„Wer zur Polizei will muss Eier haben“

Spielen Geschlechtsorgane und die sexuelle Identität beim Auswahlverfahren eine Rolle?

Von Dr. phil. Malgorzata Okulicz-Kozaryn[1] und PK Joschua Thuir[2]

Einleitung

Die meisten Polizeibehörden sind auf der Suche nach qualifiziertem Nachwuchs. In der Vergangenheit wurden immer wieder die Aufnahmevoraussetzungen in den polizeilichen Vollzugsdienst herabgesetzt, um die Einstellungsquoten erfüllen zu können. Dies erfolgte insbesondere durch die Vereinfachung der schriftlichen Wissenstests, Herabsetzung der sportlichen Anforderungen, aber auch durch die Abschaffung der Mindestkörpergröße sowie die Erhöhung der Altersgrenze für die Bewerbung bei der Polizei. Gleichwohl stellt der Polizeivollzugsdienst nach wie vor besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit. Entsprechend sind die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Polizeivollzugsdienst nach besonderen Maßstäben zu beurteilen.[3] Aus diesem Grund durchlaufen Berufsinteressierte neben den Einstellungstests zur Feststellung der sportlichen und persönlichen Eignung im Einstellungs- und Auswahlverfahren (EAV) zusätzlich eine Überprüfung der gesundheitlichen Eignung. Die Polizeiärztlichen Dienste orientieren sich hierzu an der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV 300).

Häufig wird davon gesprochen, dass die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft sei und dass eine multikulturelle Ausrichtung der Polizei zur Steigerung der polizeilichen Legitimität führen könne. Polizeibedienstete sollten die Gesellschaft sowie ihre Minderheiten entsprechend innerbehördlich repräsentieren. Was allerdings immer noch nicht genügend Beachtung innerhalb der Polizei findet, ist die Gleichstellung von transidenten und intergeschlechtlichen Personen. Internationale empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass trans* und inter* Menschen sowohl bei Auswahlverfahren als auch an Arbeitsplätzen im Allgemeinen erhebliche Stigmatisierung erfahren.[4] So berichtete Berlins meistgelesenes Stadtmagazin „Siegessäule“ im Jahr 2019 in einem Beitrag zu den Einstellungsvoraussetzungen bei der Polizei, dass trans* und inter* Personen bei der Bundespolizei systematisch diskriminiert würden.[5] Eine der Hauptursachen für die Diskriminierungen im Auswahlverfahren ließe sich in der letzten – bis zum 31.12.2020 gültigen – Fassung der PDV 300 finden, die mehrere Diskriminierungsfaktoren, insbesondere zulasten von trans* Personen und Menschen mit sogenannten intergeschlechtlichen Körpermerkmalen, beinhaltete.[6] Ende 2020 wurde nach 8 Jahren eine neue Version der PDV 300 beschlossen.[7] Vor diesem Hintergrund und aufgrund der politischen Brisanz werden im vorliegenden Beitrag die wichtigsten Änderungen in der PDV 300 diskutiert, insbesondere in Bezug auf die Gleichstellung von transidenten und intergeschlechtlichen Berufsinteressierten im EAV bei der Polizei.

Die neue PDV 300

Zu Beginn der Vorschrift wird darauf hingewiesen, dass die neue PDV 300 nicht länger als Verschlusssache eingestuft wurde, was die Transparenz der ärztlichen Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit deutlich steigert.

Als nächstes fiel auf, dass in der neuen Fassung der PDV 300 die grundlegende Problematik der alten Version, nämlich die binären Geschlechterbetrachtung, abgeschafft wurde. Die alte PDV 300 beinhaltete unterschiedliche Ausschlusskriterien für Männer und für Frauen. Diese Kriterien waren unter anderem an die jeweils heteronormativen, also männlichen bzw. weiblichen körperlichen Eigenschaften gebunden. Dies führte dazu, dass für transidente und nicht binäre, also diverse Personen bereits nach einer Personenstandsänderung auch ohne die Einleitung von Maßnahmen zur körperlichen Angleichung ein Erfüllen der Voraussetzungen unmöglich war, da sie körperlich an einer anderen Geschlechtskategorie gemessen wurden. Nun gibt es keine geschlechterbezogenen Voraussetzungen mehr und der Wortlaut ist fast ausnahmslos genderneutral formuliert.

