsextremistischer Netzwerke im Internet, die „Atomwaffendivison“ und das „Sonderkommando 1418“) vertreten nach Angaben des BfV einen rechtsextremistischen Akzelerationismus. Die Theorie des Akzelerationismus stellt auf „eine Überwindung des Kapitalismus durch eine Beschleunigung (Akzeleration) der dem kapitalistischen System angeblich inhärenten Widersprüche ab. Dabei stünden enormer technologischer Fortschritt und steigende Gewinne global operierender Unternehmen im Kontrast zu steigender sozialer Ungleichheit bzw. sozialen Konflikten und unfähigen nationa­len Regierungen, die diese Probleme nicht lösen könnten. Die Verschärfung dieser Entwicklungen soll letztlich zum Sturz der bestehenden staatlichen bzw. politischen Ordnung führen“, erklärt das BfV aktuell.[11]

Grundsätzlich ist festzustellen, dass es keine Standardradikalisierungsverläufe hin zur extremistischen Gewalt gibt, jeder Radikalisierungsverlauf ist individuell. Orte von rechtsextremistischen Radikalisierungsverläufen können rechtsextremistische Gruppen sein, sowohl realweltlich als auch in Sozialen Netzwerken. Häufige Radikalisierungsfaktoren sind die rechtsextremistische Ideologie, die aus verschiedenen Elementen besteht. Weitere Radikalisierungsfaktoren können nach Angaben der Sozialwissenschaft psychische Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Verschwörungserzählungen sowie Freund-Feind-Bilder sein („wir gegen die anderen“).

Viele Radikalisierungsverläufe im Rechtsextremismus finden seit einigen Jahren immer mehr online (soziale Netzwerke, Messenger, Foren und Boards sowie verschlüsselte Messenger) statt. Die meisten Radikalisierungsverläufe führen – im Bild einer Treppe gesprochen – nicht zum Anschlag, nicht zur Gewalt, sie enden auf einer niedrigeren Stufe, häufig bei hate speech in den Sozialen Netzwerken. Aber diese hate speech wiederum kann andere Menschen radikalisieren und diese könnten dann rechtsextremistische Gewalt anwenden.

Rechtsextremistische Internetinhalte wirken sowohl auf gewaltbereite rechtsextremistischen Gruppen als auch auf Einzelpersonen ein. Hier können Verschwörungserzählungen, Propaganda, Memes und hate speech (bis hin zu sog. Todeslisten mit „politischen Gegnern“, Radikalisierungsfaktoren sein, die einen Verlauf hin zu einer Gewalttat fördern.

3.  „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“

3.1 Straftaten

„Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ wurden im Jahr 2022 von den deutschen Sicherheitsbehörden 1.856 politisch motivierte Straftaten zugerechnet (im Jahr 2021 waren es noch 1.330), von denen 1.358 (2021 noch 1.011) als extremistisch eingeordnet wurden. Unter diesen extremistischen Straftaten waren insgesamt 286 Gewalttaten (2021 noch 184). Hierzu zählten neben Erpressungs- (203) und Widerstandsdelikten (67) vor allem zwei versuchte Tötungsdelikte. Bei den weiteren Straftatbeständen dominieren vor allem Nötigungen und Bedrohungen (555). Von den „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ zugeordneten Straftaten wurden 47 als antisemitisch eingeordnet, bei welchen es sich im Wesentlichen um Volksverhetzungsdelikte (40) handelte. Die – in absoluten Zahlen – meisten extremistischen Straftaten begingen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Bayern (699, darunter 197 Gewalttaten und 385 Fälle von Nötigung bzw. Bedrohung).[12]

3.2 Aktuelle Akteure und Trends

Die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ist sehr heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne strukturelle Einbindung, Kleinst- und Kleingruppierungen, überregional agierenden Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Deutschlandweit sind der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“- Szene aktuell etwa 23.000 Personen (im Vorjahr noch 21.000) zuzurechnen. Der Anteil derer, die zugleich als Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums einzuordnen sind, beläuft sich dabei auf 1.250 Personen. Das gewaltorientierte Personenpotenzial der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ liegt bei 2.300 Personen (2021: 2.100). Dazu zählen gewalttätige Szeneangehörige sowie Personen, die beispielsweise durch Drohungen oder gewaltbefürwortende Äußerungen (häufig auch online) und entsprechende ideologische Bezüge auffallen.[13]

Den Anstieg des Personenpotenzials dieses Extremismusbereiches in den letzten drei Jahren führen die Verfassungsschutzbehörden im Wesentlichen auf die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen sowie auf die Unterstützungspolitik der Bundesregierung und der EU der Ukraine im Ukrainekrieg zurück. Dabei nutzen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ nach Angaben des BfV Narrative der russischen Staatspropaganda. Teile dieses Phänomenbereiches –Einzelpersonen und Organisationen – verfügen über eine ausgeprägte Affinität zur Russischen Föderation und nehmen daher eine dezidiert prorussische Position ein. Häufig gehe damit ein gleichzeitiger Anti-Amerikanismus einher, so das BfV.

