Die Sicherheitskooperation Ruhr – präventiv und repressiv auf neuen Wegen zur Bekämpfung der Clankriminalität

Jil Philomena Bareuther, Soziologin Siko Ruhr, und EKHK Wildfried Karden, Siko-Ruhr

Das rechtswidrige und teils öffentlichkeitswirksame Agieren von Mitgliedern der Familienclans stellt neben der Polizei auch weitere Strafverfolgungsbehörden, Kommunalverwaltungen und sonstige Akteure der öffentlichen Hand vor wachsende Herausforderungen. Diesen erfolgreich zu begegnen erfordert nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund einer modernen vernetzten Gesellschaft ein abgestimmtes- und koordiniertes repressives und präventives Handeln der zuständigen Stellen.

Lokal bestehen seit vielen Jahren Sicherheitspartnerschaften zwischen Polizei, Kommune, Bundespolizei, Zoll und anderen Behörden. Deren Betrachtung beschränkt sich jedoch naturgemäß auf die jeweiligen Zuständigkeitsbezirke. Mit der Sicherheitskooperation Ruhr zur Bekämpfung der Clankriminalität werden diese um eine überregionale Perspektive ergänzt, die die Metropolregion Ruhr mit ihren 53 Städten und Gemeinden als Ganzes in den Blick nimmt.

Am 22. Juni 2020 gründeten das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, die Bundespolizei, die Generalzolldirektion sowie die Städte Dortmund, Duisburg und Essen die Sicherheitskooperation Ruhr zur Intensivierung der bezirks- und behördenübergreifenden Bekämpfung der Clankriminalität in der Metropolregion Ruhr.

Dem Prinzip der „zusammengeschobenen Schreibtische“ folgend richteten die Kooperationspartner eine gemeinsame Arbeitsstruktur ein, bestehend aus der Leitung der Sicherheitskooperation, einer Geschäftsstelle sowie einem Lenkungskreis. Ihr sind keine originären Kompetenzen oder operativen Aufgaben übertragen. Die Zuständigkeiten der Kooperationspartner und anderer Behörden bleiben insoweit unberührt.

Der Kooperation können alle Kommunen des Ruhrgebietes sowie Landes- und Bundesbehörden beitreten. Hiervon haben seit der Gründung die Städte Bochum, Bottrop, Datteln, Dorsten, Gelsenkirchen, Gladbeck, Hagen, Hamm, Herne, Marl, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen und Oer-Erkenschwick, der Ennepe-Ruhr-Kreis, die Kreise Recklinghausen, Unna und Wesel, die Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW sowie die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit Gebrauch gemacht (Stand: 26.1.2023).

Die Geschäftsstelle mit Sitz in Essen ist die zentrale Arbeitseinheit der Sicherheitskooperation Ruhr. Das Personal wird gegenwärtig durch die Polizei Nordrhein-Westfalen, die Bundespolizei sowie die Kommunen Dortmund, Duisburg und Essen gestellt. Die konkrete Aufgabenwahrnehmung erfolgt anlassbezogen in enger Zusammenarbeit mit den anderen Kooperationspartnern, der Steuerverwaltung, der Justiz, den Polizeibehörden und Bezirksregierungen Nordrhein-Westfalen sowie weiteren nationalen und internationalen Partnern. Zudem bestehen Arbeitskontakte u. a. zu Polizei- und Kommunalbehörden anderer Länder.

Die Sicherheitskooperation Ruhr befasst sich vor dem Hintergrund der konkreten Problemstellungen in den einzelnen Kommunen nicht allein mit türkisch-arabischstämmigen Großfamilien, sondern beispielsweise auch mit vergleichbaren Strukturen aus Südosteuropa und Syrien. Ziel ist es, die zuständigen Behörden bei ihrer Aufgabenwahrnehmung zu unterstützen. Dabei stehen die Bekämpfung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gleichermaßen Fokus.

Die Grundlagen und Themenfelder der Sicherheitskooperation Ruhr sind in dem obenstehenden Vier-Säulen-Modell dargestellt. Es ist zugleich die Basis zur Strukturierung der konkreten Projekte und Aufgabenwahrnehmung.

