Bürgernahe Polizeiarbeit vs. Private Sicherheitsdienste

Gemeinwohl vs. Entsolidarisierung?

 Von Andreas Beier, Hochschule der Polizei Baden-Württemberg

Aus dem Arbeitstitel resultierend ist dieser Beitrag didaktisch gegliedert. Nach der Konzeption der Fragestellung, wird in Vorüberlegung dargestellt, welche Relevanz bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland haben kann und was man unter privaten Sicherheitsdiensten subsumieren kann. In der Überschrift wird gefragt, ob bürgernahe Polizeiarbeit der Arbeit von privaten Sicherheitsdiensten entgegensteht (oder gar entgegenarbeitet) und ob bürgernahe Polizeiarbeit dem Gemeinwohl dient, während private Sicherheitsdienste zu einer Entsolidarisierung führen. In Zeiten, in denen die Entsolidarisierung als unumkehrbar oder gegeben wahrgenommen werden kann, hat Deutschland offensichtlich andere relevantere Probleme[2]. Der Begriff der Entsolidarisierung ist nicht eindeutig definierbar, da er drei unterschiedliche Ebenen[3] betrifft: 1.  die „ individuelle Entsolidarisierung, indem Einzelpersonen unter zweckwidriger Ausnutzung von Rechtsregeln oder unter bewusster Inkaufnahme von Rechtsverstößen sich Vorteile verschaffen.“[4], 2. die „kollektive Entsolidarisierung,“[5] und 3. die „kulturelle Entsolidarisierung, indem die normativen Grundlagen der Sozialstaatlichkeit in Frage gestellt werden und ein Recht der Stärkeren bzw. Leistungsfähigeren postuliert wird, deren Durchsetzungschancen im Rahmen verschärfter Verteilungskonflikte sich ohnehin deutlich vergrößert haben.“ Für diesen Beitrag ist die kulturelle Entsolidarisierung relevant, was am Ende dieses Beitrages deutlich wird.

 1 Fragestellung

Private Sicherheitsdienste können bürgernah sein – neben dieser Feststellung gilt auch die zweite, dass auch Wohlhabende Bürger[6] sind, ebenso als Postulat. In diesem Beitrag wird gefragt, ob durch den Einsatz und dem Wirken von privaten Sicherheitsdiensten bei Wohlhabenden, das „Gemeinwohl“ bestehen bleiben kann, obwohl eine Entsolidarisierung der Wohlhabenden erfolgt (da diese mehr Sicherheit haben können als andere)?[7] Geklärt werden müssen dazu die Begriffe 1. Gemeinwohl und 2. Wohlhabende, die quasi als gegensätzliche Pole dargestellt werden. In der Vorüberlegung erfolgt dezidiert eine Konzentration auf den für die Fragestellung relevanten Aspekt der bürgernahen Polizeiarbeit und auf die Präzisierung der relevanten Aufgaben und Tätigkeiten der privaten Sicherheitsdienste. Am Ende der Klärung der Begriffe Gemeinwohl und Wohlhabende wird jeweils eine Definition genannt und begründet, um ein Zwischenfazit zu ziehen.[8] Eine Antwort auf die Frage nach der Entsolidarisierung wird im Fazit durch die Beantwortung der Fragestellung gegeben oder, je nachdem wie sich dieser Beitrag entwickelt, auch weiter entwickelt. Die theoretische Grundlage ist demnach die in der Politikwissenschaft klassische Frage, nach dem besten Staate.

2 Bürgernahe Polizeiarbeit

Bürgernahe Polizeiarbeit kam in Deutschland ab Mitte der 1990er Jahre auf die politische und polizeiliche Agenda, aber bereits Ende der 1970er Jahre gab es sogenannte Kontaktbeamte der Polizei, die bewusst den Kontakt zur Bevölkerung suchten, indem sie den Bürgerinnen und Bürgern als direkte Ansprechpartner zur Verfügung standen, oder es wurden Jugendsachbearbeiter, Aufklärungsarbeit bei der Drogenproblematik oder bei der Jugendverkehrserziehung etabliert. Polizeiarbeit war ergo in Deutschland in den letzten 40 Jahren nicht bürgerfern. Die öffentlich ausgetragenen Diskussionen in den USA über die Zero-Tolerance Politik bei der Straftatenbekämpfung in den Großstädten der USA[9] führte zu einem Impuls in Deutschland, da – und dies kam in diesem Kontext quasi als Gegenpol hinzu – im gleichen Zeitraum Community Policing einem größeren Entscheidungsträgerkreis bekannt wurde. 1997 veröffentlichte das Bundeskriminalamt in Wiesbaden zu Community Policing den „Projektbericht des Bundeskriminalamtes zu den Erfahrungen in den USA“.[10] Der Streitpunkt dabei war, ist und bleibt erfahrungsgemäß, ob sich durch harte Gesetze die Kriminalität verringern lässt bzw. wie Polizeiarbeit konstruiert und konzipiert sein muss, damit keine Straftaten oder Ordnungsverstöße begangen werden. Im gleichen Zeitrahmen, ab Mitte/Ende der 1990er Jahre, wurden in Deutschland Diskussionen zu Sicherheitspartnerschaften zwischen der Polizei und den Kommunen angeregt und geführt. Diese waren auch geprägt von den in diesem Zeitraum quasi angelegten Modernisierungspfaden in der öffentlichen Verwaltung. Roth postulierte 1998: „Für die Öffentlichkeit muß allerdings klar sein, daß die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in erster Linie eine Aufgabe des Staates ist und die Städte insoweit keine vorranginge Verantwortung tragen.“[11] Konflikte waren im letzten Vierteljahrhundert auf der Ebene der politischen und polizeilichen Entscheidungsträger vorhanden. Bereits 1999 wurde die Frage gestellt: „People-Oriented Police Work in Germany – Much Ado about Nothing?“[12], wodurch ein grundsätzliches Problem in Deutschland deutlich wird: Es wird oftmals nicht rezipiert, dass Community in den USA nicht nur die Gemeinde, sondern auch die Gemeinschaft bedeutet. Woraus hiermit der Bezug zum Begriff Gemeinwohl, wie er im Arbeitstitel steht, abstrahiert wird. Die Diskussionen wurden und werden vielfältig geführt, beispielsweise, ob die Kommune öffentliche Sicherheit gewährleisten darf und welche verfassungsmäßigen, allgemein legitimatorischen oder praktischen Probleme dabei entstehen[13], welche Handlungsmöglichkeiten und Einschränkungen erkennbar sind[14] und vor allem, welche praktischen Erfahrungen es gibt. Die bürgernahe Daseinsvorsorge gemäß Art. 28[15] des Grundgesetzes postuliert: „Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“, worunter grundsätzlich die Versorgung mit Strom, Wasser, Straßen, Müllentsorgung usw. verstanden wird. Die Innere Sicherheit ist im Art. 28 des Grundgesetzes nicht ausdrücklich ausgeschlossen, die Entwicklungen im letzten Vierteljahrhundert haben aber gezeigt, dass die Gemeinden durchaus lokale Sicherheitspolitik (bisweilen auch als lokale Innenpolitik beschrieben) betreiben. Diese wird einerseits durch Sicherheitspartnerschaften mit den Organen der Inneren Sicherheit und/oder entsprechenden lokalen politischen Programmen in Form von Erlassen und Verordnungen, wie etwa durch restriktive Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit in der Öffentlichkeit (Alkoholverkaufsverbote, Waffentrageverbote, Verbot von Versammlungen usw.) als auch durch die Tätigkeit von privaten Sicherheitsdiensten praktiziert.