Seit der Coronapandemie stellen die Sicherheitsbehörden vermehrt Vernetzungs- und Vermischungstendenzen mit anderen Phänomenbereichen (Rechtsextremismus, „Ver­fassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“) fest. Verbindende Elemente dieser drei Extremismusbereiche seien das verschwörungsgläubige Gedankengut und eine mehr oder minder ausgeprägte staats- beziehungsweise demokratiefeindliche Einstellung, erklärt das BfV. Vernetzungen ergeben sich zum Beispiel im Bereich des Protestgeschehens oder über gemeinsame Telegram-Gruppen.[14]

Das hohe Gewaltpotenzial von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ zeigt sich nach Angaben des BfV häufig durch massive Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen, oftmals gegen Polizeibeamte, auch unter Einsatz von Waffen. In der Nacht auf den 8.2.2022 wurde ein Polizeibeamter während einer Verkehrskontrolle in  Baden-Württemberg durch einen Angehörigen der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene mit dem Auto überfahren und schwer verletzt. Der Angeklagte war zuvor unter anderem bereits durch szenetypischen Schriftverkehr mit verschiedenen Behörden aufgefallen, in dem er sich auf die Haager Landkriegsordnung und die S.H.A.E.F.-Gesetze berufen hatte. Am 20.4.2022 kam es während einer Durchsuchung zur Sicherstellung von Waffen bei einem als „Reichsbürger“ bekannten 54-jährigen Mann in Baden-Württemberg zu einem Schusswaffeneinsatz. Der Mann schoss auf Mitglieder eines SEK, dabei wurden zwei SEK-Beamte verletzt. Im Rahmen der Durchsuchung konnten in der Wohnung etliche Messer, Armbrüste sowie mehrere Kurz- und Langwaffen mit dazugehöriger Munition sichergestellt werden. Am Abend des 4.8.2022 eskalierte eine Durchsuchungsmaßnahme in Sachsen. Der 61-jährige Verdächtige verweigerte den Polizeibeamten den Zutritt und attackierte diese mit einer Axt. Mithilfe von Spezialeinsatzkräften wurde der Mann überwältigt. Der Tatverdächtige war bekannt geworden, weil er S.H.A.E.F.-Materialien an Schulen versandt, im örtlichen Rathaus hinterlegt und an Haushalte verteilt hatte. Dabei soll er behauptet haben, man befinde sich in einem Dritten Welt­krieg und ein Angriff stehe unmittelbar bevor.[15]

Die Gruppierung um den „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß ist nach Angaben des BfV das im Jahr 2022 herausragendste Beispiel für die Bildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene. So seien „Reichsbürger“-Ideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ sowie rechtsextremistische Narrative zusammengeflossen. Die Absicht der Gruppierung, das politische System in Deutschland mittels Waffengewalt zu beseitigen, belegt die hohe Gewaltbereitschaft in Teilen der „Reichsbürger“-Szene und deren Attraktivität auch für Anhänger anderer extremistischer Phänomenbereiche. Auch das Gefährdungspotenzial durch die Waffenaffinität vieler Szeneangehöriger besteht fort. So kam es nach Angaben des BfV bis Ende 2022 zu Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse bei mindestens 1.100 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“. Ende 2022 verfügten noch etwa 400 „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis. Die Verfassungsschutzbehörden stellen den zuständigen Waffenbehörden alle erforderlichen Informationen zur Verfügung, um den Entzug vorhandener waffenrechtlicher Erlaubnisse bei Szeneangehörigen zu ermöglichen.[16]

4. „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“

Die Akteure des im Jahr 2021 vom BfV neu eingerichteten Phänomenbereichs „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ („Delegitimierer“) zielen nach Angaben des BfV darauf ab, „wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Kraft zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen zu beeinträchtigen. Sie machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich oder rufen dazu auf, behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen zu ignorieren.“ Diese Form der Delegitimierung erfolgt häufig über eine ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen „demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates“. Eine derartige Agitation steht „im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen, insbesondere dem Demokratie- oder dem Rechtsstaatsprinzip“, führt das BfV aus.[17]

In Bezug auf die vom BfV aktuell festgestellten Phänomen einer „Mischszene“ konstatiert das BfV, dass der neue Extremismusphänomenbereich „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ naturgemäß diverse Bezüge zu und ideologische Schnittmengen mit anderen Phänomenbereichen aufweise. Die Tendenz habe mit dem Protest gegen staatliche Corona-Schutzmaßnahmen begonnen. Eine aktuell zu konstatierende Radikalisierung der Akteure ist gemäß dem BfV im breiten Rekurs auf teilweise antisemitische Verschwörungsmythen, in der Verunglimpfung staatlicher Schutzmaßnahmen als diktatorisch, im Propagieren eines vermeintlichen Widerstandsrechts und letztlich in Aufrufen zu Gewalt, in Einzelfällen bis hin zu Mord, zu sehen.

Gängige, durch Delegitimierer rezipierte Verschwörungserzählungen sind unter anderem antikapitalistische Narrative wie beispielsweise der „Great Reset“ oder Erzählungen über eine vermeintlich von den politischen und wirtschaftliche Eliten geplante „Neue Weltordnung“ (NWO). Den beiden Verschwörungserzählungen ist dabei gemein, dass vermeintlich mächtigen Einzelpersonen, vor allem auch aus der Wirtschaft, oder den „Eliten“ allgemein unterstellt wird, sie würden die Umsetzung einer neuen Ordnung anstreben.

Aktuell rechnen die Verfassungsschutzbehörden dem Delegitimierungsspektrum etwa 1.400 Personen zu, davon sind etwa 280 Personen als gewaltorientiert einzustufen. Im Unterschied zu anderen Phänomenbereichen finden sich diese seltener in festen, dauerhaften Strukturen zusammen, sondern agieren oftmals nur in losen Personenzusammenschlüssen oder als Einzelpersonen.[18]

Das BfV analysiert aktuell, dass sich die Akteure des Phänomenbereichs „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ durch eine nachhaltige Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates auszeichnen. Dadurch bestehe eine wechselseitige Anschlussfähigkeit vor allem an die Phänomenbereiche Rechtsextremismus sowie „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Bei diversen Protestveranstaltungen konnten in den Jahren 2022 und 2021 entsprechende Verbindungen festgestellt werden. Teilweise beschränkten sich diese auf gemeinsame Demonstrationsteilnahmen oder lose persönliche Kennverhältnisse. Bisweilen seien aber auch punktuelle Kooperationen erkennbar gewesen, zum Beispiel in Form gemeinsamer Redeauftritte von Rechtsextremisten und Angehörigen der Delegitimierungsszene.[19]

