Bitte lächeln! Entsperrung von Smartphones als ED-Behandlung 

von PHK Dirk Weingarten, Ass. Jur., Polizeiakademie Hessen

1. Prolog

Muss der Gesetzgeber immer neue Vorschriften basteln, damit die Exekutive Handlungsfähig bleibt? Oder sollte ein Gesetz so formuliert sein, dass es auch bei neuen Entwicklungen anwendbar bleibt und Lösungen bietet? Der Zweitere ist  der bessere Ansatz. Bisweilen muss der Anwender jedoch auch ein wenig kreativ sein und sich mit den Gegebenheiten vertraut machen. So auch in diesem Fall.

2. Praktischer Fall

Die Polizei kümmert sich strafrechtlich um einen Beschuldigten. Während der Maßnahme gelangen die Polizeibeschäftigten an eine Smartphone desselben. Sie sind der Auffassung, dass es für das Strafverfahren notwendig sei, Inhalte des Handys auszuwerten. Der Beschuldigte weigert sich das Handy zu entsperren.
Die Polizisten wissen sehr wohl, dass auch die Durchsicht des Handys als „Durchsicht von Papieren“ gem. § 110 StPO zu werten ist , so dass diese Voraussetzungen vorliegen müssen; diese liegen in diesem Fall vor.
Ihnen ist auch bewusst, dass eine zwangsweise Einwirkung auf den Probanden zur Erlangung der Zugangsdaten gem. § 136a StPO (Verbotene Vernehmungsmethoden) zu unterbleiben hat.

3. StPO – Normen

3.1 § 81a StPO [Körperliche Untersuchung des Beschuldigten; Zulässigkeit körperlicher Eingriffe]

(1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.
(2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von Satz 1 keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat nach § 315a Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und 3, § 315c Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Absatz 2 und 3 oder § 316 des Strafgesetzbuchs begangen worden ist.
[…]

3.2 § 81b StPO [Erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten]

Soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden.

3.3 § 110 StPO [Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien]

(1) Die Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen steht der Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu.
(2) Im Übrigen sind Beamte zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere nur dann befugt, wenn der Inhaber die Durchsicht genehmigt. Andernfalls haben sie die Papiere, deren Durchsicht sie für geboten erachten, in einem Umschlag, der in Gegenwart des Inhabers mit dem Amtssiegel zu verschließen ist, an die Staatsanwaltschaft abzuliefern.
[…]

4. Lösungsansätze

4.1 Entsperrung durch PIN, Passwort oder Entsperrungsmuster

Ist es nun so, dass die Möglichkeit besteht, die PIN, dass Passwort oder das Entsperrungsmuster verschriftlicht aufzufinden, was bei den ersten beiden Punkten möglich ist, bei Punkt drei hingegen sehr unwahrscheinlich, kann an eine Sicherstellung/Beschlagnahme dieser Verschriftlichungen gem. §§ 94, 98 StPO gedacht werden. Genauso wie der Gegenstand Handy kann selbstredend als Annexkompetenz auch ein dazugehöriges Entsperrdatum staatlicherseits sichergestellt/beschlagnahmt werden.

4.2 Entsperrung durch biometrische Merkmale

Die Handys neuerer Generationen werden jedoch durch die Nutzer biometrisch entsperrt; beispielsweise durch Fingerabdruck oder Gesichtserkennung. Hat man jetzt den Nutzer unmittelbar greifbar, bietet es sich an, „ihn dabei zu unterstützen, sein Handy zu entsperren“; ggf. mit Zwang zur Dursetzung der strafprozessualen Maßnahme. Zwar muss niemand bei seiner Überführung mithelfen, resp. sich selbst belasten („nemo tenetur“ – Grundsatz), die beschuldigte Person ist jedoch strafprozessual verpflichtet, Maßnahmen gegen sich zu dulden . So auch eine Entsperrung des Smartphones. Stellt sich nunmehr die Frage, ob dies auf § 81a StPO oder § 81b StPO gestützt werden kann.

