Strafbarkeitsrisiken von Whistleblowern und das neue Hinweisgeberschutzgesetz

Julius Neumann und Prof. Dr. Anja Schiemann (beide Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln)

1. Einleitung

Das Hinweisgeberschutzgesetz ist überfällig. Bereits im Dezember 2021 hätte die EU-Richtlinie 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden,[1] in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Zwar hatte am 16.12.2022 der Bundestag das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen – kurz: Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) – nach erfolgter Beschlussempfehlung durch den Rechtsausschuss in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Jedoch hat der Bundesrat in seiner Plenarsitzung vom 10.2.2023 dem geänderten Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Um der Zustimmungspflichtigkeit zu entgehen, haben die Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf kurzerhand zweigeteilt. Der erste Gesetzentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen Unionsrecht melden, entspricht weitgehend dem ursprünglich geplanten Hinweisgeberschutzgesetz. Ausgenommen vom persönlichen Anwendungsbereich sind jetzt aber gem. § 1 Abs. 3 HinSchG-E Meldungen oder Offenlegungen durch Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richter im Landesdienst.[2] Der zweite Ergänzungsentwurf zu den Regelungen soll dann dazu führen, dass in einem zweiten Schritt die zunächst im Hinweisgeberschutzgesetz gemachte personelle Ausnahme wieder aufgehoben und § 1 Abs. 3 HinSchG-E gestrichen wird.[3] Dieser zweite Ergänzungsentwurf bedarf aber im Gegensatz zum ersten Entwurf wiederum der Zustimmung der Bundesländer. Daher weiß man nicht, ob der Bundesrat hier wieder die Reißleine zieht und verhindert, dass Deutschland das Hinweisgeberschutzgesetz richtlinienkonform umsetzen kann. Dies ist insofern misslich, als die EU-Kommission wegen der fehlenden Umsetzung der Richtlinie bereits vor längerer Zeit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet und jetzt noch einen Schritt weitergegangen ist, indem sie Deutschland vor dem EuGH verklagt hat.

Die Maßnahmen zum Schutz von Whistleblowern in der EU wurden als defizitär angesehen, so dass mit der EU-Richtlinie der Weg zur Rechtsangleichung und Erhöhung des Schutzniveaus geebnet werden sollte. Doch auch vor Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes sind Whistleblower keineswegs schutzlos gestellt. So gibt es eine Reihe bereichsspezifischer Normierungen mit Bezug zum Hinweisgeben. Beispielsweise stellen § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 67 Abs. 2 Nr. 3 BBG, § 48 GWG und § 23 Abs. 3 WpHG den Beschwerdeführer bzw. Anzeigenerstatter in den dort näher beschriebenen Fällen von einer Verantwortlichkeit frei und schützen ihn vor etwaigen Benachteiligungen. Auch werden im deutschen Recht bereichsspezifische Instrumente zum Beschwerdemanagement bereitgestellt wie etwa im Gesetz über das Kreditwesen, das Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz. Auch im Arbeitsrecht werden Hinweisgeber bereits durch das allgemeine Maßregelungsverbot geschützt. Denn § 612a BGB verbietet jegliche Benachteiligung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber, soweit der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Allerdings obliegt die Darlegungs- und Beweislast allein dem Arbeitnehmer.

Das geplante Hinweisgeberschutzgesetz sieht neben weitreichenden Maßnahmen zum Schutz von Whistleblowern u.a. die Einrichtung von Meldestellen vor und regelt das Verfahren zur Bearbeitung der eingehenden Meldungen. Auch wenn der deutsche Gesetzgeber nach der EU-Richtlinie lediglich angehalten war, den Schutz der Meldung von Verstößen gegen das Unionsrecht zu gewährleisten, ist er erfreulicher Weise darüber hinausgegangen und hat im Hinweisgeberschutzgesetz einen umfangreichen Katalog aufgestellt. §§ 6, 35 HinSchG-E regeln insbesondere den Ausschluss der Verantwortlichkeit hinweisgebender Personen. Dies ist insofern bedeuteten, als Hinweisgeber auch diversen strafrechtlichen Risiken ausgesetzt sind.

