Repetitorium StGB AT und BT: Wenn der Dieb irrt …

Von Prof. Karoline H. Starkgraff, Akademie der Polizei Hamburg

I. Einleitung

Die Reihe „Bekanntes und Neues aus dem Strafrecht“ soll einige Grundlagen des Strafrechts und Strafprozessrechts in das Gedächtnis zurückrufen, weist auf Neuregelungen hin und bietet damit die Gelegenheit, vorhandenes Wissen zu überprüfen und zu aktualisieren. Eine kurze Einführung in das Thema frischt vorhandenes Wissen auf. Das Repetitorium dieser Ausgabe widmet sich nicht einem bestimmten Strafrechtsthema, sondern Klausuren, deren Konstruktion viele Studenten verzweifeln lässt: Ein Grunddelikt wird mit Rechtsfragen aus dem Allgemeinen Teil verknüpft. Das soll hier am Beispiel des Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB und des Irrtums über einzelne Tatbestandsmerkmale Schritt für Schritt erläutert werden. Das Aufgabenblatt besteht aus Kurzfällen, die einzelne Aspekte herausgreifen. Wer möchte, arbeitet auf Zeit.

II. Einführung in das Thema

1. Die Problem-Mix-Klausur

Strafrecht mutet den Studenten am Anfang viel zu: völlig neue Begriffe, das Erfordernis, sehr strukturiert zu denken, streng zu befolgende Aufbauschemata u.s.w. Trotz der Menge des Stoffs gelingt den Meisten der Einstieg. Die Bewährungsprobe steht an, wenn in einer Klausur zwei eigentlich verstandene Themen in Kombination abgefragt werden, die Problem-Mix-Klausur: z.B. die Kausalität bei einem Unterlassungsdelikt oder Irrtumsfragen im Versuch.

Um den Umgang mit diesen Anforderungen zu trainieren, befasst sich diese Repetitoriumsfolge mit dem Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB). Dessen Elemente sollten eigentlich bekannt sein. Aktuelle Entwicklungen zum Gewahrsamsbegriff wurden bereits in der Repetitoriumsfolge „Anstiftung zur Fundunterschlagung“ behandelt. Zu den ebenfalls aktuellen Bankautomatenfällen gibt es einen aktuellen Literaturhinweis unter IV.

Gekoppelt wird der Diebstahlstatbestand mit dem Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB. Wenn ein Tatbestandsirrtum vorliegt, entfällt der Vorsatz. Wenn der Täter Tatobjekte verwechselt, die rechtlich gleichwertig sind (Mensch zu Mensch, Sache zu Sache), liegt kein Tatbestandsirrtum, sondern ein unbeachtlicher error in persona vel objecto vor. Wiederholen Sie auch den Unterschied zwischen einem solchen Objektirrtum und dem Fehlgehen der Tat (abberatio ictus).

2. Das Grunddelikt

Das Grunddelikt bzw. die Straftatengruppen, die zum Klausurstoff gehören, müssen zunächst einmal verstanden worden sein, und zwar insbesondere im Aufbau. Was gehört zum Tatbestand, was ggf. zur Rechtswidrigkeit? Welche Definitionen sind „Klassiker“ und müssen auswendig gelernt werden? Welche Tatbestandsmerkmale sind besonders umstritten? Gibt es eventuell objektive Bedingungen der Strafbarkeit? Gibt es neben dem Vorsatz weitere subjektive Tatbestandserfordernisse? Das ist gerade beim Diebstahl mit der Absicht der rechtwidrigen Zueignung der Fall (dazu unter III.2 subj. Tatbestand).

