Förderungsfaktoren des Ethnic Profiling

Von PK Samuel Heuer, PP Düsseldorf, PW Wersten

Es handelt sich hier um die Zusammenfassung einer Bachelor-Thesis an der HSPV NRW, die mit der Note 1,3 bewertet wurde.

1. Einführung

Die Gleichbehandlung verschiedener Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern und Kulturen, stellt in vielen europäischen Ländern auch im Jahr 2021 noch eine große gesellschaftliche Hürde dar. Gerade hierbei spielt der Staat mit seinen Institutionen eine Schlüsselrolle.

Doch was passiert, wenn eine dieser Institutionen ihren schützenden Charakter missachtet? Der Vorwurf, dass die Polizei in ihrer Alltagsarbeit bestimmte Personen und/oder Bevölkerungsgruppen, die einer Minderheit angehören, unfair, ungleich oder gar ungesetzlich behandelt, ist so alt wie die Polizei selbst (vgl. Behr, 2019, S. 1). Auch im Jahr 2021 scheinen Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit in der Öffentlichkeit noch “Tabuthemen” darzustellen, obwohl sie der Gesellschaft präsent sein sollten.

Ein solches Verhalten stellt eine Verletzung des Artikel 3 Abs. 3 GG dar. Diese Form von Ungleichbehandlung aufgrund phänotypischer Erscheinungsmerkmale, verstößt gegen das Verbot der rassistischen Diskriminierung (Cremer, et. al, 2017, S. 406).

Dieses belastende Diskriminierungserlebnis führt bei den Betroffenen zu einem Gefühl der Ohnmacht und kann ihnen das Gefühl geben ein Bürger ,,zweiter Klasse” zu sein. Dadurch können frustrationsbedingte Trotzreaktionen oder Aggressionen hervorgerufen werden. Daraus resultiert, dass Polizeibeamte sich in ihrer Fokussierung bestätigt fühlen und ihr ,,Profiling” verschärfen. Folglich entsteht noch mehr Frustration bei den Betroffenen und es beginnt ein Teufelskreislauf, der im weiteren Verlauf zu Desintegration, Segregation und einer Entwicklung von Feindbildern führen kann (Schicht, 2013, S. 34).

Die gesellschaftliche Relevanz und die Tragweite der Auswirkungen des Ethnic Profiling, geben Anlass dazu, dieses Phänomen genauer zu untersuchen. Aus diesem Grund befasst sich die vorliegende Arbeit mit Förderungsfaktoren des Ethnic Profilings. Hierbei wird der Blick auf den Einfluss von Stereotypisierung, die Wirkungsweise der sog. ,,Cop Culture” und die Tragweite organisationaler Einflussfaktoren gerichtet. Aufgrund des beschränkten Umfangs dieser Arbeit wird sich auf die wesentliche Literatur bzgl. der Förderungsfaktoren des Ethnic Profilings konzentriert.

Das primäre Ziel dieser Arbeit liegt in der Thematisierung eines vermeintlichen Tabuthemas. Außerdem soll geklärt werden, ob die oben genannten Faktoren die Entstehung von Ethnic Profiling begünstigen oder nicht. Die Adressaten dieser Arbeit sollen bestenfalls dazu angeregt werden, Verhalten in Bezug auf Ethnic Profiling zu reflektieren. Hierbei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um das Verhalten anderer, oder das eigene Verhalten handelt. Außerdem soll sie Erkenntnisse liefern, aus denen bestehende Maßnahmen zur Bekämpfung des Ethnic Profilings optimiert werden können.

Da in dieser Arbeit weiterführend nicht nur der Begriff der “Rasse” als Kriterium für Profiling thematisiert wird, sondern auch auf Begriffe wie Ethnizität, Religion etc. eingegangen wird, wird in dieser Arbeit das eingebürgerte Synonym ,,Ethnic Profiling“ verwendet (vgl. Gottschlag, 2017, S. 12). Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass der Begriff ,,Polizisten” in dieser Arbeit nicht stellvertretend für die gesamte Institution und ihr Personal verwendet wird, sondern sich nur auf Personen innerhalb der Polizei bezieht, die durch ihr Verhalten den Verdacht des Ethnic Profiling begründen. Der Begriff MH-Polizist*innen steht in dieser Arbeit für Polizist*innen mit Migrationshintergrund.