2. Bestehende Strafbarkeitsrisiken

Strafbarkeiten für hinweisgebende Personen können sich nach den §§ 202a, 203 und 204 StGB ergeben, aber auch gem. den §§ 353b und 355 StGB und §§ 93 ff. StGB begründet sein. Auch aus anderen Gesetzen ergeben sich Strafbarkeitsrisiken für Hinweisgeber, so zum Beispiel aus den Vorschriften des bereits am 26.4.2019 in Kraft getretenen Geschäftsgeheimnisgesetz. Allerdings wird durch letzteres auch der strafrechtliche Schutz erhöht, da gem. § 5 Nr. 2 GeschGehG die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen nicht verboten ist, sofern dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere zur Aufdeckung rechtswidriger Handlungen oder eines Fehlverhaltens. Jedoch muss die Offenlegung geeignet sei, das öffentliche Interesse zu schützen.

Aus dem jetzigen Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes selbst ergeben sich keine neuen Strafvorschriften für Whistleblower. Es ist lediglich geplant, eine neue Ordnungsvorschrift mit dem Bußgeldtatbestand des § 40 Abs. 1 HinSchG einzuführen.[4] Hiernach wird das wissentliche Offenlegen einer Falschinformation mit einem Bußgeld geahndet.[5] Ansonsten wurden in dem Hinweisgeberschutzgesetz keine weiteren Straftatbestände für Whistleblower normiert.

Nach der aktuellen Rechtslage können sich hinweisgebende Personen gem. § 23 GeschGehG durch die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen strafbar machen. § 23 GeschGehG enthält fünf Straftatbestände. Tatobjekt sind mit Ausnahme von § 23 Abs. 3 GeschGehG bei allen Tatbeständen die Geschäftsgeheimnisse.[6] Diese werden in § 2 Nr. 1 GeschGehG legaldefiniert. Demnach ist ein Geschäftsgeheimnis eine Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist. Des Weiteren muss diese Information von wirtschaftlichem Wert sein und der rechtmäßige Inhaber der Information muss angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen haben und es muss ein Interesse an der Geheimhaltung dieser Information bestehen. Zudem muss der Täter bei allen Straftatbeständen immer ein besonderes Merkmal aufweisen, denn er muss entweder zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber eines Unternehmens Schaden zuzufügen, handeln.[7] Eine Besonderheit des Geschäftsgeheimnisgesetzes stellt der Straftatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG dar. Dabei handelt es sich um ein Sonderdelikt für hinweisgebende Personen, da vorausgesetzt wird, dass der Täter ein Angestellter des Unternehmens ist, dessen Geheimnis er offenlegen möchte.[8] Dieses Geschäftsgeheimnis muss er im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Unternehmen erlangt haben. Allerdings entfällt die Strafbarkeit von Whistleblowern nach § 23 GeschGehG, wenn das Offenlegen des Geschäftsgeheimnisses zur Aufdeckung rechtswidriger Handlungen dient. Dieser Ausnahmetatbestand ist in § 5 GeschGehG normiert.[9] Weiterhin muss die Aufdeckung geeignet sein, dass öffentliche Interesse zu schützen. Die neue Fassung stellt also nicht mehr auf Schutz des allgemeinen öffentlichen Interesses ab, sondern vielmehr nur darauf, ob die Handlung des Whistleblowers sich zum Schutz des öffentlichen Interesses eignet. Dadurch werden auch Hinweisgeber mit mehreren Motiven, wie zum Beispiel monetären Interessen, vom Ausnahmetatbestand erfasst, solange das Offenlegen auch zum Schutz öffentlicher Interessen geeignet ist.[10]

Eine Strafbarkeit für hinweisgebende Personen kann sich auch aus §§ 202a, 203 und 204 StGB ergeben. Gem. § 202a StGB darf ein Whistleblower nicht investigativ tätig werden und sich Kenntnis von Daten verschaffen, zu denen er keinen Zugang hat.[11] Hinweisgeber dürfen nur Informationen weitergeben, von denen sie, ohne vorher eine Straftat begehen zu müssen, Kenntnis haben.