III. Ein Blick auf das Grunddelikt Diebstahl

1. Prüfungsschema

I. Tatbestand
objektiver Tatbestand

1. Sache
a) beweglich
b) fremd

2. Wegnahme
a) Wegnahmehandlung
b) fremder Gewahrsam
c) Bruch des fremden Gewahrsams
d) Begründung neuen Gewahrsams

subjektiver Tatbestand

1. Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale

2. Absicht der rechtswidrigen Zueignung
a) Enteignungsvorsatz
b) Aneignungsabsicht
c) Rechtwidrigkeit der geplanten Aneignung

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafantragserfordernis

 

2. Die Klausur mit Problem-Mix

An welchem Punkt der Diebstahlsprüfung wird der Dozent nun welche zusätzlichen Rechtsgebiete oder Rechtsfragen einbauen? Hier ein kurzer Überblick.

Fremde, bewegliche Sache

Die Sacheigenschaft ist in den allermeisten Klausurfällen unproblematisch.[i] Tiere sind diebstahlsfähig, gestritten wird nur über den Weg, dies zu begründen.[ii] Ob Tiere fremd (Haustiere) oder herrenlos (Wildtiere) sind, muss je nach Sachverhalt entschieden werden.[iii] Beweglich sind fast alle Sachen, die in Klausurtexten gestohlen werden (sollen). Denn es reicht aus, dass der Dieb die Sache „beweglich macht“, also z.B. aus einer Verankerung herausreißt.

Das Tatbestandsmerkmal „fremd“ hat es hingegen in sich. Es ist das Einfallstor für alle zivilrechtlichen Fragen zum Eigentum, also Eigentumserwerb und –übergang, z.B. durch rechtsgeschäftliche Übereignung, durch Vermengung und Vermischung, durch Erbfall u.s.w. Und über die Eigentumsverhältnisse kann der Täter natürlich im Irrtum sein, s. dazu näher beim Vorsatz.

Wegnahme

Die Wegnahmehandlung

Wenn die Wegnahmehandlung eindeutig ist, sollte sie bereits im Obersatz beschrieben werden: Bruno könnte einen Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB begangen haben, als er nach dem Schokoriegel griff ….[iv]. Wichtig ist jedenfalls, dass Sie die Wegnahmehandlung als Tathandlung erkennen, weil dies für Fragen des StGB AT von Bedeutung ist. Vorsatz muss nur zum Zeitpunktpunkt der Tathandlung vorliegen. Das Unmittelbare Ansetzen zur Tat (Versuchsprüfung) beginnt spätestens dann, wenn der Täter mit der Tathandlung beginnt.

Definitionen-Cluster

Bei der Wegnahme erleben wir eine Art Definitionen-Cluster, eine Aneinanderreihung mehrerer Definitionen. Das ist grundsätzlich untersagt, denn nach einer Definition muss immer zuerst subsumiert und entschieden werden, bevor der nächste Prüfungspunkt mit Obersatz und Definition folgt. Warum also bei der Wegnahme dieser Textbaustein?

Eine Wegnahme besteht aus dem Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams [Def. 1]. Gewahrsam ist die willensgetragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache [Def. 2]. Bruch ist Entziehung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers [Def. 3].

Das sind drei Definitionen, die hintereinander „abgeladen“ werden, um etwas Zeit zu sparen.[v] Manche Klausurbearbeiter verlieren aber dadurch den Gutachtenstil ganz aus den Augen und geraten in den „Ich-schreib‘-alles,-was-ich-weiß“-Modus. Es folgen dann lange und durchweg inhaltlich richtige Erläuterungen, nach denen nicht (oder nicht an dieser Stelle) gefragt war. Inhaltlich richtige Ausführungen können in einer Klausur negativ bewertet werden, wenn nicht nach ihnen gefragt war. Denn in der Fallbearbeitung ist immer der konkrete Fall zu bearbeiten. Sie sollen kein allgemeines Lehrbuch oder Skript schreiben!

Die nächste Einrückung zeigt, welche Schritte in dem obigen Definitions-Cluster weggelassen wurden.

Eine Wegnahme besteht aus dem Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams [Def. 1].

Neuer Obersatz: Dazu müsste fremder Gewahrsam an der Sache bestanden haben. Gewahrsam ist die willensgetragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache [Def. 2]. Subsumtion und Zwischenergebnis.

