Die Rechtslage für die Polizei in der Corona-Pandemie

von Dr. jur. Heike Krischok , FHöV Thüringen, Fachbereich Polizei

A. Allgemeines

Spätestens seit März 2020 beschäftigt das Coronavirus ganz Deutschland. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es inzwischen 80 Millionen Epidemiologen gibt. Fast täglich werden Informationen zu neuen Studien verbreitet. Die Politik hat reagiert: Inzwischen wurde das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zweimal geändert. Die erste Änderung erfolgte im März 2020. Dabei ging es vor allem um die Sicherstellung schneller und länderübergreifender Krisenreaktionsmaßnahmen durch zeitlich befristete Verordnungsermächtigungen (insbesondere für das Bundesministerium für Gesundheit).

Die zweite Änderung folgte im Mai 2020. Hierbei standen Regelungen zur weiteren Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie einschließlich einer Weiterentwicklung des Infektionsschutzgesetzes im Vordergrund. Da es sich hier um ein neues Virus handelt, ist die Lage in tatsächlicher Hinsicht unübersichtlich und dynamisch. Die Wissenschaft forscht fieberhaft an neuen Erkenntnissen und nahezu täglich werden Studien zum Thema veröffentlicht. Die Bundesländer erlassen in relativ kurzer Folge Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie. Die Politik und die Behörden erscheinen getrieben von der sich ständig ändernden Lage. Dabei unterscheidet sich das Vorgehen in den einzelnen Bundesländern und sogar teilweise von Landkreis zu Landkreis. Im Ergebnis führt das dazu, dass die rechtliche Beurteilung von getroffenen Maßnahmen herausfordernd ist.

Für die polizeiliche Arbeit ergeben sich verschiedene Anknüpfungspunkte. Zum einen ist der Einsatz der Polizei in Krisensituationen grundsätzlich immer gefordert. Hier zeigt sich die Reservefunktion der Polizei, die letztlich durch Mängel im Handeln der Politik und anderer Behörden entsteht. Zum anderen soll die Polizei ganz konkret handeln. Es geht vor allem um die Kontrolle von Vorschriften im Zusammenhang mit der Coronapandemie und um die Durchsetzung von Quarantänemaßnahmen.

B. Begrifflichkeiten

In der Thematik finden sich zahlreiche Begrifflichkeiten, von denen hier einige kurz erläutert werden sollen.
Der Begriff der Quarantäne stammt aus der Medizin. Es wird zwischen der Isolierung Erkrankter und der Quarantäne möglicherweise Erkrankter unterschieden. Die Absonderung ist dabei der Oberbegriff. § 30 IfSG verwendet seit Mai 2020 nicht mehr den Begriff der Quarantäne, sondern den Begriff der Absonderung, um deutlich zu machen, dass tatsächlich Erkrankte und Krankheitsverdächtige erfasst werden. Im Folgenden wird der im allgemeinen Sprachgebrauch üblichere Begriff der Quarantäne verwendet.
Weiterhin ist der Begriff der Epidemie von dem der Pandemie zu unterscheiden. Wenn eine Krankheit zeitlich und örtlich begrenzt auftritt, handelt es sich um eine Epidemie. Ist die Krankheit nicht mehr örtlich begrenzt und länder- und kontinentübergreifend, so spricht man von einer Pandemie. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte am 11.03.2020 Covid-19 zu einer Pandemie. Coronaviren sind keine seltenen Viren. Sie kommen weltweit bei Menschen und einer Vielzahl von Tieren vor. Coronaviren lösen beim Menschen im allgemeinen unkomplizierte respiratorische Erkrankungen wie Schnupfen aus. Coronaviren, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, führen bei Menschen teilweise zu schwer verlaufenden Infektionen. Am 31.12.2009 berichteten die Behörden in Wuhan (China) erstmals von einer neuartigen Pneumonie. Als Auslöser wurde ein neuartiges Coronavirus (offizielle Bezeichnung SARS-CoV-2) identifiziert. Die Erkrankung wird als COVID-19 (coronavirus disease 2019) bezeichnet. Nach der zunehmenden Ausbreitung des neuen Coronavirus in Deutschland stellte der Bundestag am 25.03.2020 eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest.

C. Maßnahmen der Polizei

I. Maßnahmen nach IfSG

Hier stellt sich zuerst die Frage nach der Zuständigkeit. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen im IfSG für Maßnahmen im Zuge der aktuellen Pandemie sind in den §§ 16 ff. IfSG (Verhütung übertragbarer Krankheiten) und §§ 24 ff. IfSG (Bekämpfung übertragbarer Krankheiten) zu finden.

