Rechtsextremistische und rechtsterroristische Organisationen, Gruppen und Einzeltäter in Deutschland – Eine aktuelle Analyse

von Prof. Dr. Stefan Goertz, Bundespolizei, Hochschule des Bundes Lübeck[1]

1. Einleitung

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bezeichnete auf einer Pressekonferenz im März 2020 zum Stand der Bekämpfung des Rechtsextremismus „Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus als aktuell größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland“.[2] Indizien dafür sind zum einen die im Jahr 2019 von deutschen Rechtsextremisten verübten 22.342 sowie das aktuelle Personenpotenzial Rechtsextremismus, das von 25.350 im Vorjahr auf 33.430 im Jahr 2019 angestiegen ist. Weitere Indizien für das gestiegene rechtsextremistische Gefährdungspotenzial sind zahlreiche rechtsterroristische Gruppen und Einzeltäter, die in den Kapiteln vier und fünf untersucht werden. Allein seit dem tödlichen Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurden 12 weitere Menschen in Deutschland von Rechtsterroristen ermordet, Kassel, Halle und Hanau sind drei rechtsterroristische Anschläge innerhalb weniger Monate.

Dieser Beitrag untersucht zu Beginn die aktuellen Zahlen des Verfassungsschutzberichtes 2019 zu rechtsextremistischen Straftaten und zum rechtsextremistischen Personenpotenzial. Daran schließt sich eine kurze Analyse rechtsextremistischer Organisationen an, darunter rechtsextremistische Parteien in Deutschland, das rechtsextremistische Kampfsportformat „Kampf der Nibelungen“ sowie die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD). Das Kapitel vier untersucht rechtsterroristische Gruppen und das Kapitel fünf rechtsterroristische Einzeltäter in Deutschland.

2. Aktuelle Zahlen des Verfassungsschutzberichtes 2019

Deutsche Rechtsextremisten verübten im Jahr 2019 22.342 Straftaten, im Vorjahr waren es noch 20.431. Im Jahr 2019 wurden 14.247 – im Jahr 2018 noch 12.582 – rechtsextremistische Propagandadelikte nach §§ 86, 86a StGB und 986 Gewalttaten verübt. Damit ging die Zahl der Gewalttaten im Vergleich zum Jahr 2018 um knapp 15 % zurück.[3] Ebenfalls im Jahr 2019 wurden zwei rechtsextremistische Tötungsdelikte verübt, sowie fünf versuchte Tötungsdelikte, 781 Körperverletzungen, sechs Brandstiftungen und 376 Nötigungen.[4] Die – in absoluten Zahlen – meisten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten wurden mit 158 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen verübt. Danach folgen Berlin mit 150, Brandenburg mit 90 und Sachsen-Anhalt mit 71.[5] Jahr 2019 ging die Zahl rechtsextremistischer fremdenfeindlicher Gewalttaten um 15,3 % zurück, von 821 auf 695 Delikte. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wiederum stieg um 17,1 % auf insgesamt 1.844 Taten. In ähnlichem Maße – um 16,7% – stieg auch die Zahl der antisemitischen Gewalttaten auf insgesamt 56 Delikte.[6]

Das Personenpotenzial Rechtsextremismus beziffern die deutschen Verfassungsschutzbehörden im Jahr 2019 mit 33.430, was damit von 25.350 gegenüber dem Vorjahr angestiegen ist. In rechtsextremistischen Parteien sind im Jahr 2019 13.330 Rechtsextremisten organisiert, gegenüber 5.510 im Jahr 2018. In parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen sind 6.660 Rechtsextremisten organisiert, das „weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial“ beträgt 13.500. Insgesamt werden 13.00 Rechtsextremisten als gewaltorientiert eingestuft.[7]

3. Rechtsextremistische Organisationen in Deutschland – Analyse der Verfassungsschutzbehörden

3.1 Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)

Die NPD hatte im Jahr 2019 3.600 Mitglieder, im Jahr zuvor noch 4.000. Deutliche Wiederniederlagen erlebte die NPD im Jahr 2019. Bei der Landtagswahl in Brandenburg 2019 trat die NPD nicht an, bei der parallel stattfindenden Wahl im einstigen Stammland Sachsen erlitt die NPD eine deutliche Wahlniederlage mit einem Ergebnis von lediglich 0,6 % der Zweitstimmen gegenüber dem Ergebnis mit 4,9 % im Jahr 2014 und dem seinerzeit nur knapp verfehlten Wiedereinzug in den sächsischen Landtag. Auch bei der Landtagswahl in Thüringen erzielte die NPD mit 0,5 % der Stimmen ein für sie enttäuschendes Resultat. Damit konnte die Einprozenthürde, die zur Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung in Bezug auf Landtagswahlen berechtigt, nicht überwunden werden.[8] Auf der Klausurtagung der NPD im September 2019 reagierte der NPD-Parteivorstand auf die klaren Wahlniederlagen und kündigte eine strategische Neuausrichtung sowie Pläne für eine Namensänderung der Partei an.