§ 203 StGB stellt die Verletzung von Privatgeheimnissen unter Strafe, wobei die amtliche Überschrift „Verletzung von Privatgeheimnissen“ der Norm etwas irreführend ist, da vom Tatbestand des § 203 StGB auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse umfasst werden.[12] Der Täterkreis bei diesem Delikt ist deutlich enger. Umfasst werden nur Personen, die in § 203 Abs. 1 und 2 StGB ausdrücklich genannt werden. Der normale Arbeitnehmer ist von diesem Tatbestand gar nicht erfasst, aber als Täter kommen Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Betracht.[13] § 204 StGB bestraft die Verwertung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch die in § 203 Abs.1 und 2 StGB genannten Personengruppen.[14]

Eine weitere Norm, die das Offenlegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sanktioniert, ist § 355 StGB. Diese Norm bezieht sich dabei ausschließlich auf Steuergeheimnisse. Der Täter muss im Rahmen seiner Tätigkeit als Amts- oder Funktionsträger Kenntnis von diesen Geheimnissen erlangt haben.[15]

Hinweisgebende Personen im öffentlichen Dienst können sich zudem nach § 353b StGB strafbar machen. Der Hinweisgeber muss nach Abs. 1 ein Amtsträger, ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, eine Person mit Personalvertretungsmacht oder ein europäischer Amtsträger sein und muss in dieser Funktion vom Dienstgeheimnis Kenntnis erhalten haben.[16]  Die Person des Amtsträgers, des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten und des europäischen Amtsträgers werden in § 11 Abs. 1 StGB legaldefiniert. Diese Norm dient vorwiegend dem Schutz von Dienstgeheimnissen des öffentlichen Bereichs.[17] Vom Begriff des Dienstgeheimnisses sind nur Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse umfasst, welche nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zugänglich sind und der Geheimhaltung bedürfen.[18] Die Strafbarkeit für den Hinweisgeber ergibt sich allerdings erst nach Abs. 2, wenn dieser unbefugt ein Dienstgeheimnis an einen Dritten weitergibt oder veröffentlicht.[19]

Schlussendlich können sich für Whistleblower im öffentlichen Dienst auch Strafbarkeitsrisiken aus den §§ 93 ff. StGB ergeben. Der Begriff des Staatsgeheimnisses wird in § 93 Abs. 1 StGB legaldefiniert. Staatsgeheimnisse sind danach Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.[20] Whistleblower können sich durch das Offenlegen von Staatsgeheimissen gem. § 94 StGB des Landesverrates, gem. § 95 StGB des Offenbaren von Staatsgeheimnissen und gem. § 97 StGB wegen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen strafbar machen.

Somit ergeben sich insgesamt diverse strafrechtliche Risiken für hinweisgebende Personen im materiellen Strafrecht. Die EU-Richtlinie 2019/1937 zielt nun auf die Etablierung eines Mindestschutzes für Hinweisgeber und auf eine Förderung des Whistleblowings ab, wobei es nur um die Meldung unionsrechtlicher Verstöße geht.[21] Durch die EU-Richtlinie sollen Hinweisgeber,  deren Verwandte und Dritte, die mit dem Hinweisgeber in Kontakt stehen, vor Vergeltungsmaßnahmen in den Mitgliedsstaaten geschützt werden. Letztlich sollen die Mitgliedstaaten einen dreifachen Schutz des gutgläubigen Whistleblowers gewährleisten: seine Vertraulichkeit ist zu wahren, Repressalien sollen nicht gefürchtet werden und der Hinweisgeber ist vor einer Haftung zu schützen.[22]

3.1 Überblick über den Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes

Der Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes geht über die in der EU-Richtlinie 2019/1937 geforderten Mindeststandards zumindest was den Anwendungsbereich betrifft weit hinaus.