Die Zuständigkeit ergibt sich aus § 54 IfSG. Danach bestimmt die jeweilige Landesregierung durch Rechtsverordnung die zuständigen Behörden im Sinne dieses Gesetzes (soweit keine landesrechtliche Regelung besteht). Diese Regelung führt zu der unbefriedigenden Situation, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Landes- bzw. Kommunalbehörden für die Aufgabenwahrnehmung nach dem IfSG zuständig sind. Welche Behörde das zuständige Gesundheitsamt ist, unterscheidet sich also von Bundesland zu Bundesland. Die Polizei hat hier aber keine eigene Zuständigkeit, um selbst Maßnahmen nach dem IfSG zu treffen. Im Übrigen ist für den Infektionsschutz das IfSG im Verhältnis zum jeweiligen Polizeigesetz das speziellere Gesetz. Das heißt im Ergebnis, ein Polizeibeamter darf beispielsweise keine häusliche Quarantäne anordnen und diese Maßnahme auf die polizeiliche Generalklausel stützen. Eine häusliche Quarantäne kann nur durch das sachlich und örtlich zuständige Gesundheitsamt auf Grundlage des IfSG erlassen werden.

II. Verstöße gegen das IfSG

Häufig wird der Ruf nach der Polizei laut, wenn es um die Kontrolle der Einhaltung von Maßnahmen nach dem IfSG oder um die Ahndung von Verstößen geht. Der Infektionsschutz, also der Schutz der Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten, ist Teil der Gefahrenabwehr. Die Gefahrenabwehr ist eine der zentralen Aufgaben der Polizei. Für die Gefahrenabwehr im Bereich des Infektionsschutzes sind allerdings die Gesundheitsämter als spezielle Gefahrenabwehrbehörde zuständig.

Das IfSG enthält aber in den §§ 73 bis 75 IfSG zahlreiche Straf- und Bußgeldvorschriften. Die Verfolgung von Straftaten ist eine Aufgabe, die der Polizei durch Rechtsvorschrift übertragen ist. Das ergibt sich aus der Aufgabennorm im Landespolizeigesetz und § 163 Abs. 1 StPO. Damit ist die Verfolgung von Straftaten originäre Aufgabe der Polizei. Die Normen der StPO enthalten konkrete Ermächtigungsnormen für die Polizei, um die Aufgabe der Strafverfolgung zu erfüllen. Für die Ordnungswidrigkeiten bestimmt § 53 Abs. 1 S. 1 OWiG, dass die Polizei auch die Aufgabe hat, Ordnungswidrigkeiten zu erforschen. Insoweit ist die Polizei Ermittlungsbehörde für die Ordnungswidrigkeiten. Die eigentliche Ahndung der Ordnungswidrigkeiten ist der jeweiligen Verwaltungsbehörde zugeordnet (§§ 35 Abs. 2, 36 OWiG). Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten.

Bei der Verfolgung von Straftaten (und Ordnungswidrigkeiten) handelt es sich um repressive Maßnahmen. Gerade wenn es sich wie hier um Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz handelt, dient die Verfolgung auch dem präventiven Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Die strikte Trennung zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr ist in diesen Fällen schwierig. Die Einordnung ist relevant für die Wahl der richtigen Ermächtigungsnorm und des richtigen Rechtsweges zu den Gerichten. Ist die konkrete Maßnahme nicht eindeutig präventiv oder repressiv, wird sie als „doppelfunktional“ bezeichnet. Teilt der Polizeibeamte dem Betroffenen mit, dass er gerade eine Maßnahme zur Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit trifft, ist dieses Problem ausgeräumt. Dann wird diese Maßnahme auf die StPO (eventuell in Verbindung mit § 53 Abs. 1 S. 2 OWiG) gestützt.

III. Durchsetzung von Maßnahmen nach dem IfSG

Die Polizei kommt auch zum Einsatz, wenn es um die Durchsetzung von Quarantänemaßnahmen nach dem IfSG geht. Im Wege der Eilzuständigkeit kann die Polizei beispielsweise Platzverweise erteilen, um den fortgesetzten Verstoß gegen Coronaverordnungen zu unterbinden. Darüber hinaus wird Unterstützung durch die Polizei angefordert, wenn es um die Durchsetzung von Quarantänemaßnahmen geht.

1. Einhaltung von Quarantänemaßnahmen

Die Anordnung von Quarantäne ist seit Ausbruch der Corona-Pandemie eine häufige Maßnahme zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Virus. In der Regel erfolgten die Maßnahmen als sogenannte häusliche Quarantäne, bei der es dem Betroffenen untersagt ist, die Wohnung beziehungsweise das eigene Grundstück zu verlassen. Im Rahmen von lokalen Ausbrüchen wurden nicht nur einzelne Personen unter Quarantäne gestellt. Es kam vielmehr zu Allgemeinverfügungen mit denen Unterkünfte , Hochhäuser und ganze Ortschaften unter Quarantäne gestellt wurden. Dabei hielten sich nicht alle Betroffenen an die Maßnahmen. In Neustadt am Rennsteig kam es zu „Ausbrüchen“ aus der abgesperrten Ortschaft und eine aus Anlass der bevorstehenden Beendigung der Maßnahme durchgeführte Grillparty musste durch die Polizei beendet werden. Ein Hochhauskomplex in Göttingen wurde mit einem massiven Polizeiaufgebot abgeriegelt. Die Polizeibeamten wurden von Bewohnern angegriffen. Dabei wurden 11 Beamte verletzt.