Die bürgernahe Polizeiarbeit umfasst nicht nur die Sicherheitspartnerschaften oder die jeweiligen politischen Programme und die daraus resultierenden kommunalen und polizeilichen Maßnahmen (oder Maßnahmen mit anderen Akteuren und Institutionen wie etwa Schulen), die im letzten Vierteljahrhundert initiiert worden sind, sondern diese kann oder sollte auch folgendermaßen klassifiziert werden: 1. Der aktive Schutz vor Straftaten und Ordnungsstörungen mit gleichzeitiger Präventions- und Aufklärungsarbeit, worunter die Sicherheit des Straßenverkehrs (Alkohol-, Geschwindigkeits-, Güterfernverkehrs-, Drogenkontrollen, Schulweg-, Rotlichtüberwachungen usw.), die Sicherheit auf öffentlichen Wegen und Plätzen oder besonders gefährdeten Plätzen (Personenkontrollen, Polizeipräsenz usw.) und der Schutz vor Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in und an anderen Örtlichkeiten (Kontrollen in Gaststätten oder Asylbewerberunterkünften, TWE-Streifen usw.), ist eine der Hauptaufgaben der Polizei. 2. Die Ansprechbarkeit der Polizei, per Telefon bei der örtlich zuständigen Polizeidienststelle bei Fragen, Mitteilungen über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten oder dem Anzeigen von solchen über das Internet und andere Medien (Internetwache, Informationen zur Straftatenvorbeugung wie etwa durch ProPK, Plakataktionen, Videos, Zeitungsanzeigen) oder persönlich (Fußstreife, Infostände, Jugendsachbearbeiter, Bezirks-, Postendienst-, Kontaktbeamte usw.) stellt eine grundsolide Basis für Bürgernähe dar. 3. Durch eine proaktive Öffentlichkeitsarbeit (Tag der offenen Tür, Nachwuchswerbung, Nutzung sozialer Medien usw.) und einer geänderten als positiv zu wertenden Öffentlichkeitsarbeit bei Großeinsätzen (polizeiliches Einschreiten und Handeln wird erklärt und begründet und nicht abgestritten oder dogmatisch konsistent stets als rechtskonform manifestiert) kann die Distanz zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern verringert werden. In diesem Beitrag erfolgt die Konzentration der bürgernahen Polizeiarbeit auf die Bereiche, die insbesondere Wohlhabende betreffen (Wohngebiete, Einkaufsörtlichkeiten, Verkehrswege usw.).

3 Private Sicherheitsdienste

Die erste Vorüberlegung betrifft zunächst die Frage, ob private Sicherheitsdienste bürgernahe Polizeiarbeit leisten können? Dies lässt sich nicht verneinen. Grundsätzlich können jede Dienstleistung und jedes Handeln eines Menschen bürgernah sein – je nachdem wie man bürgernah definiert. Ein Arzt handelt bürgernah, wenn er adäquate Sprechzeiten (für Berufstätige, Schülerinnen und Schüler usw.) in seiner Praxis anbietet. Ein Metzger handelt bürgernah, wenn er für alle gesellschaftlichen Schichten bezahlbare Preise für seine Wurst- und Fleischwaren hat. Und eine Behörde ist bürgernah[16], wenn die Belange, die Sorgen und Nöte der Bevölkerung erkannt werden, im Sinne des Gemeinwohls und des Einzelnen berücksichtigt und zeitnah beantwortet oder gelöst werden[17]. Die Forschungsliteratur zu privaten Sicherheitsdiensten ist umfangreich.[18] In den USA gründete in den 1840er Jahren Allen Pinkerton[19] das erste private US-amerikanische Sicherheitsunternehmen in Chicago, das auch als erste Detektei bezeichnet wird. Aus den USA ist vor allem das private Sicherheitsunternehmen Blackwater USA[20] durch sein negatives Wirken im Irakkrieg bekannt. Die rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten privater Sicherheitsdienste sind in den USA nicht nur aufgrund verfassungsmäßiger, kultureller, rechtlicher oder oder sozialer Gründe umfangreicher, sondern eben auch aufgrund deren Historie, was auch Auswirkungen auf das Community Policing hat.

