Racial Profiling – ein rechtliches Phänomen im Spannungsfeld von Gesetzesvollzug und Diskriminierungsverbot

von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a. D., Berlin

Das Problem

Bestimmte Kontrollmaßnahmen der Polizei sind bereits seit längerem Gegenstand einer sich verfestigenden Diskriminierungsdiskussion innerhalb zivilgesellschaftlicher Organisationen, werden aber auch von Oppositionsparteien[ii] im politischen Streit zunehmend kritischer gesehen. Dabei wird den Kontrollorganen unter dem Rubrum rassistische Gewalt bzw. rassistische Diskriminierung vorgeworfen, sich des Racial Profilings zu bedienen, indem sie gezielt Personen aufgrund äußerer Merkmale kontrollieren und damit gegen das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen. Durch die „Black lives matter“- Bewegung, aktuelle Vorfälle in Frankreich, eine medial breit gestreuten Studie der Ruhr-Universität zu angeblicher polizeilicher Gewaltanwendung und unbedachten Äußerungen von Politikern über angebliche strukturelle Fremdenfeindlichkeit bei den Sicherheitsorganen hat die Diskussion zusätzliche Brisanz erfahren. Der zunächst vorherrschende Eindruck, es handele sich um ein isoliertes deutsches Problem, täuscht, denn ausweislich der Länderberichte der EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wird die Praxis des Racial Profiling in mehreren europäischen Ländern angeprangert.

Bei der Virulenz des Vorganges konnte es auch nicht ausbleiben, dass sich zunehmend häufiger insbesondere die Verwaltungsgerichte- zum Teil mit widersprüchlichen Ergebnissen- dieser Problematik annehmen mussten. Beschuldigte sind in der Regel Bundespolizisten, da diese bei der im Rahmen der Migrationskontrolle praktizierten Schleierfahndung prioritär mit den Problemen der verdachts- und anlasslosen Personenkontrolle konfrontiert sind. Wie aber die Ereignisse in der berüchtigten Kölner Silvesternacht und polizeiliche Maßnahmen in Regionen mit hohem Migrantenanteil, bei der Drogenbekämpfung sowie an kriminalitätsbelasten Orten belegen, wird der Vorwurf rassistischer Diskriminierung auch in anderen Bereichen erhoben und wird damit zu einem generellen sicherheitspolitischen Problem. Das Bundesland Berlin sah sich sogar veranlasst, der gesamten Problematik durch ein gesonderte Landesantidiskriminierungsgesetz eine besondere Gussform zu verpassen.

Der Begriff

Wie alle sozialwissenschaftlichen und kriminologischen Geistesfrüchte neueren Datums stammt der Terminus Racial Profiling bzw. Ethnic Profiling aus dem angloamerikanischen Forschungsraum, wobei die Begriffe in der Regel synonym und deckungsgleich verwendet werden. Eine juristisch verbindliche Definition gibt es nicht. Menschenrechtsorganisationen, Bürgerrechtler und Sozialwissenschaftler tendieren aber zunehmend dazu, den Begriff Ethnic Profiling zu verwenden, da Racial Profiling an den eigentlich verpönten Begriff der Rasse anknüpft, für den bisher jedoch kein passendes Substitut gefunden wurde. Grundsätzlich liegt Racial Profiling dann vor, wenn sich die Sicherheitsbehörden im Rahmen ihres Ermessens bei Eingriffshandlungen an äußeren Faktoren wie Rasse oder ethnische Herkunft statt an objektiv nachgewiesenen Verdachtsmomenten orientieren.

Die Bundesregierung geht in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE von folgender Definition aus: „Unter „ethnic“ bzw. „racial profiling“ wird – im Einklang mit den Aussagen des VN-Ausschusses zur Eliminierung aller Formen von Rassendiskriminierung in „General recommendation XXXI on the prevention of racial discrimination in the administration and functioning of the criminal justice system“ – die Einleitung von hoheitlichen Maßnahmen alleine aufgrund von auf eine vermeintliche „Rasse“ bezogenen äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen und unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten verstanden.“[iii] Die Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz erweitert diese Definition. Danach ist „rassische Profilbildung“ die ohne objektive und vernünftige Begründung erfolgende polizeiliche Berücksichtigung von Merkmalen wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft im Rahmen von Kontrollen, Überwachungen oder Ermittlungen.“[iv] Folglich bezeichnet der Europäische Kodex der Polizeiethik des Ministerkomitees des Europarates vom 19. September 2011 rassistisches Profiling als eindeutigen Verstoß gegen seine polizeiethischen Verhaltensvorschriften.