Die NPD bleibt trotz anhaltendem Negativtrend bei den Mitgliederzahlen die stärkste rechtsextremistische Partei in Deutschland und das ideologische Kernelement der NPD ist die Vorstellung einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“. Die Vier-Säulen-Strategie der NPD, „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Parlamente“ und „Kampf um den organisierten Willen“, verdeutlicht das strategische Ziel der NPD, den demokratischen Verfassungsstaat systematisch und umfassend zu bekämpfen.[9]

3.2 „Die Rechte“ und „Der III. Weg“

Die rechtsextremistische Kleinpartei „Die Rechte“ hatte im Jahr 2019 550 Mitglieder, im Jahr davor noch 600. Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz sind „die ideologischen Schwerpunkte dieser Partei Neonationalsozialismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit“. Weiter richteten sich zahlreiche Kundgebungen und Internetverlautbarungen gegen „staatliche Repression“ und Zuwanderung und bei ihren Propagandaaktionen setzen Parteimitglieder verstärkt auf Provokation des politischen Gegners und der Polizei.[10]

Die rechtsextremistische Kleinpartei „Der III. Weg“ hatte im Jahr 2019 580 Mitglieder, 50 mehr als im Jahr zuvor. Nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden sind die ideologischen Aussagen der Partei „Der III. Weg“ geprägt vom historischen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. In ihrem „Zehn-Punkte-Programm“ fordert die Partei unter anderem die Schaffung eines „deutschen Sozialismus“ sowie die Entwicklung und Erhaltung der „biologischen Substanz des Volkes“. Die politische Agitation dieser Partei sowie ihre aggressive Rhetorik in Bezug auf die Themen Asyl und Zuwanderung verdeutlichen die fundamental ablehnende Haltung der Partei gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat.[11]

3.3 Rechtsextremistische Verdachtsfälle innerhalb der AfD: „Der Flügel“ und die „Junge Alternative für Deutschland“ (JA)

Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhob nach intensiver Prüfung im Januar 2019 den Personenzusammenschluss „Der Flügel“ sowie die offizielle Jugendorganisation der AfD, die „Junge Alternative für Deutschland“ (JA), zu rechtsextremistischen Verdachtsfällen. Nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden ergeben sich die ideologischen Standpunkte des „Flügels“ „vor allem aus den Reden seiner exponierten Funktionäre sowie aus Verlautbarungen über die offiziellen Kommunikationskanäle“. So sei das durch den „Flügel“ propagierte Politikkonzept „auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und letztlich weitgehende Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet“.[12] Das Bundesamt für Verfassungsschutz analysiert, dass „Der Flügel“ „kulturfremde“ Migranten als nicht integrierbar bewertet, weswegen ihnen eine Bleibeperspektive konsequent zu verwehren sei. Diese Annahme wird „durch pauschal flüchtlings- und muslimfeindliche Äußerungen verstärkt, indem Migration in ihren Auswirkungen als ‘Zivilisationsbruch‘ verunglimpft und bezogen auf ihre finanziellen, ökonomischen und sozialen Folgen für die einheimische Bevölkerung mit Krieg gleichgesetzt wird“.[13]

Die deutschen Verfassungsschutzbehörden entnehmen die ideologischen Standpunkte der „Jungen Alternative für Deutschland“ (JA) den Äußerungen von Funktionären und Mitgliedern auch aus den verabschiedeten Programmen. So enthielt der ursprüngliche „Deutschlandplan“ der JA Positionen, die tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung begründeten. Darüber hinaus pflegt die JA enge Verbindungen zur rechtsextremistischen „Identitären Bewegung Deutschland“ (IBD). Das Bundesamt für Verfassungsschutz bewertet „die Ideologie der JA als durch einen ethnisch-kulturell geprägten Volksbegriff bestimmt, der im Widerspruch zur Offenheit des Staatsvolkverständnisses des Grundgesetzes steht“. So „finden sich islam- und muslimfeindliche Einstellungen in der Jugendorganisation wieder, denen mit aggressiver Rhetorik Nachdruck verliehen wird. Anhaltspunkte für Bestrebungen, die sich gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip richten, kommen ebenfalls zum Ausdruck“. [14]