2. Begriffsbestimmung und Forschungsstand

Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) schlägt aufgrund der Komplexität dieses Themas, eine den Gesamtkontext des Racial Profiling erweiternde Definition vor:

Ethnisches Profiling bedeutet, dass Mitarbeiter der Polizei- und Ordnungsbehörden ihr Handeln, soweit es in ihrem Ermessen steht, auf verallgemeinernde Kriterien wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Religion und nationale Herkunft einer Person, statt auf ihr Verhalten und objektive Beweise als Verdachtsmomente gründen. Das gilt ggf. auch für Situationen, in denen die Strategien und Praktiken dieser Behörden, obwohl sie eigentlich weder insgesamt noch teilweise im Hinblick auf ethnische Zugehörigkeit, Rasse, nationale Herkunft oder Religion bestimmter Gruppen festgelegt wurden, sich trotzdem auf diese Gruppen innerhalb der Bevölkerung unverhältnismäßig stark auswirken, ohne dass sich dies durch die legitimen Ziele und Ergebnisse der Strafverfolgung rechtfertigen lässt.
(ENAR 2009, S. 3)

Im Gegensatz dazu steht eine 2007 erarbeitete Definition der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI). Sie beschreibt Ethnic Profiling ,,als ohne objektive Begründung erfolgende polizeiliche Berücksichtigung von Merkmalen wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft im Rahmen von Kontrollen, Überwachungen oder Ermittlungen” (ECRI, 2007 zitiert in Behr, 2017, S. 13).

Aus beiden Definitionen geht hervor, dass Ethnic Profiling den Rahmen möglicher Diskriminierung erweitert und neben der Rasse auch weitere Kriterien berücksichtigt, um Diskriminierung festzustellen. Sie betonen beide das Fehlen von objektiven Verdachtsmomenten.

Forschungsstand

Aufgrund eines Mangels an wissenschaftlichen Untersuchungen lassen sich kaum Aussagen zum quantitativen und qualitativen Umfang des Ethnic Profilings bei der Polizeiarbeit in Deutschland treffen (Schicht, 2012, S. 34). Es gibt jedoch eine Vielzahl an Arbeiten, die sich mit institutionellem Rassismus und polizeilicher Fremdenfeindlichkeit befassen, wodurch es ermöglicht wird, treibende Faktoren von Ethnic Profiling herauszulesen und Parallelen zum Ethnic Profiling als polizeiliche Form der Diskriminierung darzustellen.

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat 2019 die Lage in Deutschland zu diesen Themen untersucht und hat daraus resultierend Empfehlungen ausgesprochen. Es soll durch die Polizeibehörden des Bundes und der Länder der Auftrag erteilt werden, eine Studie zum Racial/Ethnic Profiling durchzuführen.  Das Ziel ist es, basierend auf dieser Studie Maßnahmen zu entwickeln die zu einer Beendigung des bestehenden Racial/Ethnic Profilings führen. Es sollen auch Maßnahmen zur nachhaltigen Unterbindung dieser Problematik entwickelt werden (ECRI, 2020).

Diese Arbeit untersucht diverse Arbeiten, die sich mit Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und dem Einfluss von organisationssoziologischen Prozessen auf Verhalten von Individuen beschäftigen. Sie soll mögliche Förderungsfaktoren von Ethnic Profiling thematisieren und aus einem anderen Blickwinkel heraus beleuchten.

Neben den Veröffentlichungen von Behr 2006 – 2019, Gottschlag 2017, Sicht 2012, bilden unter anderem die Verschriftlichungen von Belina 2016, Schweer/ Strasser 2008, Becker 2019, und Hunold 2010 weitere Grundlagen dieser Arbeit.

Rechtsprechung

Gemäß Art.3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt werden. Dieses Verbot rassistischer Diskriminierung findet sich nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in europäischen und internationalen Menschenrechtsschutzsystemen. Der Art. 14 der Europäischen Menschrechtskonvention, sowie der Art. 2 Abs. 1 und der Art. 26 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, beschreiben ebenfalls Diskriminierungsverbote.

Art. 3 Abs. 3 GG soll Menschen vor Ungleichbehandlungen schützen, die durch das phänotypische Erscheinungsbild eines Menschen entstehen. Hautfarbe und Gesichtszüge sind unveränderlichen Merkmale von Menschen, die das äußere Erscheinungsbild prägen. Sollten diese Merkmale von Polizeibeamten*innen Auswahlkriterium für anlasslose Personenkontrollen sein, liegt eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG vor.