In Deutschland sind private Sicherheitsdienste seit mehreren Jahrzehnten tätig, bei Fußballspielen, Konzerten oder anderen Großveranstaltungen, deren Aufgaben und Tätigkeitsgebiete sind jedoch vielseitiger und sollen folgendermaßen kategorisiert werden[21]: 1. Tätigkeiten und Aufgaben ohne bzw. mit geringem Gefährdungs-/Gewaltpotential (dazu gehören beispielsweise Faschingsumzüge, geschlossene Veranstaltungen [etwa von Parteien], kleine Konzerte, Überwachungs- und Schließdienste, Streifentätigkeiten, Pfortendienste usw.). 2. Tätigkeiten und Aufgaben mit einem höherem Gefährdungs- und Gewaltpotential für die Akteure und auch die Mitarbeitenden der privaten Sicherheitsdienste (dies sind etwa Konzerte, bei denen übermäßig Alkohol und Drogen konsumiert werden, Parteiveranstaltungen mit einem vorhersehbaren Konfliktpotential [beispielsweise durch störender Akteure und/oder Institutionen], größere Volksfeste usw.). 3.Tätigkeiten und Aufgaben mit einem erfahrungsgemäß hohen Gefährdungs- und Gewaltpotential (wie etwa bei Einlasskontrollen in Diskotheken, bei konfliktbehafteten Demonstrationen von Extremisten, in Asylbewerberheimunterkünften oder bei Streifentätigkeiten an gefährdeten Orten (wie etwa im Bereich des Bahnverkehrs). Logischerweise erfolgt am Ende dieser zweiten Vorüberlegung die Präzisierung des Tätigwerdens von privaten Sicherheitsdiensten auf diejenigen, die Wohlhabende betreffen (Wohngebiete, Einkaufsörtlichkeiten, Verkehrswege usw.). „Der Beitrag des Sicherheitsgewerbes zur Kriminalprävention“[22] wird zudem seit zwei Jahrzehnten durchaus auch untersucht und diskutiert, womit deren Beitrag für das Gemeinwohl offensichtlich vorhanden ist.

4 Gemeinwohl

Gemäß dem Art. 20 des Grundgesetzes ist „Die Bundesrepublik Deutschland (…) ein (…)  sozialer Bundesstaat.[23]“ Ein sozialer Bundesstaat gewährleistet das Gemeinwohl. Sowohl politisch als auch soziologisch wird mit Gemeinwohl „das Gemein- oder Gesamtinteresse einer Gesellschaft, das oft als Gegensatz zum Individual- oder Gruppeninteresse gesetzt wird,“[24] bezeichnet. „Dabei wird i. d. R. übersehen, dass in pluralistischen, offenen Gesellschaften die konkrete inhaltliche Bestimmung des Gemeinwohls immer von den Interessen und Zielen derjenigen abhängig ist, die sich auf das Gemeinwohl berufen und das Gemeinwohl bestimmen (wollen) und/oder derjenigen, denen die Verwirklichung des Gemeinwohl nutzt.“[25] Des Weiteren besteht das Konfliktfeld, „ob sich das jeweils konkrete Gemeinwohl lediglich als Summe der individuellen Interessen ergibt oder ob es eine eigene spezifische Qualität hat und (…) ob erst rückblickend (…) oder bereits vorher (…) festgestellt werden kann, ob ein konkretes Vorhaben dem Gemeinwohl tatsächlich dient.“[26] Es gab und gibt bürgernahe Polizeiarbeit, deren Facetten sich an verschiedene gesellschaftliche Schichten oder Individuen richten. Und logischer- und konsequenterweise orientiert sich die bürgernahe Polizeiarbeit somit an den Erfordernissen des Gemeinwohls (dass beispielsweise Kriminalprävention oder die Strafverfolgung adäquat erfolgt), denn auch wenn nicht alle Gesellschaftsschichten oder individuelle Interessen direkt von bürgernaher Polizeiarbeit profitieren, so haben die meisten Individuen in Deutschland ein Interesse daran, dass die Innere Sicherheit in Deutschland gewährleistet wird. Für eine nicht geringe Zahl an Individuen in Deutschland muss dieses Interesse zwar verneint werden – dies betrifft die Organisierte Kriminalität, individuelle Einzeltäterinnen und Einzeltäter von Straftaten (von denen es Millionen in Deutschland gibt), Anarchisten (insbesondere im Linksextremismus sind diese vorhanden), Reichsbürger (die die BRD nicht anerkennen) oder sogenannte Aussteiger aus der Zivilisation – aber da sich die Fragestellung auf die Folgen einer möglichen Entsolidarisierung durch Wohlhabende bezieht und der eben genannte Personenkreis aufgrund seines Verhaltens sowieso nicht an einer Gewährleistung der Inneren Sicherheit interessiert ist, bleibt diese Feststellung im Grunde obsolet.

Als dritte Entwicklung Mitte/Ende der 1990er Jahre wurden – neben Community Policing bzw. bürgernaher Polizeiarbeit und dem Anlegen von Modernisierungspfaden in der öffentlichen Verwaltung – Diskussionen zum Gemeinwohl geführt[27]. Die Frage, ob „die Postmoderne nur ein Zwischenspiel“[28] war, wurde auch begleitet (nicht im eigentlichen Sinne auf intellektueller Ebene) von der Frage nach der Entwicklung der Zivilgesellschaft in Deutschland. Rund zehn Jahre nach der Wiedervereinigung wurde diesbezüglich neues Terrain beschritten, banal formuliert, es entstand die Frage, wohin sich die (Zivil-)Gesellschaft in Deutschland entwickelt. Der Kommunitarismus kam in den deutschen Sprachgebrauch, „Die faire Gesellschaft“[29] oder „Die Entdeckung des Gemeinwesens“[30] wurden diskutiert. Bürgernahe Polizeiarbeit verlangte schließlich auch, die Beteiligung der Gemeinschaft, um sich gegen den Individualismus zu wenden und den Lebensbereich der lokale Sicherheitspolitik auch in die Teilverantwortung der Zivilgesellschaft zu transferieren. Klassischerweise waren und sind an den Runden Tischen rundum[31] entsprechende Vertretende diverser staatlicher und (zivil)gesellschaftlicher Bereiche beteiligt.

Das Platzen der dotcom-Blase 2000, die Anschläge vom 11. September 2001, die Angriffskriege bzw. militärischen Interventionen der USA auf Afghanistan 2001 und den Irak 2003 verdeutlichten jedoch, dass es wesentlichere Aufgaben in Deutschland gab als sich mit dessen gesellschaftlicher Entwicklung zu beschäftigen. Da postmodernes Denken und Handeln das Schwinden von Solidarität oder traditioneller kultureller Bindungen verstärkt und dabei das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft sich ebenso verringert, verstärkte sich in diesem Jahrtausend die Atomisierung und Fragmentierung in Deutschland rapide. Die Anzahl der im Bundestag und in den Deutschen Landtagen vertretenden Parteien[32] ist ein Beweis dafür, ohne zusätzlich Sinus-Studien oder weitere diesbezügliche Umfragen zitieren zu müssen, denn auch ohne wissenschaftliche Studien wird beim Lesen von Tageszeitungen  oder in Nachrichtenportalen im Internet oder beim Anschauen von TV-Reportagen diese Entwicklung deutlich. Das Gemeinwohl ist veränderlich und demnach abhängig von dem was, der Staat, die Gesellschaft und die Bürger machen. Durch die weiteren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in der Welt, in Europa und Deutschland[33] in den letzten eineinhalb Jahrzehnten, hat sich eine noch größere Anzahl von gesellschaftlichen Gruppe und fragmentierten Individualinteressen ergeben. Und das Gemeinwohl spielt in der Gesellschaft in Deutschland eine immer geringere Rolle, wobei gleichzeitig die Individualinteressen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ an Relevanz gewinnen.