Im Sinne der Gleichstellung ist ebenfalls, dass in der neuen PDV 300 der Hinweis zu besserer Lesbarkeit, der sich zuvor nur auf Männer und Frauen bezog, nun wie folgt lautet: „Soweit Personen- und Funktionsbezeichnungen aus Gründen der Lesbarkeit nur in der männlichen Form verwendet werden, gelten sie gleichermaßen für alle Geschlechter.“

Leider lassen sich jedoch auch in der neuen Version der PDV 300 keine Begrifflichkeiten finden, die speziell Bezug auf Transidentität und Intergeschlechtlichkeit nehmen. Das erscheint für die Anwendung der PDV 300 insofern problematisch, als dass Interpretationsspielraum offenbleibt. Die geschlechtliche Identitätsvielfalt beim Namen zu nennen würde für mehr Klarheit und Transparenz sorgen.

Besonders kritisch waren in der alten Fassung der PDV 300 beispielsweise die Förderungen nach einer körpereigene Hormonsteuerung. So sollte bei männlichen Bewerbern „wenigstens ein Hoden (…) hormonell funktionstüchtig sein“.[8] Zusätzlich waren „Bauch- oder Leistenhoden“ und der „Verlust oder diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden“ als Merkmale, die eine Polizeidiensttauglichkeit ausschließen, aufgeführt.[9] Dies führte dazu, dass Hormontherapien sowohl bei trans* als auch inter* Menschen zu Diskriminierung führten, da angenommen wurde, es könnte durch die Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme von Hormonpräparaten ggf. zu Versorgungsengpässe bei längerfristigen Einsätzen kommen. Zudem seien sich Polizeiärztliche Dienste möglicher Spätfolgen im Unklaren gewesen und unvorhersehbare Hormonschwankungen hätten angeblich Stimmungsschwankungen und Aggressionen verursachen können. Dabei war diese Besorgnis bei cis* Polizistinnen, die regelmäßig Hormonpräparate wie „die Pille“ einnehmen, nicht entstanden, obwohl manche trans* Frauen genau dieselben Präparate verschrieben bekamen.

Auch Brustimplantate waren in der letzten Fassung der PDV 300 als explizites Ausschlusskriterium aufgelistet gewesen. Dabei spielte es keinerlei Rolle, ob ein Brustaufbau nach einem Brustkrebseingriff bei einer cis* Frau oder ein Brustaufbau bei einer trans* Frau vorlag. Hier wurden Frauen gleichermaßen diskriminiert. In der neuen PDV 300 finden Brustimplantate keine Erwähnung und stellen somit kein pauschales Ausschlusskriterium mehr dar. Konkretisierungsbedarf besteht hingegen (beispielsweise in den Interpretationshilfen zur PDV 300) hinsichtlich der aktuellen Formulierung, dass „Implantate mit dem Ziel, Körperfunktionen zu ersetzen oder solche mit erhöhter Infektions- oder Verletzungsgefährdung“[10] grundsätzlich die Polizeidiensttauglichkeit ausschließen. Diese Formulierung kann weiterhin zur unbewussten Diskriminierung von trans* und inter* Personen führen, wenn im Rahmen von geschlechtsangleichenden Operationen (Phalloplastik und Vaginoplastik) Implantate verwendet wurden. Eine Erläuterung und Differenzierung mit Bezug zu trans* und inter* Personen in der Interpretationshilfe könnte hier Fehlentscheidungen entgegenwirken. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es diesbezüglich ein Gerichtsverfahren gegeben hat, in dem die Hessische Polizei die Einstellung des transidenten Klägers ablehnte und die Ablehnung – unter anderem – mit einer potenziellen Gefährdung durch die Penoidkonstruktion[11] des Bewerbers argumentiert.[12] Diesbezüglich legte die Polizei ein Gutachten vor, welches ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei Krafteinwirkung von außen belegen sollte. Dieses Gutachten bezog sich jedoch nicht auf die Art von Penoidkonstruktion, über die der Bewerber verfügte.[13] Weil „Abstoßungsreaktionen, Entzündungen, Lageveränderungen sowie Materialermüdungserscheinungen und Verschleiß bedingte Defekte“[14] nicht auszuschließen seien, bestellte das Gericht erneut einen Sachverständigen, um diesmal die Silikonprothese begutachten zu lassen. Hierbei wurde festgestellt, dass es sich um ein unauffälliges Fremdkörperimplantat sowie eine Hodenplastik handelte.[15] Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit als unmittelbare Folge der genannten Operation, welche die Einsatzfähigkeit im Polizeidienst negativ beeinflussen könnten, wurden zum Zeitpunkt der Begutachtung hingegen nicht festgestellt.[16]