Nach aktueller Rechtsprechung liegt Ethnic Profiling immer dann vor, ,,wenn bei einem Motivbündel ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal ein tragendes Kriterium unter mehreren gewesen ist” (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.04.2016 – 7 A 11108/14, Rn. 107). So ist beispielsweise die anlasslose Kontrolle eines dunkelhäutigen Menschen rechtswidrig, wenn die Hautfarbe als ausschlaggebendes Kriterium zur Verdachtsgewinnung aufgeführt wird.

3. Einflussfaktoren

,,90 % aller Drogenhändler sind schwarz” lautete das Statement eines Berliner Polizisten, der seine Erfahrungen bei der Bekämpfung von Betäubungsmittelkriminalität versuchte auf den Punkt zu bringen. Vorurteil, Stereotyp oder polizeilicher Alltag? Wie kommt es zu so einer Aussage und welche Mechanismen beeinflussen die Handlungen von Polizisten in ihrem Arbeitsalltag? Um im Nachfolgenden herauszustellen, welchen möglichen Einfluss Stereotype und Vorurteile auf die Aufrechterhaltung von Ethnic Profiling haben, muss zunächst eine kurze Begriffsbestimmung erfolgen.

Stereotype und Vorurteile sind kognitive und affektive Komponenten von Gedächtnisrepräsentation sozialer Gruppen, die auf sozialen Kategorisierungsprozessen basieren. Sie sind das Ergebnis sozialer Lernprozesse. Da sie durch eine Reihe von Verzerrungen beeinflusst werden können, spiegeln sie nicht unbedingt die sozialen Gegebenheiten wider (vgl. Degener, Meisner& Rothermund, 2009, S. 90).

Einen ähnlichen Einfluss von Stereotypisierung auf soziale Gegebenheiten, beschreiben auch Schweer und Strasser (2008):

Problematisch ist, dass die polizeilich konstruierte Wirklichkeit eine Mischung aus den erwähnten Stereotypen und den Erfahrungen des polizeilichen Alltags darstellt, die sich wiederum gegenseitig bedingen. (Schweer u. Strasser, 2008, S. 11)

Dieser These folgend wäre es zum Beispiel möglich, dass ein dunkelhäutiger Mann mit einer Trainingstasche auf dem Bahnhofsvorplatz telefoniert und kontrolliert wird. Durch die Aktivierung von Stereotypen und dem Einfluss polizeilicher Erfahrung sehen die Polizisten*innen in ihm einen Drogendealer. Aus der Kontrolle geht hervor, dass er mit einem Freund zum Sport verabredet ist und ihm telefonisch mitteilen wollte, dass er bereits am Treffpunkt wartet.

Es kann somit davon ausgegangen werden, dass es bei häufigerem Kontakt zwischen Polizeibeamten und ethnischen Minderheiten auf Dauer zur Verfestigung von Stereotypen kommt.

,,Erst stigmatisieren, dann diskriminieren

Anknüpfend an den Einfluss von Stereotypisierung auf polizeiliche Handlungsmuster beschreiben Schweer und Strasser (2008) die Folgen von Stigmatisierung:

Jedenfalls bergen Stereotypisierungen die Gefahr in sich, mit dem eigentlichen Stigma weitere negative Eigenschaften zu verbinden: So sei der Ausländer nicht nur tendenziell kriminell, sondern auch verlogen, der Obdachlose nicht nur schmutzig, sondern auch Alkoholiker, der Asylbewerber nicht nur ein Sozialschmarotzer, sondern auch faul.
(Schweer, Strasser, 2008, S. 20)

Polizist*innen haben ihrer Meinung nach meist gute Gründe dafür, Ausländer zu kontrollieren. Der Erfolg im polizeilichen Sinne bestärkt sie darin. Selbst eine Erfassung im polizeilichen Auskunftssystem wird hier schon als Erfolg gewertet (Vgl. Behr, 2013, S. 28). Solche Raster und Typisierungen werden verwendet, um Entscheidungsprozesse zu vereinfachen. Problematisch wird es, wenn die Betroffenen sich dadurch diskriminiert fühlen.

Die soziale Diskriminierung stigmatisierter Gruppen führt dazu, dass deren Mitglieder eine bestimmte Erwartungshaltung einnehmen. Durch die häufigen negativen Erfahrungen rechnen sie damit, in bestimmten Situationen diskriminiert zu werden. Sie entwickeln daraus die Angst, aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit diskriminiert zu werden. Das Verhalten dieser Individuen wird in zukünftigen Situationen von dieser Angst beeinflusst werden (Hansen, 2008, S. 158).