Zur Förderung des behörden- und bezirksübergreifenden Austausches wurden ergänzende Formate der Vernetzung entwickelt, wie beispielsweise ein Führungskräftenetzwerk, Sachbearbeitertagungen sowie Facharbeitskreise zu den Themen Aufenthaltsrecht, Rotlicht, Shisha, Glücksspiel, Bewachungsgewerbe, Vermögensabschöpfung durch Kommunen und Prävention. In den Facharbeitskreisen befassen sich Expertinnen und Experten der Kooperations- und Netzwerkpartner mit konkreten praktischen Themenstellungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Clankriminalität.

Zur Förderung des Good-Practice-Austauschs und Wissenstransfers sowie als Instrument zur Unterstützung der behördlichen Vernetzung wurde die bezirks- und behördenübergreifende die IT-Plattform „SiKo Ruhr Portal“ entwickelt. Für Behörden und Kommunen außerhalb des Ruhrgebietes, die in besonderem Maße mit der Thematik Clankriminalität befasst sind, besteht ebenfalls die Möglichkeit, hieran zu partizipieren. Das Portal organisiert sich in mehrere Rubriken. Dabei nehmen behördenspezifische Aufgabengebiete einen großen Anteil ein. Hier werden Prozessabläufe, Good-Practice-Modelle, Mustersammlungen, Rechtstatsachen pp. bereitgestellt. Darüber hinaus werden themenspezifisch Informationen abgebildet, beispielsweise zu eigen- und fremdinitiierten Projekten, Lagebildern und zum Informationsaustausch. Zudem stehen für die Facharbeitskreise und behördenübergreifenden Projekte spezifische geschlossene Bereiche zur Verfügung.

In spezifischen Analyseprojekten führen die Kooperationspartner die ihnen vorliegenden Informationen aus öffentlichen, kommunalen und sicherheitsbehördlichen Quellen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zu einer ganzheitlichen 360°-Betrachtung zusammen. Neben der Analyse krimineller Strukturen, die in der Regel zur Einleitung von straf- oder steuerstrafrechtlicher Ermittlungen führen, werden auch Grundsatzthemen behandelt, wie bspw. die Analyse einer langjährigen kriminellen Karriere eines Clanmitgliedes im Hinblick darauf, ob und ggf. an welcher Stelle Maßnahmen hätten getroffen werden können, um die persönliche Entwicklung positiv zu beeinflussen. Ziel ist es, Ansätze für künftige Interventions- und Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung krimineller Karrieren zu erarbeiten. Darüber hinaus erreichen die Geschäftsstelle der Sicherheitskooperation Ruhr nahezu täglich Anfragen von Behörden zu konkreten Einzelsachverhalten bzw. Personen. Insgesamt ist eine stetige Zunahme solcher Anfragen, zum Teil auch aus anderen Ländern und Staaten, zu verzeichnen. In den meisten Fällen können diese unmittelbar beantwortet oder aber an eine zuständige Behörde weitervermittelt werden.

Darüber hinaus werden ausgehend von den Bedarfen der Kooperationspartner übergreifende Themen behandelt. So hat sich die Sicherheitskooperation Ruhr beispielsweise vor dem Hintergrund von Medienberichterstattungen über eine etwaige „Unterwanderung von Behörden durch Clans“ mit der Thematik „Umgang mit Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit Bezügen zu Clanstrukturen oder extremistischen Bewegungen“ befasst. Aufbauend auf einer qualitativen Analyse in Form von Experteninterviews zur Objektivierung der Problemlage wurden spezifische Handlungsempfehlungen entwickelt und den Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt.

Die vierte Säule rückt die Prävention in den Vordergrund. Ein wesentliches Aufgabenfeld ist dabei die Unterstützung der der Kommunen bei der strukturierten Planung, Durchführung und Erfolgsbewertung ihrer unspezifischen (primären) Präventionsmaßnahmen auf Basis der Strategie „communities that care“ (CTC).