Neuer Obersatz: Diesen Gewahrsam müsste der Täter gebrochen haben. Bruch ist Entziehung des Gewahrsams ohne oder gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers [Def. 3]. Subsumtion und Zwischenergebnis.

Wenn bis hierher alles (+), dann folgt das Endergebnis: Eine Wegnahme liegt vor.

Gewahrsam[vi]

Es ist wichtig, sich die einzelnen Schritte der Wegnahme und auch die Einzelfragen zum Gewahrsamswechsel zu gegenwärtigen, denn in jedem Stadium kann der Täter irren. Es handelt sich um einen Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB. Dieser wird erst im subjektiven Tatbestand erörtert. Vorher muss im objektiven Tatbestand die tatsächliche (objektive) Sachlage untersucht werden. Zunächst sollte gedanklich überprüft werden, ob überhaupt Gewahrsam an der Sache bestand, denn es gibt keinen Diebstahl an gewahrsamslosen Sachen.[vii]. Hält der Täter die Sache für gewahrsamslos, obwohl sie es objektiv nicht ist, darf das erst im subjektiven Tatbestand beim Vorsatz hinsichtlich der Wegnahme angesprochen werden.

Kommen Gewahrsamsverhältnisse in Betracht, ist die Frage zu klären, ob der Täter eventuell relevanten Mitgewahrsam hatte. Sie müssen grundsätzlich nicht klären, wer wann welche Art von Gewahrsam an der Sache hat, solange der Täter nicht als Gewahrsamsinhaber in Betracht kommt. Kommt der Täter als Mitgewahrsamsinhaber in Betracht, schließen sich die Kategorien des unmittelbaren und gelockerten und des unter- und übergeordneten Gewahrsams an. Übergeordneter Gewahrsam kann vom untergeordneten Gewahrsamsinhaber gebrochen werden, z.B. hat die studentische Packhilfe im Supermarkt untergeordneten Gewahrsam an den Sachen im Warenlager zur Filialleiterin, die generellen und übergeordneten Gewahrsam hat.

Bruch

Ein Gewahrsamsbruch kann nur ohne oder gegen den Willen des berechtigten Gewahrsamsinhabers erfolgen. Erörterungen und Entscheidungen sind also bei einem Einverständnis, auch wenn es nicht kommuniziert wird, und der Beobachtung des Diebes durch einen Berechtigten notwendig. Und wiederum kann der Dieb irren und die Gesten des Filialleiters im Supermarkt als „Ist ok, kannst Du mitnehmen“ interpretieren, obwohl dieser objektiv ausdrücken wollte: „Leg‘ das zurück, ich hab‘ Dich gesehen“.

Subjektiver Tatbestand

Vorsatz

Wie bei jedem Vorsatzdelikt, muss auch beim Diebstahl zunächst Vorsatz über alle objektiven Tatbestandsmerkmale festgestellt werden. Das wird oft übersehen, folglich auch der Irrtum über die Fremdheit der Sache. Nimmt Bruno in der Bar die fremde Lederjacke vom Haken und geht damit nach Hause, weil er die Jacke für seine eigene hält, dann irrt Bruno darüber, dass die Jacke objektiv fremd ist. Das ist ein klassischer Tatbestandsirrtum und hat nichts mit der Zueignungsabsicht zu tun! Zur Erinnerung: Ein „Tatumstand“ ist ein anderes Wort für „Tatbestandsmerkmal“. Gemäß § 16 Abs. 1 StGB kommt es auf den Irrtum zum Zeitpunkt der Tathandlung, hier der Wegnahme, an. Wenn Bruno zu faul/angeheitert/müde war, die eigene Lederjacke herauszusuchen, kann es sein, dass er „billigend in Kauf nahm“, eine fremde Lederjacke mitzunehmen. Dieser Eventualvorsatz würde ausreichen, lässt sich wahrscheinlich nicht zweifelsfrei beweisen. Fahrlässiger Diebstahl bleibt straflos. Zweifel nach der Wegnahme können den fehlenden Vorsatz bei der Tathandlung nicht ersetzen. Sucht Bruno also nach zehn Minuten vergeblich seine Zigaretten/Wohnungsschlüssel/FFP-2-Maske und dämmert ihm langsam, dass er eine fremde Jacke mitgenommen hat, kommt trotzdem kein Diebstahl mehr in Betracht.[viii]