Racial Profiling wird zwischenzeitlich in einer Unzahl von Regelungen und Absichtserklärungen national und international für rechtswidrig erklärt. So haben sich zu dieser Problematik dezidiert u.a. der UNO-Ausschuss gegen Rassismus, die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) geäußert. Dabei gerät auch der Begriff des Profiling in Misskredit. Auch er ist mehrdeutig; grundsätzlich bezeichnet er die allgemeine soziale Kategorisierung von Personen nach unveränderlichen Merkmalen. In der Versicherungsmathematik finde Profiling als Scoring Anwendung, um anhand statistischer Daten verlässliche Prognosen z.B. zur Kreditwürdigkeit einer Person zu treffen. Das Bundesdatenschutzgesetz bezeichnet in § 46 Nr. 6 Profiling verkürzt als jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten, bei der diese Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf natürliche Personen beziehen, zu bewerten. Nicht gleichzusetzen hingegen ist der Begriff mit dem „Profiling“ der kriminalistischen Fallanalytik als Entscheidungshilfe für die Strukturierung von Ermittlungen.

Verfassungsrechtliche Fundamentalnorm für die rechtliche Bewertung von Racial Profiling als Diskriminierung ist der allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, der sowohl überpositiver Rechtsgrundsatz als auch unmittelbarer geltendes Recht ist. Er enthält ein Diskriminierungsverbot, das unter Betonung der Wertschätzung des Individuums und zur Verhinderung des Denkens in stereotypen Rollenzuteilungen das Verbot besonders sensibler Diffamierungsmerkmale fordert. Eine direkte Diskriminierung liegt vor, wenn eine Maßnahme ohne hinreichende Rechtfertigung an ein verpöntes Merkmal anknüpft; eine indirekte Diskriminierung ist gegeben, wenn die Maßnahme nicht ausdrücklich an ein diskriminierendes Merkmal anknüpft, aber der Adressat aufgrund der faktischen Auswirkung in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt wird. Bei ausdrücklichem Vorliegen von Missbrauchstatbeständen wird auch von „diskriminierendem Profiling“ gesprochen. Zuweilen ist auch von „formal racial profiling“ die Rede, wenn die Diskriminierung auf ausdrücklichen Direktiven und Schriftsätzen beruht, sowie von „informal racial profiling“, wenn die Entscheidung auf Stereotypen beruhen, die ein Individuum im Lauf seiner Sozialisation internalisiert hat.

Das Recht

Racial Profiling knüpft an den Begriff Rasse -in Deutschland allein schon aufgrund der historischen Hypotheken verpönt- an, für den sich weder in den Sozialwissenschaften noch in den Rechtswissenschaften eine verbindliche Definition finden lässt. Durch seine Verwendung in der Verfassung, in weiteren Gesetzestexten und internationalen Menschenrechtsregelungen wird sowohl suggeriert als auch verfestigt, dass es unterschiedlichen Menschenrassen gibt. In der Fachliteratur wird Rasse ohne Anknüpfung an Ideologien oder Naturwissenschaften lediglich als soziales Konstrukt oder soziale Kategorisierung verstanden, indem äußerlich wahrnehmbare Merkmale -insbesondere die Hautfarbe- zusammengefasst werden.

Während auf EU-Ebene bereits Schweden und Österreich den Begriff in ihren Verfassungen nicht mehr verwenden, beinhalten national 10 von 16 Landesverfassungen den Begriff. Bestrebungen von Oppositionsparteien, Wissenschaftlern und Menschenrechtsorganisationen, den Begriff zu streichen oder durch Alternativen wie „aus rassistischen Gründen“ oder „ethnischer Herkunft“ zu ersetzen, blieben erfolglos, da damit das eigentliche Problem nicht beseitigt wird, zumal der Terminus „Rasse“ in allen einschlägigen Menschenrechtserklärungen und selbst in der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker von 1981 sowie in alle relevanten Erklärungen der EU verwendet wird, weil bisher kein passendes Substitut gefunden wurde.

Auch wenn es keine ausdrückliche Bestimmung gibt, die Racial Profiling verbietet, gehen alle nationalen und internationalen Bestimmungen davon aus, dass die Anwendung dieses Verfahrens gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot verstößt Bereits Art. 4 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte v. 16.12.1966[v] bestimmt in Art. 4 das Verbot der Diskriminierung allein wegen der Rasse, eine Regelung, die selbst im Falle eines öffentlichen Notstandes nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Nach Artikel 1 des Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966[vi] bedeutet „Rassendiskriminierung“ jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung. Auch im Unionsrecht feiert der Terminus „Rasse“ fröhlich Urständ. In der Richtlinie des Rates zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird er durchgehend gebraucht und die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft in Artikel 1 als eigentlicher Zweck der Vorschrift genannt.[vii] Artikel 10 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union[viii] legt fest, dass die Union im Rahmen ihrer Zuständigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen Vorkehrungen treffen kann, um u.a. Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu bekämpfen. Die Charta der Grundrechte der EU[ix] normiert in Art. 21, dass Diskriminierungen u.a. wegen der Rasse, der Hautfarbe oder der ethnischen Herkunft verboten sind.