3.1 Self-Fullfilling-Prophecy

Polizeibeamte handeln nach Ethnic Profiling, erzeugen damit Unmutsreaktionen und fühlen sich in ihrer Fokussierung bestätigt.
(Schicht, 2012, S. 34)

Der amerikanische Professor für Soziologie Robert K. Merton beschrieb die selbsterfüllende Prophezeiung als eine anfänglich falsche Definition einer bestimmten Situation, die ein neues Verhalten hervorruft, welches bewirkt, dass die ursprüngliche falsche Auffassung richtig wird. Der Prophet wird dadurch in seiner ursprünglich falschen Auffassung bestätigt. Er bleibt damit in dem Glauben, die Situation von Anfang an richtig eingeschätzt zu haben (vgl. Heining, 2019, S. 26, 27).

Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen ist zu vermuten, dass Polizisten*innen bei Einsätzen mit bekannter Brisanz, z.B. Einsätze in Brennpunkten mit Angehörigen ethnischer Minderheiten, aufgrund ihrer Berufserfahrungen und der Aktivierung von Stereotypen, einen möglichen Ausgang der Situation bereits vor Augen haben.

Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass Polizisten*innen in einer solchen Situation vorsichtshalber ihre Körpersprache und Tonlage anpassen, um eine Form von Eigensicherung zu ermöglichen. Das polizeiliche Gegenüber könnte dieses Verhalten als bedrohlich wahrnehmen und somit fehlinterpretieren. Das Resultat ist der möglicherweise von beiden Parteien erwartete Konflikt. Die Polizisten als ,,Propheten” dieser ,,Prophezeiung” werden in ihrer Annahme bestätigt, wodurch sich die bestehenden Stereotypen weiter verfestigen und dazu führen, dass Ethnic Profiling aufrechterhalten wird.

3.2 Cop Culture

Ethnic Profiling als soziales Phänomen lässt sich durch soziologische Zusammenhänge am besten erklären. Es gibt eine Vielzahl von Einflüssen, durch die menschliches Handeln determiniert wird. Neben den psychologischen Mechanismen der Mikroebene, soll sowohl der Einfluss der Polizistenkultur als auch die Wirkung der Polizeikultur auf der Mesoebene betrachtet werden. Um im Weiteren darzustellen, welchen möglichen Einfluss beide Kulturen auf Ethnic Profiling haben, erfolgen zunächst die Begriffsdefinitionen.

Polizistenkultur versteht sich als eine Kultur, die in das polizeiliche Innere gerichtet ist und die Sicherung der individuellen und kollektiven Identität verfolgt. Hierzu gehört auch die Vorstellung, dass der gesellschaftliche Frieden tendenziell durch den Gegenstand der polizeilichen Arbeit bedroht ist. Um inneren Frieden zu erlangen, muss der Kampf gegen die äußere Bedrohung geführt werden (vgl. Behr, 2006, S. 39, 40).

,,Cop Culture vermittelt zwischen Innen und Außen und stellt Sinndeutungen zur Verfügung, die das Leben an der Grenze zwischen der heilen Welt und der Welt des Verbrechens und der Gefahr ausdeuten” (Behr, 2006, S. 40) Durch die Gefahr verbunden sehen sich Polizisten*innen als Verteidiger einer Ordnung, welches ihnen ermöglicht, die im Dienst auftretenden Spannungen zu regulieren (vgl. Behr, 2006, S. 41ff.).

Die Polizeikultur bildet das Gegenstück zur Polizistenkultur und lässt sich wie folgt definieren:

Polizeikultur ist ein Bündel von Wertbezügen, die als transzendentaler Rahmen das Alltagshandeln von Polizeibeamten ermöglichen, begrenzen und anleiten. Wertbezüge geben darüber Auskunft, in welchen Situationen welche Werte und Tugenden, in welchem Ausmaß Geltung erlangen (z.B. Selbstdisziplin, Tapferkeit, Loyalität, Zivilcourage) und auch darüber, wann und in welchem Ausmaß Gewalt angewendet werden muss, soll oder darf.
(Behr, 2006, S. 48).

Während die Polizeikultur durch ein Bündel von Wertbezügen in der Theorie eine Art Leitbild darstellt, beschreibt Polizistenkultur die praktische Umsetzung dieser Denklogiken. Sie stellt somit ein Handlungskonzept dar an dem sich Polizist*innen im Dienst orientieren.

Wie kommt es zur Entstehung von Werten und welchen Einfluss haben sie auf das Verhalten einer Gruppe?

