Digitale Kompetenz – ein Erfordernis für Führungskräfte?

PD Jürgen Rauch, Hochschule des Bundes für öffentl. Verwaltung

In den letzten Ausgaben des Polizei Info Report wurden in den Artikeln „Die Rolle von Führungskräften vor dem Hintergrund der Digitalisierung“ und „Die Herausforderungen der Digitalisierung im Führungsalltag“ die Auswirkungen der Digitalisierung auf den polizeilichen Führungsalltag beschrieben. Dabei wurde deutlich, dass sich die Folgen der digitalen Veränderungsprozesse sowohl in der personal-interaktiven als auch in der systemisch-strukturelle Führung erkennen lassen.

Vor diesem Hintergrund wurden folgende Themenbereiche als Herausforderungen im Führungsbereich aufgezeigt:

  • Organisationskultur
  • Kommunikationskultur
  • Positive Fehlerkultur
  • Führungskompetenz
  • Führungsverständnis
  • Führungsprozess

Bei diesen Betrachtungen wurde detailliert beschrieben, wie diese Themenbereiche mit einer zunehmenden Komplexität des Führungsalltages, einer dynamischen Entwicklung im technologischen Bereich, einer notwendigen Veränderung der Organisationskultur und einer Neubeschreibung eines modernen Führungsverständnisses in der deutschen Polizei in einer ständigen Wechselbeziehung stehen.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Frage, ob sich im Bereich der personal-interaktiven Führung für Führungskräfte die Notwendigkeit ergibt, im Bereich der individuellen Führungskompetenz über die Implementierung einer digitalen Kompetenz nachzudenken. In den folgenden Ausführungen soll der Versuch unternommen werden, Antworten auf diese grundsätzliche Fragestellung zu finden.

Führungskompetenz

Bevor man sich dem Begriff der digitalen Kompetenz von Führungskräften zuwendet, erscheint es angebracht, den Begriff der Führungskompetenz im Zusammenhang mit der direkten Führung einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Im Führungsalltag werden an Führungskräfte von unterschiedlichen Erwartungsträgern (Mitarbeitende, Vorgesetzte etc.) bestimmte Erwartungen gerichtet, die sich auf folgende Grundfragen konzentrieren:

  • Was zeichnet eine erfolgreiche und wirksame Führungskraft aus?
  • Welche Anforderungen in der Führungsneigung und Führungseignung sind von einer Führungskraft zu erfüllen?
  • Welche Fähigkeiten und Kenntnisse müssen vorliegen, damit eine Führungskraft den Herausforderungen im Dienstalltag erfolgreich begegnen kann?

Der Begriff der Führungskompetenz umschreibt vor diesem Hintergrund eine große Bandbreite an Fähigkeiten und Merkmalen, damit Führungskräfte den Führungsalltag sowohl im sachlichen Aspekt als auch im personalen Aspekt verantwortungsvoll und erfolgreich gestalten können.

Grundsätzlich kann die Führungskompetenz in vier Teilkompetenzen untergliedert werden, wobei stets zu beachten ist, dass zwischen diesen Teilkompetenzen eine ständige Wechselwirkung besteht. Daraus lässt sich ableiten, dass Führungskräfte bestrebt sein sollten, in ihrem Führungswirken alle Teilkompetenzen in einem angemessenen Gleichgewicht zu halten. Nur auf diesem Wege ist eine wirksame Führungskompetenz zu erreichen, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden gewährleisten kann.

Fachkompetenz

Der Begriff der Fachkompetenz beschreibt die Fähigkeit, berufsspezifische Aufgaben im Einklang mit theoretischen Anforderungen selbständig und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.

Im Bereich der Führung wird oft auch von der Führungsfachkompetenz gesprochen, die sich auf die fachgerechte und wirksame Anwendung des erlernten Wissens aus der Führungslehre bezieht, wobei in diesem Zusammenhang folgende Themenbereiche hervorzuheben sind:

  • Grundlagen der Kooperativen Führung
  • Motivation
  • Konflikthandhabung
  • Kommunikation
  • Gestaltung des Führungsprozesses

Methodenkompetenz

In der Methodenkompetenz kommt die Fähigkeit zum Ausdruck, den Transfer von theoretischem Wissen in den Führungsalltag erfolgreich zu gestalten. Dies Fähigkeit, erlerntes Wissen zielorientiert in das konkrete Führungshandeln umsetzen, soll Führungskräfte auch in die Lage versetzen, sich bei Bedarf eigenständig führungsrelevante Themengebiete zu erschließen.