Alle einschlägigen Regelungen binden Deutschland völkerrechtlich und sind über die jeweiligen Vertragsgesetze nach Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil der deutschen Rechtsordnung.

Die widersprüchliche Rechtsprechung

Die bisherige und aktuelle Rechtsprechung zur rassischen Diskriminierung bezieht sich weitgehend auf die Bundespolizei, da diese -bedingt durch ihren gesetzlichen Auftrag- neben der Bayerischen Grenzpolizei an vorderster Front der Migrationskontrolle eingesetzt ist und sich daher in besonderer Weise Vorwürfen eines institutionalisierten Rassismus und diskriminierender Handlungsweisen ausgesetzt sieht. Insbesondere die Fraktion DIE LINKE erweckt durch immer neue parlamentarische Anfragen den Eindruck, dass die Polizei sich des Racial Profilings bedient, indem gezielt Menschen aufgrund von Haut- oder Haarfarbe oder des Mitführens religiöser Symbole kontrolliert werden.[x]

Auch wenn zwischenzeitlich alle Polizeigesetze besondere Kontrollrechte enthalten, die nicht mehr an den Begriff der klassischen Polizeigefahr anknüpfen, sind die Befugnisnormen der Bundespolizei besonders weitreichend. So regeln die Bestimmungen der §§ 22, 23 BPolG u. a. die Möglichkeiten der Befragung und Identitätsfeststellung zur Verhinderung oder Unterbindung der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet oder zur Verfolgung grenzbezogener Straftaten. Die Befugnisse werden im Grenzgebiet, in Zügen, auf Bahnhöfen und an Flughäfen ausgeübt und haben einen beträchtlichen Umfang erreicht.

Die wechselvolle Geschichte der Urteile hierzu und ihrer Argumentationslinien begann mit einem Urteil des VG Koblenz vom 27.3.2012,[xi]das bundesweit für Furore sorgte, da das Gericht bei einer Stichprobenkontrolle die Auswahl des Adressaten nach dem äußeren Erscheinungsbild als zulässig ansah und im Übrigen von einem nur geringfügigen Eingriff ausging. Das OVG Koblenz als Berufungsinstanz verwarf jedoch das Urteil und erklärte das an den Kläger gerichtete Ausweisverlangen als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für rechtswidrig, da die Hautfarbe des Adressaten das ausschlaggebende Kriterium für die polizeiliche Maßnahme war.[xii] Einen dezidierten vorläufigen Schlusspunkt setzte das OVG Koblenz in einem weiteren Verfahren, indem es feststellte, dass ein Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nicht erst vorliegt, wenn die Ungleichbehandlung ausschließlich oder ausschlaggebend an eines der dort genannten Merkmale anknüpft, sondern bereits dann, wenn bei einem Motivbündel ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal ein mittragendes Kriterium unter mehreren gewesen ist.[xiii] Das VG Dresden schloss sich in einem weiteren Verfahren[xiv] dieser Auffassung an, die von Menschenrechtsorganisationen als Meilenstein bei der Bekämpfung rassistischer Diskriminierung begrüßt , während sie von den Berufsvertretungen der Polizei als weltfremd kritisiert wurde. Das OVG Münster kam 2018 in einer weiteren Entscheidung zu einem differenzierteren Ergebnis. [xv] Es führte aus, dass eine Personenkontrolle in Anknüpfung an die Hautfarbe bzw. das äußere Erscheinungsbild bei Vorliegen belastbarer Anhaltspunkte für eine bestimmte äußerlich erkennbare Tätergruppe gerechtfertigt sein könne. Dazu müssen die Sicherheitsbehörden aber konkret darlegen, weshalb eine solche Anknüpfung zur effektiven Gefahrenabwehr notwendig sei.

