Die Rolle der Frau in Outlaw Motorcycle Gangs

von KD Matthias Frey, M.A., Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, und KK`in Nina Schmitz, Polizei Berlin

Ausgehend von einer historisch-subkulturellen sowie empirisch gestützten Betrachtung geht der Artikel den Fragen nach, welche Rollen Frauen in Rockergruppierungen einnehmen und welche unterschiedlichen Rollen ihnen zugewiesen werden, was für manche Frauen den Reiz einer wie auch immer gearteten Zugehörigkeit ausmacht und ob es so etwas wie weibliche Rocker gibt – oder womöglich in absehbarer Zeit geben wird.

1. Einleitung

Von jeher spielt das weibliche Geschlecht in der Männerwelt der Rocker augenscheinlich eine sehr wichtige Rolle, wenn auch zumeist auf eine recht spezielle Weise. Auf den weltbekannten Bildern des Anfang 2020 verstorbenen Life-Magazinfotografen Bill Ray[1] etwa, der mit seiner Kunst zweifellos zur Romantisierung der Szene beigetragen hat, sitzen die Frauen hinter ihren „starken Männern“ auf schweren Maschinen, meist Wind in den Haaren und ein breites Lächeln auf dem Gesicht. Sie scharen sich um die Männer mit den Lederkutten, bewundern die Motorräder und räkeln sich darauf mitunter lasziv in der Sonne. Bis heute lassen sich Frauen im Umfeld von Rockern vor allem mit dem Zeigen von viel Haut und in erotischen Posen auf den Titelseiten von Zeitschriften assoziieren, die in Szenekreisen beliebt sind. Aber welche Rolle spielen Frauen in der Realität der Rockerclubs tatsächlich? Was macht Biker im Allgemeinen und Rocker im Besonderen für manche Frauen scheinbar so attraktiv? Welche Rolle spielen Ehe und Monogamie in Rockerkreisen, wie verhält es sich demgegenüber mit Prostitution und der Objektivierung von Sexualpartnerinnen innerhalb der Rockergruppen? Und gibt es so etwas wie weibliche Rocker? Diesen Fragen gingen KK‘in Nina Schmitz und KD Matthias Frey 2020 im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin nach, die den Ausgangspunkt für diesen Artikel darstellt. Einer begrifflichen Annäherung und einem kurzen Abriss der historischen Entwicklung der sog. Outlaw Motorcycle Gangs folgt eine Betrachtung der Rockerszene als Subkultur, die die Rolle der Frau innerhalb dieser Subkultur in den Mittelpunkt stellt. Dabei wird auch auf das Spannungsfeld zwischen der Affinität einiger Frauen für Rocker und typischerweise damit einhergehenden – physischen wie psychischen – Gesundheitsrisiken sowie auf den Mythos von der „Rockerin“ eingegangen.

2. Zum Begriff der Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG)

Die Biker-Welt lässt sich für Außenstehende oft nur schwer abgrenzen vom kriminellen Milieu der „Rocker“ im polizeilich relevanten Sinn, auch wenn diese Abgrenzung sicher wesentlich ist. Der Begriff „Rocker“ wird dabei als Synonym für Angehörige von OMCG bzw. sog. Onepercenter (vgl. unten 2.) verwendet.[2]

Die große Mehrheit friedlicher Clubs zeichnet sich durch den hauptsächlichen Fokus auf eine geteilte Leidenschaft fürs Motorradfahren aus sowie einen mit dieser Leidenschaft einhergehenden Lebensstil, der zum Beispiel regelmäßige Ausfahrten mit Gleichgesinnten, die intensive Pflege des Motorrads oder kulturelle Aspekte wie bestimmte Kleidung oder den Konsum bestimmter Musik umfassen kann. Mitglieder von OMCG mögen die o.g. Aspekte grundsätzlich teilen, treten jedoch im Gegensatz zur großen Mehrheit der oben charakterisierten Motorradclubs regelmäßig mit Straftaten, vornehmlich Körperverletzungs-, Erpressungs- und Bedrohungsdelikten und nicht selten in unterschiedlichen Erscheinungsformen der organisierten Bandenkriminalität in Erscheinung, so u.a. in den Bereichen der Drogen- und Waffenkriminalität.[3] Der deutsche Aussteiger Ulrich Detrois etwa hatte über die Welt der OMCG Folgendes zu sagen: „Ihre Interessen sind […] vor allem materiell: Viele ihrer Mitglieder weltweit betreiben Drogen-, Waffen-, oder Menschenhandel, andere beuten Prostituierte aus. Und so machen sie Profit. Nicht wenige gehen dabei über Leichen“.[4] Motorräder spielten demgegenüber zuletzt nicht immer eine entscheidende Rolle. Während dies früher undenkbar war, kommt es heute vor, dass Mitglieder von OMCG im Einzelfall kein Motorrad und womöglich nicht einmal einen entsprechenden Führerschein besitzen. Es handelt sich dabei um einen Trend, über den schon seit Jahrzehnten berichtet wird.[5]