3.4 „Kampf der Nibelungen“

Das seit Jahren gestiegene Interesse von deutschen und europäischen Kampfsportveranstaltungen untermauert die Gewaltorientierung eines Großteiles der rechtsextremistischen Szene. Die sportliche Betätigung in verschiedenen Disziplinen des Kampfsportes wird dabei von Rechtsextremisten ideologisch im Sinne einer „Wehrhaftigkeit“ gegen „das System“ aufgeladen und gezielt als Vorbereitung für den unausweichlichen „politischen Kampf“ beworben. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz dokumentieren konstant dreistellige Besucherzahlen dieses gestiegene Interesse von deutschen und europäischen Rechtsextremisten an Kampfsportveranstaltungen.[15] Der „Kampf der Nibelungen“ wird von den deutschen Verfassungsschutzbehörden als die größte und renommierteste europäische Kampfsportveranstaltung der rechtsextremistischen Szene eingeschätzt. Diese wurde seit 2013 jedes Jahr durchgeführt und fand letztmalig im Oktober 2018 ebenfalls in Ostritz (Sachsen) statt. Rund 850 Rechtsextremisten aus Deutschland sowie aus Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Österreich, Polen, Russland, der Schweiz, Tschechien, der Ukraine und den USA nahmen an der Veranstaltung teil. In der rechtsextremistischen Szene „stieß die Veranstaltung wegen ihrer professionellen Organisation und Durchführung auf großen Anklang“[16]. Im Oktober 2019 konnte dieses rechtsextremistische Kampfsportturnier zum ersten Mal durch die zuständigen Polizei- und Ordnungsbehörden in Sachsen verboten werden.

3.5 Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD)

Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) wurde im Oktober 2012 zunächst als rein virtuelles Phänomen auf Facebook bekannt. Bald schlossen sich realweltliche Aktionsformen an, zum Beispiel Flashmobs oder Transparent-Aktionen und die IBD ist mit regionalen Untergruppen bundesweit aktiv. Die IBD nutzte Jahre lang intensiv soziale Netzwerke wie Twitter oder Instagram, um Berichte und Bilder ihrer Aktionen zu verbreiten und Vernetzungs- und Kommunikationsmittel für ihre Mitglieder zur Verfügung zu stellen. Im Mai 2018 löschten dann Facebook und Instagram zahlreiche Profile der IBD und deren Aktivisten. Als Reaktion auf diese Gegenmaße gründeten Mitglieder der IBD ein eigenes Informationsportals unter dem Namen „Okzident Media“, das eine Website und eine App umfasst. Die IBD hat aktuell ca. 600 Mitglieder in Deutschland, ist aber auch eng zu „Identitären“ in anderen europäischen Ländern vernetzt.[17] Die IBD propagiert nach Einschätzung der deutschen Verfassungsschutzbehörden das „Konzept des Ethnopluralismus“, „nach dem die Idealvorstellung einer staatlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Ordnung in einem ethnisch und kulturell homogenen Staat besteht“. Diese „ethnokulturelle Identität sieht die IBD durch den sog. Multikulturalismus bedroht, der durch eine angeblich unkontrollierte Massenzuwanderung zu einer Heterogenisierung der Gesellschaft“ führe. Daher fordert die IBD im Rahmen ihrer Kampagnen unter dem Schlagwort „Remigration“ „Maßnahmen zur Umkehrung der Flüchtlingsströme und die Rückführung von Migranten in deren Heimatländer“. Die IBD kritisiert die aktuelle deutsche Asylpolitik als Förderung des „großen Austauschs“, der „den Austausch der einheimischen Bevölkerung gegen Migranten zum Ziel“ habe, und warnt vor einer „Islamisierung“ Deutschlands.[18]

Vor allem die Fixierung der IBD auf eine ethnische Homogenität als zentralem Wert für Gesellschaft und Demokratie belegt nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dass „die Ideologie der IBD die grundgesetzlich geschützte Menschenwürde und das Demokratieprinzip verletzt“. Die IBD vertritt also „einen völkischen Staatsvolk-Begriff, der dem Verständnis des Grundgesetzes gemäß Art. 116 GG widerspricht“. Die Positionen der IBD sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, u.a. weil die ethnischen Minderheiten die Zugehörigkeit zum Staatsvolk verwehrende Ideologie sich gegen die Menschenwürde des Art. 1 GG richtet und gegen das Demokratieprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verstößt, das eine freie und gleiche Teilhabe aller Staatsbürger voraussetzt. Deswegen stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz die IBD als rechtsextremistische Organisation ein.[19]

4. Rechtsterroristische Gruppen in Deutschland

4.1 Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) bestand im Kern aus den drei Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt. Die Mitglieder des NSU verübten zwischen 2000 und 2007 zehn Morde, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und – zur Finanzierung – vierzehn Banküberfälle. Die deutschen Polizeien und Verfassungsschutzbehörden brachten die Morde aus rassistischer Motivation über Jahre fälschlich mit Organisierter Kriminalität in Verbindung. Dadurch wurde der NSU zur am längsten unentdeckt bleibenden terroristischen Gruppe in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, mit einer Opferbilanz, die innerhalb von sieben Jahren fast ein Drittel der Opfer des Linksterrorismus der 1970er bis 1990er Jahre erreichte.[20]