Der interaktive Prozess, welcher durch die Mitgliedschaft in der Polizei ausgelöst wird, verändert die Identität des Individuums. Die Wertevermittlung der polizeilichen Berufskultur wird als ,,tertiäre Sozialisation“ bezeichnet. Gemeinsame Überzeugungen und Berufspraktiken sind Teile dieser polizeilichen Berufskultur und beeinflussen das Verhalten von Polizisten. (Gottschlag, 2017, S. 35) Die wesentlichen Berufspraktiken, unter anderem auch Verdachtsstrategien, werden meistens im Rahmen der ersten Praxiserfahrungen durch erfahrene Kollegen und Vorgesetzte vermittelt (hierunter fallen auch ,,Diskriminierungspraktiken”). Durch sie wird festgelegt, welche Tätigkeiten Erfolge darstellen und welche nicht. Diese Erfahrungen werden übernommen und bestätigen und verfestigen sich durch Erfolg (Behr, 2017, S. 259).

Diskriminierungshandlungen von Polizisten zeigen sich nicht als strukturell verankerte monströse Gewalthandlungen, sondern als Bestandteil einer subkutanen gleichwohl subkulturell legitimierten Alltagspraxis. Ethnic Profiling könnte eine solche Alltagspraxis darstellen. Die daraus resultierenden Diskriminierungshandlungen werden meistens auf der Grundlage von polizeilicher Erfahrung legitimiert. Das eigene Handeln muss nicht mehr reflektiert werden, weil es durch Erfahrungswerte gerechtfertigt wird. Es ist daher anzunehmen, dass es Polizisten*innen gibt, die ihr diskriminierendes Verhalten, gegenüber sozialen Randgruppen, nicht bewusst wahrnehmen. Hinzu kommt der Einfluss der Polizistenkultur, welcher in der Praxis dazu führt, dass kein Perspektivwechsel erfolgt. Das von den Betroffenen empfundene Gefühl der Ungerechtigkeit kann daher nicht wahrgenommen werden (vgl. Gottschlag, 2017, S. 37).

Mit der Wahrnehmung von Diskriminierungshandlungen durch Polizisten haben sich auch Schweer und Strasser (2008) auseinandergesetzt. Ausgehend von dem Standpunkt, dass die Thematisierung von Diskriminierung für die Polizei und ihre Kultur eine schmerzhafte Konfrontation darstellt, führten sie Befragungen von Polizisten*innen durch. Bei der Befragung bezüglich ihrer Umgangsformen mit ,,Ausländern” gab fast jeder zweite Polizeibeamte an, dass Ausländer durch die Kollegen benachteiligend behandelt werden (Schweer, Strasser, 2008, S. 22). Ob es zu einer Benachteiligung von bestimmten Personengruppen kommt, hängt von der Zusammensetzung einer Organisationseinheit ab. Sie prägt den Umgang mit ethnischen Minderheiten und sozialen Randgruppen. Neben dem Geschlecht spielt auch das Alter eine wichtige Rolle. Die Merkmale der vorhandenen Subkultur beeinflussen diesen Umgang stark (vgl. Schweer, Strasser, 2008, S. 27).

3.3 Organisationale Einflussfaktoren

Auf der Makroebene soll der mögliche Einfluss der Organisation Polizei betrachtet werden. Welche Rolle spielen kulturelle Dominanz und Zielvereinbarungen in Bezug auf Ethnic Profiling?

Neben den vorgegebenen Zielen spielen auch persönliche Motive eine große Rolle. Der Wunsch nach Anerkennung durch Vorgesetzte, nach erfolgreichen Maßnahmen, kann ein solches Motiv sein. Der Einfluss dieser Bedingungen prägt die Wahrnehmung der Umgebung (Gottschlag, 2017, S. 46). Laut Herrnkind (2014 S. 47) ergibt sich daraus ein plausibler Erklärungsansatz für die Fokussierung auf ethnische und soziale Randgruppen. Er spricht von ,,Statistischem Profiling”. Ihm zufolge würden Polizist*innen sich bei ihrer Selektion einen Treffer erhoffen und sich weniger Gedanken über die Ethnizität des Gegenübers machen.

Ein Polizeibeamter wurde im Rahmen einer Studie der Hochschule der Polizei, zu seinen Erfahrungen im Dienst befragt und sagte:

,,Wenn du einen Ausländer kontrollierst der dazu noch schlampig aussieht, liegt die Trefferquote bei 99%” (Gottschlag 2017, S. 34). Dieses Statement bekräftigt Herrnkinds eingangs genannte These.