OMCG und ihre Mitglieder sind aber auch in legalen Geschäftsbereichen aktiv. Hierzu zählt vor allem das Sicherheits- und das sogenannte Rotlichtgewerbe oder das Betreiben von Tattoo-Shops.[6] In den legalen wie den illegalen Geschäftsbereichen spielen regelmäßig Revieransprüche und daraus resultierende Streitigkeiten eine Rolle. Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Clubs werden oft mit besonders hoher krimineller Energie durchgeführt und fordern nicht selten erheblichen Personenschaden. Derartige Auseinandersetzungen sind als fester Bestandteil der Rocker-Subkultur anzusehen.[7] In den Medien werden sie schnell zu „Rockerkriegen“ hochstilisiert.[8]

Charakteristisch für OMCG sind streng hierarchisch geführte Organisationsformen, eine in der Regel hohe Gewaltaffinität und das Fehlen jeglicher Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden, ähnlich des für viele Erscheinungsformen organisierter Kriminalität typischen Schweigegebots, im ursprünglichen Sprachgebrauch der italienischen Mafia der sog. „Omerta“. Die Mitglieder von OMCG bezeichnen sich traditionell als „Brüder“. Nach außen verdeutlichen sie ihre enge Verbundenheit durch das Tragen ihrer Kutten mit den darauf befindlichen Aufnähern, den sogenannten „Patches“, aber auch mittels Tätowierungen mit oft spezifischer Bedeutung. Die Befolgung der clubinternen Regeln – grundsätzlich unter Ablehnung des jeweils offiziell geltenden Rechtssystems – wird teilweise mit empfindlichen Sanktionsandrohungen durchgesetzt.

Rockergruppierungen werden vor diesem Hintergrund häufig als Phänomen der Organisierten Kriminalität beschrieben. Organisierte Kriminalität ist allerdings ein recht unscharfer und gerade in Fachkreisen durchaus umstrittener Begriff, der in der Forschung weitgehend als empirische oder analytische Kategorie vermieden wird.[9] Levi verortet OMCG im Oxford Handbook of Organized Crime auf der Ebene der sog. pseudomafiösen Strukturen.[10] Aber auch wenn verschiedene typische Merkmale Organisierter Kriminalität unweigerlich ins Auge fallen, entsprechen die Strukturen in OMCG grundsätzlich nicht den typischen Strukturen illegaler Unternehmen.[11] Inwieweit letztlich einem Club als Gruppe kriminelle Aktivitäten zugeordnet werden können oder – was zunächst naheliegt – ggf. nur den einzelnen Mitgliedern, hängt insbesondere davon ab, inwieweit jedes Mitglied konsensual kriminelle Aktivitäten als Hauptmotivation seiner Existenz entfalten, der Lebensunterhalt also hauptsächlich durch kriminelle Aktivitäten im Gruppenkontext bestritten wird.[12]

3. Die historische Entwicklung der OMCG

Die Geschichte des OMCG-Begriffes begann im Jahr 1947: Am amerikanischen Nationalfeiertag kam es auf einem Motorradtreffen in Hollister im US-Bundesstaat Kalifornien zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmern und der Polizei, die große Aufmerksamkeit in Öffentlichkeit und Medien fanden. Unmittelbar nach den Ausschreitungen soll die American Motorcycles Association (AMA) erklärt haben, dass 99 Prozent der US-amerikanischen Motorradfahrer rechtschaffene Bürger seien.[13] Diese Erklärung wird als Geburtsstunde der „Onepercenter“ betrachtet, die sich selbst als gesetzlos („Outlaws“) bezeichnen und auf ihren Kutten ein „1%“-Symbol tragen, das sich direkt auf die Erklärung der AMA bezieht und sie sichtbar von den darin bezeichneten rechtschaffenden Bürgern abgrenzen soll. Dieses sogenannte Onepercenter-Patch, getragen auf der Kutte oder als Tätowierung, signalisiert bis heute die Zugehörigkeit zur OMCG-Szene.