Das Oberlandesgericht München verurteilte Beate Zschäpe am 11.7.2018 wegen Mittäterschaft an diesen Taten und Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung NSU sowie schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Ralf Wohlleben, Carsten Schultze, Holger Gerlach und André Eminger wurden wegen verschiedener Beihilfehandlungen zu Freiheitsstrafen zwischen zehn und zweieinhalb Jahren verurteilt. Alle Angeklagten legten Revision ein, die Bundesanwaltschaft nur hinsichtlich des Angeklagten Eminger. Das Oberlandesgericht München stellte im Fall der Hauptangeklagten Zschäpe zudem die besondere Schwere der Schuld fest, womit eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen ist. Eine Sicherungsverwahrung im Anschluss an ihre Haftstrafe, wie von der Bundesanwaltschaft gefordert, ordnete das Gericht nicht an.[21]

Vom 9.9.2000 bis zum 6.4.2006 ermordete der NSU in deutschen Großstädten neun männliche Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund (Česká-Mordserie), die ersten vier innerhalb von elf Monaten, fünf weitere 2004 bis 2006. Acht der Opfer stammten aus der Türkei, ein Opfer aus Griechenland. Auf sie alle wurde – wie bei einer Hinrichtung – mehrmals aus kurzer Distanz geschossen, dazu wurde ab dem fünften Mord ein Schalldämpfer benutzt. Die Tatwaffe bei diesen neun Morden war immer eine Pistole des Typs Česká ČZ 83, Kaliber 7,65 mm, diese wurde am 11.11.2011 im Schutt der Zwickauer NSU-Wohnung gefunden (Goertz 2019a; Tagesschau 2016). Der NSU tötete eine Polizeibeamtin am 25.4.2007 in Heilbronn mit einem gezielten Kopfschuss und verletzte einen Polizeibeamten mit einem Kopfschuss lebensgefährlich. Seit November 2011 wird dieser Mord dem NSU zugeschrieben.[22]

Im August 2013 legte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages seinen Schlussbericht vor. Auf 1.400 Seiten wurden Versäumnisse und Fehler der Sicherheitsbehörden, vor allem der Verfassungsschutzbehörden, dokumentiert und Reformvorschläge unterbreitet. Der Bericht zeigte schwere Versäumnisse der deutschen Inlandsnachrichtendienste – des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz – bei der Analyse und der Bekämpfung von Rechtsextremismus und rechtsextremistischem Terrorismus auf.[23]

4.2 „Oldschool Society“ (OSS)

Das Oberlandesgericht München verurteilte im März 2017 vier Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe Oldschool Society (OSS) wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren. Im Rahmen des Gerichtsprozesses gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass die OSS darauf ausgerichtet war, Menschen ausländischer Herkunft mittels terroristischer Gewalt aus Deutschland zu vertreiben. Zu diesem Zweck seien Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte geplant gewesen. Den Tod möglicher Opfer nahm die rechtsterroristische Gruppierung bei der Durchführung ihrer Pläne billigend in Kauf. Das Urteil ist rechtskräftig.[24]

Im April 2017 erhob der Generalbundesanwalt Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden gegen zwei weitere mutmaßliche Mitglieder der rechtsterroristischen OSS. Ihnen wurden ebenfalls die Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB sowie die Vorbereitung eines Explosionsverbrechens gemäß § 310 StGB vorgeworfen. Sie sollen unter anderem zusammen mit anderen OSS-Mitgliedern im Mai 2015 einen Sprengstoffanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Borna (Sachsen) geplant haben. Am 6. Mai 2015 hatten Exekutivmaßnahmen gegen die rechtsterroristische Gruppe OSS stattgefunden, die eine Umsetzung der Vorhaben vereitelten.[25]

4.3 Die „Gruppe Freital“

Im März 2018 verkündete der vierte Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden nach einjährigem Prozess das Urteil im Strafverfahren gegen Mitglieder der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“. Acht Angeklagte im Alter von 20 bis 40 Jahren wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit versuchtem Mord, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren verurteilt. Nachdem der Generalbundesanwalt im Juni 2016 ein zweites Ermittlungsverfahren zunächst gegen neun mutmaßliche Unterstützer der „Gruppe Freital“ eröffnete, dieses jedoch im Jahr 2017 an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden abgegeben hatte, fanden am Ende März 2018 Exekutivmaßnahmen im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens gegen dann zehn mutmaßliche Unterstützer der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“ statt. Die Polizei führte hierbei Durchsuchungen in Bayern, Niedersachsen und Sachsen durch. Es wurden Datenträger, Waffen und NS-Devotionalien sichergestellt. Alle Angeklagten hatten sich bei den Protesten gegen eine Asylbewerberunterkunft im Sommer 2015 in Freital (Sachsen) kennengelernt und innerhalb kürzester Zeit zur „Gruppe Freital“ zusammengeschlossen, um schwere Straf- und Gewalttaten zu verüben.[26]

Die Urteile gegen die Mitglieder der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“ sind seit Juni 2019 aufgrund des Urteils des Bundesgerichtshofs rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof wies die Revision von sechs der acht Angeklagten zurück. Die beiden Rädelsführer der rechtsterroristischen Gruppe, Timo S. und Patrick F. müssen für insgesamt 10 bzw. 9,5 Jahre ins Gefängnis. Der zur Tatzeit erst 18 Jahre alte Justin S., der im Prozess umfangreich ausgesagt hatte, erhielt eine Jugendfreiheitsstrafe von vier Jahren.[27]