Fazit

Die Novellierung der PDV 300 stellt einen enormen Gleichstellungsfortschritt dar. In ihrer letzten Fassung sorgte sie noch für eine unmittelbare und mittelbare Diskriminierung sowohl von transidenten als auch von intergeschlechtlichen Personen. Insbesondere die darin enthaltenen Pauschalisierungen widersprachen der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Einzelfallprognose zur Einhaltung des Differenzierungsgebots[17]. Die neue PDV 300 trägt zudem indirekt zu einer höheren sozialen Akzeptanz für trans* und inter* Personen innerhalb der Polizei bei. Weiterhin ist diese Inklusion ein sehr wichtiges gesellschaftliches Zeichen. Nun gilt es, die Gleichstellung durch eine faire und einheitliche Umsetzung der PDV 300 im Auswahlverfahren zu implementieren. Wie bereits dargestellt, können die einzelnen Merkmale, wenn sie nicht in einem konkreten Fall individuell betrachtet und abgewogen werden, weiterhin zur Diskriminierung von trans* und inter* Personen führen. Daraus resultierend wäre es wichtig, diese Merkmale in der sog. Interpretationshilfe der PDV 300 speziell in Bezug auf die Überprüfung der beiden bislang tabuisierten Personengruppen auszulegen, um eine faire Entscheidungshilfe zu sichern und auf Vorurteilen basierende Pathologisierungen von trans* und inter* Menschen zu vermeiden. Besonders hilfreich wäre an dieser Stelle, wenn die Verantwortlichen, welche die Untersuchungen zur Polizeidiensttauglichkeit durchführen, spezielle Fortbildung im Kontext mit unterschiedlichen Geschlechtseinträge bzw. Geschlechtsidentitäten erhalten. Zudem ist es wünschenswert, klare Transitionsrichtlinien[18] bei der Polizei zu implementieren, um Menschen, die geschlechtsangleichende Maßnahmen einleiten lassen möchten, zu schützen und zu unterstützen, sowie um dem Dienstherrn eine zielführende Entscheidungs- und Unterstützungsgrundlage zu geben. Des Weiteren sollten zukünftig bei Novellierungen von Dienstvorschriften und Richtlinien, welche die Gleichstellung gewährleisten sollen, trans* und inter* Bedienstete (oder wenn vorhanden Ansprechpersonen für LSBTIQ) von den jeweiligen Behörden beratend hinzugezogen werden.

Grundsätzlich hängen die Integration sowie ein besseres Verständnis für transidente und intergeschlechtliche Polizeibedienstete auch von administrativen Faktoren wie positiver Führung und von der sozialen Unterstützung innerhalb der Dienstgruppe ab. Auch dient es der Gleichstellung, wenn Polizeieinrichtungen öffentlich bekannt machen, dass sie die Rechte von trans* und inter* Menschen unterstützen und ihre Einstellung bei der Polizei fördern, indem sie ihre Einstellungsvoraussetzungen transparent online zur Verfügung stellen.[19]

Notwendig sind zudem standardisierte, im Curriculum der Grundausbildung verankerte Lehrinhalte mit LGBTIQ* Bezug, sowohl bei den Bundesbehörden als auch bei den Landespolizeien. Hierzu bedarf es keines extra Personals oder extra Unterrichtsstunden, sondern praxisbezogene Beispiele. So könnten LGBTIQ* relevante Inhalte im Unterricht immer dort eingebaut werden wo sie passen und Sinn machen. Beispielsweise in den Bereichen Hasskriminalität, Asylrecht, Umgang mit trans* und inter* Personen bei Durchsuchungsmaßnahmen, adressatengerechte Wortwahl, Verhältnis der Polizei zur Community aufgrund geschichtlicher Aspekte, wie dem §175 StGB oder bei der Beantwortung der Frage, warum queere Menschen seit 1969 am Christopher Street Day demonstrieren.