1948, ein Jahr nach den Ausschreitungen in Hollister, wurde das erste Charter des Hells Angels MC mit dem Symbol des geflügelten Totenkopfes in San Bernadino, ebenfalls im US-Bundesstaat Kalifornien, gegründet. Ein erstes europäisches Charter der Hells Angels, deren Name an eine Kampffliegereinheit des Zweiten Weltkriegs angelehnt ist, wurde nach jahrelanger Expansion 1969 in London gegründet, 1973 folgte in Hamburg das erste deutsche Charter. 1966 entstand der traditionell mit dem Hells Angels verfeindete Bandidos MC, der nach dem Hells Angels MC als zweitgrößte Rockergruppierung weltweit gilt. Weitere international aktive OMCG sind etwa der Outlaws MC und der Mongols MC, während in Deutschland zudem der Gremium MC eine größere Rolle spielt.[14]

Während sich die meisten der o.g. kriminellen Aktivitäten ihrem Wesen entsprechend überwiegend im Verborgenen abspielen, zogen OMCG in zurückliegenden Jahren nicht zuletzt auch in Deutschland wegen einer Zunahme gewalttätiger Auseinandersetzungen mittels Hieb- und Stichwaffen, aber auch unter Einsatz von Schusswaffen und Sprengstoff, die vielfach unter verfeindeten OMCG stattfanden, öffentliche und mediale Aufmerksamkeit auf sich. Derart offen ausgetragene Macht- und Revierkämpfe sind naturgemäß geeignet, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Die Sicherheitsbehörden reagierten u.a. mit verstärkter polizeilicher Präsenz an Brennpunkten und dem Einsatz szenekundiger Beamter, anlassbezogenen Identitätsfeststellungen und Kontrollen in Szenelokalen sowie letztlich dem Verbot von Rockergruppierungen nach dem Vereinsgesetz.[15]

4. Die „Rocker“-Subkultur

Als Subkultur bezeichnet man einen Personenkreis, dessen Handeln und Denken zwar ein hohes Maß an innerer Konformität aufweist, aber zumindest teilweise von den Normen abweicht, die in der jeweiligen Bezugsgesellschaft dominieren.[16] Ein jeweils charakteristischer Stil, der sich im alltäglichen Auftreten und Verhalten der Mitglieder der jeweiligen Subkultur widerspiegelt, gemeinsame Interessen und ein inneres, selbst auferlegtes Normen- und Wertesystem sind charakteristisch für Subkulturen und gleichzeitig Ausdrucksform und verbindendes Erkennungsmerkmal; auch Meinungen zu gesellschaftlichen und politischen Themen werden vielfach subkulturell vorgegeben.[17] Der Stil einer Subkultur gibt daher einen wichtigen ersten Anhalt zu deren sozialer Selbsteinordnung.

Damit das Zusammenleben in einer Subkultur – wie auch in der übergeordneten Gesellschaft – reibungslos funktioniert, werden innerhalb einer Subkultur Richtlinien geschaffen, die für die Mitglieder bindend, zugleich aber zumindest teilweise inkompatibel mit den Regeln der Bezugsgesellschaft sein können. Gemeinsame Werte zielen auf gruppenintern als erstrebenswert anerkannte Zustände und Verhaltensweisen ab, die das Leben miteinander vereinfachen und den Erhalt der Gruppe gewährleisten sollen. Aus Werten werden meist konkrete – geschriebene wie ungeschriebene – Normen abgeleitet, die dem Einzelnen signalisieren, welche Verhaltensweisen in welcher Situation von ihm konkret erwartet werden (sog. Sollens-Erwartung).[18]