 5. Linksextremismus

5.1 Straftaten

Im Jahr 2022 wurden 3.847 (im Vorjahr waren es noch 6.142) Straftaten mit linksextre­mistischem Hintergrund erfasst, darunter 602 (im Jahr zuvor noch 987) Gewalttaten. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten sank damit auffälliger Weise massiv um 37,4 %, die Zahl der Gewalttaten um 39,0 %.. So verübten Linksextremisten 3001 Körperverletzungen, ein versuchtes Tötungsdelikt, 62 Brandstiftungen, 46 Mal Landfriedensbruch, 147 Widerstandsdelikte und 1968 Mal Sachbeschädigung. [20]

5.2 Aktuelle Akteure und Trends

Das linksextremistische Personenpotenzial stieg im Jahr 2022 auf insgesamt 36.500 Personen (im Jahr zuvor noch 34.700). Mehr als jeder vierte Linksextremist ist als gewaltorientiert einzuschätzen. Einzelne besonders erhebliche Angriffe, zahlreiche Körperverletzungen und die regelmäßig verursachten hohen Schadenssummen durch Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen zeigen das unverändert hohe Gefahrenpotenzial durch Linksextremisten.

Das vom Linksextremismus ausgehende Gefährdungspotenzial ist nach Angaben des BfV nach wie vor hoch. Das Personenpotenzial der gewaltbereiten Autonomen ist im Jahr 2022 weiter angewachsen. Die in den letzten Jahren zunehmende Radikalisierung in Teilen der gewaltbereiten Szene habe sich auf einem hohen Niveau verstetigt, so das BfV. Der gewaltbereite Linksextremismus äußert sich weiterhin durch regelmäßige Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit von Menschen und durch die Verursachung hoher Schadenssummen. Durch Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen wie Kabelschächte, Te­lekommunikationseinrichtungen oder Bahnanlagen (KRITIS, Kritische Infrastruktur) können auch weite Teile der Bevölkerung von linksextremistischen Straf- und Gewalttaten betroffen sein. Bereits mehrfach waren in den letzten Jahren ganze Stadtteile teils stundenlang ohne Strom, Internet oder Telefon. Auch kam es als Folge von Anschlägen auf die Bahn­infrastruktur zu spürbaren Ausfällen und Verspätungen im Bahnverkehr.[21]

Gewaltorientierte Linksextremisten verstehen Straftaten und Gewalt als Kernbestandteil ihres „antifaschistischen Kampfes“. Die Bandbreite reicht von „Outings“ (in der Regel online) über Bedrohungen, Beschädigung oder Zerstörung von Eigentum, Brandstiftungen an Fahrzeugen oder Trefforten bis hin zu brutalen körperlichen Angriffen auf als „faschistisch“ bzw. als „politische Gegner“ ausgemachte Personen, häufig auch in deren privatem Umfeld. Neben dem Anbringen von Schmierereien an der Fassade oder dem Einwerfen von Fensterscheiben gehört zum Vor­gehen der Täter bei solchen „Hausbesuchen“ zum Teil auch, in die Räumlichkeiten einzudringen und diese zu verwüsten. Treffen sie ihre Opfer an, fügen sie ihnen erhebliche, teilweise gar lebensgefährliche Verletzungen zu, erklärte das BfV im Juni 2023.[22]

„Outings“ sind häufig mit mehr oder minder verklausulierten Aufrufen zu Straf- und Gewalttaten gegen die Betroffenen verbunden. Einzelne gewaltbereite linksextremistische Gruppen führen solche Angriffe („Hausbesuche“) sehr gezielt, äußerst planvoll und professionell durch, analysiert das BfV aktuell.  Auf diese Weise wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut und die „geoutete“ Person eingeschüchtert, da sie jederzeit mit einem Angriff auf sich oder ihr Eigentum rechnen muss. Immer wieder kommt es im Nachgang von „Outings“ zu Brandstiftungen an Fahrzeugen, Sachbeschädigungen oder gewaltsamen Überfällen auf die „geoutete“ Person. In einigen Fällen verwüsteten Linksextremisten in der Vergangenheit auch die Wohnungen ihrer Opfer. Im Fokus von „Outings“ stehen vor allem tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten. Aber auch andere aus linksextremistischer Sicht „unliebsame Personen“ wie Politikerinnen und Politiker, Polizeikräfte oder Mitarbeitende von Wirtschaftsunternehmen werden Opfer solcher „Outings“ – wenn auch weniger häufig, konstatierte das BfV im Juni 2023.[23]

Die linksextremistische Internetplattform „de.indymedia“ ist nach Angaben des BfV das derzeit wichtigste Informations- und Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum. Auf „de.indymedia“ erscheint eine Vielzahl von Beiträgen, die ei­nen Bezug zu linksextremistischer Gewalt und Straftaten haben oder selbst strafrechtlich relevant sind. Die Plattform „de.indymedia“ wurde auch im Tor-Netzwerk („Darknet“) angelegt. Über gemeinsame Schnittstellen werden Beiträge im Clear- und Darknet gespiegelt und die Plattformen un­tereinander synchronisiert. Durch diesen dezentralen Ansatz wird versucht, die Plattform und ihre Inhalte gegen Angriffe von außen oder technische Probleme zu sichern.