3.1 Anwendungsbereich

Der persönliche Schutzbereich des Gesetzes umfasst gem. § 1 HinSchG-E alle Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld dieser Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die vorgesehenen Meldestellen weitergeben. Erfasst sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Selbstständige, Beamte, Anteilseigner und Mitarbeiter von Lieferanten.[23] Darüber hinaus werden Personen geschützt, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind (§ 1 Abs. 2 HinSchG-E). Wie bereits erwähnt, sind Landesbeamte und Richter im Landesdienst (noch) nach dem Hinweisgeberschutzgesetz ausgenommen. Allerdings ist vorgesehen, diese Ausnahme durch das Ergänzungsgesetz wieder aufzuheben.[24]

In sachlicher Hinsicht werden gem. § 2 HinSchG-E nicht nur Meldungen von Verstößen gegen EU-Recht erfasst, sondern auch gegen nationale Strafvorschriften, bußgeldbewehrte Normenverstöße, sofern die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib, Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient sowie Verstöße gegen Rechtsvorschriften bestimmter Rechtsbereiche, wie bspw. Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Umweltschutz oder Lebensmittelsicherheit. Vom sachlichen Anwendungsbereich werden auch Äußerungen von Beamten erfasst, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen. Laut Gesetzesbegründung ermöglicht es diese – später eingefügte – Ergänzung, verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamten auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle zu melden, wie bspw. Äußerungen in Chats.[25] Um auch hier wiederum der Zustimmungspflichtigkeit zu entgehen, werden Landesbeamte ausgenommen. Auch hier soll aber durch das Ergänzungsgesetz in § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG-E der Passus „des Bundes“ gestrichen werden,[26] um den Anwendungsbereich auf die Länder auszuweiten.

Vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen sind gem. § 5 HinSchG-E die Meldungen sicherheitsrelevanter Daten. Diese „Anti Snowden-Klausel“[27] schirmt staatliche Sicherheitsinteressen vom Whistleblower-Schutz ab. Nach § 4 Abs. 1 HinSchG-E gehen spezifische Regelungen über die Mitteilung von Gesetzesverstößen in anderen Vorschriften, wie bspw. § 6 Abs. 5 und § 53 GwG dem Hinweisgebergesetz grundsätzlich vor.

Auch auf das Geschäftsgeheimnisgesetz wird Bezug genommen. Die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen i.S. des § 2 Nr. 1 GeschGehG in einer Meldung ist nach § 6 Abs. 1 HinSchG-E erlaubt, wenn die Weitergabe des Geschäftsgeheimnisses notwendig war, um einen Verstoß im sachlichen Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes aufzudecken und der Hinweisgeber zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass die gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen. Darüber hinaus gilt § 6 Abs. 1 HinSchG-E auch für andere Strafvorschriften zum Geheimnisschutz, wie bspw. § 120 BetrVG.[28] Ein weiterer Erlaubnistatbestand findet sich in § 5 Nr. 2 GeschGehG. Hiernach werden alle Offenlegungen erfasst, die aber nur dann erlaubt sind, sofern sie geeignet sind, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Nach den Erwägungsgründen der Richtlinie 2019/1937 sollten sich Hinweisgeber- und Geschäftsgeheimnisschutz ergänzen,[29] so dass beide Erlaubnistatbestände unabhängig voneinander zur Anwendung kommen können.[30] Diese Erlaubnistatbestände führen dann letztlich zu einem Strafbarkeitsausschluss.