Gottschlag nennt weitere Beispiele für einen Treffer. Laut ihm kann neben einer Alkoholisierung im Straßenverkehr, dem Fund von Waffen und Drogen auch die Haftnotierung zu einer Person ein Treffer sein (Gottschlag, 2017, S. 34). Sollte es zu einem solchen Treffer kommen, kann davon ausgegangen werden, dass der weitere Verlauf dieser Kontrolle zu einer bereits im Kapitel zwei beschriebenen ,,sich selbst erfüllenden Prophezeiung” wird. Es werden dadurch bestehende Stereotype verfestigt.

Daher kann angenommen werden, dass die oben beschriebene Kausalkette Ethnic Profiling indirekt verstärkt.

4. Kulturelle Dominanz der Organisation

Unter der These ,,Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft” versucht die Polizei sich der Gesellschaft anzupassen, was zwangsläufig dazu führt, dass es zu einer vermehrten Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund kommt (vgl. Behr, 2009, S. 162).

Die Führung der Polizei sucht gezielt nach Personen mit Migrationshintergrund, um sie als Vermittler zwischen den Kulturen einzusetzen. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie beide Kulturen kennen und beider Sprachen mächtig sind. (vgl. Behr, 2010, S. 154) Basierend auf dem Konzept der kulturellen Elastizität der Organisation könnte generell angenommen werden, dass die Einstellung von Personen mit Migrationshintergrund auf Dauer zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Polizei und Migranten führen sollte. Um eine solche Verbesserung zu ermöglichen, müssen Polizisten mit Migrationshintergrund sich zunächst mit ihrer Rolle innerhalb der Organisation vertraut machen.

Es ist davon auszugehen, dass neben den Ansprüchen der Kollegen und der Organisation auch die Erwartungshaltungen der Bürger an die Polizisten mit Migrationshintergrund herangetragen wird. Es wird seitens der ausländischen Bürger davon ausgegangen, dass sie von ihres gleichen fairer behandelt und besser verstanden werden als von, ,,deutschen Polizisten” und somit weniger Ungleichbehandlung aufgrund ihrer Ethnie erfahren.

Voraussetzung für diese Wunschvorstellung ist, dass die Polizisten mit Migrationshintergrund nach Eintritt in die Polizei, die Werte der Organisation vertreten, ohne ihre eigenen ,,über Bord zu werfen”. Ist eine solche Form der Anpassung überhaupt möglich? Welche Rolle spielt die kulturelle Dominanz bei dieser Anpassung?

Einerseits soll der MH-Mitarbeiter einen nutzbaren Teil seines kulturellen Hintergrunds bewahren, andererseits muss er sich vollständig der deutschen Kultur anpassen, um in die Polizeiorganisation zu gelangen.
(Klimke, 2010, S. 58).

Mit der kulturellen Dominanz einer Organisation assoziiert man zunächst ihre Assimilationsmacht und Integrationsfähigkeit. Die formale Gleichstellung der Organisation genießt oberste Priorität. Eine Ausnahme für Migranten, Frauen und Minderheiten ist undenkbar. Sie ermöglicht höchstens, dass ausreichend viele Aspiranten die Zugangsvoraussetzungen erfüllen. Zugang zu der Organisation erlangen nur diejenigen, die eine prinzipielle Gleichheit bzw. Ähnlichkeit vorweisen können. Das Auswahlverfahren hat diesbezüglich eine Filterfunktion und ermöglicht nur Kandidaten den Zugang, die die hegemonialen Regeln akzeptieren und im Sinne der Organisation assimilationsgeeignet sind (vgl. Behr, 2006, S.179, 180). Eine Verhaltensanpassung von Migranten an die gesellschaftlich geschaffenen und institutionalisierten Erwartungen wird als Assimilation bezeichnet (vgl. Esser 2004, S.45 ff.).

Innerhalb eines festgelegten institutionellen Rahmens müssen Polizeibeamte Erwartungen und Bedingungen der Organisation erfüllen, ohne sich dabei als Mensch in der eigenen Subjektivität zu verlieren. Für Polizeibeamte mit Migrationshintergrund ist dieser ,,Spagat” eine besondere Herausforderung. Diesen Aushandlungsprozess beschreibt die ,,berufliche Identität” (vgl. Behr 2010).