Entsprechend sind auch Mitglieder von OMCG durch ein solches eigenes Regelwerk verbunden, das sie gleichsam von der übergeordneten Gesellschaft abgrenzt. Sie prägen zudem auch einen besonders charakteristischen Stil. In der öffentlichen Wahrnehmung gehören dazu wohl Lederwesten mit Clubaufnähern, Tätowierungen, lange Haare oder Bärte, martialisches Auftreten, harte Rockmusik und traditionell sicher auch die obligatorischen schweren Motorräder bzw. Chopper. Ein solcher Stil ist sowohl Identifizierungs-, als auch zusätzliches sichtbares Abgrenzungsmerkmal, er verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder und signalisiert zugleich die bereits angesprochene Abgrenzung von den Normen der übergeordneten Gesellschaft und die Zugehörigkeit zur Subkultur auch unmissverständlich an Außenstehende. Gleichzeitig hat diese Zugehörigkeit für Außenstehende oft auch einen diffusen Charakter, da sich die genannte Symbolik, wie bereits oben angesprochen, nicht immer ohne Weiteres von der Symbolik abgrenzen lässt, die gleichsam mit der großen Mehrheit polizeilich nicht relevanter Motorradclubs assoziiert wird, zumal eindeutige Zuordnungsdevotionalien wie das o.g. „Onepercenter“-Patch nicht ohne Weiteres von jedermann erkannt werden. Das Werte- und Normensystem der OMCG korrespondiert mit dem Ausdruck zugespitzter Maskulinität und Härte. Eine Vielzahl spezifischer Sitten und Rituale wie öffentlichkeitswirksame gemeinsame Motorradfahrten oder archaische Aufnahmezeremonien und Clubfeiern dienen dazu, sich gegenseitig der eigenen Werte zu versichern und sie offen auszuleben.

5. Die Rolle der Frau in OMCG im subkulturellen Kontext

Stil und Selbstverständnis der OMCG wirken sich unmittelbar auf deren Sicht auf die Rolle der Frau aus. Spezifische, der OMCG-Subkultur immanente Werte wie Stärke, Mut und expressive Männlichkeit, aber auch Gewaltbereitschaft und unbedingte Loyalität werden in der Welt der OMCG immer wieder getestet, das Bekennen dazu wird – einschließlich entsprechender Demonstrationen – offensiv eingefordert. Traditionell geht damit oft auch, gleichsam als subkultureller „Wert“ ein extremer Ausdruck weiblicher Inferiorität einher. Der US-amerikanische Anthropologe Daniel Wolf schreibt dazu: „Der männliche Chauvinismus wird als Teil des Macho-Ideals kultiviert: Männliche Dominanz und Aggressivität werden durch weibliche Passivität und Unterwürfigkeit ergänzt, vor allem im Bereich der sexuellen Befriedigung. Die asymmetrische Qualität der sexuellen Beziehungen spiegelt die Art und Verteilung der Macht in der Rocker-Subkultur wider.“[19] Zahlreiche subkulturelle Bräuche und Zeremonien involvieren folgerichtig Frauen, wobei die ihnen zugeschriebene Inferiorität demonstrativ zur Schau gestellt wird. Besonders deutlich kann das etwa im Rahmen von Aufnahmeritualen sichtbar werden: „Das erste Ritual, dem viele Outlaws unterworfen wurden und eines, dass sie verständlicherweise nie vergessen haben, war die Einweihung in einen Club. Neben anderen Prüfungen musste der Neuankömmling in einigen Gangs ein „Schaf“ mitbringen, wenn er zur Mitgliedschaft überführt wurde. Ein Schaf ist eine Frau, die dann während der Aufnahme Sex mit jedem Mitglied der Gang hatte. Letztendlich war das Schaf das Geschenk des neuen Mannes an die alten Mitglieder.“[20] Diese „komplizenhafte Männlichkeit“ ist dabei nicht unbedingt als individuelle Eigenschaft zu sehen, sondern in der Regel sozial erlernte Handlungspraxis[21].

In der Literatur vor allem aus den 70er und 80er Jahren, einer Zeit der weltweiten Expansion von OMCG, finden sich ferner Schilderungen von Frauen, die zu Gruppensex gezwungen wurden, wenn sie etwa ihrem Mann Widerworte gaben, sein leeres Bier nicht rechtzeitig bemerkten oder bei der Aufgabe scheiterten, sein Motorrad sauber zu halten. Wer nach einer solchen „Gruppensex-Zeremonie“ mit jener Frau Oralsex verübte, konnte sich dafür noch ein spezielles Abzeichen auf seiner Kutte verdienen.[22]