3.2 Einrichtung von Meldestellen

Sofern ein Betrieb mindestens 50 Beschäftigte hat, verpflichtet der Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes zur Einrichtung interner Meldestellen.[31] Zudem sind für Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern interne Meldestellen einzurichten. Unabhängig von diesen Schwellenwerten sind Meldestellen in Unternehmen, die in bestimmten Sektoren tätig sind, einzurichten, wie bspw. für Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder Kapitalverwaltungsgesellschaften. Gem. § 8 HinSchG-E haben interne Meldestellen die Vertraulichkeit der Identität der Hinweisgeber, der durch die Meldung direkt Betroffenen oder in der Meldung benannten weiteren Personen zu wahren. Ausnahmen sind aber gem. § 9 Abs. 1 HinSchG-E dann möglich, sofern der Hinweisgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße meldet oder bestimmte Stellen oder Handlungsweisen die Offenlegung der Identität verlangen.

Daneben steht es Beschäftigten frei, Hinweise an zentrale externe Stellen zu melden, die gem. § 19 Abs. 1 HinSchG-E auf Bundesebene beim Bundesamt für Justiz einzurichten sind. Daneben können die Bundesländer eigene Meldestellen einrichten. In Umsetzung der Richtlinie legt § 32 HinSchG-E die Voraussetzungen fest, unter denen ein Hinweisgeber Informationen über Verstöße öffentlich zugänglich machen darf (sog. Offenlegung). Hierfür muss zunächst eine externe Meldung erfolgt sein, die nicht ausreichend bearbeitet wurde oder ein hinreichender Grund für die Offenlegung erfüllt sein, wie bspw. wenn der Verstoß wegen eines Notfalls, der die Gefahr irreversibler Schäden oder die offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses zu befürchten ist.

3.3 Schutz der Hinweisgeber

Schwerpunkt des Gesetzes ist der Schutz des Hinweisgebers. Daher legen §§ 8 und 9 HinSchG-E fest, dass die Identität des Hinweisgebers grundsätzlich vertraulich zu behandeln ist. Dies gilt auch gegenüber Personen, die Gegenstand der Meldung sind.

Daneben wird der Hinweisgeber umfassend vor Repressalien als Reaktion auf die Meldung geschützt. Diese sind nicht nur nach § 36 Abs. 1 HinSchG-E generell verboten, sondern gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 HinSchG-E auch bußgeldbewehrt. Darüber hinaus besteht bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien gem. § 37 Abs. 1 HinSchG-E ein Schadensersatzanspruch der hinweisgebenden Person.

Voraussetzung ist, dass der Hinweisgeber gem. § 33 HinSchG-E zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die gemeldeten oder offengelegten Informationen der Wahrheit entsprechen und die Informationen Verstöße betreffen, die in den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes fallen oder der Hinweisgeber zumindest hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass dies der Fall ist. Der Hinweisgeber wissentlich oder grob fahrlässig erbrachter falscher Meldungen erhält daher keinen Schutz, vom Schutz erfasst werden aber Personen, die fahrlässig falsche Meldungen erstatten.[32]

Anders als die Richtlinie verzichtet der Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes auf einen Katalog möglicher Repressalien. Vielmehr sollen nach dem Willen des Gesetzgebers alle Benachteiligungen erfasst sein, die Folge der Meldung oder Offenlegung sind.[33] Normiert ist auch eine Beweislastumkehr, denn die Person, die den Hinweisgeber benachteiligt hat, muss beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basiert oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruht (§ 36 HinSchG-E). Kritisiert wird diesbezüglich, dass zumindest eine Missbrauchskontrolle vorzusehen ist, bevor die weitreichenden Folgen der Beweislastumkehr greifen.[34]

Wichtig für den Hinweisgeber ist auch die Regelung des Ausschlusses seiner Verantwortlichkeit gem. § 35 HinSchG-E. Danach kann der Hinweisgeber nicht für die Beschaffung von oder den Zugriff auf Personen, die er gemeldet oder offengelegt hat, rechtlich verantwortlich gemacht werden, sofern die Beschaffung nicht als solche oder der Zugriff als solcher eine eigenständige Straftat darstellt. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bleibt also ausdrücklich ausgenommen, was auch in der Gesetzesbegründung noch einmal deutlich gemacht wird. Den Hinweisgebern soll durch diese Vorschrift die Sorge genommen werden, dass sie durch die Weitergabe relevanter Informationen selbst zur Verantwortung gezogen werden, soweit sie diese nicht rechtmäßig erlangt haben. Gleichzeitig soll die Vorschrift ein bewusstes Auskundschaften auf der Suche nach Meldungen verhindern. Begeht der Hinweisgeber also eine Straftat bspw. durch das Ausspähen oder Abfangen von Daten gem. §§ 202a, 202b StGB, so bleibt die Strafbarkeit unberührt.[35]