In seinem Werk (2010) skizziert Behr unter anderem den Zusammenhang zwischen Assimilation und beruflicher Identität, der wie folgt dargestellt werden könnte:

,,Statt dass sich die Organisationskultur diversifiziert, assimilieren sich die MH-Polizisten nahtlos in die vorgefundenen Strukturen und übernehmen die Wissensvorräte, womit sie auch dieselben Einstellungen ihrer deutschen Kollegen abstützen, nicht zuletzt über Fremdheit” (Behr, 2010, S. 39).

Beeinflusst wird dieser Prozess durch das Verhalten der Kollegen. Personen mit Migrationshintergrund sind in der Polizei immer noch eine Ausnahme, sodass der Prozess der Akzeptanz, von Seiten der Polizisten ohne Migrationshintergrund, möglicherweise noch nicht gänzlich abgeschlossen ist. Aus ihrer Sicht sind Migranten als Kollegen schwerer zu respektieren, weil sie zu einem gewissen Teil die Form des polizeilichen Gegenübers repräsentieren, mit dem es häufig Probleme gibt (vgl. Behr, 2010, S.184 ff.). Aus diesem Grund sind MH-Polizisten*innen in ihrer Stellvertreterrolle häufig Negativgeneralisierungen ausgesetzt und versuchen aus dieser Zwischenposition heraus negativen Erwartungshaltungen entgegenzuwirken (Hunold, 2007, S. 86). Aus diesem Grund müssen Beamte mit Migrationshintergrund nicht nur erkennen lassen, dass sie gute Polizisten*innen sind, sondern auch beweisen, dass sie auf der ,,richtigen Seite” stehen (vgl. Behr 2010, S.184 ff.).

Ergänzend dazu erklärt Behr, dass Beamte mit Migrationshintergrund sich von ihren Wurzeln verabschieden müssen, um vollständig bei der Polizei anzukommen (vgl. Behr, 2010, S. 39).

Die Abstoßung der eigenen Wurzeln erklärt auch, weshalb fremdethnische Klientel weder einen Verständnis- noch Kulturbonus erwarten darf. Der Seitenwechsel nach Eintritt in die Polizei führt dazu, dass Fremde nun aus der polizeilichen Binnenperspektive gesehen werden (Vgl. Behr, 2010, S. 39). An diese Überlegung anknüpfend könnte vermutet werden, dass zum Beispiel eine offensichtlich rechtswidrige Personenkontrolle durch Kollegen, basierend auf Ethnic Profiling, von Polizisten mit Migrationshintergrund einfach hingenommen wird, damit sie nicht negativ in der Gruppe auffallen. Sie wollen dadurch den Anforderungen der Kollegen gerecht werden.

Der Polizist mit Migrationshintergrund hat seine polizeilichen und spezifischen ethnischen Fähigkeiten einzubringen und sich ansonsten unauffällig zu verhalten.
(Klimke, 2010, S.58)

Es ist anzunehmen, dass Polizisten*innen mit Migrationshintergrund den Kollegen ihre Bedenken bezüglich einer rechtswidrigen Maßnahme nicht mitteilen, um einerseits ihre Erwartungen zu erfüllen und andererseits nicht als ,,Nestbeschmutzer” zu gelten (vgl. Schweer, Strasser 2008, S. 34).

5. Fazit

In der vorliegenden Arbeit wurden Förderungsfaktoren des Ethnic Profilings untersucht. Hierbei wurde neben der Wirkungsweise der Cop Culture, dem Einfluss von Stereotypisierung und self-fulfilling-prophecies, auch der organisationale Einfluss untersucht. Die Zielsetzung dieser Arbeit lag neben der Thematisierung des Ethnic Profilings darin, festzustellen, ob die die untersuchten Faktoren Ethnic Profiling begünstigen oder nicht. Die folgenden Ausführungen sind keineswegs abschließend zu verstehen.

Aus der Untersuchung von Stereotypisierung bezüglich ihrer Wirkung auf Ethnic Profiling geht hervor, dass die bisherige Forschung die Schlussfolgerung zulässt, dass Stereotypisierung einen Förderungsfaktor für Ethnic Profiling darstellt. Da sie dem derzeitigem Forschungsstand zufolge die Kategorisierung von Menschen in bestimmte Gruppen, mit bestimmten Eigenschaften ermöglicht, legt sie einen unverzichtbaren Grundstein für Stigmatisierung. Sollte es aufgrund dieser zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit zu einer Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen kommen, kann von Diskriminierung gesprochen werden. Erfolgt eine solche Ungleichbehandlung durch die Polizei zum Nachteil ethnischer Minderheiten, kann Ethnic Profiling angenommen werden.

Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Stereotypisierung symbolisch gesehen eine wichtige Stütze des Ethnic Profilings darstellt. Auf ihr basieren die weiteren Mechanismen, die dazu führen, dass aus dem anfänglich harmlosen „Schubladendenken“, eine diskriminierende Alltagspraxis resultiert.

Ob die Entstehung einer diskriminierenden Alltagspraxis, wie Ethnic Profiling, durch den Einfluss der self-fulfilling-prophecy begünstigt wird, ist noch ungeklärt. Obwohl aus dieser Arbeit Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die eine Wechselwirkung, zwischen Ethnic Profiling und self-fulfilling-prophecies vermuten lassen, konnten sie nicht durch den derzeitigen Forschungsstand belegt werden.  Es bleibt somit fraglich, ob die verzerrte Wahrnehmung von Polizist*innen und ihre damit verbundenen Handlungsmuster im Umgang mit ethnischen Minderheiten, konkret auf den Einfluss der self-fulfilling-prophecy zurückzuführen ist.

Um den Einfluss von Handlungsmustern der Polizei auf Ethnic Profiling herauszuarbeiten, wurde die Wirkungsweise der Cop Culture untersucht. Hierdurch bestätigte sich die in der Literatur einstimmig beschriebene ethnozentrische Wirkung. Sie führt dazu, dass die Polizisten in der Andersartigkeit anderer Personen eine gefährliche Fremdheit sehen (vgl. Behr, 2017). Aus der Interaktion mit Kollegen resultiert die subkulturelle Teilung von Menschenbildern. In der Folge kommt es wiederum zur Stereotypisierung und Stigmatisierung ethnischer Minderheiten. Die durch die Cop Culture geprägten, eigenen Vorstellungen von richtiger Polizeiarbeit, tragen letztlich dazu bei, dass die polizeiliche Maßnahme nicht auf objektive Verdachtsmomente gestützt ist, sondern auf das ,,Bauchgefühl” des Polizisten.

Zusammenfassend kann auf Grundlage der aufgeführten Forschungsergebnisse gesagt werden, dass die Cop Culture nicht nur die Entstehung von Ethnic Profiling begünstigt, sondern auch maßgeblich an der Aufrechterhaltung dieser Diskriminierungspraktik beteiligt ist.

Weiterführend wurden im Rahmen dieser Arbeit organisationale Einflussfaktoren untersucht. Eine begünstigende Wirkung von Zielvereinbarungen auf Ethnic Profiling ist bisher noch nicht erforscht und konnte nicht erwiesen werden. Dadurch bleibt ungeklärt, ob Polizist*innen sich durch das Setzen von Zielvereinbarungen motiviert fühlen, ihre Vorgaben zu erfüllen und dazu auch auf bedenkliche Mittel wie Ethnic Profiling zurückgreifen.

Deutlich mehr Erkenntnisse gingen aus der Untersuchung zur Wirkungsweise der kulturellen Dominanz in Bezug auf Ethnic Profiling hervor. Indem sie unter anderem Routinen und Rituale verfestigt, sorgt sie für die Kontinuität der Organisation. Durch ihre Wirkung werden Überzeugungen und Traditionen nicht hinterfragt. Die kulturelle Dominanz trägt dazu bei, dass Ethnic Profiling zu einer etablierte Alltagspraxis wird und kann somit als Förderungsfaktor gesehen werden.

Aus der Literatur geht hervor, dass sie die Organisation vor Veränderung schützt. Die Einstellung von Polizisten mit Migrationshintergrund könnte eine solche Veränderung mit sich bringen. Oberste Priorität der kulturellen Dominanz liegt in der formalen Gleichstellung der Organisation. Unter dem Assimilationsdruck passen sich Polizisten mit Migrationshintergrund der Organisation an. Sie übernehmen auch Einstellungen und Handlungsmuster von Kollegen. Daraus ergibt sich die These, dass das Verhalten von Polizisten mit Migrationshintergrund unter dem Einfluss der kulturellen Dominanz nicht zu der erwarteten Dämpfung von Ethnic Profiling führt.

Unter Berücksichtigung aller Forschungsergebnisse kann gesagt werden, dass Ethnic Profiling ein derzeit schwer greifbares Phänomen darstellt. Die fehlende Datenbasis in Deutschland erschwert neben der Ursachenforschung die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Der derzeitige Forschungsstand zeigt auf, dass die Entstehung von Ethnic Profiling nicht auf die Wirkung einzelner Faktoren zurückzuführen ist und betont dadurch die Komplexität dieser Problematik.