Vor dem Hintergrund der digitalen Veränderungsprozesse sollten Führungskräfte danach in der Lage sein, die Dynamik dieser Entwicklung zu erkennen und die notwendigen Schlussfolgerungen hinsichtlich der sich daraus ergebenden Auswirkungen auf den eigenen Verantwortungsbereich ziehen können.

Soziale Kompetenz

Die soziale Kompetenz beschreibt die Fähigkeit von Führungskräften, den Umgang mit der dienstlichen Umwelt, insbesondere mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, situativ, wertorientiert und ausgerichtet an den Kerninhalten der Kooperativen Führung zu gestalten. Als Grundvoraussetzungen für eine wirksame soziale Kompetenz ist auf die Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven und emotionalen Verhaltensweisen zu achten, die in der Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitenden im Dienstalltag zu einem kooperativen und vertrauensvollen Umgang miteinander beitragen.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sollten sich Führungskräfte im Rahmen der Selbstreflexion über folgende Aspekte bewusst sein:

Im Umgang mit sich selbst

  • Selbstvertrauen
  • Selbstwirksamkeit
  • Selbstbeobachtung
  • Selbstkritik

Im Umgang mit anderen

  • Menschenkenntnis
  • Respekt
  • Kompromissfähigkeit
  • Empathie
  • Emotionale Intelligenz

Im Bereich der Zusammenarbeit

  •  Kommunikationsfähigkeit
  •  Kooperationsfähigkeit
  •  Motivationsfähigkeit
  •  Konfliktfähigkeit

Im Bereich der Führungsqualifikation

  • Vorbildfunktion
  • Führungsverantwortung
  • Durchsetzungsvermögen
  • Hohe Stresstoleranz

Persönliche Kompetenz

Der Begriff der persönlichen Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, das Potenzial der individuellen Eigenschaften im Bereich des Charakters, der persönlichen Ausstrahlung, der eigenen Wertorientierung und des eigenen Erfahrungswissens zur Zielerreichung im Führungsalltag mobilisieren zu können.

Um dieser Erwartungshaltung gerecht werden zu können, sollten in der Persönlichkeit von Führungskräften folgende Charaktermerkmale vorliegen:

  • Willensstärke
  • Selbstbewusstsein
  • Selbstreflexion
  • Physische und psychische Belastbarkeit
  • Frustrationstoleranz

Wenn man die dargelegten vier Aspekte der Führungskompetenz auf sich wirken lässt, stellt sich folgerichtig die Frage, ob die für die bisherige Definition der Führungskompetenz beschriebenen Fähigkeiten und Kenntnisse ausreichen, um den Herausforderungen der Digitalisierung im Dienstalltag gerecht zu werden.

Die Herausforderungen der Digitalisierung im Bereich der personal-interaktiven Führung

In der Fachliteratur werden unter verschiedenen Aspekten die Auswirkungen der digitalen Veränderungsprozesse in ethischer, sozialer und technologischer Hinsicht beschrieben, die zu einer umfassenden Neugestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen führen werden. Aufgrund der komplexen und unübersichtlichen Wechselwirkungen der digitalen Transformation ist es sehr schwierig, einen genauen Verlauf dieser Entwicklung mittel- oder langfristig abzuschätzen.

Vor diesem Hintergrund kann zum jetzigen Zeitpunkt nur ansatzweise beschrieben werden, ob und in welchem Ausmaß die Führungskompetenz von Führungskräften mit einem digitalen Ansatz erweitert werden muss. Aus diesem Grund bietet es sich an, auf die bisherigen Erfahrung und Erkenntnisse zurück zu greifen, wie sich die Digitalisierung bis jetzt im dienstlichen Alltag ausgewirkt hat.