Ebenso kann der Täter darüber irren, dass Gewahrsam an der Sache besteht oder dass es zum Bruch kommt. Das sind die Fälle, in denen der Täter von einem Einverständnis ausgeht, welches objektiv nicht vorliegt. Sogar die Wegnahmehandlung kann ungewollt passieren, wenn z.B. Student S alle Papiere und Bücher achtlos in seinen Rucksack stopft und nicht bemerkt, dass die fremde StGB-Textausgabe dazwischen geraten ist. In allen Fallgestaltungen dieser Art liegt der objektive Tatbestand vor, aber der Vorsatz fehlt.

Im umgekehrten Fall stellt sich der Täter irrtümlich vor, dass er einen Diebstahl begeht, aber der Prüfling ist richtigerweise schon im objektiven Tatbestand ausgestiegen, weil die Sache objektiv herrenlos, also ohne Eigentümer war oder (objektiv) gar kein Gewahrsam an der Sache bestand oder der Täter nicht wusste, dass der Gewahrsamswechsel mit Einverständnis des Berechtigten erfolgte. Diese Irrtümer sind im Tatentschluss des versuchten Diebstahls anzusprechen. Nach dem objektiven Ausschluss des vollendeten Delikts schließt sich die Versuchsprüfung an. Der Prüfungspunkt „Tatentschluss“ entspricht der Vorsatzprüfung beim vollendeten Delikt.

Absicht rechtswidriger Zueignung

Der Diebstahl ist ein Delikt mit überschießender Innentendenz, d.h. subjektiv gibt es mehr als den Vorsatz zu prüfen. Das ist u.a. auch beim Betrug (Absicht auf einen rechtwidrigen Vermögensvorteil) und bei der Urkundenfälschung (zur Täuschung im Rechtsverkehr) der Fall. Beim Diebstahl muss der Täter sich (oder einem Dritten) die Sache zueignen wollen. Zueignung ist die Absicht der, wenigstens vorübergehenden, Aneignung und der Vorsatz bzgl. dauern­der Enteig­nung. Die Zueignung wird also in eine Aneignung und eine Enteignung aufgespalten. Welcher Punkt zuerst geprüft wird, ist nicht entscheidend, die Lehrbücher sind sich dazu nicht einig. Ich empfehle, chronologisch vorzugehen und erst den Enteignungsvorsatz zu prüfen. Enteignungsvorsatz ist der Vorsatz über die dauerhafte Verdrängung des Berechtigten aus seiner bis­herigen Stellung. Aneignungsabsicht ist die Absicht (dolus directus 1. Grades.) bzgl. der zumindest vorübergehenden Ein­ver­leibung der Sache oder des in der Sache verkörperten Werts.

Die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung bezieht sich auf die materielle Rechtslage an der Sache. Wer hat z.B. einen Anspruch auf Herausgabe? Schon wieder Zivilrecht! Es geht nicht um die strafrechtliche Rechtswidrigkeit, sondern nur darum, ob die beabsichtigte Zueignung zivilrechtlich gebilligt wird. Das ist objektiv festzustellen (obwohl wir uns im subjektiven Tatbestand befinden) und muss vom Täter auch in den Vorsatz aufgenommen worden sein. Folglich gilt: Der Täter hat einen Anspruch, weiß dies aber nicht: Versuch prüfen! Der Täter hat keinen Anspruch, meint aber, einen solchen Anspruch zu haben: ein Tatbestandsirrtum, also kein Diebstahl.[ix]