Die oben gemachten Erläuterungen und Beispiele wären auch verzichtbar gewesen. Eine Nennung der Zahlen des Jahres 2002 hätte genügt: In Deutschland gelten mittlerweile (je nach Armutsdefinition) rund 15 Millionen Menschen als arm. Im August 2022 gibt es 960 Tafeln in Deutschland. Die Zahl der Menschen „ohne Arbeit oder mit zu wenig Arbeit[34] kann bei etwa 9 Millionen Menschen beziffert werden. Nur noch etwa knapp 23 Millionen Menschen haben ein Einkommen, von dem sie auch ihren Lebensunterhalt und dem ihrer Angehörigen bestreiten können. Altersarmut, ein Mindestlohn, von dem man nicht leben kann, oder steigende sozialer Unmut, sind nur drei weitere Stichworte, um das Dilemma in Worte zu fassen, indem sich Deutschland befindet. Der Wohlfahrtsstaat wurde einerseits erheblich reduziert, andererseits, wie sich aktuell zeigt, versucht die Bundesregierung mit dem Gießkannenprinzip, die aus offensichtlich in den letzten 25 Jahren fehlgeleiteter politischer Maßnahmen entstandenen sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Defizite und Probleme großer Teile der Bevölkerung Deutschlands abzumildern. Im Umkehrschluss kann auch hierbei die Frage „Much Ado about Nothing?“ durchaus bejaht werden. Gemeinwohl mag in den letzten Jahrzehnten in der Politikwissenschaft oder der Politik ebenso relevant gewesen sein wie Zivilgesellschaft oder andere gleichgelagerte Facetten (Kommunitarismus, Fairness, Gemeinwesen usw.), unabhängig davon, ob es sich um Abstraktionen, intellektuelle Diskussionen oder praktische Konflikte wie auch um bundes-, landes- oder kommunalpolitische Programme und Maßnahmen handelte. Der Status quo 2022 ist ernüchtern. Bürgernahe Polizeiarbeit wird unterschiedlich definiert und praktiziert, unbeabsichtigt erfolgt im schlimmsten Falle eine Segregation und Stigmatisierung von den sozial schwachen Gesellschaftsschichten. Bürgernahe Polizeiarbeit diente aber stets dem Gemeinwohl.

Als Zwischenfazit wird daher Gemeinwohl folgendermaßen definiert: Bürgernahe Polizeiarbeit dient dem Gemeinwohl, da dadurch das Gesamtinteresse der Gesellschaft in Deutschland auf Gewährleistung der Inneren Sicherheit, erreicht oder gewährleistet werden kann, und Innere Sicherheit kann auch von privaten Sicherheitsdiensten für diejenigen angeboten werden, die das Gemein- oder Gesamtinteresse einer Gesellschaft nicht als wesentlich bewerten, sondern ihre Individualinteressen.

Pluralismus verbietet schließlich nicht, dass Individuen (Wohlhabende) andere Partikularinteressen haben als die Gesellschaft, aber die Gewährleistung der Inneren Sicherheit (Kriminalprävention oder Strafverfolgung) ist im Interesse der Bevölkerung, von Nicht-Wohlhabenden und von Wohlhabenden.

5 Wohlhabende

Wenn Entsolidarisierung von allen Wohlhabenden in Deutschland praktiziert werden würde, hätte dies  gravierende Folgen für das Gemeinwohl[35]. Banal formuliert würde dann gelten: Es muss gewährleistet werden, dass Wohlhabende in Deutschland bleiben. Einerseits, um dem Staat die erforderlichen Steuereinnahmen für dessen Leistungen an Nicht-Wohlhabende zu gewährleisten und andererseits, um die weitere Leistungen der Wohlhabenden für die Gesellschaft[36] zu erhalten. Der Begriff Wohlabende wird oft mit dem Begriff Reiche gleichgesetzt. Die Merkmale, wann ein Individuum finanziell betrachtet als reich gilt, sind unterschiedlich. Das mittlere Vermögen eines Erwachsenen in Deutschland betrug in den letzten fünf Jahren rund 35.000 Euro (damit ist nicht das jährliche Einkommen gemeint), was aber nichts über die Vermögensverteilung aussagt, also wer und wie viele Individuen tatsächlich über mindestens 35.000 € verfügen. Unterschiedliche Berechnungen definieren dann Vermögensreichtum ab dem Doppelten oder dem Mehrfachen des durchschnittlichen Vermögens, diese Zahlen können auch eine Bandbreite haben, um Wohlhabende zu definieren, so werden Wohlhabende beispielsweise in einem Bericht