Auf de.indymedia.org finden regelmäßig „Outings“ statt, wobei Bilder und personenbezogene Daten wie die Adresse und das Geburtsdatum „unliebsamer Personen“ veröffentlicht werden. Diese „Outings“ sind oftmals verbunden mit direkten oder indirekten Aufrufen zur Begehung von Straftaten gegen diese Personen. Betroffen von diesen „Outings“ auf de.indymedia.org sind vor allem tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Vertreter des „verhassten Repressionsstaats“ (Polizeibeamte), daneben auch Angehörige von Wirtschaftsunternehmen und Journalisten.[24]

Im Juni 2023 führte das Bundesamt für Verfassungsschutz aus: „Linksextremistisch motivierte Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen an Fahrzeugen, Maschinen oder der Infrastruktur von Wirtschaftsunternehmen verursachen in Deutschland jedes Jahr Sachschäden in Millionenhöhe.“[25] Die linksextremistische Organisation „Ende Gelände“ verdeutlichte ihre antikapitalistische Grundhaltung zum Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Ordnung im Jahr 2022 wie folgt:

„In einer kapitalistischen Gesellschaft kann es keine Klimagerechtigkeit geben. Daher ist neben dem Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft der Kampf für einen Systemwandel erforderlich.“ („Ende Gelände“, „We shut shit down“, Hamburg 2022, S. 139 f.).[26]

Zu den von Linksextremisten im Rahmen der Klimaproteste genutzten Aktionsformen zählen unter anderem Blockaden und Besetzungen zum Nachteil von Einrichtungen und Unternehmen der Energieinfrastruktur, die als „ziviler Ungehorsam“ bezeichnet werden. Durch die Verwendung dieses Begriffs wird der vorsätzlich ausgeübte und teilweise auch gewaltsame Widerstand gegen das staatliche Gewaltmonopol eines demokratischen Rechtsstaats in eine Reihe mit Menschen- und Bürgerrechtsbewegungen gestellt, die gewaltlos gegen Unrechtssysteme protestieren. Damit soll nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Sabotage Kritischer Infrastrukturen legitimiert und als Aktionsform etabliert werden. So heißt es beispielsweise in einem Aufruf zur Verhinderung eines geplanten LNG-Terminals auf der Plattform „de.indymedia“: „Baustellen lassen sich besetzen, Bagger und Baufahrzeuge auf viele verschiedene Arten blockieren, sabotieren oder zer­stören, Pipelinerohre können unbrauchbar gemacht werden.“ (Internetplattform „de.indymedia“, 10. September 2022).[27]

In der Silvesternacht 2021/2022 verübten mutmaßliche Linksextremisten in Bremen einen schweren Brandanschlag auf ein Unternehmen (Sachschaden in Millionenhöhe), das im Bereich der Luft- und Raumfahrt tätig ist und mit der Bundeswehr zusammenarbeitet. Innerhalb weniger Tage zwischen dem 31.10.2022 und dem 8.11.2022 setzten mutmaßliche Linksextremisten mehrere Firmenfahrzeuge verschiedener Unternehmen in Berlin und Leipzig in Brand. Ziele waren ein Unternehmen, das am Bau einer JVA beteiligt ist, sowie ein Immobilienunternehmen (Sachschaden insgesamt über eine Million Euro). Auch die Deutsche Bahn AG wurde in der Vergangenheit wiederholt Ziel von Brandanschlägen gewaltorientierter Linksextremisten. Sie wird von Linksextremisten als größtes Logistikunternehmen der „kapitalistischen Profitwirtschaft“ angeprangert.[28]

Linksextremisten werfen deutschen Wirtschaftsunternehmen pauschal „skrupellose Profitorientiertheit“ vor. Linksextremisten beabsichtigen, das Ansehen der Unternehmen, die sie mit Aktionen und Sabotage angreifen, durch die Schwere der Tat hervorgerufenen öffentlichen Aufmerksamkeit dauerhaft zu schädigen. Mit den Ausführungen in den Tatbekenntnissen wollen sie außerdem Szeneangehörige ansprechen und zu weiteren Taten anstiften. Letztlich ist ihr Ziel nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das „kapitalistische System“ zu schwächen und revolutionär zu überwinden.[29]

6. Islamismus und islamistischer Terrorismus

6.1 Straftaten

Im Jahr 2022 rechneten die deutschen Sicherheitsbehörden der „Politisch motivierten Kriminalität – religiöse Ideologie“ 418 extremistische Straftaten zu, im Jahr zuvor waren es noch 409. Der überwiegende Teil (361, 2021 noch 372) davon wies einen islamistischen Hintergrund auf.  Von den 418 Straftaten mit religiös-ideologischer extremistischer Motivation waren insgesamt 43 Gewalttaten (2021: 49, -12,2 %), zu denen unter anderem ein versuchtes Tötungsdelikt und 39 Körperverletzungen gerechnet werden. 39 extremistische Straftaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – religiöse Ideologie“ wurden als Vorbereitung oder Unterstützung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§§ 89a–c, 91 StGB) eingestuft (2021: 49), 34 Fälle (2021: 43) als Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129b StGB).  Im Berichtsjahr wurden 33 antisemitische Straftaten mit einer extremistischen religiös-ideologischen Motivation festgestellt, zu denen 2 Gewalttaten und 17 Volksverhetzungsdelikte zählten.[30]

6.2 Aktuelle Akteure und Trends

Im Vergleich zum Jahr 2022 stellen die Verfassungsschutzbehörden in diesem Phänomenbereich ein leicht verringertes Personenpotenzial von 27.480 Personen (im Jahr 2021 noch 28.290) fest. Dennoch ist das Bedrohungspotenzial durch den islamistischen Terrorismus nach Angaben des BfV nach wie vor hoch. Auch das  salafistische Milieu zeigt sich nach dem Ende der Pandemiemaßnahmen wieder aktiver. Vor allem der Identifizierung sowie Aufklärung von Finanzaktivitäten islamistischer sowie extremistischer Einzelpersonen und Organisationen komme eine besondere Bedeutung zu, so das BfV.

