Änderung der Verjährung des § 266a StGB

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 13.11.2019 (Az. 1 Str 58/19) eine Entscheidung getroffen, die größere Strafverfahren, die mir vorliegen, erledigt.

§ 266a StGB stellt den Arbeitgeber unter Strafe, der seiner Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nicht nachkommt. Diese Beitragszahlung ist zum 15. des Folgemonats nach der Beschäftigung fällig und ist ausschließlich an die Ausübung der Beschäftigung geknüpft. Dabei ist es unerheblich, ob der Arbeitnehmer seinen Lohn erhalten hat oder nicht. Selbst wenn der Arbeitgeber mangels Liquidität seine Arbeitnehmer nicht mehr bezahlt, muss er dennoch die auf die Löhne entfallenden Sozialbeiträge abführen, um eine Strafbarkeit zu vermeiden. Bei der Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers handelt es sich um Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Sollten vom Arbeitgeber irgendwelche Lohnzuschläge vorgenommen worden sein, so sind sie auch dann sozialversicherungspflichtig, wenn das Finanzamt diese Zuschläge nicht als steuerlich abzugsfähig anerkennt. Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte nun folgenden Fall zu entscheiden:

Sachverhalt

Das Landgericht Kiel hatte einen Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 67 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt und von der Strafe 2 Monate für vollstreckt erklärt. Hiergegen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Der Angeklagte hatte in den Jahren 2007 – 2012 zur Erbringung von Bauleistungen illegal beschäftigte Arbeitnehmer eingesetzt und diese nicht angemeldet. Daher hatte er für sie auch keine Sozialabgaben und ähnliches bezahlt. Auch die Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung führte er nicht vollständig ab. Weiter hatte er gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben über steuererhebliche Tatsachen gemacht und dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag verkürzt.

Der Fälligkeitszeitraum für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge lag zwischen dem 29.01.2007 und dem 29.05.2008.
Die Strafverfolgungsverjährung wurde durch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 25.01.2012 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen. Die Anklage ging am 28.10.2016 beim Landgericht ein und das Hauptverfahren wurde mit Beschluss vom 30.05.2018 eröffnet.

Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, die Verfahren hinsichtlich der Steuerhinterziehungstaten teilweise wegen Verjährung einzustellen und die Revision im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.

Entscheidung

Der Senat kündigte an, dass er seine bisherige Rechtsprechung zu den Verjährungsfristen bei Taten nach § 266a Abs. 1 sowie Abs. 2 Nr. 2 StGB aufgeben wolle.

Nach bisheriger Rechtsprechung tritt die Verjährung nach § 78a StGB nicht schon mit der Tatvollendung (= Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale), sondern erst mit der Beendigung der Tat (= mit dem tatsächlichen Abschluss einschließlich des Taterfolges). § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB ist mit der einfachen Nichtzahlung ein echtes Unterlassungsdelikt, das mit einer maximalen Strafandrohung von 5 Jahren bedroht ist. Dies führt zu seiner Verjährung dieses Delikts nach 5 Jahren. Die Besonderheit der bisherigen Rechtsprechung war, dass mit der Tatvollendung nicht sofort die Frist für die Verjährung begann, sondern erst mit Tatbeendigung. Die Tatbeendigung und die damit beginnende Strafverfolgungsverjährung endete nach bisheriger Rechtsprechung erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht. Die Verpflichtung zur Zahlung des rückständigen Beitrages kann gegebenenfalls 30 Jahre betragen, wenn nicht aus anderen Gründen, die Beitragspflicht entfällt. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass der Beitragsschuldner wegfällt, beispielsweise bei Auflösung GmbH.

Nach dieser Rechtsprechung konnte die Frist für eine Verfolgungsverjährung 35 Jahre betragen.

Nunmehr sagt der BGH, dass mit der Nichtzahlung der Beiträge der Tatbestand vollendet und gleichzeitig auch beendet ist und deshalb die Verfolgungsverjährung von 5 Jahren ab Fälligkeit des Beitrags eintreten soll. Die dogmatische Begründung liegt darin, dass die Rechtsgutverletzung mit der Nichtzahlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit irreversibel eingetreten ist und durch eine weitere Untätigkeit nicht mehr vertieft werden kann. Daher sei eine Strafbewehrung eines weiteren Unterlassens nach Vollendung des Tatbestandes nicht mehr gerechtfertigt. Sie würde voraussetzen, dass für das jeweils geschützte Rechtsgut eine spezifische Gefahrenlage aufgrund der Unterlassung über den Zeitpunkt der Vollendung der Tat hinaus fortbesteht. Dies ist bei § 266a StGB aber nicht der Fall. Eine Erhöhung des Verspätungsschadens lehnte der BGH als Beendigungshindernis als unbeachtlich ab, weil es auch bei anderen Vermögensdelikten in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt wird. Daher soll mit der Vollendung des Tatbestandes auch die Beendigung der Tat eintreten.

Fazit

Nachdem der BGH den § 266a StGB sozusagen auseinandergenommen hat, ist Folgendes klarzustellen:

§ 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB sind echte Unterlassungsdelikte. Bei echten Unterlassungsdelikten wird Tatvollendung regelmäßig bejaht, wenn die strafbewehrte Handlungspflicht erstmals hätte erfüllt werden müssen, aber nicht erfüllt worden ist. Nach der bisher herrschenden Meinung galt diese Tat erst als beendet, wenn die Pflicht zum Handeln entfallen war, also die Strafbarkeit des Täterverhaltens geendet hat. Dies war die Begründung dafür, dass die Tatbeendigung erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht, also erst nach 30 Jahren eintreten soll.

§ 266a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein Erfolgsdelikt, das dann beendet ist, wenn der angestrebte Erfolg eingetreten ist.“ Das tatbestandliche Verhalten dieses Delikts erschöpft sich nicht im schlichten Nichtzahlen der fälligen Sozialversicherungsbeiträge; das Vorenthalten ist vielmehr Folge der vorausgegangenen tatbestandsmäßigen Handlung“.

Der Erfolg knüpft an ein aktives Tun an und war schon nach bisheriger Rechtsprechung zu dem Zeitpunkt beendet, wenn zum Fälligkeitszeitpunkt die angefallenen Beiträge nicht gezahlt wurden, so dass nach bisheriger Rechtsprechung ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist begann. An dieser Einordnung hält der BGH nach wie vor fest.

Diese Entscheidung ist eine Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs. Diese Entscheidung ist mit den anderen Strafsenaten nicht abgestimmt. Es gibt zurzeit 5 Strafsenate. Diese Strafsenate haben eine unterschiedliche örtliche Zuständigkeit. Der 1. Strafsenat hat daher bei den anderen Senaten angefragt, ob dort an der alten Rechtsprechung festgehalten wird. Wenn sich die anderen Senate dieser Entscheidung anschließen, so wird diese Entscheidung rechtsverbindlich für alle Senate gelten. Sollten andere Senate an ihrer Entscheidung festhalten und die vorliegende Entscheidung des 1. Senats ablehnen, so wäre dies ein Fall, der nach § 132 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz dem Großen Strafsenat zur Entscheidung vorgelegt werden müsste.

§ 266a StGB lautet:

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber
1. der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2. die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.