der Sparkasse folgendermaßen eingegrenzt: „Nettovermögen 126.000 Euro bis eine Million Euro“.[37] Des Weiteren gibt es den Begriff der Vermögensmillionäre, dabei gilt für 2022: „In Deutschland gehören inzwischen 1,63 Millionen Menschen zu den Personen, die über ein anlagefähiges Vermögen von mindestens einer Million Dollar verfügen. Rund 100.000 Menschen stiegen hierzulande in diesen Bereich auf.“[38] Und schließlich gibt es die Milliardärinnen und Milliardäre, „138 Milliardäre zählt Deutschland im Jahr 2021.“[39] Über die Verantwortung der Reichen wurde unlängst noch diskutiert als gefordert wurde, dass reiche Länder, armen Ländern kostenlos Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung stellen sollen bzw. müssen. Gemäß dem Art. 14[40] des Grundgesetzes gilt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Zudem gilt aber auch, dass es keine Verpflichtung des Einzelnen und somit auch des oder der Wohlhabenden gibt, sich mit seinem Vermögen um das Gemeinwohl oder um Individuen zu kümmern[41] – dies ist die alleinige Aufgabe des Staates gemäß dem Sozialstaatsprinzip. Durchaus gab es im letzten Vierteljahrhundert in Deutschland eine Entsolidarisierung, oben wurden Beispiele genannt, die aber nicht nur von Wohlhabenden ausgehen, sondern von allen Gesellschaftsschichten. Die Frage, ob sich Wohlhabende von der Gesellschaft entsolidarisieren, kann nicht beantwortet werden. Diese zahlen Steuern, leisten weiterhin Spenden oder sind als Unternehmerinnen und Unternehmen für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen sowie für den Wirtschaftsstandort Deutschland verantwortlich. Nicht relevant ist auch, wie der Begriff Wohlhabende (also ab welchem finanziellen Vermögensbetrag) definiert ist, wenn man davon ausgeht, dass es Wohlhabende gibt, die sich private Sicherheitsdienste leisten können, etwa bei der Bestreifung bzw. Überwachung ihres Wohngebietes, bei Sicherheitsaufgaben in von Wohlhabenden frequentierten Einkaufsörtlichkeiten oder bei der Überwachung und Sicherung von Verkehrswegen, die von Wohlhabenden genutzt werden (Personenschutzmaßnahmen). Ungerecht ist dies nicht, denn auch Nicht-Wohlhabende haben die Möglichkeit, private Sicherheitsdienste in Anspruch zu nehmen, eben diejenigen, die auch für sie ohne Kosten angeboten werden, oben sind diesbezüglich zahlreiche genannt. Die zwei unabhängigen Variablen Wohlhabende und private Sicherheitsdienste haben zwar einen Einfluss auf die Innere Sicherheit und demnach das Gemeinwohl, wie intensiv (positiv oder negativ) dieser ist, muss an dieser Stelle aber nicht geprüft sein, da es in diesem Beitrag um die Frage nach der Entsolidarisierung geht.

Als zweites Zwischenfazit wird daher folgende Definition formuliert: Wohlhabende sind Individuen, die es sich leisten können mehr oder öfters private Sicherheitsdienste in Anspruch nehmen und dadurch gegenüber Nicht-Wohlhabenden einen demokratietheoretischen und auch tatsächlichen Vorteil haben, indem ihnen auch mehr oder eine optimalere Innere Sicherheit zukommt. Sofern sich Wohlhabende aber nicht entsolidarisieren (beispielsweise keine Steuern im Inland zahlen oder sich individuell entsolidarisieren), stellt dies in der pluralistischen Demokratie Deutschlands kein Problem dar.

Fazit: Grundprinzipien der Demokratie gelten für alle

Eventuell kam beim Lesen dieses Beitrages die Frage auf, warum die Mehrzahl der Quellen und Quellenverweise älter ist, obwohl es doch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Untersuchungsebenen der bürgernahen Polizeiarbeit und den privaten Sicherheitsdiensten gibt? Die Quellenverweise zur bürgernahen Polizeiarbeit waren in diesem Beitrag bewusst aus den Jahren der ersten Diskussionen darüber in Deutschland, die vor über einem Vierteljahrhundert begonnen haben. Ob sich die grundsätzlichen Denkstrukturen und die Erfolgsdeterminanten (wenn man Kriminalprävention oder Strafverfolgung als Untersuchungsebenen definiert) seitdem geändert haben, bleiben dann fraglich, wenn man die Ergebnisse dieses Beitrages dazu in Korrelation stellt. Wie bereits oben geschrieben, haben sich die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland in den letzten 25 Jahren signifikant, wenn nicht gar epochal geändert. Das Gemeinwohl hat eher gelitten als dass es sich verbessert hat, allen Diskussionen, politischen (Lippen-)Bekenntnissen oder politikwissenschaftlicher Untersuchungen entgegenstehend. Fakt ist, dass der Anstieg der Kriminalität, die Diversifizierung der Kriminalitätsbelastung durch neuere Phänomene (Internet, Gewalt im Sozialen Nahraum in oder seit der der Coronakrise, Migrationskriminalität wie Schlepperei, BOK, Extremismus, Islamismus usw.) oder ein qualifiziertere Kriminalitätsfurcht bzw. die Furcht vor unvorhergesehenen Ereignissen (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Armut, Krieg, Wetterextreme, Gewalt usw.) innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts das Gemeinwohl verschlechterten.

Grundsäulen bzw. -prinzipien der Demokratie wie das Gemeinwohl oder das Sozialstaatsprinzip werden nicht zwingend dadurch eingeschränkt, wenn private Sicherheitsdienste im Bereich der Inneren Sicherheit oder der lokalen Sicherheitspolitik tätig werden. Pluralismus, als weiteres Grundprinzip, bedeutet schließlich: Durchaus können private Sicherheitsdienste einen positiven Beitrag zur Inneren Sicherheit, zur Kriminalprävention, zur Strafverfolgung oder ganz allgemein auch zur Bürgernähe leisten. Bürgernähe als solche festigt schließlich auch die strukturelle Gemeinschaft, bildet Möglichkeiten zur Etablierung zivilgesellschaftlicher Strukturen oder bietet Platz für neuere Denkansätze wie dem Kommunitarismus. Aber nur, wenn sie auch tatsächlich realisiert werden. Bürgernahe Polizeiarbeit orientiert sich grundsätzlich nicht an den Wohlhabenden, diese haben genug Ressourcen, um für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Einerseits durch den Wohnort, an dem weniger Straftaten oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stattfinden, andererseits, da sie über die finanziellen Mittel verfügen, das eigene Eigentum durch technische Mittel zu überwachen und zu schützen. Hinzu kommen weitere Faktoren, wie etwa, dass Wohlabende über die Möglichkeit verfügen, nicht öffentliche Verkehrsmittel benutzen zu müssen (an Bahnhöfen finden beispielsweise statistisch gesehen zahlreiche Straftaten statt), oder sich sogar einen Personenschutz leisten zu können (auch wenn nicht unbedingt ein besonderes Gefährdungspotential vorhanden sein muss).