a) Vollzugshilfe

Die Polizei wird in diesen Fällen zur Unterstützung der eigentlich zuständigen Gesundheitsämter tätig. Insbesondere geht es um den Einsatz unmittelbaren Zwangs. Wird eine Behörde auf Ersuchen einer anderen Behörde im Wege des (unmittelbaren) Zwangs tätig, wird das als Vollzugshilfe bezeichnet. Die Vollzugshilfe ist in den jeweiligen Polizeigesetzen geregelt und steht der Amtshilfe nahe. Ob die Vollzugshilfe ein Unterfall der Amtshilfe ist oder sich die Vollzugshilfe von der Amtshilfe dadurch unterscheidet, dass die Vollzugshilfe eine eigenständige durch Gesetz der Polizei zugewiesene Aufgabe ist, ist umstritten. Für die Rechtmäßigkeit des durchzusetzenden Verwaltungsaktes zeichnet die ersuchende Behörde verantwortlich. Für die Art und Weise der Anwendung des (unmittelbaren) Zwangs ist dagegen das Polizeirecht maßgeblich. Die Polizei hat also keine Veranlassung die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes zu prüfen.

b) Richterlich Anordnung

Hier kann allerdings ein Sonderproblem auftreten. Handelt es sich bei der durchzusetzenden Maßnahme um eine Freiheitsentziehung, gelten besondere Anforderungen. Bei einer freiheitsentziehenden Maßnahme hat sich die ersuchte Polizeibehörde die richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung vorlegen zu lassen. Gerade bei angeordneter „Massenquarantäne“ wurde in der Regel von Möglichkeit der Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 VwVfG) Gebrauch gemacht. Eine richterliche Entscheidung wurde vorher nicht eingeholt. Liegt im Falle einer Freiheitsentziehung keine richterliche Entscheidung vor (und beantragt die ersuchende Behörde diese auch nicht unverzüglich) hat die Polizei die Personen zu entlassen.

Die Frage, ob eine angeordnete Quarantäne eine Freiheitsentziehung darstellt, ist also in diesen Fällen von entscheidender Bedeutung. Die Freiheitsentziehung ist in diesem Zusammenhang von der Freiheitsbeschränkung zu unterscheiden. Beides stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dar. Die Freiheit der Person schützt die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Das Bundesverfassungsgericht grenzt die Freiheitsbeschränkung von der Freiheitsentziehung nach der Intensität des Eingriffs ab. Um eine Freiheitsentziehung handelt es sich nur, wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird.

Der Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG greift nur für Freiheitsentziehungen. Eine scharfe Grenze zwischen Freiheitsbeschränkung und -entziehung, etwa nach der Dauer der Maßnahme, existiert nicht. Allerdings erhöht sich die Eingriffsintensität je enger der Raum ist, auf dem sich der Betroffene bewegen darf und je länger die Maßnahme andauert. Bisher sehen die Behörden in der häuslichen Quarantäne offenbar lediglich eine Freiheitsbeschränkung. Für eine ca. fünfstündige Abriegelung einer Ortschaft aus Anlass eines Castortransports hat das OVG Lüneburg im Jahr 2007 festgestellt, dass es sich lediglich um eine Freiheitsbeschränkung gehandelt habe, da die betroffenen Personen sich innerhalb des Ortes noch frei bewegen konnten.

Bei einer Quarantäne, die sich beispielsweise auf einen Hochhauskomplex beschränkt bzw. 14 Tage andauert, lässt sich nach der Intensität des Eingriffs kaum begründen, warum hier „nur“ eine Freiheitsbeschränkung gegeben sein soll. Hier kann nur dazu geraten werden, im Zweifel eine richterliche Entscheidung durch das zuständige Gesundheitsamt einholen zu lassen.

c) Schusswaffengebrauch

Weiterhin ist bei diesen Einsätzen problematisch, wie weit die Polizei bei der Durchsetzung des Quarantänemaßnahmen gehen kann. In der Regel ist das Verhindern des Verlassens der Quarantäne durch Absperrungen gefragt. Wollen die Betroffenen die Absperrmaßnahmen überwinden oder durchbrechen, ist der Einsatz von einfacher körperlicher Gewalt das erste Mittel der Wahl. Bei dem Einsatz von Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt (z.B. Reizstoffsprühgeräte) ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Betroffenen sind nicht nur tatsächlich Infizierte, sondern häufig nur sogenannte Ansteckungsverdächtige (§ 2 Nr. 7 IfSG). Das gilt natürlich in besonderem Maße für die schärfste Maßnahme des unmittelbaren Zwangs, den Schusswaffengebrauch. Schusswaffen dürfen nach den Landespolizeigesetzen gegen Personen nur gebraucht werden, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben abzuwehren. In Anbetracht des regelmäßigen Verlaufs der Erkrankung Covid-19 ist es selbst für nachgewiesen Infizierte schwierig eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben anzunehmen. Jedenfalls für lediglich Ansteckungsverdächtige dürfte die Voraussetzung nicht gegeben sein. Lediglich, wenn die Polizeibeamten selbst massiv angegriffen werden, könnte aus Gründen der Eigensicherung ein Einsatz der Schusswaffe gerechtfertigt sein.