§ 35 Abs. 2 HinSchG-E betrifft nicht die Beschaffung, sondern die Weitergabe der Information im Rahmen einer Meldung oder Offenlegung. Hier greift ebenfalls ein umfassender Ausschluss der Verantwortlichkeit, wobei hier im Gegensatz zu Abs. 1 auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausgeschlossen wird. Die Vorschrift ergänzt den oben erwähnten § 6 HinSchG-E, der in den meisten Fällen bereits für einen Ausschluss der Verantwortlichkeit Sorge trägt. § 35 Abs. 2 HinSchG-E soll sicherstellen, dass sich der Hinweisgeber auch in solchen Fällen keiner Verantwortlichkeit ausgesetzt sieht, die nicht unter § 6 HinSchG-E fallen. Insofern scheidet auch jede Verantwortlichkeit für aus der Meldung oder Offenlegung entstandener Schäden aus.[36]

3.4 Bußgeldvorschriften

Für die Behinderung oder den Versuch der Behinderung einer Meldung kann gegen juristische oder natürliche Personen eine Geldbuße von bis zu 100.000 € verhängt werden. Gleiches gilt für verhängte Repressalien oder Vertraulichkeitsverstöße im Hinblick auf die Identität des Hinweisgebers. Letzteres kann auch bei einem leichtfertigen oder fahrlässigen Verstoß geahndet werden (§ 40 HinSchG-E). Auch sofern keine oder mangelhafte interne Meldestellen durch die zur Einrichtung von Meldestellen verpflichteten Unternehmen installiert werden, kann eine Geldbuße in Höhe von 20.000 € verhängt werden.

Auch der Hinweisgeber ist im Falle von Falschmeldungen gem. § 38 HinSchG-E zum Schadensersatz verpflichtet, sofern dieser aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen entstanden ist. Zudem kann ein Bußgeld gegen den Hinweisgeber nach § 40 Abs. 1 HinSchG-E verhängt werden, soweit er wissentlich unrichtige Informationen über Verstöße offenlegt. Hierdurch soll das ungeprüfte Weitertragen und Veröffentlichen falscher Informationen verhindert werden. Zwar erkennt der Gesetzgeber, dass die Rechtsinstrumente des geltenden Rechts, wie allgemeine Schadensersatzvorschriften und eine mögliche Strafbarkeit (§§ 145d, 164, 187) in der Regel genügen. Da aber die Offenlegung wissentlich falscher Informationen für den Betroffenen besonders schwere Folgen haben kann, werden die bestehenden Vorschriften durch einen Bußgeldtatbestand ergänzt.[37]