Zunächst kann man feststellen, dass die dynamischen digitalen Veränderungsprozesse alle Bereiche der polizeilichen Aufgabenerfüllung erfasst haben, wodurch viele gewohnte und bewährte Ablaufprozesse in Polizeiorganisationen modifiziert und neu ausgerichtet werden mussten. Als mögliche Beispiele können folgende Entwicklungen aufgezeigt werden, die jedoch keine abschließende Aufzählung darstellen:

  • IT-gestützte Einsatzleitsysteme
  • Einsatz von IT-gestützten Analysesystemen im Ermittlungsbereich
  • Einsatz von Sprach- und Bilderkennungssystemen
  • Informations- und Datenaustausch in dienstlichen digitalen Foren
  • Digitale Möglichkeiten des mobilen Arbeitens (z.B. dienstliche Smartphones, „vernetzter“ Streifenwagen, IT-gestützte Personalplanungssysteme usw.)

Bei den beschriebenen Entwicklungen ist jedoch jetzt schon absehbar, dass sich diese Auswirkungen vor dem Hintergrund der rasanten Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz noch intensiver entfalten werden. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sind im polizeilichen Bereich die Einsatzmöglichkeiten von autark agierenden digitalen Einsatzmitteln (z.B. Roboter, Drohnen usw.) vorstellbar und möglich, die sich in Zukunft vor dem Hintergrund der Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz in einer potenziellen Entwicklung (z.B. Einsatz von Androiden usw.) darstellen werden.

Neben den beschriebenen Auswirkungen in den polizeilichen Aufgabenfeldern werden die fortschreitenden digitalen Kommunikationsmöglichkeiten zu einem veränderten inner- und außerdienstlichen Kommunikationsverhalten führen. Dabei ist jetzt schon absehbar, dass nicht mehr die formal festgelegte Kommunikationsstruktur in einer Behördenhierarchie sondern die schnelle Verfügbarkeit von Informationen und Daten im Vordergrund stehen wird.

Weiterhin ist zu beachten, dass sich die Erwartungshaltung der dienstlichen Umwelt an Führungskräfte, insbesondere der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verstärkt danach ausrichten wird, wie Vorgesetzte mit den digitalen Veränderungsprozessen im dienstlichen Zusammenwirken umgehen. Danach wird auch die Führungskompetenz eingeschätzt werden, die sich direkt auf das vertrauensvolle Zusammenarbeiten auswirken wird.

Im sachlichen Aspekt der Führung wird in Zukunft in einem zunehmenden Maße der Umstand zu berücksichtigen sein, dass in komplexen Planungs- und Entscheidungssituationen der Führungsprozess von der einzelnen Führungskraft nicht mehr in allen Einzelheiten geplant, überblickt und kontrolliert werden kann. Vor diesem Hintergrund muss der Begriff der Führungsverantwortung von Führungskräften überdacht werden.

Aus diesen Erkenntnissen heraus, soll nun der Versuch gestartet werden, den Begriff der digitalen Kompetenz von Führungskräften zu beschreiben und in den Gesamtkontext der Führungskompetenz einzuordnen.

Digitale Kompetenz

Wenn man sich die beschriebenen Herausforderungen der Digitalisierung auf die personal-interaktive Führung näher anschaut, wird schnell ersichtlich, dass Führungskräfte im Rahmen ihrer Führungsverantwortung nicht vordergründig IT-Spezialisten oder Informatiker sein sollen. Grundkenntnisse in digitalen Prozessen mögen von Vorteil sein, jedoch richtet sich der Schwerpunkt bei der digitalen Kompetenz in ganz andere Führungsbereiche.

Vor dem Hintergrund der digitalen Veränderungsprozesse sollten Führungskräfte in der Lage sein, die Auswirkungen für den eigenen Organisationsbereich zeitnah zu erkennen und die Richtung und Dynamik dieser grundlegenden Veränderungen in der gesamten Wirkungsbreite zu erfassen. Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, im Rahmen des Führungsprozesses unter Einbindung der Potenziale von Mitarbeitenden diese Veränderungsprozesse wirksam und zukunftsfähig gestalten zu können.