Im Jahr 2022 rechneten die deutschen Sicherheitsbehörden der „Politisch motivierten Kriminalität – religiöse Ideologie“ 418 extremistische Straftaten zu, im Jahr zuvor waren es noch 409. Der überwiegende Teil (361, 2021 noch 372) davon wies einen islamistischen Hintergrund auf.  Von den 418 Straftaten mit religiös-ideologischer extremistischer Motivation waren insgesamt 43 Gewalttaten (2021: 49, -12,2 %), zu denen unter anderem ein versuchtes Tötungsdelikt und 39 Körperverletzungen gerechnet werden. 39 extremistische Straftaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – religiöse Ideologie“ wurden als Vorbereitung oder Unterstützung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§§ 89a–c, 91 StGB) eingestuft (2021: 49), 34 Fälle (2021: 43) als Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129b StGB).  Im Berichtsjahr wurden 33 antisemitische Straftaten mit einer extremistischen religiös-ideologischen Motivation festgestellt, zu denen 2 Gewalttaten und 17 Volksverhetzungsdelikte zählten.[31]

In Bezug auf die Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland erklärt das BfV aktuell, dass diese in Deutschland und weltweit fortbesteht. Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus gehe weiterhin vor allem von dschihadistisch motivierten Einzeltätern mit einfach zu beschaffenden Tatmitteln aus. Die Angriffe richteten sich vornehmlich gegen „weiche“ Ziele. Oftmals bleibe unklar, ob die Täter aus einer islamistischen Motivation heraus oder aufgrund einer psychischen Erkrankung handeln. Da die aktuellen islamistischen Anschläge in Deutschland und Europa eine relativ niedrige Planungsphase und einen geringen Organisationsaufwand hatten, seien diese besonders schwer von den Sicherheitsbehörden zu verhindern. Im Jahr 2022 kam es in Deutschland zu keinem gesichert islamistisch motivierten Anschlag, so das BfV. In Oslo wurde jedoch am 25.6.2022 ein Anschlag mit Schusswaffen in einem vor allem von der LGBTQ-Szene besuchten Nachtclub verübt. Auch im Jahr 2022 konnten die Sicherheitsbehörden dschihadistische Anschlagspläne in Deutschland und anderen europäischen Ländern vereitelt werden.[32]

Den Umgang mit inhaftierten Islamistinnen und Islamisten beschreiben die deutschen Verfassungsschutzbehörden als Herausforderung für die Sicherheits- und Justizbehörden, da Radikalisierungsprozesse von Inhaftierten bereits während der Haft erkannt werden müssen und eine enge Abstimmung mit den beteiligten staatlichen und nicht staatlichen Akteuren, der Bereiche Deradikalisierungs- und Reintegrationsarbeit vorhanden sein müsse.

Das BfV analysiert im Extremismusbereich Islamismus LGBTQ als Feindbild. Dazu erklärt das BfV: „Die Ablehnung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt moderner demokratischer Gesellschaften, vor allem von Homosexualität und Transidentität, ist fester Bestandteil aller islamistischen Ideologien, die auf verbreitete Vorbehalte in vielen nahöstlichen und afrikanischen Gesellschaften aufsattelt.“ Weiter führt das BfV aus, dass es islamistische Vordenker waren, vor allem der salafistischen Strömungen, die sich ausdrücklich gegen die als „Unzuchtsverbrechen“ gebrandmarkte ausgelebte Homosexualität positioniert hätten. Die Forderung nach Toleranz gegenüber Homosexualität und geschlechtlicher Vielfalt westlicher Gesellschaften werde als quasi-kolonialistischer Export aus dem Westen interpretiert, der das Ziel der Zerstörung der islamischen Gemeinschaft verfolge. Islamisten reagieren mit Hass und Ablehnung auf den gesellschaftspolitischen und medialen Bedeutungszuwachs des Themas in den letzten Jahren. So warfen Angehörige der salafistischen Szene beispielsweise den westlichen Staaten in den sozialen Medien Doppelmoral und Scheinheiligkeit vor, als im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar über die Einhaltung der Menschenrechte und die Diskriminierung von LGBTQ-Menschen in dem arabischen Golfstaat diskutiert wurde. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Angriffen auf Symbole und Orte der LGBTQ-Szene, so auch im Rahmen des Anschlags auf einen Nachtclub in Oslo/Norwegen.[33]

In Bezug auf deutschsprachige dschihadistische Propaganda führt das BfV aus, dass dort IS- sowie „al-Qaida“-nahe Strömungen fortbestünden und die Grenzen teilweise fließend seien.  Die Unterstützerszene nutze neben Instagram und Telegram zunehmend TikTok. Die im Jahr 2022 fortgesetzten Restriktionen der Plattformbetreiber führten in der islamistischen und salafistischen Unterstützerszene zum Teil zu einem vorsichtigeren Vorgehen bei Veröffentlichungen. Einige Nutzer fügten ihren Beiträgen „Haftungsausschlüsse“ hinzu. Der in variierenden Formulierungen verwendete Text solle eine Distanzierung von den dschihadistischen Organisationen und den geteilten Inhalten suggerieren bei gleichzeitiger Betonung der Notwendigkeit ihrer Veröffentlichung zur angeblichen Information. Zusammenfassend schätzen die deutschen Verfassungsschutzbehörden die Propagandaaktivitäten der islamistischen, salafistischen und dschihadistischen Szenen, auch im Vergleich zu den Vorjahren, auf „gleichbleibend hohem Niveau“ ein.[34]