4. Fazit

Das Hinweisgeberschutzgesetz ist trotz seiner Dringlichkeit wegen des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens und der Klage der EU-Kommission vor dem EuGH bislang nicht umgesetzt worden. Begründet wurde die Ablehnung im Bundesrat mit den Kosten für Unternehmen im Hinblick auf die einzurichtenden internen Meldestellen sowie der überschießenden Umsetzung der Richtlinie in Bezug auf den Anwendungsbereich. Die Kosten für die Unternehmen würden sich aber nicht ändern, nur weil man den Anwendungsbereich auf Verstöße gegen EU-Vorschriften einschränkt. Denn die Meldestellen müssten dennoch installiert werden. Hier ist der deutsche Gesetzgeber auch bei der von der EU als Mindestgröße geforderten Unternehmensgröße von Unternehmen ab 50 Mitarbeitern geblieben. Eine Stellschraube gibt es zumindest was die Kosten betrifft kaum. Auch wäre kaum nachvollziehbar, warum der deutsche Gesetzgeber nicht die Chance ergreift, den Whistleblowerschutz über die Unionsrechtsverstöße auszudehnen. Diese dürften in der Praxis eher eine untergeordnete Rolle spielen. In der Vergangenheit ist vielfach der defizitäre Schutz der Hinweisgeber in Deutschland angeprangert worden. Dies betrifft nicht nur Meldungen von EU-Verstößen. Möchte man den Schutz ausbauen und den potenziellen Hinweisgeber dazu motivieren, Verstöße im Unternehmen anzuzeigen, so muss der Anwendungsbereich entsprechend erweitert werden. Insofern werden durch den Entwurf zumindest strafrechtliche Verstöße und gewissen mit Bußgeld bewährten Rechtsverstöße erfasst. Dies ist auch erforderlich, um dem heutigen Anspruch darauf, Hinweisgeber zu schützen und Missstände aufzudecken, gerecht zu werden.


[1] Veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 305/17 vom 26.11.2019.

[2] BT-Drs. 20/5992, S. 5.

[3] BT-Drs. 20/5991, S. 3.

[4] Vgl. Referentenentwurf, S. 26.

[5] Gerdemann, ZRP 2022, 98; BT-Drs. 20/5992, S. 83.

[6] Vgl. hierzu Hiéramente¸ in: BeckOK-GeschGehG, 14.Ed. (15.12.2022), § 23 Rn. 49-52.

[7] Brockhaus, ZIS 2020, 118.

[8] Brockhaus, ZIS 3/2020, 118; Hiéramente¸ in: BeckOK-GeschGehG, § 23 Rn. 32.

[9] Hauck, in: MüKo-UWG/GeschGehG, Bd. 2, 3. Aufl. (2022), § 5 Rn. 9.

[10] Reinbacher, KriPoZ 2019, 8.

[11] Escherich, EuZA 2022, 307 Rn. 314.

[12] Mansdörfer, NZWiSt 2023, 1 (5).

[13] Eisele, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), StGB, § 203 Rn. 64, 65.

[14] Vgl. Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 204 Rn. 2-8.

[15] Schmitz, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 355 Rn. 3-7.

[16] Puschke; in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 353b Rn. 13-18.

[17] Günther, NVwZ 2018, 1109 (1111).

[18] Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), StGB, § 353b Rn.6.

[19] Glauben, NVwZ 2022, 840 (842).

[20] Becker, in: Matt/Renzikowski, 2. Aufl. (2020), StGB, § 93 Rn.4-11.

[21] Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475 (2476).

[22] So in der Conclusio auch Granetzny/Markworth, jurisPR-Compl 1/2020, Anm. 1.

[23] Vgl. Referentenentwurf, S. 33.

[24] BT-Drs. 20/5591, S. 3

[25] BT-Drs. 20/4909, S. 57.

[26] BT-Drs. 20/5991, S. 3.

[27] So – aber nur auf den ersten Blick – Gerdemann, ZRP 2022, 98 (99).

[28] Vgl. Fuhlrott/Henckel, ArbRAktuell 2022, 441 (442 f.).

[29] EU-Richtlinie 2019/1937, Erwägungsgrund Nr. 98.

[30] S. auch Fuhlrott/Henckel, ArbRAktuell 2022, 441 (443).

[31] Zu möglichen Formen interner Meldewege sowie den Umgang mit anonymen Meldungen vgl. Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303 (305 ff.); Bayreuther, NZA-Beil. 2022, 20 (21 ff.).

[32] BT-Drs. 20/3317, S. 81.

[33] BT-Drs. 20/3442, S. 95.

[34] S. Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303 (307).

[35] BT-Drs. 20/3442, S. 94.

[36] BT-Drs. 20/3442, S. 94.

[37] S. BT-Drs. 20/3442, 97 f.