4.4 „Nordadler“

Das Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts gemäß § 129a StGB gegen die rechtsterroristische Gruppe „Nordadler“ belegt die Annahme, dass sich rechtsterroristische Ansätze außerhalb etablierter rechtsextremistischer Organisationen und Strukturen bilden können. Im April 2018 durchsuchten die Polizeien in Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen die Wohnungen von vier Beschuldigten. Im November 2018 erfolgten weitere Durchsuchungen. Im Internet sollen sich die Gruppenmitglieder über die Beschaffung von militärischen Ausrüstungsgegenständen und Waffen sowie über die Herstellung von Sprengkörpern ausgetauscht haben. Daneben werden die Beschuldigten verdächtigt, Personenlisten über politisch Verantwortliche sowie politische Gegner angelegt zu haben, um diese im Falle eines Staatszusammenbruchs zur Rechenschaft zu ziehen.[28]

Am 23.6.2020 verbot der Bundesinnenminister Horst Seehofer die rechtsextremistische Vereinigung „Nordadler“ auf der Grundlage des Vereinsgesetzes und löste sie auf. Polizeibeamte durchsuchten zeitgleich Objekte führender Vereinsmitglieder von „Nordadler“ in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen. Der Bundesinnenminister erklärte dazu: „Rechtsextremistische Vereine brauchen heute keinen Stammtisch, keinen Kassenwart und keine Satzung mehr, um ihre Ziele zu verfolgen. Das Verbot von „Nordadler“ richtet sich gegen eine Vereinigung, die überwiegend im Internet und in den sozialen Medien agiert. Vereine und Gruppierungen, die Hass und Hetze verbreiten und die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Staates herbeisehnen, werde ich verbieten. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben bei uns keinen Platz, weder in der realen noch in der virtuellen Welt.“[29]

Das Verbot gegen die Vereinigung „Nordadler“ stützt sich nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf § 3 Absatz 1 Satz 1 des Vereinsgesetzes. „Nordadler“ (auch handelnd und auftretend unter den Bezeichnungen „Völkische Revolution“, „Völkische Jugend“, „Völkische Gemeinschaft“ und „Völkische Renaissance“) richtet sich sowohl gegen die verfassungsmäßige Ordnung als auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zudem laufen Zweck und Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwider. „Nordadler“ ist nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine rechtsextremistische Vereinigung, die ihre nationalsozialistische und antisemitische Ideologie überwiegend im Internet propagiert. Dazu nutzt sie offene und geschlossene Chatgruppen und Kanäle auf diversen Plattformen.[30]

Charakteristisch für die Gruppierung „Nordadler“ ist nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus. Diese manifestierte sich bei der Gruppierung „Nordadler“ in der Organisationsstruktur mit Bezügen zur SS, in der Nutzung nationalsozialistischer Symbole und Sprache durch die Mitglieder sowie in deren Bekenntnis zu Adolf Hitler und anderen maßgeblichen Repräsentanten des Nationalsozialismus. Der Anführer der Gruppierung „Nordadler“ erklärte öffentlich, dass er sich als Nationalsozialist bezeichne und seine Gruppe die Rückkehr eines NS-Staats mit der weltanschaulichen „Ideologie von damals“ ersehne. Als ersten Schritt hierzu plante Nordadler die Umsetzung eines nationalsozialistischen Siedlungsprojekts, bei dem Gleichgesinnte im ländlichen Raum zusammenleben und von dort aus ihre Ideologie verbreiten können. Darüber hinaus ist ein sehr stark ausgeprägter Antisemitismus und eine kämpferisch-aggressive Grundhaltung, die etwa in Gewaltphantasien zum Ausdruck kommt, kennzeichnet für die Gruppe „Nordadler“. So befürwortete der Anführer von „Nordadler“ in einer öffentlichen Telegram-Gruppe den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle. Das Verbot von „Nordadler“ ist das 20. Verbot einer rechtsextremistischen Vereinigung in Deutschland durch einen Bundesinnenminister und bereits das dritte im Jahr 2020. Im Januar 2020 wurde der Verein „Combat 18“ verboten und im März 2020 die Reichsbürger-Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“.[31]

4.5 Die Gruppe „Nordkreuz“

Die Gruppe „Nordkreuz“ soll nach Angaben des Redaktionsnetzwerkes Deutschland und des ZDF rechtsterroristisch motivierte Morde in Deutschland geplant und „Todeslisten“ mit bis zu 25.000 Namen „politischer Gegner“ gesammelt haben. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Mitglieder der Gruppe „Nordkreuz“ nicht nur Personendaten „politischer Gegner“ aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sammelte, sondern auch über mindestens zwei regionale Ableger verfügen soll, die Gruppen „Südkreuz“ und „Westkreuz“ und auch in und um Berlin soll eine Unterstützergruppe tätig sein.[32] Diesen rechtsterroristischen Verdacht hätten zwei Vernehmungen eines der „Nordkreuz“-Mitglieder durch das BKA erhärtet. So habe Horst S., ehemals Vizechef im Bundeswehr-Reservistenverband Mecklenburg-Vorpommern, ausgesagt, die Listen mit „linken Persönlichkeiten“ hätten dem Ziel gedient, diese „im Konfliktfall“ zu töten.[33]