7. Auslandsbezogener Extremismus

7.1 Straftaten

Die Straftaten mit einem auslandsbezogenen extremistischen Hintergrund haben das zweite Jahr in Folge zugenommen. Im Jahr 2022 fiel der Anstieg auf nunmehr 1.974 Delikte (2021: 776) besonders stark aus. Nahezu eine Verdopplung zeigt sich bei den Gewaltdelikten (226 Delikte; 2021: 116). Den größten Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten haben die 1.229 Delikte, die 2022 in diesem Phänomenbereich in Deutschland im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfasst worden sind.[35]

7.2 Aktuelle Akteure und Trends

Das Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus betrug im Jahr 2022 insgesamt 29.750 Personen (2021: 28.650) und ist somit im Vergleich zum Vorjahr um 3,8 % angestiegen. Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation in Deutschland ist weiterhin die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit 14.500 Anhängern.

Die Agitation und das Militanzniveau im auslandsbezogenen Extremismus sind vor allem von der politischen Entwicklung und den strategischen Richtlinien der Organisationen in den jeweiligen Heimatländern abhängig, stellt das BfV fest. Das den auslandsbezogenen Extremismus prägende Veranstaltungsgeschehen habe nach den pandemiebedingten Einschränkungen 2022 wieder deutlich zugenommen; das Niveau von vor der Pandemie wurde jedoch noch nicht wieder erreicht. Auch das Vereinsleben habe wieder zugenommen und teilweise wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht.[36]

Eine wesentliche Betätigung der verschiedenen Organisationen im auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland ist nach Angaben des BfV die Beschaffung von Geldmitteln. Diese fließen neben den Strukturen und Aktivitäten in Deutschland und Europa teilweise auch den Mutterorganisationen in den Heimatländern zu. Diese Finanzierungsströme aufzuklären, strafrechtlich zu verfolgen und dadurch nachhaltig zu stören ist wesentlicher Bestandteil der Gesamtstrategie der Sicherheitsbehörden zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung. Neben Spendensammlungen oder -kampagnen generieren die Organisationen ihre finanziellen Mittel in der Regel vor allem aus Mitgliedsbeiträgen oder dem Verkauf von Publikationen wie Schriften, Büchern oder Tonträgern. Weitere Einnahmen werden erzielt bei diversen Veranstaltungen wie Konzerten oder Festivals, zum Beispiel durch den Verkauf von Eintrittskarten und „Solidari­tätstickets“ oder durch die Erlöse aus dortigen Verpflegungs- und Verkaufsständen. [37]

Die PKK erzielte im Jahr 2022 bei ihrer „Jahresspendenkampagne“ („kampanya“) allein in Deutschland geschätzt zwischen 16 und 17 Millionen Euro und erreichte damit ungefähr wieder das hohe Vorjahresniveau. Die „kampanya“ ist in Deutschland die wesentliche Einnahmequelle der PKK. Sie verläuft äußerst konspirativ. Die Spendengelder werden von der Organisation bei den Spendern ausschließlich persönlich und in bar eingesammelt. Die ge­sammelten Spenden und weitere Einnahmen aus Veranstaltungen, Mitgliedsbeiträgen oder dem Verkauf von Publikationen werden vor allem für den Unterhalt der Organisation und des umfang­reichen Propagandaapparats in Europa genutzt. Die Kadereinheit „Wirtschafts- und Finanzbüro“ (EMB) steuert und kontrolliert die finanziellen Aktivitäten der PKK in Deutschland und Europa.

Im türkischen Rechtsextremismus ist die Finanzierung nach Angaben des BfV so unterschiedlich wie die einzelnen Gruppierungen in diesem Spektrum: Die nicht verbandlich organisierte „Ülkücü“-Szene zeigt überwiegend keine relevanten Finanzierungsaktivitäten, was vor allem auf fehlende dauerhafte Strukturen zurückzuführen sein dürfte. Anders ist es bei den mitgliederstarken Dachverbänden, welche über regelmäßige Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge und Spenden verfügen.[38]

8. Spionage und Cyberangriffe

Innenministerin Faeser sprach bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes, im Juni 2023, 16 Monate nach dem Beginn des Ukrainekrieges, ebenso wie Bundeskanzler Scholz, von einer „Zeitenwende“. Dieses Mal aber von einer Zeitenwende für die Innere Sicherheit. Deutschland werde durch Spionage, Desinformation und Cyberangriffe bedroht:

„Diese Aktivitäten stellen eine ernsthafte Bedrohung für Deutschland und deutsche Interessen dar“, führt das BfV aus und warnt vor Spionageaktivitäten, die immer „vielgestaltiger und ausgefeilter“ würden.[39] Sie seien eine „ernsthafte Bedrohung für Deutschland und deutsche Interessen“. Aktiv seien hierzulande China, Iran, die Türkei oder Nordkorea. Allen voran sei aber für Russland seit dem Angriffskrieg die Spionagearbeit „von hoher Bedeutung“ – mit Fokus auf die westlichen Sanktionen gegen Moskau und die Unterstützungshandlungen für die Ukraine. Das klare Ziel Russlands sei es, diese Unterstützung zu schwächen. Im Fokus stünden die deutsche Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, die Bundeswehr sowie die Energieversorgung. Auch Desinformationskampagnen und Propaganda durch staatliche oder beauftragte nichtstaatliche russische Akteure stellen eine Bedrohung dar.