Auf die Frage welche Relevanz das Geschlecht im Polizeidienst eigentlich haben sollte, reagiert ein Vorgesetzter aus den USA auf das Outing eines Polizeivollzugsbediensteten besonders zutreffend: „Look, we hired you because we thought you could do the job as a police officer. For almost 20 years you have demonstrated you can do that at a high level. This isn’t gonna change that. We don’t hire people because they are male or female. … We are going to make this work “[20].

Literatur:

Barclay, J. and Scott, L. (2006). Transsexuals and workplace diversity: A case of change management. Personal Review, 4, 1–30.

Berry, P., McGuffee, K., Rush, J. and Columbus, K. (2003). Discrimination in the workplace: The firing of a transsexual. Journal of Human Behavior in the Social Environment, 8, 225–239.

Dietert, M. and Dentice, D. (2009). Gender identity issues and workplace discrimination: The transgender experience. Journal of Workplace Rights, 14, 121–140.

Deutscher Bundestag (2020). Behördlicher Umgang mit Geschlechtervielfalt: Regelungen zu Haftunterbringung und Durchsuchung in Bezug auf Geschlecht oder Personenstand – Polizeidienstvorschrift 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“. Drucksache 19/19274. Online unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/192/1919274.pdf

Gagné, P., Tewksbury, R. and McGaughey, D. (1997). Coming out and crossing over: identity formation and proclamation in a transgender community. Gender & Society 11(4), 478–508.

Panter, H. (2018). Transgender cops: The intersection of gender and sexuality expectations in police cultures. Routledge.

Transphobie bei der Polizei: Bundesregierung will Diskriminierung beenden, Artikel vom 2.1.2019. Online unter: https://www.siegessaeule.de/news/4168-transphobie-bei-der-polizei-bundesregierung-will-diskriminierung-beenden/


[1] Dr. phil. Malgorzata Okulicz-Kozaryn ist hauptamtlich Lehrende am Fachbereich Kriminalpolizei beim Bundeskriminalamt. Zuvor arbeitete sie an der Hochschule Luzern, an der Universität Bonn sowie in der JVA Offenburg. Seit 2017 ist sie Lehrbeauftragte der Universität Bonn im Master Rechtspsychologie.

[2] PK Joschua Thuir ist hauptamtlich Lehrkraft im Fachbereich Recht und Verwaltung und zugleich Ansprechperson für Diversity im Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Diez. Privat engagiert er sich als 1. Vorsitzender des Verbandes lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Hessen e. V.

[3] Vgl. VG Berlin, Urt. vom 30.4.2014, 36 K 394.12; VG Frankfurt, Urt. vom 27.2.2006, 9 E 1310/05.

[4] Vgl. Barclay and Scott, 2006; Berry et al., 2003; Dietert and Dentice, 2009; Gagné et al., 1997; Panter, 2018.

[5] Transphobie bei der Polizei: Bundesregierung will Diskriminierung beenden, Artikel vom 2.1.2019.

[6] Vgl. BT-Drs. 19/19274.

[7] Vgl. Umlaufbeschl. des AK II, 2020, Az.: VI C 4.2/300.

[8] VG Frankfurt, Urt. vom 27.2.2006 – 9 E 1310/05 –, Rdnr. 2.

[9] Ebd.

[10] PDV 300, Anlage 1, Merkmal 1.1.4, S. 25

[11] Die Konstruktion eines penisähnlichen Gebildes aus körpereigenem Gewebe.

[12] VG Frankfurt, Urt. vom 3.12.2007 – 9 E 5697/06, Rdnr. 36.

[13] Ebd., Rdnr. 37.

[14] Ebd., Rdnr. 38.

[15] Ebd., Rdnr. 14.

[16] Ebd., Rdnr. 17.

[17] Vgl. OVG Bautzen Urt. vom 8.11.2016 – 2 A 484/15 – Rdnr. 21.

[18] Richtlinien zur Geschlechtsangleichung.

[19] Vgl. Panter, 2018, S. 188.

[20] Panter, 2018, S. 188