IV. Literaturhinweise

Kudlich/Oğlakcıoğlu: „Auf die inneren Werte kommt es an“ – Die Zueignungsabsicht in der Fallbearbeitung, JA 2012, 321 ff.; Schöpe Anfängerklausur – Strafrecht: AT – Die Wanderspinne in der Hundepension, JuS 2017, 44 ff.; Waßmer/Sommer: Meine Tasse – Deine Tasse? Die Mitnahme von Glühweintassen aus strafrechtlicher Sicht, JA 2020, 910 ff.; Zivanic, Bargeldauszahlungen am Geldautomaten als Herausforderung für den strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff (§ 242 I StGB), NZWiSt 2022, 7 ff.; Zopfs, Der Tatbestand des Diebstahls, ZJS 2009, 226 ff. (Teil 1) und 251 ff. (Teil 2).

V. Arbeitsblatt

Vorgestellt werden kurze Fälle, bei denen in der Aufgabe gezielt nach einzelnen Aspekten des Diebstahls gefragt wird. Beschränken Sie sich bei der Antwort auf das Gefragte! Bedenken Sie, dass das Ungefragte Sie eventuell verwirren soll. Eine Lösungsskizze reicht aus. Wenn Sie sich bereits als „Fortgeschritten“ bezeichnen, arbeiten Sie auf Zeit.

1. Beispielsfall

Fall – Selbstbedienung am Ostermorgen

Bruno (B) benötigt dringend ein paar Ziegelsteine für Ausbesserungen an seinem Freilandgrill. Der Osterspaziergang führt ihn in einen Hamburger Stadtteil, in welchem Mehrfamilienhäuser und Einzelhäuser im Wechsel zu finden sind. Er kommt an einem unbebauten Grundstück vor­bei, auf welchem er einen Haufen Baumaterial vorfindet:

FOTO – Ziegelsteine hier einfügen

Bruno (B) denkt, dass da jemand überzähliges Material als Abfall entsorgt hat. Folglich fährt er am Ostermontag mit seinem Pkw vor und nimmt die Ziegelsteine mit. Dabei wird er von Nachbarn beobachtet, die sein Pkw-Kennzeichen notieren. Der Eigentümer (E) der Ziegelsteine ruft die Polizei und erklärt, dass er die Ziegelsteine aus Platzmangel auf seinem eigenen Grund­stück zwischengelagert hatte. B erklärt der Polizei, dass er auf gar keinen Fall stehlen wollte. Er habe sich geirrt, das sei doch nachvollziehbar.

Erläutern Sie in eigenen Worten, welche Art Irrtum hier vorliegt. Wie wirkt sich der Irrtum rechtlich auf Brunos „Selbstbedienung“ an den Ziegeln aus? Definieren Sie auch den Begriff „Irrtum“ und nennen Sie die in diesem Fall relevante Norm.

Lösung zum Fall Selbstbedienung am Ostermorgen

B weiß, dass die Ziegelsteine bewegliche Sachen sind. Das ist unstrittig (und muss nicht unbedingt erwähnt werden). B unterliegt jedoch einem Irrtum. Ein Irrtum liegt vor, wenn die Vorstellung des Täters und die Wirklichkeit aus­einanderfallen. B hält die Ziegelsteine für „Abfall“, den jemand entsorgt hat. Bonus für Eigentumsaufgabe durch Dereliktion gemäß § 959 BGB. B hält die Ziegelsteine für herrenlos. Tatsächlich stehen die Ziegelsteine unverändert im Eigentum des E, sind also für B fremd. B irrt über das Tatbestandsmerkmal „fremd“ und damit über einen Tatumstand. Gemäß § 16 StGB liegt ein Tatbe­standsirrtum vor. Dieser führt dazu, dass bei B kein Vorsatz (eines Diebstahls) vorliegt. Unerheblich ist, ob B diesen Irrtum vermeiden konnte (das wäre nur bei einem Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB zu prüfen). Unerheblich ist auch, ob B die Fremdheit der Steine hätte erkennen können, denn ein fahrlässiger Dieb­stahl ist nicht strafbar.