Bestenfalls werden Frauen in OMCG demzufolge in der Regel als eine Art Begleiterin geduldet, die dem Mann zu Diensten ist, keinesfalls aber als potenziell gleichwertiges Mitglied angesehen (zum Mythos der „Rockerin“ vgl. unten, 7.). Ihre Rollen sind beschränkt entweder auf die der festen Partnerin einzelner Mitglieder (meist „Old Ladies“ genannt) oder die eines allgemein verfügbaren „Lustobjekts“. Diese traditionell im subkulturellen Jargon auch als „Mamas“[23] bezeichneten Frauen werden quasi als Clubeigentum betrachtet und müssen aus Sicht der Mitglieder dauerhaft und jederzeit für jedes Mitglied „verfügbar“ sein: „Es gab eine kleine Gruppe ungebundener Frauen, doch ihnen gestanden die Männer keine wirkliche Würde oder Identität zu […] Sie galten allgemein als verfügbar.“[24] Sie sorgen nicht nur für die sexuelle und sonstige Befriedigung der eigenen Mitglieder, sondern dienen mitunter auch als „Gastgeschenk“ für Mitglieder anderer Clubs; in der Literatur ist neben den sog. „Mamas“ teilweise auch von „Broads“ (deutsch: „Bräuten“) die Rede, die ebenfalls vorrangig als Sexobjekte betrachtet werden, aber weniger eng mit der jeweiligen Gruppe verbunden sind.[25]

Eine „Old Lady“ zu sein bedeutet dagegen die wohl höchstmögliche Stellung als Frau innerhalb einer OMCG erreicht zu haben. Im Gegensatz zu den „Mamas“ ist die Zugehörigkeit der jeweiligen Frau hier auf ein Mitglied beschränkt. Die Frau ist damit für die übrigen Mitglieder grundsätzlich „tabu“. Doch der Status einer Old Lady bedeutet keineswegs immer, ein selbstbestimmtes Leben zu führen: „Ein Mann könnte von seiner Old Lady verlangen, dass sie sich für ihn prostituiert. Er könnte ihr auch befehlen, mit jemandem Sex zu haben, den er bestimmt hat […] Wenn er möchte, könnte ein Biker seine Old Lady auch an den Höchstbietenden verkaufen, und wir haben das gesehen“.[26]

Im Rahmen der o.g. Untersuchung konnten zu diesen Aspekten auch szenekundige Beamte aus dem für die Bearbeitung von Rockerkriminalität zuständigen Dezernat des LKA Berlin befragt werden. Die dortigen Erfahrungen in der Bundeshauptstadt korrespondieren mit den bisherigen Darstellungen. Das Frauenbild in OMCG sei demnach „einseitig“; Frauen würden in Rockergruppierungen grundsätzlich als „Besitz ihres Mannes“ betrachtet“[27]; eine Frau „muss gut aussehen“, sie sollte „am besten nicht allzu klug sein [und] keine Widerworte geben“.[28] Die vermeintlich „große Liebe“ könne für junge Frauen zudem rasch in Situationen münden, in denen sie „für ihren Mann“ der Prostitution nachgehen.[29] Mitunter hätten Rocker auch mehrere Frauen an ihrer Seite, neben einer Ehefrau, einschließlich eines nach außen zur Schau gestellten Familienlebens mit Kindern noch eine „Freundin“ für „andere Wünsche oder zum Vorzeigen“, die dann meist „einen ganz anderen Frauentyp verkörpert“.[30] Mit Strafverfolgungsbehörden sprächen diese Frauen im Übrigen genauso wenig wie die Rocker selbst – also grundsätzlich gar nicht.[31]

6. Das Phänomen weiblicher Affinität für Rocker

Vor diesem gesamten Hintergrund stellt sich die Frage, warum sich Frauen überhaupt zu OMCG hingezogen fühlen, sich scheinbar freiwillig eine solche Rolle zuweisen lassen. Ein wichtiger Grund dürfte neben der demonstrativ überzogenen „Männlichkeit“ und einer wie auch immer verwegenen „Bad Boy-Erotik“ sicher auch die Perzeption von persönlicher und materieller „Macht“ sein. So heißt es Beispielweise in einem Artikel der Neuen Züricher Zeitung: „Der Gangster verkörpert die Gesetzlosigkeit. Er ist ein Outlaw, der wie ein Mann von Welt durchs Leben geht, aber in der Unterwelt verkehrt. Er hat Geld, versammelt Macht. Das steigert seine kriminelle Erotik […]“.[32] Entromantisiert auf den Punkt gebracht handelt es sich um eine Art generelles und allgegenwärtiges Einschüchterungskapital, über das Rocker in der Regel verfügen. Sie pflegen eine Aura, die von patriarchalischer Dominanz und zugleich von nonkonformistischer Rebellenhaftigkeit geprägt ist. Davon ausgehend, dass manche Frauen das anziehend finden, können Orientierungsmuster kollektiver, von hegemonialer Männlichkeit geprägter Identität auch als Anreiz für Männer betrachtet werden, die sonst bei der Suche nach einer Sexualpartnerin benachteiligt wären.[33]