Eine kulturelle Entsolidarisierung[42], bei dem Wohlhabende durch die Inanspruchnahme privater Sicherheitsdienste Verteilungskonflikte (mehr oder qualitativere Innere Sicherheit) verursachen, kann nicht bejaht werden. Durch den Einsatz und dem Wirken von privaten Sicherheitsdiensten bei Wohlhabenden kann das Gemeinwohl bestehen bleiben. Die dem Gemeinwohl dienende bürgernahe Polizeiarbeit ist im Gesamtinteresse der Gesellschaft in Deutschland, Innere Sicherheit soll erreicht oder gewährleistet werden. Innere Sicherheit, die von privaten Sicherheitsdiensten für Wohlhabende geleistet wird, steht nicht den Gemein- oder Gesamtinteresse der Gesellschaft in Deutschland entgegen. Wohlhabende, die sich nicht entsolidarisieren, haben nicht nur einen demokratietheoretischen, sondern auch einen tatsächlichen Anspruch auf die Inanspruchnahme von privaten Sicherheitsdiensten – im Übrigen genauso, wie sie eine private Krankenversicherung in Anspruch nehmen dürfen. Wenn das Grundgesetz primär das Individuum schützt und erst danach das Gemeinwesen, dann ist auch der Wohlhabende und dessen Inanspruchnahme privater Sicherheitsdienste geschützt. Die eingangs gestellte Fragestellung (siehe oben), „ob durch den Einsatz und dem Wirken von privaten Sicherheitsdiensten bei Wohlhabenden, das ‘Gemeinwohl‘ bestehen bleiben kann, obwohl eine Entsolidarisierung der Wohlhabenden erfolgt“, war bewusst nicht neutral formuliert, um die immer wieder festzustellenden nicht wertfreien Diskussionen über Wohlhabende bewusst zu machen.

Auch Wohlhabende sind Individuen, für die die Grundrechte gelten. Die Fragestellung wurde daher nicht beantwortet bzw. im Grunde nicht bearbeitet, denn festgestellt wurde, dass gerade keine Entsolidarisierung der Wohlhabenden erfolgt. Dies hätte auch der didaktischen Gliederung und der daraus resultierenden logischen Denkabläufen widersprochen. Und damit wäre auch die klassische Frage, ob der beste Staate[43] auch dann vorhanden ist, wenn Wohlhabende mehr oder eine qualitativere Innere Sicherheit in Anspruch nehmen als Nicht-Wohlhabende, beantwortet. Und dies wird auch dann gelten, wenn in einem Jahrzehnt in Deutschland immer mehr Gated Communities[44] entstehen, die durch private Sicherheitsdienste bewacht und für Außenstehende (Nicht-Wohlhabende) abgeschlossen sind.


[1] Magister-, Internationaler Master-, Diplom(FH)-Abschluss, seit 2006 Lehrbeauftragter/Dozent in der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg.

[2] Zu nennen sind beispielsweise die wirtschaftlichen Strukturveränderungen Deutschlands in zahlreichen Industriebranchen (Maschinenbau, Automobilindustrie, Energiesektor usw.), die Belastungen der Sozialsysteme durch die Migration nach Deutschland seit 2014 oder die desolaten Haushaltslagen des Bundes, der Länder und der Kommunen, die neuerdings durch Euphemismen wie „Sondervermögen der Bundeswehr“ oder durch Nichtberücksichtigung von Schulden (z. B. von der Kreditanstalt für Wiederaufbau) bei der Aufstellung der Staatsverschuldung kaschiert werden.

[3] Die nachfolgende Auflistung erfolgt gemäß Anhut, Reimund/Heitmeyer, Wilhelm: Folgen gesellschaftlicher Entsolidarisierung. In: Bremer, Helmut/Lange-Vester, Andrea (Hrsg.): Soziale Milieus und Wandel der Sozialstruktur. Die gesellschaftlichen Herausforderungen und die Strategien der sozialen Gruppen, 2006, S. 141 (kursiv jeweils i. Orig.). Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer veröffentlichte bereits 2010 Ergebnisse des Forschungsprojekts „Deutsche Zustände“ zur Entsolidarisierung, die keinen Grund für Optimismus verbreiteten: „Immer mehr sind davon überzeugt, dass wir uns Gerechtigkeit, Solidarität und Fairness für alle nicht länger leisten können. Die Vorstellung von der Gleichwertigkeit der Menschen ist offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr.“ (Artikel vom 24. März 2010, https://www.boell.de/de/demokratie/demokratie-entsolidarisierung-heitmeyer-deutsche-zustaende-8883.html, Zugriff: 20.8.2022)

[4] Cum-Ex-Geschäfte, unberechtigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen, Betrügereien bei der Abrechnung von Corona-Tests und Ähnliches kann man aktuell für 2022 darunter subsumieren.

[5] Streikmaßnahmen von Gewerkschaften, deren Mitglieder elementaren Einfluss auf die Öffentlichkeit haben (Luftverkehr, Bahnverkehr), wenn die grundsoliden Verfahrensweisen einer restriktiven Konfliktaustragung durch eine Dynamisierung nicht mehr eingehalten werden, kann man in den letzten Jahren darunter subsumieren.

[6] Der Begriff „bürgernah“ wurde wokekonform offensichtlich noch nicht gegendert, weshalb an dieser Stelle auch die Bezeichnung Bürger adäquat ist.

[7] In diesem Beitrag geht es ergo nicht um den Einsatz privater Sicherheitsdienste in Kommunen bzw. um deren grundsätzliche Einsetzbarkeit und daraus resultierender möglicher Konflikte, wie etwa deren Fehlverhalten, der rechtlichen Restriktionen, bürokratischer Hemmnisse oder dergleichen.

[8] Dies ist eine Vorgehensweise die in (politikwissenschaftlichen) Aufsätzen selten oder nicht angewendet wird (der üblicherweise in derartigen Aufsätzen zunächst genannten Definition folgt in der Regel deren Einordnung in den Untersuchungsgegenstand, um bei der Bearbeitung einer Fragestellung daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen), sie ermöglicht aber eine stringentere Bearbeitung der Fragestellung, da bei dem gewählten Aufsatzthema die einzelnen Ebenen 1. Theorie (Gemeinwohl), 2. Praxis (Wohlhabende), 3. der eigentliche Untersuchungsgegenstand (private Sicherheitsdienste) und 4. die Fragestellung (Entsolidarisierung) in Form von zwei unabhängigen Variablen (Wohlhabende; private Sicherheitsdienste) und zwei abhängigen Variablen (Gemeinwohl; Entsolidarisierung) systemimmanent sind.