4.6 Die „Gruppe S“

Im Februar 2020 wurden zwölf Mitglieder der als rechtsterroristisch eingestuften „Gruppe S“ in sechs Bundesländern festgenommen. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen sollen Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben, um Chaos auszulösen und so die demokratische Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik ins Wanken zu bringen. Die zwölf Mitglieder der „Gruppe S“ sind zwischen 31 und 60 Jahre alt, diese sollen sich bereiterklärt haben, Geld zu geben, Waffen zu beschaffen oder an künftigen Anschlägen mitzuwirken. Die „Gruppe S“ war nach dem Gründer, dem 53-jährigen Werner S. aus dem Raum Augsburg benannt. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hatte sich die „Gruppe S“ in Chats und telefonisch ausgetauscht, aber auch schon mehrfach getroffen. Der Innenminister Nordrhein-Westfalens, Herbert Reul, gab bekannt, dass ein Unterstützer der „Gruppe S“ Verwaltungsmitarbeiter der Polizei war und auf Grund der Ermittlungen suspendiert worden sei.[34]

Nach Angaben des Generalbundesanwaltes sollen sich Werner S., Michael B., Thomas N., Tony E. und ein weiterer Beschuldigter im September 2019 zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben. Das Ziel der Vereinigung soll es gewesen sein, die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden.[35]

5. Rechtsterroristische Einzeltäter in Deutschland

5.1 Der Einzeltäter Frank S. – Mordversuch an Henriette Reker

Einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl in Köln, am 17.10.2015, verübte der Rechtsterrorist Frank S. mit einem Messer an einem Wahlkampfstand in Köln einen Anschlag auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin und jetzige Oberbürgermeisterin Henriette Reker, sie überlebte den rechtsterroristischen Anschlag nur knapp. Die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza erklärte das Urteil – 14 Jahre wegen Mordversuchs und fünffacher, teils gefährlicher Körperverletzung – mit den Worten: „Herr S. wollte ein Klima der Angst erzeugen, um die Politik zu drängen, von ihrer aus seiner Sicht verfehlten Flüchtlingspolitik abzugehen.“ Der Psychiater und Gutachter Norbert Leygraf hatte Frank S. zwar für voll schuldfähig gehalten, aber er hatte ihm eine narzisstisch-paranoide Persönlichkeitsstörung attestiert, eine „schwere Persönlichkeitsstörung“, die „maßgeblich für den Tatentschluss war“, wie die Vorsitzende Richterin Havliza ausführte. Frank S. „sah in Frau Reker die Repräsentantin der von ihm missbilligten Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik“, so die Richterin Havliza.[36]

5.2. David Sonboly

Am 22.7.2016 – am fünften Jahrestag des vom Rechtsterroristen Anders Breivik verübten Anschlages, der aus rechtsterroristischer Motivation 77 Menschen, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche – getötet sowie ca. 500 Menschen verletzt hatte – erschoss David Sonboly aus rechtsterroristischer Motivation am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München neun Menschen und sich selbst. Der Anschlag von Sonboly in München weist mehrere Parallelen zum rechtsterroristischen Anschlag auf eine Synagoge in Halle auf. Beide Rechtsterroristen hatten sich in rechtsextremistischen Online-Foren radikalisiert und sich an internationalen Rechtsterroristen orientiert. Nach Angaben des bayerischen Innenministers Herrmann hatte der Attentäter Sonboly „rassistisches Gedankengut verinnerlicht und sich in einschlägigen Chat-Gruppen bewegt“. Zudem „wiesen Diagnosen aus der Kindheit auf psychopathologische Auffälligkeiten“ hin: „Der aus negativen persönlichen Erfahrungen entwickelte Rassismus mischte sich bei dem exzessiven Ego-Shooter-Spieler auch mit der Faszination von Amoktaten wie in Winnenden oder Erfurt, die auch auf seinen Online-Spiele-Plattformen verherrlicht wurden und die Täter als Opfer der Gesellschaft darstellten.“[37]