Allerdings muss dabei unterstrichen werden, dass manche Frauen für diese Art von Zugehörigkeit bereit sind, sich in gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse zu begeben und offenbar schwerste Demütigungen und auch physische Verletzungen in Kauf zu nehmen. Lesley Cooper, Professorin für soziale Arbeit an der australischen Universität Wollongong, hat dies gemeinsam mit Margaret Bowden von der australischen Flinders Universität, die auf Krankenpflege und Hebammenwesen spezialisiert ist, in einer Studie von 2006 wie folgt zusammen gefasst: „Frauen, die mit den Gangs assoziiert sind, neigen dazu, illegale Drogen zu konsumieren und werden häufig dazu gezwungen, Sex anzubieten, um etwa Schulden zu bezahlen oder Betäubungsmittel, Nahrung oder Unterkunft zu erhalten. Sie erleben ein hohes Maß an sexueller Gewalt in Form von Zwangspraktiken, ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit unterschiedlichen Partnern und auch Vergewaltigungen, die sie einem erheblichen Risiko körperlicher und seelischer Verletzungen aussetzen, darunter Weichteilverletzungen, innere Verletzungen, Frakturen, Verletzungen im Analbereich, sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV und Hepatitis B und C, psychiatrische und emotionale Störungen wie posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und psychische Not bzw. Symptomatik“.[34] Dennoch sind mit OMCG assoziierte Frauen oft in besonderem Maße loyal; sie lassen sich etwa zum Transport von Waffen oder Betäubungsmitteln einsetzen.[35] Anlässlich medizinischer Erstversorgung verletzter männlicher Mitglieder in Einrichtungen der Notaufnahme sind sie als potenziell gewalttätig beschrieben worden.[36]

7. Der Mythos der „Rockerin“

In den Gründungsjahren früher Rockergruppierungen soll es Gerüchten zufolge weibliche Mitglieder als „full patch members“ gegeben haben, etwa in den USA, aber auch in Deutschland[37]. Belege dazu finden sich – anders als etwa für Motorradclubs außerhalb der OMCG-Szene, die teilweise auch weiblich dominiert sind – indes nicht. Aber ist es gegenwärtig überhaupt vorstellbar, dass Frauen, die etwa als sog. „Old Ladies“ ein höheres Ansehen innerhalb der Rockerclubs genießen und zu mehr als einer reinen Begleiterin ohne formalen Status in der Clubhierarchie avancieren können?

In einigen Subkulturen, die mit Organisierter Kriminalität und Bandenkriminalität assoziiert werden, haben Frauen teils zentrale Rollen einnehmen können. Man denkt wohl unweigerlich an das Beispiel der italienischen Mafia, in der das männliche Familienoberhaupt nur so lange in seiner dominanten Rolle bleibt, wie es sich „auf freiem Fuß“ befindet. Verbüßt der Patriarch eine Gefängnisstrafe ist es oft die Ehefrau, die seine Position übernimmt. Ehefrauen haben im Todesfall des Patriarchen auch komplett die Führung der Organisation übernommen, wenn auch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem der älteste Sohn alt genug war, um selbst die Führung zu übernehmen.[38] Ausgangspunkt für derlei Konstellationen ist allerdings die zentral bedeutsame Ehre der Familie, die es in dieser Form bei Rockerclubs nicht gibt. Gerade in Abgrenzung etwa zu sog. Clankriminalität ist hervorzuheben, dass „die Kutte“ aus diesem Blickwinkel auch als Ersatz für den (nicht als gemeinsames Verbindungsmerkmal vorhandenen) Familiennamen betrachtet werden kann. Das Mann-Sein kann so uneingeschränkt zur notwendigen Voraussetzung der Mitgliedschaft – und Führerschaft – in OMCG erklärt werden. „Rockerinnen“ widersprechen insoweit nicht nur dem Selbstbild der Rocker-Subkultur, es gibt für sie sozusagen letztlich auch unter pragmatischen Gesichtspunkten (etwa hinsichtlich der anderswo zentralen Familienehre) keine Notwendigkeit.