Spionage, Cyberangriffe, Desinformation sowie unzulässige ausländische Einflussnahme, Proliferation und Staatsterrorismus haben erhebliche negative Auswirkungen für Deutschland, analysiert das BfV. Dadurch könnten außenpolitische Verhandlungspositionen Deutschlands und der gesellschaftliche Zusammenhalt geschwächt, die freie Meinungs- und Willensbildung gestört werden, führt das BfV aus.[40]

Das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik erklärt aktuell, dass die Bedrohung im Cyber-Raum in Deutschland und Europa so „hoch wie nie zuvor sei“, verursacht durch Cybercrime und Cyberattacken im Kontext des Ukrainekrieges.[41]

Im April 2023 wurde bekannt, dass der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall erneut Ziel einer Cyber-Attacke wurde. Das Ausmaß war im Mai 2023 noch nicht absehbar, die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt. Rheinmetall ist Deutschlands größter Rüstungskonzern. Bei Militärfahrzeugen und im Munitionsgeschäft zählt das Unternehmen zu den drei größten Herstellern der westlichen Welt.[42]

Eine weltweite Welle von Cyber-Attacken mit Erpressungssoftware legte zu Beginn des Jahres 2023 zahlreiche Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in Europa und Nordamerika lahm. Nach Angaben des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) könnten Hunderte deutsche Firmen betroffen sein. Nach Angaben des BSI lag der geographische Schwerpunkt der Cyber-Attacken auf Frankreich, den USA, Deutschland und Kanada.[43]

Die Firma Vulkan kooperiert nach Angaben deutscher und internationalen Medien mit den wichtigsten russischen Geheimdiensten FSB, GRU und SWR. In den im Frühjahr 2023 medial ausgewerteten „Vulkan Files“ werden Angriffsziele benannt, zum Beispiel das „Lahmlegen von Kontrollsystemen von Eisenbahn-, Luft- und Schiffstransport“ und die „Störung von Funktionen von Energieunternehmen und kritischer Infrastruktur“.[44] Mehrere westliche Geheim- und Nachrichtendienste halten die „Vulkan Files“ für authentisch. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestages, Konstantin von Notz, geht von „Hunderten solcher Cyberwaffen“ aus, die gerade entwickelt würden. Die „Vulkan Files“ legen zudem nahe, dass die als „Sandworm“ weltweit bekannte gewordene Spezialeinheit 74455 des russischen Militärgeheimdienstes GRU mit der IT-Firma Vulkan kooperiert hat. „Sandworm“ soll unter anderem verantwortlich sein für Angriffe auf ukrainische Firmen im Juni 2017. Die Schadsoftware geriet außer Kontrolle und befiel weltweit Tausende Computer, auch in den USA und verursachte Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. Mehrere „Sandworm“-Hacker sind deswegen in den USA angeklagt worden.[45]

Im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zählte das CyberPeace-Institut in Genf für das Jahr 2022 mehr als 850 Cyber-Attacken. Diese wurden demnach von pro-russischen und pro-ukrainischen Hackern gegen Ziele in der Ukraine, Russland und rund drei Dutzend anderen Ländern ausgeführt, darunter auch 23 in Deutschland. Pro-russische Hackernetzwerke würden durch immer stärkere Vernetzung immer unberechenbarer, erklärte die Chefanalystin des Instituts, Emma Raffray Anfang 2023. Bei den Flughäfen seien Websites vorübergehend gestört worden. Allein im September 2022 wurden an zwei Tagen fünf Cyber.Attacken mit 18 Zielen in Deutschland registriert.[46]

Seit Beginn der deutschen Unterstützung für die Ukraine mit Waffenlieferungen und Sanktionen gegen Russland gelten Cyber-Attacken gegen Energieversorger oder militärische Einrichtungen als große Bedrohung für Deutschland. Die russischen Geheimdienste verfügen über Fähigkeiten, neben Kritischer Infrastruktur (KRITIS) auch den politischen Betrieb anzugreifen. Bereits kurz nach Beginn des Ukrainekrieges kam es in Deutschland zu einer Angriffswelle durch die mutmaßlich von russischen Geheimdiensten gesteuerte Hackerkampagne “Ghostwriter“. In der Vergangenheit hatte „Ghostwriter“ nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereits „erfolgreich Daten von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern und sonstigen politischen Zielen“ erbeutet. Diese könnten womöglich über sogenannte Hack-and-Leak-Operationen öffentlich gemacht und für Desinformationskampagnen missbraucht werden.[47]

Gegen Deutschland gerichtete Spionageaktivitäten von Staaten wie Russland und China sind aktuell vielgestaltiger und ausgefeilter, sie umfassen menschliche Quellen genauso wie Cyberangriffe, konstatiert das BfV im Juni 2021. Vor allem von nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Kontext des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine gehe eine hohe Gefährdung aus. Hierbei nennt das BfV neben politischer Spionage die militärische Aufklärung, Wirtschaftsspionage und die Aufklärung Kritischer Infrastrukturen (KRITIS). Die russische Regierung könne auf eine aus ihrer Sicht sich verschärfende Lage mit physischen und cyberbasierten Sabotageaktivitäten gegen Deutschland, u.a. gegen KRITIS reagieren.[48]

Die deutschen Verfassungsschutzbehörden haben seit dem Beginn des Ukrainekrieges eine realistische „Neubewertung derjenigen Risiken“ durchgeführt, „die aus Verbindungen in und nach Russland beziehungsweise verbündeten Staaten resultieren“. So müsse das Risiko nachrichtendienstlicher Anbahnungsversuche aktuell als deutlich erhöht betrachtet werden. Dies gelte auch für die Gefahr staatlich gesteuerter Sabotagehandlungen gegen KRITIS, vor allem gegen solche der Informations- und Kommunikationstechnik sowie der Energieversorgung, führt das BfV im Juni 2023 aus. Solche Sabotageakte seien auch und gerade in Gestalt von Cyberattacken mit hohen Schadensrisiken behaftet. Spionagegefährdungen ergeben sich auch aus der Prognose eines intensivierten nachrichtendienstlichen Vorgehens Russlands gegen deutsche Unternehmen, unter anderem auf dem Rüstungs-, Logistik- und Technologiesektor.[49]