4.2.1 Anwendung § 81a StPO – Körperliche Untersuchung

Bei der körperlichen Untersuchung wird die einfache körperliche Untersuchung von den körperlichen Eingriffen unterschieden. Bei der einfachen körperlichen Untersuchung werden die bezweckten Feststellungen durch sinnliche Wahrnehmung ohne körperliche Eingriffe getroffen. Die Untersuchung der natürlichen Körperöffnungen stellt keinen Eingriff dar, sondern ist eine einfache körperliche Untersuchung. Der Unterschied zur einfachen Untersuchung liegt darin, dass beim körperlichen Eingriff natürliche Körperbestandteile entnommen oder dem Körper Stoffe zugeführt werden oder sonst in das haut- und muskelumschlossene Innere des Körpers eingegriffen wird. Neben der Entnahme von Blutproben gibt es andere körperliche Eingriffe. Diese liegen vor bei der Entnahme von natürlichen Körperbestandteilen wie Liquor, Samen, Harn oder Speichel und der Zuführung von Stoffen wie beim Einsatz von Abführ- und Brechmitteln.
Nach all diesem verbietet sich eine Anwendung des § 81a StPO auf vorliegenden Fall; da die Maßnahme auf die hier beschriebenen Intentionen nicht abzielt. Folglich bleibt möglicherweise § 81b StPO.

4.2.2 Anwendung § 81b StPO – Erkennungsdienstliche Maßnahmen (insb. Lichtbilder und Fingerabdrücke)

Da die Entsperrung des Handys in dem hier zu besprechenden Fall für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens notwendig ist, kommt nur die erste Alternative des § 81b StPO hier in Betracht.
Die gesetzliche Vorschrift beschreibt exemplarisch die Aufnahme von Fingerabdrücken und Lichtbildern, zudem wird auf Messungen und ähnliche Maßnahmen hingewiesen. Die im Gesetz genannten Maßnahmen basieren im Wesentlichen auf einem „Abgleichgedanken“. So sollen Fingerabdrücke oder Bilder aufgenommen und mit einem Bestand oder anderen Abdrücken abgeglichen werden.
Dies ist hier nicht ausschließlich der Fall. Es geht hier nicht darum, das Handy dem Beschuldigten zuzuordnen; vielmehr soll es unter der Zuhilfenahme der Fingerabdrücke/Gesichtserkennung entsperrt werden; mithin geht es um die „Verwendung“ der Fingerabdrücke bzw. des Gesichts. Dieser Gedanke, dass eine strafprozessuale Vorschrift nicht nur die Erhebung und den Abgleich zulässt, sondern auch deren Verwendung, erstreckt sich über die gesamten strafprozessualen Maßnahmen. So können na klar Bilder einer Observation auch verwendet werden, genauso wie ermittelte Standortdaten, beschlagnahmte Gegenstände wie Festplatten ausgewertet oder entnommene Blutproben untersucht werden.
Diesen Gedanken folgend ist „Verwendung“ der Fingerabdrücke oder des Gesichtes über § 81b 1. Alt. möglich.
Mithin werden die biometrischen Daten (Fingerabdrücke/Gesicht) genutzt, um mit deren Hilfe über einen Abgleich mit den hinterlegten Daten auf dem Smartphone eine Übereinstimmung herbeizuführen, um mit diesem „Schlüssel“ das gesicherte Gerät zu entsperren.
Dass auch strafprozessuale Maßnahmen mit Zwang durchgeführt werden können, dürfte zwischenzeitlich niemand mehr ernsthaft bestreiten. So, dass die beschuldigte Person festgehalten werden kann, sowohl ihre Finger können so auf den Sensor des Mobiltelefons geführt werden, wie auch der Kopf fixiert werden kann, um von der Kamera erfasst zu werden. Selbstverständlich ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und sonstigen belangen Rechnung zu tragen.

5. Zusammenfassung

• § 110 StPO – Durchsicht von Schriften erfasst auch EDV-Systeme.
• Ein Handy kann genauso wie dazu gehörige PIN, verschriftlichte Passworte oder Entsperrmuster beschlagnahmt werden.
• Niemand muss sich selbst belasten. Strafprozessual ist der Beschuldigte nicht zum Handeln, aber zum Dulden der Maßnahmen verpflichtet.
• § 81a StPO – Körperliche Untersuchung erfasst nur einfache körperliche Untersuchungen und körperliche Eingriffe.
• § 81b 1. Alt. StPO – ED-Behandlung, Lichtbilder, Fingerabdrücke beinhaltet sowohl einen „Abgleichgedanken“ als auch einen „Verwendungsgedanken“.
• Somit ist § 81b 1. Alt. StPO die zutreffende Ermächtigungsgrundlage um Beschuldigten unter deren Zuhilfenahme (Gesicht oder Finger) das Mobiltelefon zu entsperren.