8. Fazit und Ausblick

Frauen sind in der von männlicher Dominanz und Aggressivität geprägten Subkultur der OMCG klar definierte, untergeordnete Rollen zugewiesen, die sich in ihrer Bandbreite vom allgemein verfügbaren Sexobjekt bestenfalls bis zum Status einer sog. „Old Lady“ beschreiben lassen, in letzterem Fall also der Begleiterin eines männlichen Mitglieds, die gleichwohl dessen Weisungen – die mitunter grund- und menschenrechtlich geschützte Bereiche empfindlich berühren können – zu befolgen hat. An eine gleichberechtigte Stellung von Frauen in diesen Gruppierungen, unter welchem Blickwinkel auch immer, ist vor diesem Hintergrund nicht zu denken. Und es steht nicht zu erwarten, dass sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird: Bedenkt man den fortschreitenden Abschied der Rocker vom weißen Unterschichtmilieu und die einst unvorstellbare Öffnung hin zur Rekrutierung von Mitgliedern in Migrantenmilieus, sowie die zunehmend relativierte Bedeutung des Motorrads als zentrales Status- und Sinnstiftungssymbol, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass sich noch ein weiteres identitätsstiftendes Merkmal der OMCG-Subkultur auflöst und Frauen in absehbarer Zukunft als gleichwertige Mitglieder in OMCG willkommen geheißen werden; vom traditionellen Bild des Rockerclubs würde dann wohl, etwas zugespitzt formuliert, nichts mehr übrigbleiben.[39]

Ganz ähnlich hat Wolf es bereits 1991 formuliert: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Frauen jemals Gleichberechtigung in der Sozialphilosophie der OMCG-Subkultur erfahren werden; Frauen als Gleichgestellte würden das Bild des Rockers als seltene Spezies männlicher Unabhängigkeit und Stärke zerstören.“[40]


[1] Ray, B.: Hells Angels of San Berdoo ’65. San Francisco, USA: Blurb.inc. (2011).

[2] Barker, T.: Biker Gangs and Transnational Organized Crime. Waltham, MA: Anderson (2015).

[3] BKA: Rockerkriminalität, https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Rockerkriminalitaet/rockerkriminalitaet_node.html [06.05.2021]. Wiesbaden (2021).

[4] Detrois, U.: Bad Boy Ulli. Höllenritt. S. 9. Düsseldorf: Econ Verlag (2010).

[5] Martin, R.: Report of the National Conference on Organized Crime, Part 3. Washington: Law Enforcement Assistance Administration (1975).

[6] BKA: Rockerkriminalität (2021), ebd.

[7] Quinn, J. & Forsyth, C.: The tools, tactics and mentality of outlaw biker wars. American Journal of criminal justice 36/3, S. 216-230. New York: Springer New York (2011).

[8] Kruse, K. Kein Krieg und kein Frieden. In Schelhorn, Lutz et al (Hrsg.), Jagd auf die Rocker: Die Kriminalisierung von Motorradclubs durch Start und Medien in Deutschland, S. 95-129. Mannheim: Huber (2016).

[9] Von Lampe, K. Geschichte und Bedeutung des Begriffs organisierte Kriminalität. In Stöver, H., Tzanetakis, M. (Hrsg.), Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität: Herausforderungen für Politik, Justiz und Drogenhilfe, S. 23-49. Baden-Baden: Nomos (2019).

[10] Levi, M.: Money Laundering, The Oxford Handbook of Organized Crime S. 419-443, New York: Oxford University Press (2014).

[11] Morselli, C.: Hells Angels in Springtime. Trends in Organized Crime 12/2, S.145-158. Luxemburg: Springer (2009).

[12] Sponsel, R. In Feltes, T. & Rauls, F. (Hrsg.): Der Kampf gegen Rocker. Der „adminbstrative Ansatz“ und seine rechtsstaatlichen Grenzen“, S. 143 Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft (2019)

[13] Ahlsdorf, M.: Alles über Rocker. Die Gesetze, die Geschichte, die Maschinen, 3. Auflage. Mannheim: Huber-Verlag GmbH  & Co KG (2017)

[14] BKA. Rockerkriminalität, ebd.