9. Fazit

Mögliche Gewinner von Krisen sind Radikalisierung und Extremismus sowie auch der Terrorismus. Als Ausfluss der Pandemie und einer „collective madness“ würden Brian Michael Jenkins zufolge „neue Beweggründe für zukünftige terroristische Kampagnen entstehen“[50] Zudem würden bestehende Extremisten und neue Extremisten „beflügelt“.[51] Diese Einschätzung spiegelt sich in den allermeisten Zahlen zu extremistischen Straftaten und zum extremistischen Personenpotenzial im aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022, veröffentlicht im Juni 2023, wider.

Zum Bedrohungspotenzial durch den politischen Extremismus in Deutschland hinzu kommen, seit Beginn des Ukrainekrieges deutlich stärker als in den Jahren zu vor, Bedrohungen, von Spionage, Sabotage und Cyberattacken ausgehen. So sprach Innenministerin Faeser anlässlich der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichtes, 16 Monate nach dem Beginn des Ukrainekrieges, ebenso wie Bundeskanzler Scholz, von einer „Zeitenwende“. Dieses Mal aber von einer Zeitenwende für die Innere Sicherheit. Deutschland werde durch Spionage, Desinformation und Cyberangriffe bedroht. Das BfV warnt vor Spionageaktivitäten, die immer „vielgestaltiger und ausgefeilter“ würden. Sie seien eine „ernsthafte Bedrohung für Deutschland und deutsche Interessen“. Aktiv seien hierzulande China, Iran, die Türkei oder Nordkorea. Allen voran sei aber für Russland seit dem Angriffskrieg die Spionagearbeit „von hoher Bedeutung“ – mit Fokus auf die westlichen Sanktionen gegen Moskau und die Unterstützungshandlungen für die Ukraine. Das klare Ziel Russlands sei es, diese Unterstützung zu schwächen. Im Fokus stünden die deutsche Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, die Bundeswehr sowie die Energieversorgung. Auch Desinformationskampagnen und Propaganda durch staatliche oder beauftragte nichtstaatliche russische Akteure stellen eine Bedrohung dar.


[1] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/pressemitteilung-2023-4-vsb-2022.html (18.7.2023).

[2] Vgl. Bundesministerium für Inneres und Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, 20.6.2023, S. 3.

[3] Vgl. ebd., S. 5.

[4] Ebd.

[5] Vgl. ebd. 25.

[6] Vgl. ebd., S. 26.

[7] Vgl. ebd., S. 51.

[8] Vgl. ebd., S. 48.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. ebd., S. 50.

[11] Vgl. ebd., S. 53-54.

[12] Vgl. ebd., S. 32.

[13] Vgl. ebd., S. 105- 106.

[14] Vgl. ebd., S. 105-106.

[15] Vgl. ebd., S. 112.

[16] Vgl. ebd., S. 113.

[17] Vgl. ebd., S. 116.

[18] Vgl. ebd., S. 117.

[19] Vgl. ebd., S. 120.

[20] Vgl. ebd., S. 34-35.

[21] Vgl. ebd., S. 150.

[22] Vgl. ebd., S. 130.

[23] Vgl. ebd., S. 130-131.

[24] Vgl. Goertz, Stefan (2021): Medienporträt: de.indymedia.org. In: Backes, Uwe/Gallus, Alexander/ Jesse, Eckhard/Thieme, Tom (2021): Jahrbuch Extremismus und Demokratie. 33. Jahrgang, S. 251-267.

[25] Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, Juni 2023, S. 146.

[26] Zit. n. ebd., S. 144.

[27] Zit. n. ebd., S. 145.

[28] Vgl. ebd., S. 146-147.

[29] Vgl. ebd.

[30] Vgl. ebd., S. 40.

[31] Vgl. ebd., S. 40.

[32] Vgl. ebd., S. 181.

[33] Vgl. ebd., S. 184-185.

[34] Vgl. ebd., S. 200.

[35] Vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/06/vsb2022.html (19.7.2023).

[36] Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, Juni 2023, S. 236-237.

[37] Vgl. ebd. 239-240.

[38] Vgl. ebd., S. 240-241.

[39] Vgl. ebd., S. 3; S. 278.

[40] Vgl. ebd. S. 278.

[41] Vgl. https://www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Publikationen/Lagebericht/lagebericht_node.html (21.7.2023).

[42] Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/cyberangriff-rheinmetall-101.html (21.7.2023).

[43] Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/cyberattacke-deutschland-101.html (21.7.2023).

[44] Vgl. https://www.zdf.de/politik/frontal/doku-vulkan-files-cyberangriff-russland-ukraine-krieg-leak-daten-100.html (21.7.2023).

[45] Vgl. ebd.

[46] Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/cyber-angriffe-hacker-deutschland-ukraine-krieg-russland-102.html (21.7.2023).

[47] Vgl. https://www.spiegel.de/politik/innenministerin-nancy-faeser-ueber-russische-cyberangriffe-wir-stehen-im-wettlauf-mit-immer-neuen-angriffsweisen-und-technologien-a-779c815a-9514-4229-ac07-f2afa4f87876 (21.7.2023).

[48] Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022, Juni 2023, S. 288.

[49] Vgl. ebd., S. 320.

[50] Vgl. Jenkins, Brian (2022): Plagues and their Aftermath. How Societies Recover from Pandemics. Brooklyn, London, S. 138.

[51] Vgl. ebd., S. 138, 156.