2. Die Aufgaben

Sie finden die Lösungen der Fälle zur Selbstkontrolle im Anschluss in diesem Heft des Polizei Info Reports.

Fall 1 – Kostbare Sneakers

Andy (A) und Billy (B) leben in erbärmlichen Verhältnissen als Obdachlose auf der Straße, weil beide seit Jahren abhängig von Heroin und Kokain sind. Nachts schlafen sie unter dem Bismarck-Denkmal in der Hamburger Innenstadt. Eines Morgens merkt B, dass A in der Nacht verstorben ist. Billy nimmt der Leiche daraufhin die Sneakers ab, weil diese besser sind als seine eigenen.

Hat B den objektiven Tatbestand des Diebstahls erfüllt? Begründen Sie Ihre Ansicht. Definieren Sie die relevanten objektiven Tatbestandsmerkmale und subsumieren sie diese. Eine vollstän­dige gutachterliche Diebstahlsprüfung wird nicht erwartet.

Fall 2 – Platin oder Silber?

Trickdieb Theo (T) will sich auf Juweliere spezialisieren, ist aber noch unerfahren. Er macht sich zum Gespött der Unterwelt, als er stolz einen Ring als Teil seiner Beute präsentiert. T hielt den Ring im Moment der Wegnahme für ein wertvolles Schmuckstück aus Platin. Tatsächlich handelt es sich um ein Massenprodukt aus Silber. T hat sich geirrt.

Welcher Irrtum liegt hier vor und wie wirkt er sich auf die Strafbarkeit des T wegen Diebstahls des Rings aus? Eine kurze Antwort reicht aus. Eine gutachterliche Bearbeitung wird nicht erwartet.

Fall 3 – Gewahrsamswechsel

Anton fliegt für 14 Tage in den Urlaub nach Ägypten und hat Bruno gebeten, während der Urlaubs­zeit auf Haus und Garten zu achten. Bruno geht an Tag 5 ins Haus und bemerkt den Pkw-Schlüssel für Antons Mercedes der S-Klasse. Der Schlüssel hängt offen zugänglich am Schlüsselbrett, der Pkw steht in der Garage auf dem Grundstück des Einzelhauses. Bruno be­schließt, eine Tagestour mit dem Auto zu unternehmen, um das tolle Fahrgefühl zu genießen. Abends will er den Pkw vollgetankt zurückstellen. Bruno fährt nach Travemünde. Dort stellt er das Auto auf einen Parkplatz und geht an den Strand. Währenddessen stiehlt Dieb D den Mer­cedes mit einer elektronischen Schlüsseldublette. Bruno erstattet Strafanzeige und „beichtet“ Anton alles telefonisch. Der Pkw wird drei Tage später in Polen geortet und von der polnischen Polizei sichergestellt. Davon erfährt Anton einen Tag später per E-Mail.

Erörtern Sie die Gewahrsamsverhältnisse an dem Mercedes während der 14 Tage des Urlaubs.

Fall 4 – Laptops aus dem ICE

Danilo (D) hat sich auf Diebstähle an ICE-Fahrgästen spezialisiert. Er steigt während des Halts des Fern­zugs am Hauptbahnhof in den Zug, geht durch den Zug, bis er ein potentielles Opfer findet und steigt mit der Tatbeute (z.B. Aktentaschen, Handtaschen, Smartphones oder Note­books/Laptops) am selben Bahnhof wieder aus. An einem Tattag im November bemerkt D einen Ge­schäftsreisenden (G), bei dem er unbemerkt die gefüllte Laptoptasche ergreifen und den Zug verlassen kann.

Treffen Sie zu folgenden drei Fallabwandlungen jeweils eine Entscheidung, ob im Ergreifen der Lap­toptasche objektiv eine Wegnahme gemäß § 242 Abs. 1 StGB vorliegt. Begründen Sie Ihre Entschei­dung. Begren­zen Sie Ihre Antwort auf die Elemente des Tatbestandsmerkmals der Wegnahme.