Communities that care (CTC)[1]

Auf kommunaler Ebene wird einerseits eine Vielzahl von Präventionsaktivitäten zur Förderung von Kindern und Jugendlichen, die problematische Entwicklungen verhindern können, durchgeführt. Mitunter bestehen diese Aktivitäten unverbunden nebeneinander sodass unklar bleibt, was sie bewirken könnten und was dadurch tatsächlich bewirkt wird. Auch bleibt teilweise unklar, ob die gewählten Maßnahmen zu dem tatsächlichen Bedarf einer Kommune passen und ob diese auch wirklich nachweislich wirksam sind. Andererseits ist das Angebot von Präventionsaktivitäten in Kommunen teilweise sehr gering und es Bedarf einem Ausbau dessen. Dies sind einige von vielen Herausforderungen, vor denen kommunale Prävention steht. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer systematischen Ausrichtung präventiven Arbeitens. Bei der Erstellung kommunaler Gesamtstrategien ist es ratsam darauf zu achten, eine gemeinsame Perspektive auf das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen zu schaffen. Dabei sollte die Förderung jenseits einzelner Zuständigkeiten ermöglicht werden. Zudem sollten Präventionsbedarfe von Kindern und Jugendlichen repräsentativ identifiziert werden und nicht auf dem sogenannten „Bauchgefühl“ einzelner Akteure beruhen. Um vorhandene Bedarfe zu decken, könnten vermehrt wirkungsüberprüfte und evaluierte Präventionsprogramme eingesetzt werden. Dabei geht es vor allem auch um eine nachhaltige Verankerung wirksamer Programme in kommunale Regelstrukturen.

CTC ist eine Rahmenpräventionsstrategie, mit der Kommunen ihre Präventionsarbeit zielgerichtet und wirksam   planen und umsetzen können. Mit CTC können Kommunen ihre Gewalt-/Suchtprävention und Entwicklungsförderung maßgeschneidert, wirksam und nachhaltig. Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Bereitstellung einer Vielzahl an Tools und Werkzeugen führt die Strategie zu lokalen Plänen, für ein sicheres und gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen sorgen Die Grundidee von CTC stammt aus den USA und wurde neben Deutschland von vielen anderen Ländern übernommen. In Deutschland übertrug der Landespräventionsrat Niedersachsen die eingesetzten Methoden erstmalig von 2009 bis 2012 im Rahmen eines Modellversuchs. Seit 2013 besteht eine erfolgreiche Anwendung in Kommunen und die Implementierung von CTC findet mittlerweile bundesweit statt.

Zwei Bedienstete der Geschäftsstelle der Sicherheitskooperation Ruhr wurden durch die Bundestransferstelle-CTC, einer Kooperation des Deutschen Präventionstages gGmbH und der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention, zu Multiplikatoren fortgebildet, um die Kommunen zur Umsetzung von CTC zu befähigen und kontinuierlich zu unterstützen. Die Geschäftsstelle der Sicherheitskooperation Ruhr begleitet Kommunen bei der Einführung von CTC und fungiert als Bindeglied zwischen Kommunen und der Bundestransferstelle.

Die Umsetzung von CTC erfolgt in fünf aufeinander aufbauenden Phasen. In der ersten Phase werden alle für die Prävention relevanten Akteure in den Prozess eingebunden. Es soll eine gemeinsame Strategie entwickelt werden, in welcher Handlungsschwerpunkte definiert sind. Die Bereitschaft aller Beteiligten muss zuerst geklärt werden, um weiterführend Rahmendbedingungen und Voraussetzungen zu betrachten.