5.3 Stephan Ernst – Mord an Walter Lübcke

Die Anklageschrift des Generalbundesanwaltes gegen Stephan Ernst vom 29.4.2020 erklärt, dass dieser am 1.6.2019 den damaligen amtierenden Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Politiker Walter Lübcke – aus rechtsterroristischer Motivation mit einem Kopfschuss – getötet haben soll. Ausschlaggebend für die Tat war nach Angaben des Generalbundesanwaltes die von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung von Stephan Ernst. Seit seiner Teilnahme an einer Bürgerversammlung in Lohfelden zur dort geplanten Unterbringung von Flüchtlingen projizierte Stephan Ernst seinen Fremdenhass zunehmend auch auf den CDU-Politiker Walter Lübcke, der dort die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt hatte. Der Generalbundesanwalt führt in seiner Anklageschrift gegen Ernst aus, dass dieser spätestens seit den Geschehnissen in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln und dem islamistischen Anschlag in Nizza im Juli 2016 den Entschluss gefasst hatte, Walter Lübcke zu töten, um diesen für dessen – aus Sicht von Stephan Ernst verfehlte – Haltung in der Flüchtlingspolitik abzustrafen.[38]

5.4 Roland K. – Mordversuch am Eritreer Bilal M.

Wenige Wochen nach dem rechtsterroristischen Mord an Walter Lübcke schoss Roland K. im hessischen Wächtersbach aus rassistischer Motivation auf den eritreischen Flüchtling Bilal M. Durch sechs Schüsse schwerverletzt wurde Bilal M. von Passanten aufgefunden und in einem Krankenhaus notoperiert. Hinter den Schüssen stehe „ganz klar ein fremdenfeindliches Motiv“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt kurz nach dem Anschlag. Der Täter, Roland K., ein 55 Jahre alter Deutscher, wurde von der Polizei in seinem Wohnort, dem benachbarten Biebergemünd, „augenscheinlich leblos“ aufgefunden. Er hatte sich mit einer halbautomatischen Waffe selbst in den Kopf geschossen und starb kurz darauf im Krankenhaus, in seinem Auto wurde die mutmaßliche Tatwaffe gefunden. K. soll diverse Nazi-Devotionalien wie Dolche mit Hakenkreuzen gesammelt haben.[39]

5.5 Stephan Balliet – Der Anschlag in Halle

Der rechtsterroristische Anschlag am 9.10.2019, dem wichtigsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, wurde vom Rechtsterroristen Stephan Balliet verübt, der zwei Menschen ermordete und zwei schwer verletzte. Der 27 Jahre alte Rechtsterrorist schoss auf eine Synagoge und einen Dönerimbiss und war den Sicherheitsbehörden vor der Tat nicht als Rechtsextremist bekannt. Das Video der Tat, das der Attentäter live auf der Video-Plattform Twitch streamte, stellt eine Parallele zum rechtsterroristischen Anschlag in Christchurch/Neuseeland, bei dem 51 Menschen ermordet wurden, dar. Nach Angaben des Generalbundesanwaltes wollte der Rechtsterrorist unter den bis zu 80 Besuchern der Synagoge ein Massaker verüben.

Die Bundesanwaltschaft erhob am 16.4.2020 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg Anklage gegen Stephan Balliet. Dieser „plante aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens. Zu diesem Zweck rüstete er sich mit insgesamt acht Schusswaffen, mehreren Sprengsätzen, einem Helm und einer Schutzweste aus“. Balliet „wollte sich zu dem Gotteshaus Zutritt verschaffen und möglichst viele der dort Anwesenden töten. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in der Synagoge anlässlich der Feierlichkeiten des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur 52 Gläubige auf“. Balliet veröffentlichte nach Angaben der Bundesanwaltschaft „unmittelbar vor der Ankunft an der Synagoge Internet-Links zu drei von ihm selbst verfassten Dokumenten. In diesen erläuterte er unter anderem seinen Tatplan und seine Tatmotivation. Außerdem rief er in ihnen dazu auf, alle Juden zu töten und stellte einen Internet-Link zu einer Internetplattform bereit, auf welcher der Live-Stream übertragen wurde. Hierdurch wollte der Angeschuldigte seinen Anschlag einer breiten Öffentlichkeit präsentieren und Nachahmer für vergleichbare Taten gewinnen“.[40]

5.6 Tobias Rathjen

Der Rechtsterrorist Tobias Rathjen ermordete am 19.2.2020 in Hanau aus rassistischer Motivation neun Menschen mit Migrationshintergrund sowie seine Mutter und tötete sich am Ende selbst. In einem Video und einem Manifest äußerte Rathjen wenige Tage vor der Tat in einem YouTube-Video seine rechtsextremistischen und paranoiden Ansichten. In diesem Video sprach der Attentäter in fließendem Englisch von einer „persönlichen Botschaft an alle Amerikaner“. Darin führt der Rechtsterrorist aus, in den USA existierten unterirdische Militäreinrichtungen, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände „jetzt kämpfen“. Außerdem äußert er sich negativ über Migranten aus arabischen Ländern und der Türkei.[41] Nach Informationen aus Sicherheitskreisen soll Rathjen überzeugt gewesen sein, in allen möglichen Lebensphasen und -bereichen überwacht zu werden, von „einer Organisation, die auf Basis eines Geheimdienstes operiert, offiziell namentlich aber nicht in Erscheinung tritt“. Dies habe er bereits wenige Tage nach der Geburt bemerkt. Weiter führte er aus, dass eine Reihe Völker „komplett vernichtet werden“ müssten, darunter halb Asien, diverse Volksgruppen aus Nordafrika und Israel.[42] Weiter könne er sich eine Halbierung der Bevölkerungszahl vorstellen.

