Gültigkeit ausländischer EU-Fahrerlaubnisse

Von Dr. Henning Hartmann, Oranienburg

Es ist vielen ein Dorn im Auge, aber es ist nun einmal Realität: Im Zuge der Europäischen Einigung wurde der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in EU-Ländern erworbenen Fahrerlaubnisse zwischen den Mitgliedsstaaten vereinbart. Dies bedeutet: Mit einem ausländischen EU-Führerschein darf in Deutschland grundsätzlich gefahren werden. Dies folgt aus der sogenannten „Dritten Führerscheinrichtlinie“ der EU und ist seit deren Inkrafttreten durch zahlreiche Urteile des Europäischen Gerichtshofes bestätigt worden. Die deutschen Instanzgerichte haben sich dem inzwischen – mit teilweise beträchtlichem Widerwillen, hierzu sogleich mehr – anschließen müssen.

In diesem Beitrag soll der Blick von Polizeibeamten geschärft werden für die zentralen Fragestellungen und der hieraus abzuleitenden Umgehensweise in der täglichen Arbeit der Ermittlungsbehörden.

I. Definitionen

Zunächst soll zwei weit verbreiteten sprachlichen Ungenauigkeiten entgegen getreten werden, um das Verständnis der Materie nicht weiter zu erschweren.

a) Deutsche Gesetzestexte und Urteile unterscheiden bekanntlich zwischen Fahrerlaubnis und Führerschein. Während mit letzterem das bloße Dokument gemeint ist, bezeichnet der Begriff Fahrerlaubnis die rechtliche Befugnis, ein Fahrzeug zu führen. Diese Unterscheidung findet sich in der Dritten Führerscheinrichtlinie nicht, es ist durchgängig von „Führerscheinen“ und deren Gültigkeit die Rede. Mit der Bezeichnung „Führerschein“ ist hier also jeweils die Befugnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gemeint.

b) Auch ein deutscher Führerschein ist ein EU-Führerschein. Mit dem „EU-Führerschein“ sind alle Fahrerlaubnisse gemeint, die in einem der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU), oder aber ein einem der drei Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) erworben wurden. In der Gerichtssprache wird in Anträgen und Entscheidungen von dem „EU-Kartenführerschein“ gesprochen.
Damit sind wir auch schon bei der nächsten Frage: Welche Länder sind dies eigentlich, von welchen Ausstellerstaaten handelt dieser Beitrag? Antwort: Die 28 EU-Mitgliedsstaaten, sowie Island, Liechtenstein und Norwegen (EWR-Staaten). Dies ergibt sich ohne weiteres aus § 28 Fahrerlaubnisverordnung (FeV), der übrigens die zentrale Vorschrift für die Gültigkeit ausländischer EU-Fahrerlaubnisse auf deutschen Straßen ist.

II. Irreführender Wortlaut von § 28 FeV

Die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung ist im deutschen Recht in § 28 I Satz1 FeV festgeschrieben. Bei unbefangener Lektüre des § 28 FeV stellt man jedoch schnell fest, dass § 28 IV Satz 1 Nr. 3 FeV einer Gültigkeit eines solchen ausländischen EU-Führerscheins nach Entziehung durch ein inländisches (= deutsches) Gericht oder einer solchen Behörde vom Wortlaut her entgegensteht. Juristischer Dreh- und Angelpunkt in Bezug auf inländisches Recht ist daher die Frage, ob § 28 IV Satz 1 Nr. 3 FeV vor europäischem Recht Bestand hat und daher angewendet werden darf. Nachdem dies in der Vergangenheit häufiger bejaht wurde , erklärte das Bundesverfassungsgericht durch seinen Beschluss vom 22.09.2011 , dass § 28 IV Satz 1 Nr. 3 FeV europarechtswidrig, nämlich mit Art. 11 der 3. Führerscheinrichtlinie nicht vereinbar ist und damit nicht angewendet werden darf. Der Europäische Gerichtshof hatte dies zuvor bereits in sage und schreibe elf Entscheidungen den deutschen Gerichten ins Buch geschrieben. Wie z. B. besonders deutlich in der Sache „Hofmann“ hat er klargestellt, dass die Vorschrift gegen den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz verstößt, sofern sie sich nicht auf Fälle erstreckt, in denen die Fahrerlaubnis innerhalb einer laufenden Sperrfrist erteilt worden ist.

III. Brennpunktfälle: MPU ist offen

Die zuvor geschilderte Fallgruppe, nämlich Neuerwerb nach strafgerichtlicher Entziehung in Deutschland, ist genau diejenige, bei der die Diskussion „heiß“ wird. Der Grund: Vor Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wäre in Deutschland bei Taten z. B. nach §§ 316, 315c StGB, aber auch § 24a StVG eine Fahreignungsbegutachtung (meist in Form der MPU) zu absolvieren. Dieses Erfordernis ist im Flensburger Fahreignungsregister auch noch eingetragen. Der Erwerb im EU – Ausland, in dem es (übrigens mit Ausnahme von Österreich) die Fahreignungsbegutachtung in Form einer MPU nicht gibt, führt daher tatsächlich zu einer – legalen – Umgehung des MPU – Erfordernisses.