  1. a) G schläft.
  2. b) G ist unbemerkt verstorben (Herzinfarkt), aber D denkt, dass G schläft.
  3. c) G ist kein Geschäftsreisender, sondern ein sich schlafend stellender Polizeibeamter. Die Lap­toptasche ist als Diebesfalle ausgelegt und mit einem Sender ausgestattet, der ihre nachträgliche Or­tung ermöglicht. D denkt, dass G schläft.

Fall 5 – Anwohnerparkzone

Bruno (B) ist empört, dass in Altona nur noch Anwohnerparkplätze vorhanden sind. B parkt seinen Pkw daher verbots­widrig in einer Feuerwehreinfahrt und erledigt seine Besorgungen. Danach kehrt er zum Pkw zurück. Dort trifft er auf die Angestellte im Verkehrsdienst (A), die genau in diesem Moment einen Strafzettel unter den Scheibenwischer gescho­ben hatte. Wutentbrannt greift B den gesamten Vorrat an Strafzetteln, den A noch in der Hand hält, und stopft ihn vor den Augen der A in den Gully.

Gehen Sie davon aus, dass der objektive Tatbestand des Diebstahls erfüllt ist. Hat B auch subjektiv einen Diebstahl begangen? Erläutern Sie dies in eigenen Worten. Eine gutachterliche Prüfung wird nicht erwartet.

Lösung

Laden Sie sich hier das Arbeitsblatt mit Lösungen herunter (PDF).


[i] Fehlt die Sacheigenschaft, wie z.B. bei Strom oder Daten, muss nach anderen Normen gesucht werden, die diese Lücke schließen könnten. z.B. Entziehung elektrischer Energie (§ 248c StGB).

[ii] Eine umfassende Übersicht gibt Schöpe, JuS 2017, 44 (46). Die Musterklausur behandelt zudem den Tatbestandsirrtum und zeigt anschaulich den Unterschied zwischen Objektirrtum und Fehlgehen der Tat auf.

[iii] An herrenlosen Wildtieren ist daher kein Diebstahl möglich. Die „Lücke“ schließen die Strafvorschriften der Jagd- und Fischwilderei, die die Verletzung des Aneignungsrechts des Berechtigten schützen. Unbedingt in der Aufgabenstellung bzw. einem Hinweis für die Bearbeiter checken, ob diese Delikte nicht von der Bearbeitung ausgeschlossen wurden.

[iv] Wer alles schon überblickt, weil die Skizze vollständig durchdacht und fertig ist, bevor das Gutachten begonnen wird (so sollte es sein!), kann den Obersatz vervollständigen: „Bruno … Diebstahl …, als er den Schokoriegel ergriff und in seine Jackentasche steckte, um ihn nach Verlassen des Geschäfts zu verzehren.“

[v] Außerdem werden mit „Gewahrsam“ und „Bruch“ Begriffe aus der Definition definiert, also nicht unmittelbare, sich aus dem Gesetz ergebenden Tatbestandsmerkmale. Falsch ist dieser Definitions-Cluster nicht, solange seine Einzelteile dennoch nacheinander subsumiert und entschieden werden.

[vi] Der oder das Gewahrsam? Gewahrsam als Rechtsbegriff ist der Gewahrsam. Das muss grammatikalisch im weiteren Text berücksichtigt, das Wort richtig dekliniert werden.

[vii] Zur Abgrenzung von Diebstahl und (Fund)-Unterschlagung bei Verlust einer Sache im öffentlichen Raum vgl. Starkgraff, Repetitorium StGB AT und BT Anstiftung zur Fundunterschlagung, Polizei Info Report 1/2022, 24 ff. m.w.N.

[viii] Auch kein versuchter Diebstahl, denn der Tatbestandsirrtum führt dazu, dass auch ein Tatentschluss verneint werden muss. Es könnte aber eine Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB vorliegen. Das hängt davon ab, ob und wann sich eine Zueignung manifestiert.

[ix] Kudlich, SSW-StGB, 4. Aufl. 2018, § 242, Rn. 49.