In Phase zwei werden Organisationsstrukturen eingerichtet. Dazu gehört die kommunale Lenkungsgruppe. Diese kann ein bereits bestehendes Lenkungsgremium sein, welches zur Lenkungsgruppe benannt wird. Diese setzt sich aus aktiven Schlüsselpersonen zusammen, welche direkten Einfluss auf die Zuweisung von Finanzen, Politik oder öffentlicher Meinung haben. Zum Beispiel könnten dies Personen wie Schulleiterinnen und Schulleiter, Dezernentinnen und Dezernenten oder Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sein. Die Lenkungsgruppe hat unter anderem die Aufgabe ein Gebietsteam einzusetzen und den Prozess zu unterstützen. Das Gebietsteam ist die treibende operative Kraft hinter allen gebietsbezogenen Aktivitäten von CTC. Es ist eine repräsentative Gruppe, welche aus Vertreterinnen und Vertretern des Schul- und Bildungsbereichs, der Kinder- und Jugendarbeit, des Gesundheitswesens, der Justiz, der Polizei, freier Träger, Kirchengemeinden, Sportvereinen und lokaler Politik besteht. Das Gebietsteam hat die Aufgabe, den CTC-Prozess auszuführen und die Bewohnerinnen und Bewohner, Eltern sowie Kinder und Jugendliche einzubinden.

In der dritten Phase wird ein datengestütztes Profil der Kommune erstellt. Laut Forschungsberichten erhöhen sogenannte „Risikofaktoren“ in Sozialisationsbereichen wie beispielsweise Schule, Familie, Gleichaltrige und Nachbarschaft bzw. soziales Umfeld die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Verhaltensproblemen bei Kindern und Jugendlichen. Um Problemverhalten und Kindern und Jugendlichen zu reduzieren, können Risikofaktoren vermindert und „Schutzfaktoren“ gestärkt werden. Im Rahmen von CTC liegt die Konzentration lediglich auf Risiko- und Schutzfaktoren, die sich auf lokaler Ebene beeinflussen lassen und deren Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen ist. Dies geschieht mit Hilfe einer repräsentativen Befragung von Schülerinnen und Schülern. Es wird ermittelt, welche Risikofaktoren besonders bedeutend für eine ungünstige Sozialentwicklung in den jeweiligen Sozialräumen sind. Gleichzeitig wird festgestellt, welche Schutzfaktoren gestärkt werden müssen. Die Beteiligten einigen sich auf zwei bis fünf wichtige Faktoren, mit denen weitergearbeitet wird. Zudem wird das bestehende Präventionsangebot insbesondere in Bezug auf die ausgewählten Faktoren betrachtet. Dabei geht es vor allem darum, sich einen Überblick über bestehende Präventionsarbeit zu erstellen, um Doppelungen und Lücken zu vermeiden bzw. zu identifizieren.

Die Erstellung des Aktionsplans ist Hauptbestandteil der vierten Phase. Inhalt dessen ist der akteursübergreifende Ausbau von Präventionsangeboten, die auf lokal bedeutsame Risiko- und Schutzfaktoren abzielen, nachgewiesen wirksam sind und auf eine breite Akzeptanz unter Beteiligten stoßen. Eine Auswahl evaluierter Präventionsprogramme in Deutschland bietet die Grüne Liste Prävention (www.gruene-liste-praevention.de). In dieser Gesamtübersicht werden Präventionsprogramme empfohlen, die nachweislich wirksame Effekte erzielen. Anhand der in Phase drei priorisierten Faktoren und Lücken kann in der Grünen Liste recherchiert werden. Schließlich beinhaltet der Aktionsplan überprüfbare und messbare Zielvorstellungen für neu einzuführende oder bestehende Programme für die zuvor priorisierten Risiko- und Schutzfaktoren.

Die letzte Phase beschäftigt sich mit der Umsetzung des Aktionsplans. Das Ziel ist es, ausgewählte Maßnahmen und Programme nachhaltig in beteiligten Einrichtungen, wie zum Beispiel Schulen, Kindertagesstätten, Jugendarbeit oder Familienbildung zu verankern. Dazu sollten konkrete Vereinbarungen getroffen werden. Des Weiteren dient die regelmäßige Wiederholung (circa alle drei bis fünf Jahre) der Befragung von Schülerinnen und Schülern einer bedarfsgerechten Steuerung der Angebote.

Quelle für CTC: https://www.forum-kriminalpraevention.de/files/1Forum-kriminalpraevention-webseite/pdf/2018-03/ctc.pdf, Frederick Groeger-Roth in Forum Kriminalprävention 3/2018, Seiten 19-20


[1] Frederick Groeger-Roth in Forum Kriminalprävention 3/2018, Seiten 19–20