Die Begründung hierfür lautet: Auch im EU-Ausland wird vor Erwerb der Fahrerlaubnis auf Fahreignung überprüft, und dies ist von den anderen EU-Ländern, also auch von Deutschland, zu respektieren. Vereinfacht gesprochen: Die Fahreignungsüberprüfung im EU-Ausland ersetzt die MPU, die in Deutschland vor Wiedererteilung zu absolvieren wäre. Dies ist der Dreh- und Angelpunkt der weiter oben zitierten Rechtsprechung des EuGH und auch des BVerfG.

IV. Kritik an der Situation berechtigt?

Und hier setzen die Kritiker stets an: Eine Überprüfung auf Fahreignung im Ausland sei der deutschen MPU nicht gleichwertig, so die Argumentation. Die hohen Standards vor Erteilung der deutschen Fahrerlaubnis dürften nicht aufgeweicht werden.
Ist dies berechtigt? Nun, man kann trefflich und nächtelang darüber streiten, ob die MPU eine sinnvolle Maßnahme zur Verkehrssicherheit darstellt, oder in den meisten Fällen lediglich eine „Geldmach-Masche“ ist, in deren Sogwirkung sich eine wahre Industrie gebildet hat.

Ohne in der gerade angesprochenen „Glaubensfrage“ Stellung nehmen zu wollen, kann ich hierzu nur sagen, dass die dargestellte Rechtslage nun einmal juristische Realität ist. Es ist eindeutig und unbestreitbar so, dass die EuGH – Rechtsprechung auch in der angesprochenen Fallgruppe eine Anerkennung der Fahrberechtigung gebietet. Und Gesetze müssen – zumindest in einem Rechtsstaat – eingehalten werden, ob man sie nun gut findet oder nicht.

Oder einmal anders herum gefragt: Wie würden Sie es finden, wenn die polnische Polizei bei einem Kraftfahrer die Gültigkeit seiner in Deutschland erworbenen Fahrerlaubnis anzweifelt? Oder auch: Kann Deutschland sich wirklich anmaßen, die Erteilungspraxis anderer Länder anzuzweifeln, wenn doch bekanntlich vor deutschen Führerscheinstellen ebenfalls kräftig geschummelt wird?

V. Wohnsitzverstoß / „Führerscheintourismus“

Häufig entzündet sich in einem Verfahren die Frage der Gültigkeit an der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses. Bekanntlich besteht das Erfordernis, 185 Tage im Jahre des Erwerbs auch in dem ausstellenden Staat gelebt zu haben. Schnell steht der Vorwurf des „Führerscheintourismus“ im Raum.

Ich kann mich an dieser Stelle kurz fassen und den wichtigen Hinweis geben: Ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis kann nicht durch Erkenntnisse aus Deutschland belegt werden („den kenne ich doch, der war gar nicht dort“ oder auch „der spricht doch gar kein Polnisch“). Erforderlich ist nämlich eine Information aus dem Ausstellerstaat, die einen solchen Verstoß indiziert. Es müsste also im Ermittlungs- bzw. Verwaltungsverfahren eine Anfrage an die ausstellende Behörde erfolgen. Je nach deren Antwort ist die Frage nach dem Vorliegen eines Verstoßes zu beurteilen.

VI. Einzelfragen / Hinweise für die Praxis

Für den Polizeibeamten ergeben sich aus dem bisher gesagten wichtige Handlungsmaßgaben. Selbst wenn ein Fahrer in der Anhaltesituation einräumt, einen Wohnsitzverstoß begangen zu haben, wird dieser durch seine Aussage nicht belegt(!). Erforderlich ist weiterhin die Information aus dem Ausstellerstaat (s.o.).

Selbstverständlich kann in solchen Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Jedoch darf die ausländische Fahrerlaubnis NICHT beschlagnahmt werden. Häufig beschlagnahmen Polizeibeamte kurzerhand eine ausländische Fahrerlaubnis, weil sie von deren Ungültigkeit aus-gehen. Dies ist unzulässig und für den Polizeibeamten eine böse Haftungsfalle! Die deutschen Ermittlungsbehörden können den Führerschein bei Vorliegen von Anhaltspunkten allenfalls an die ausstellende (ausländische) Behörde übersenden mit der Bitte um Prüfung, ob es sich um eine Fälschung handelt. Der Grund: Voraussetzung für die Beschlagnahme der Fahrerlaubnis gem. § 94 Abs. 3 i.V.m. § 98 StPO ist, dass der Führerschein der Einziehung überhaupt unterliegt. Dies ist nicht der Fall, weil er sich im Eigentum eines ausländischen Staates befindet.

Hier liegt ein erhebliches Haftungsrisiko des handelnden Polizeibeamten. Bei Beschlagnahme entgegen der o. g. Rechtslage dürften nicht nur Schadensersatzansprüche im Raume stehen, sondern auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den handelnden Polizeibeamten aussichtsreich sein.

Führerscheine aus England: Das Vereinigte Königreich bleibt rechtlich gesehen bis zum Abschluss der Austrittsverhandlungen (Brexit) Mitglied der Europäischen Union und zwar mit allen Rechten und Pflichten, die sich daraus ableiten. Was aber passiert danach mit dort erworbenen Führerscheinen? Selbstverständlich gibt es dazu noch keine Entscheidungen. Meine Prognose lautet, dass die Gültigkeit rückwirkend entfällt.