6. Fazit

Sowohl die jüngsten rechtsterroristischen Anschläge in Hanau, Halle und der rechtsterroristische Mord an Walter Lübcke als auch die von deutschen Sicherheitsbehörden verhinderten rechtsterroristischen Anschläge der „Gruppe S“ und der Gruppe „Nordkreuz“ verdeutlichen auf dramatische Weise das aktuelle und zukünftige Bedrohungspotenzial rechtsterroristischer Einzeltäter und Gruppen in Deutschland. Gleichzeitig muss die Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz erwähnt werden, dass die deutschen Sicherheitsbehörden seit spätestens 2016 Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus in Deutschland beobachten, namentlich genannt wurden die „Gruppe Freital“, „Nordadler“, „Oldschool Society“ (OSS) sowie „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT). Abschließend: Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland haben in den letzten Monaten und Jahren ein neues Bedrohungsniveau erreicht, das die Innere Sicherheit Deutschlands gefährdet!


[1] Dr. Stefan Goertz, ORR der Bundespolizei, Hochschule des Bundes. Studium der Politikwissenschaft u.a. in Berlin und Damaskus/Syrien. Promotion an der Carleton University, Ottawa/Kanada und Universität der Bundeswehr München. Forschungsschwerpunkte: Islamistischer Terrorismus, Extremismus, Organisierte Kriminalität und Cybercrime.

[2] https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/vortraege/eingangsstatement-p-20200312-pressekonferenz-zum-stand-der-bekaempfung-des-rechtsextremismus (15.7.2020).

[3] https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2019.pdf, S. 24 (15.7.2020).

[4] Ebd., S. 25.

[5] Ebd., S. 29.

[6] Ebd., S.26.

[7] Ebd., S. 53.

[8] Ebd., S. 76.

[9] Ebd., S 94.

[10] Ebd., S. 98.

[11] Ebd., S. 99.

[12] Ebd., S. 84.

[13] Ebd., S. 86.

[14] Ebd., S. 88.

[15] https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus/was-ist-rechtsextremismus (15.7.2020).

[16] https://www.verfassungsschutz.de/de/aktuelles/zur-sache/zs-2019-003-erstmaliges-verbot-einer-veranstaltung-des-kampfsportformats-kampf-der-nibelungen (15.7.2020).

[17] https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus/zahlen-und-fakten-rechtsextremismus/identitaere-bewegung-deutschland-2019 (15.7.2020).

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] https://www.kas.de/de/web/rechtsextremismus/-nationalsozialistischer-untergrund- (15.7.2020).

[21] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nsu-urteile-lebenslange-haft-fuer-beate-zschaepe-15685433.html; https://www.veko-online.de/archiv-ausgabe-05-2019/1451-titel-rechtsextremismus-und-rechtsextremistischer-terrorismus-in-deutschland.html (15.7.2020).

[22] Ebd.

[23] Ebd.

[24] https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2017.pdf, S. 55 (15.7.2020).

[25] Ebd.

[26] https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf, S. 58-59 (15.7.2020).

[27] https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Terroristen-statt-Lausbuben-Hohe-Strafen-gegen-Gruppe-Freital,freital138.html (15.7.2020).

[28] https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf, S. 66.

[29] https://www.verfassungsschutz.de/de/aktuelles/meldungen/me-20200623-verbot-nordadler (15.7.2020).

[30] Ebd.

[31] Ebd.

[32] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/medien-rechtsextremistische-gruppe–nordkreuz–hatte–todeslisten-100.html (15.7.2020).

[33] Ebd.

[34] https://www.dw.com/de/untersuchungshaft-f%C3%BCr-rechte-terrorverd%C3%A4chtige/a-52391110 (15.7.2020).

[35] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/aktuelle/Pressemitteilung2-vom-14-02-2020.html (15.7.2020).

[36] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/angriff-auf-henriette-reker-frank-s-zu-14-jahren-haft-verurteilt-a-1100950.html (15.7.2020).

[37] https://www.welt.de/politik/deutschland/article202479342/Bayern-stuft-Muenchner-OEZ-Attentat-nun-als-rechtsradikal-motiviert-ein.html (15.7.2020).

[38] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/aktuelle/Pressemitteilung-vom-29-04-2020.html (15.7.2020).

[39] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/schuesse-in-waechtersbach-auf-offener-strasse-16299104.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (15.7.2020).

[40] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/aktuelle/Pressemitteilung-vom-21-04-2020.html (15.7.2020).

[41] https://www.welt.de/politik/deutschland/article206002893/Hanau-Tobias-R-fantasierte-in-wirrem-Manifest-ueber-Voelkervernichtung.html (15.7.2020).

[42] Ebd.