Aus den Erkenntnissen und Erfahrungen der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsunternehmen kristallisieren sich folgend Merkmale hinsichtlich einer professionellen digitalen Kompetenz im Bereich der Führung heraus:

  • Analytisches Denken und Handeln
  • Innovatives Denken und Handeln
  • Kreativität
  • Kommunikationsstärke
  • Emotionale Intelligenz
  • Fähigkeit zum Netzwerken
  • Abstraktionskompetenz
  • Fähigkeit zum Projektmanagement
  • Fähigkeit zum Veränderungsmanagement
  • Entscheidungskompetenz
  • Technologisches Digitalwissen

Beim ersten Sichten dieser Merkmale von digitaler Kompetenz bei Führungskräften kann man hinsichtlich einiger Attribute möglicherweise skeptisch auf die mögliche Umsetzbarkeit in unflexiblen polizeilichen Behördenstrukturen blicken. Doch vor dem Hintergrund der dynamischen digitalen Veränderungsprozesse wird es unausweichlich notwendig werden, die Organisationskultur, das grundsätzliche Führungsverständnis in der Polizei und die Struktur des Führungsprozesses an diese neuen Rahmenbedingungen anzupassen.

Beim näheren Betrachten der o.g. Merkmale der digitalen Kompetenz von Führungskräften lässt sich feststellen, dass sich einige Merkmale in den bereits beschriebenen Teilkompetenzen der Führungskompetenz wiederfinden bzw. zuordnen lassen. Dies soll in der folgenden Darstellung veranschaulicht werden:

Fachkompetenz

  • Technologisches Digitalwissen
  • Abstraktionskompetenz

Methodenkompetenz

  • Fähigkeit zum Projektmanagement
  • Fähigkeit zum Veränderungsmanagement
  • Fähigkeit zum Netzwerken

Soziale Kompetenz

  • Emotionale Kompetenz
  • Kommunikationsstärke

Persönliche Kompetenz

  • Analytisches Denken und Handeln
  • Innovatives Denken und Handeln
  • Kreativität

Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich nun die Grundfrage, ob man die digitale Kompetenz von Führungskräften als einen eigenständigen Kompetenzbereich der Führungskompetenz ausweisen soll oder die einzelnen Attribute den jeweiligen Teilkompetenzen zuzuordnen sind.

Aus Sicht der systemisch-strukturellen Führung könnte es sich anbieten, die digitale Kompetenz als eigenständige Teilkompetenz der Führungskompetenz herauszustellen. Die Herausforderungen der Digitalisierung erfordern bei den Führungskräften in bestimmten Bereichen eine Neuausrichtung im konkreten individuellen Führungshandeln (z.B emotionale Intelligenz, Fähigkeit zum Netzwerken, digitales Grundlagen wissen usw.).

Auf der anderen Seite sind die Grundzüge dieser erforderlichen Kompetenz bereits in der bisher beschriebenen Führungskompetenz festgelegt. In diesem Zusammenhang wäre es erforderlich, diese Grundlagen an die Herausforderungen der digitalen Veränderungsprozesse anzupassen. Es ist auf jeden Fall notwendig, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Organisationskultur als verbindlicher Orientierungsrahmen für Führungskräfte zu verankern.

Ausblick

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen der digitalen Veränderungsprozesse kann das Erfordernis einer digitalen Kompetenz für Führungskräfte nur bejaht werden.

Es wäre sicherlich zielführend, die Attribute der digitalen Kompetenz im Rahmen der Führungslehre näher zu beschreiben und den notwendigen Transfer zum konkreten Führungshandeln aufzuzeigen. Neben der Verankerung der digitalen Kompetenz in der Organisationskultur bei polizeilichen Behörden und Organisationen, sollte Führungskräften in der Polizei im Rahmen der Aus- und Fortbildung die grundsätzliche Bedeutung der individuellen digitalen Kompetenz für das eigene erfolgreiche Führungswirken aufgezeigt werden.

In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, dass nur mit einer ausgeprägten digitalen Kompetenz Führungskräfte in die Lage versetzt werden, die Auswirkungen der digitalen Transformation in ihrer Dynamik im eigenen Verantwortungsbereich zu erkennen und im Rahmen ihrer Führungsverantwortung erfolgreich mitgestalten zu können.

Im Rahmen der Selbstreflexion werden Führungskräfte aufgefordert, vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Digitalisierung Ihre Vorstellungen zu einem zeitgemäßen Führungsverständnis und der Gestaltung des Führungsprozesses im Rahmen der personal-interaktiven Führung zu überdenken und möglicherweise neu auszurichten.