[15] Deutscher Bundestag: Drucksache18/12003, Antwort der Bundesregierung. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/120/1812003.pdf [06.05.2021]. Berlin (2017)

[16] Peuckert, R. In Korte, H. & Schäfers, B. (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. 9. Auflage, S. 137f. Wiesbaden: Springer (2016)

[17] Buchmann, M.: Subkulturen und gesellschaftliche Individualisierungsprozesse. In: Heller, M et al. (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentages, des 11. Österreichischen Soziologentags und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988. Frankfurt am Main: Campus Verlag (1989)

[18] Tranow, U. In Peuckert, R. In Kopp, J. & Steinbach, A. (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie. 12. Auflage, S. 343. Wiesbaden: Springer (2018)

[19] Wolf, D. (1991). Woman and the Outlaws. The Rebels, S. 137. Toronto: University of Toronto Press (1991): „Male chauvinism is cultivated as part of the machismo ideal: male dominance and aggressiveness are complemented by female passivity as subservience, especially in the area of sexual gratification. The asymmetrical quality of sexual relations reflects the nature and distribution of power in the outlaw subculture.”

[20] Wolf, ebd., S. 372: „The first ritual many outlaws were exposed to, and one they understandably never forgot, was the initiation into a club. Along with other requirements, in some gangs, the initiate had to bring a „sheep“ when he was presented for membership. A sheep is a woman who had sex with each member of the gang during the initiation. In effect, the sheep was the new man’s gift to the old members.“

[21] Cornell, R.W. The big Picture. Masculinities in recent world history. In: Theory and Society 22, S. 597ff. USA: Springer (1993)

[22] Hopper, C. & Moore, J. Woman in Outlaw Motorcycle Gangs, S 373. Journal of Contemporary Ethnography. USA: SAGE Publications (1990)

[23] Verschiedene Bezeichnungen für (bestimmte) Frauen innerhalb der Szene variieren wohl regional und clubspezifisch als auch über die Zeit.

[24] Simon, Titus. Rocker in der Bundesrepublik. Eine Subkultur zwischen Jugendprotest und Traditionsbildung, S. 249. Weinheim: Deutscher Studien Verlag (1989)

[25] Wolf, ebd., S. 149

[26] Hopper & Moore, ebd., S. 372: „A man could require his old lady to prostitute herself for him. He could also order her to have sex with anyone he designated […] If he wished to, a biker could sell his old lady to the highest bidder, and we saw this happen“.

[27] Schmitz, N.: Die Rolle der Frau in Outlaw Motorcycle Gangs (B.A.), S. 42. Berlin: Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (2020)

[28] Schmitz, ebd., S. 35

[29] Schmitz, ebd., S. 40

[30] Schmitz, ebd., S. 41

[31] Schmitz, ebd., S. 42

[32] Neue Züricher Zeitung (2018). Warum Frauen auf Gangster stehen,  https://www.nzz.ch/gesellschaft/warum-frauen-auf-gangster-stehen-ld.1434924 [07.05.2021]

[33] Bley, R.: Rockerkriminalität – Erste empirische Befunde“, S. 75ff. Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft (2014)

[34] Cooper, L. & Bowden, M.: Working with Women associated with Bikie Gangs: Practice Dilemmas. In Australian Social Work Nr. 59, S. 302. London/UK: Routledge (2006): “Women associated with gangs tend to be illicit drug users, often coerced into providing sex to pay debts or obtain drugs, food and shelter. They experience high levels of sexual violence in the form of coercive sexual practices, unprotected sex with multiple partners and rape, all of which expose them to significant risk of physical and mental injury, including soft tissue injuries, internal injuries, fractures, injuries to the anal area, sexually transmitted diseases, such as HIV aids and hepatitis B and C, psychiatric and emotional disorders, such as post-traumatic stress disorder, depression and psychological distress and symptomatology.”

[35] Quinn, J.F.: Sex roles and hedonism among members of outlaw motorcycle clubs. Deviant Behavior, S. 47ff. USA: Taylor & Francis (1987).

[36] Bosmia, A. et. al.: Outlaw Motorcycle Gangs: Aspects of the One-Percenter Culture for Emergency Department Personnel to Consider, National Center for Biotechnology Information, Maryland/USA: National Library of Medicine (2014), https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4100862 [05.05.2021]

[37] Schmitz, ebd. S. 33

[38] Longrigg, C.: Die Patinnen. Frauen der Mafia, S. 91. München: Wilhelm Goldmann Verlag (1997)

[39] Schmitz, ebd., S. 35

[40] Wolf, ebd., S. 136: „It is highly unlikely that women will ever gain equality in the social philosophy of the outlaw-motorcycle-club subculture; female as equals would shatter the image of a biker as a rare breed of male independence and courage.“