[9] Die Beiträge zu den Großstädten in den USA (insbesondere zu New York), waren damals schon vielfältig und von diversen Institutionen oder Autorinnen und Autoren, wie etwa Greene, Judith A.: Zero Tolerance: A Case Study of Police Policies and Practices in New York City, Crime & Delinquency, April 1999/2, S. 171-187; Amnesty International: United States of America: Police brutality and excessive force in the New York City Police Department. 1996, 26. Juni, Index Number: AMR 51/036/1996. Online: https://www.amnesty.org/en/documents/AMR51/036/1996/en/ (Zugriff: 20.8.22); Prätorius, Rainer: Die Gemeinschaft und ihre Verbrecher, Neue Wege der Kriminalitätskontrolle in den USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. 1998/48, B19, S. 21-32.

[10] Vorgelegt wurde dieser von Bässmann, Jörg/Vogt, Sabine, in BKA-Forschung: Bundeskriminalamt, Kriminalistisch-kriminologische Forschungsgruppe (Hrsg.).

[11] Roth, Petra: Sicherheits-Partnerschaften. Zusammenarbeit von Polizei und Kommune – das Beispiel Frankfurt am Main. In: Polizei-heute, 1998/5, S. 169 (Roth [CDU] war von 1995 bis 2012 Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main) und von 1997 bis 1999, 2002 bis 2005 und 2009 bis 2011 Präsidentin des Deutschen Städtetags.

[12] In: BKA: Research and Development – Report on Current Project Work -, Wiesbaden, Okt. 1999, S. 1. Der Artikel ist auch in deutscher Sprache erhältlich, wobei dieser mit „Bürgernahe Polizeiarbeit“ tituliert ist. Dies ist irritierend, denn „Bürgernahe Polizeiarbeit“ ist etwas Anderes als „Bürgerorientierte Polizeiarbeit“.

[13] Siehe zur Einordnung der damals entstandenen Diskussionen und politischen Prozesse, beispielswiese Prätorius, Rainer (Hrsg.): Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent. Baden-Baden, 2002.

[14] Dies wird etwa bei Frevel, Bernhard (Hrsg.): Handlungsfelder lokaler Sicherheitspolitik: Netzwerke, Politikgestaltung und Perspektiven. Frankfurt, 2012, deutlich.

[15] Abs. 2, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_28.html (Zugriff: 22.8.22)

[16] Wenn nach der Zufriedenheit und Funktionsweise in der Demokratie in Deutschland gefragt wird, ist die Frage nach der „Bürgernähe der Parteien“ bzw. „der Bürgernähe der Politik“ wesentlich. Die Umfragewerte ergeben oft nicht ausreichende oder gar mangelhafte Bewertungen der Bürger, vgl. dazu z. B. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/166074/umfrage/grad-der-zufriedenheit-mit-den-einzelnen-aspekten-der-demokratie-in-deutschland/; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/723409/umfrage/kuemmern-der-politik-um-die-belange-der-buerger-in-deutschland/ (Zugriff: jeweils 22.8.22). Umfragen zur Bürgernähe bzw. Bürgerfreundlichkeit der Polizei gibt es zahlreiche, wissenschaftlich fundiert wurden diese ab etwa Ende der 1980er Jahre, wie etwa bei Polizeipräsidium München. Zentraler Psychologischer Dienst (Hrsg.): Bürgerfreundlich? Eine empirische Untersuchung zum Verhältnis Bürger – Polizei und zum polizeilichen Berufsbild in München. München, 1988 (vgl. dazu u. a. die Grafik auf der S. 44).

[17] Ein aktuell bekanntes Negativbeispiel, bei dem nicht bürgernah gehandelt wurde, ist das als beschämend zu wertende Verhalten der Politikverantwortlichen bei und nach den Überschwemmungen vom 14. bis 17. Juli 2021 im Landkreis Ahrweiler (Rheinland-Pfalz), zum Nachteil zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, wie im rheinland-pfälzische Untersuchungsausschuss „Flutkatastrophe“ oder beim als peinlich zu wertenden Rücktritt vom 11. April 2022 der damals zuständigen Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität, Anne Spiegel, deutlich wurde.

[18] Die Veröffentlichungen sind auch vielfältig, exemplarisch zu nennen sind beispielsweise der Straßenverkehr (Mohrdieck, Inga: Privatisierung im Bereich öffentlicher Verkehrsräume. Verkehrsüberwachung und Sicherung des öffentlichen Raumes durch Sicherheitsdienste, in: Stober, Rolf [Hrsg.]: Recht des Sicherheitsgewerbes, Köln 2004), juristische Grundsatzfragen für Akteure (Bueß, Peter: Private Sicherheitsdienste. Zur Tätigkeit freier Unternehmer auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Stuttgart, 1997) oder die Grundlagen privater Sicherheitsdienste in anderen Staaten, wie etwa der Schweiz (Gamma, Marco: Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung polizeilicher Gefahrenabwehr, Bern, 2001) oder in deutschen Städten (Kirsch, Benno: Private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum. Formen und Folgen der Zusammenarbeit mit der Polizei in Berlin und Frankfurt am Main, Wiesbaden, 2003). Bei allen vier Veröffentlichungen handelt es sich um Dissertationen. Zu nennen ist auch Lützenkirchen, H.-Georg/Nijenhuis, Herman: Polizei und Private Sicherheitsdienste in Europa. Ein Beitrag zur verfassungs- und standespolitischen Diskussion in den Ländern der Europäischen Union. Bad Honnef, 1998, oder Kuhlmey, Marcel/Öxle, Christoph: Praxishandbuch Security, Stuttgart, 2015.

[19] Pinkerton war ein Büttner aus Schottland, der 1842 in die USA immigrierte, dort auch zunächst in diesem Beruf arbeitete und danach zu Ansehen gelang, da er u. a. im Bürgerkrieg als Leiter des Nachrichtendienstes der Unionsstaaten für diese hilfreich agierte. Die Quellen sind nicht alle eindeutig zu verifizieren, sein Wirken auf die Entstehung privater Sicherheitsdienste, Detekteien und Nachrichtendienste, ist jedoch offensichtlich. Vgl. dazu u. a. Mohrdieck, S. 25; https://www.thoughtco.com/allan-pinkerton-and-his-detective-agency-104217; http://www.trutv.com/library/crime/gangsters_outlaws/cops_others/pinkerton/1.html; https://en.wikipedia.org/wiki/Allan_Pinkerton#After_the_war (Zugriff: jeweils 22.8.22).

[20] Es handelt sich um das größte US-amerikanische private Sicherheits- und Militärunternehmen, es firmiert seit 2014 unter Triple-Canopy mit weltweit über 20.000 Mitarbeitenden.

[21] Bei Kuhlmey/Öxle, S. 7, sind dahingegen insgesamt 14 unterschiedliche Aufgabenfelder privater Sicherheitsdienste aufgelistet, die in jeweils einem kurzen Unterkapitel beschrieben sind und für die die jeweilige Mindestqualifikation genannt ist.

[22] Stober, Rolf (Hrsg.): Recht des Sicherheitsgewerbes. Der Beitrag des Sicherheitsgewerbes zur Kriminalprävention. Bestandsaufnahme, Problemfelder, Lösungswege. Köln, 2002 (Tagungsband).

[23] Abs. 1, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20.html (Zugriff: 22.8.22).

[24] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17540/gemeinwohl/ (Zugriff: 22.8.22).

[25] Ebd.

[26] Ebd. Auch die Definitionen bei Nohlen, Dieter/Grotz, Florian (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung Bonn, Schriftenreihe Band 1145, Bonn, 2011, S. 202-206, ist wie auch in anderen politikwissenschaftlichen Lexika im Grunde kongruent bei den Hauptaussagen, weshalb auf weitere Quellenverweise verzichtet wird.

[27] Vgl. dazu beispielsweise Aleman, Ulrich von/Heinze, Rolf G./Wehrhöfer, Ulrich (Hrsg.): Bürgergesellschaft und Gemeinwohl. Analyse. Diskussion. Praxis. Opladen, 1999 oder Bukow, Wolf-Dietrich/Ottersbach, Markus (Hrsg.): Die Zivilgesellschaft in der Zerreißprobe. Wie reagieren Gesellschaft und Wissenschaft auf die postmoderne Herausforderung? Opladen, 1999.

[28] Wolfrum, Edgar: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, München, 2006, S. 416.

[29] Etzioni, Amitai: Die faire Gesellschaft. Jenseits von Sozialismus und Kapitalismus. Frankfurt am Main, 1997.

[30] Etzioni, Amitai: Die Entdeckung des Gemeinwesens. Das Programm des Kommunitarismus. Frankfurt am Main, 1998.

[31] Dieses Wortspiel ist durchaus nicht polemisch gemeint, denn die Beteiligten setzten sich quasi im Optimalfall gleichberechtigt um die zu lösenden Probleme (soziale Brennpunkte, Drogenproblematik, Angst- und Gefahrenräume usw.) herum, was ein wesentliches Element der Demokratie darstellt (Volksherrschaft).

[32] Im August 2022 sind dort insgesamt 12 diverse Parteien mit mindestens zwei Parlamentariern vertreten. Die Parlamentarier aus Deutschland von den sieben kleineren Parteien im Europäischen Parlament sind dort im Grunde nur wegen der geänderten Sperrklausel von fünf auf ein Prozent seit 2014.

[33] Die US-Immobilienkrise 2006 und der darauf folgenden weltweiten Bankenkrise 2007 mit der Lehman-Pleite 2008 und der globalen Wirtschaftskrise 2009, die Griechenlandkrise 2010 mit der diese intensivierenden Euro-Schuldenkrise 2011, die 2014 beginnenden Migrationsbewegungen nach Europa mit der Flüchtlingskrise 2015, das Brexit-Referendum 2016 mit dem folgenden Austritt Großbritanniens aus der EU, die Corona-Krise 2020 mit der folgenden weltweiten Wirtschaftskrise, die 2021 begonnene Inflationskrise und der Ukraine-Krieg 2022 verdeutlichen dies.

[34] Bis 2015 wurde diese einmal im Jahr von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg erfasste Zahl zur Verfügung gestellt, dies waren in letzten Jahre vor 2015 jährlich zwischen 6,2 und 6,7 Millionen Menschen. Aufgrund der Migrationsbewegungen nach Deutschland, den andauernden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aufgrund der Corona-Krise und der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen aufgrund der Energiekrise sollten sich diese Zahlen erhöht haben.

[35] Grundsätzlich geht es um finanzielle Allokationen, die Wohlhabende zur Verfügung stellen. Spenden, Stipendien, Darlehen, usw. kann man darunter subsumieren, aber auch die finanzielle Beteiligung oder das Werben mit dem Status als Wohlhabende oder Wohlhabender (Medienschaffende, Prominente, Profisportbetreibende, Kunstschaffende, usw.) an und für soziale Projekte, vor allem aber das Zahlen der Steuern im Inland, die dann durch redistributive Politik an staatliche Unterstützung Benötigende verteilt werden.

[36] Siehe dazu die Beispiele aus der vorherigen Fußnote 33.

[37] https://www.sparkasse.de/aktuelles/reichenstudie-millionaere-in-deutschland.html (Zugriff: 22.8.22).

[38] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/vermoegen-deutschland-millionaere-101.html (Zugriff: 22.8.22).

[39] https://www.forbes.at/artikel/die-reichsten-deutschen-2021.html (Zugriff: 22.8.22).

[40] Abs. 2, https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_14.html (Zugriff: 22.8.22).

[41] Enteignungen, beispielsweise um Bauprojekte für die Allgemeinheit (öffentliche Straßen o. ä.) oder die Energieversorgung für die Allgemeinheit (Braunkohleabbau o. ä.) realisieren zu können, darf nicht zu einem Vermögensverlust bei den Enteigneten führen, was in Form von Entschädigungszahlungen erfolgen muss.

[42] Vgl. dazu die FN 3: Anhut, Reimund/Heitmeyer, Wilhelm.

[43] Unabhängig davon, dass, wie im Beitrag dargestellt, in Deutschland im Jahr 2022 alles andere als der beste Staate vorhanden ist.

[44] Zu Gated Communities in Deutschland gibt es marginal Informationen, siehe dazu u. a. Rolfes, Manfred: „Gated Communities“ – Exklusive Abgrenzungen, in: Standpunkte. Online-Magazin des Münchner Forums e. V., 2014/5, online unter: https://www.researchgate.net/publication/268211911_Gated_Communities_-_Exklusive_Abgrenzungen (Zugriff: 22.8.22). Göhner, Johannes: Gated Communities. In den USA und Deutschland. Heilbronn, 2015, Studienarbeit als PDF; https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/im-luxus-eingemauert/; https://www.swr.de/swr2/wissen/article-swr-12414.html; https://www.sueddeutsche.de/muenchen/abgeschlossene-luxus-wohnsiedlungen-reiche-hinter-gittern-1.1194109 (Zugriff: jeweils 22.8.22).