Die Rechtsauffassung, dass eine Diskriminierung bereits dann vorliegt, wenn Hautfarbe oder ethnische Zugehörigkeit mitwirkendes Merkmal bei einem Motivbündel ist, geht im Grundsatz auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Arbeitsrecht zurück, ist jedoch im Polizeirecht nicht anwendbar. Es würde bedeuten, dass bestimmte Personengruppen überhaupt nicht kontrolliert werden dürften und dadurch unberechtigt privilegiert werden. Nach allgemeiner Staatspraxis und in Anknüpfung an die Empfehlungen des Antirassismusausschusses der Vereinten Nationen und der Europäischen Grundrechtsagentur liegt unzulässiges Racial Profiling nur dann vor, wenn ethnische Merkmale das alleinige und ausschlaggebende Kriterium einer polizeilichen Maßnahme sind. Mithin müssen zur Begründung eines Einschreitens stets weitere lagerelevante Merkmale hinzutreten und nachgewiesen werden.

Die Polizei in der Zwickmühle

Bei der Durchführung der als Ausgleichsmaßnahme für die weggefallenen Binnengrenzkontrollen eingeführten verdachts- und anlasslosen Personenkontrollen, die gemeinhin unter dem untechnischen Sammelbegriff Schleierfahndung zusammengefasst werden, werden Polizeibeamte zunehmend häufiger mit dem Rassismusvorwurf konfrontiert, wobei der Eindruck suggeriert wird, dass die Personenkontrollen willkürlich oder motivlos erfolgten. Auslösendes Moment ist die Tatsache, dass Schleierfahndungsmaßnahmen weniger auf begründeten Gefahrenprognosen als vielmehr auf Erfahrung, individuelle Wahrnehmung und allgemeine Lageerkenntnisse beruhen und damit der Vermutung Vorschub leisten, dass sich die Beamten auch von phänotypischen Merkmalen wie Hautfarbe oder ethnische Herkunft leiten lassen. Dabei sind die Einsatzkräfte in dem ständigen Dilemma, Erkenntnisse zur unerlaubten Einreise zu generieren und unerlaubte Eineisen zu verhindern, zugleich aber zielgerichtet und diskriminierungsfrei vorzugehen, da Benachteiligungen oder Bevorzugungen wegen des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens sowie der religiösen oder politischen Anschauung auch bei Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben verboten sind. Gleichwohl wird immer wieder behauptet, dass Einsatzkräfte aufgrund von Stereotypen, Vorurteilen und unreflektierten Erfahrungswerten Gruppen mit besonderen Merkmalen und Verhaltensweisen mit bestimmten kriminellen Verhaltensweisen assoziieren.

Tatsächlich aber erfolgen die Maßnahmen lageabhängig, denn sie resultieren aus Beobachtungen und Feststellungen in Vergleichsfällen der Vergangenheit und daraus abgeleiteten Forderungen, Auswertungen und Analysen und finden in der Regel in allgemeinen Lagebildern und/oder anlassbezogenen Lage- und Auswerteberichte ihren Niederschlag. Hierbei handelt es sich um einen dynamischen Prozess, der aus allen zugänglichen Informationsquellen einschließlich der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen gespeist wird und einer ständigen Fach- und Dienstaufsicht unterliegt. Gleichwohl bürden die Normen dem einschreitenden Beamten die Verantwortung auf, nicht diskriminierungsfrei gehandelt zu haben, wofür er gegebenenfalls vor Gericht einstehen muss.

Die Anzahl der Kontrollen der Bundespolizei im Rahmen der Schleierfahndung ist beträchtlich. So wurden 2019 253.546 Befragungen nach § 22 Abs. 1a BPolG und 2.264.000 Überprüfungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG vorgenommen. Im Vergleich zu anderen polizeilichen Anlässen ist das Beschwerdeaufkommen im Zusammenhang mit anderen polizeilichen Anlässen überschaubar. So registrierte die Bundespolizei im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 30. April 2019 insgesamt 58 Beschwerden im Zusammenhang mit Racial Profiling, wobei 51 Beschwerden als unbegründet zurückgewiesen wurden. Eine Beschwerde wurde als begründet, eine weitere als teilbegründet bewertet. Bei den in den Jahren 2016 bis 2019 als unbegründet verworfenen Beschwerden hat ein Beschwerdeführer Klage erhoben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte bereits mehrmals und in ständiger Rechtsprechung fest, dass ein Verstoß gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot nur dann vorliegt, wenn die Rasse ausschließlicher oder entscheidender Faktor für das polizeiliche Handeln darstellt oder wenn es dafür keinen sachlichen oder vernünftigen Grund gibt, d.h. wenn kein legitimes Ziel verfolgt wird oder die eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen.[xvi] Problemlos sind daher zunächst Maßnahmen aufgrund konkreter Täterbeschreibungen z.B. durch Fahndungshinweise oder Steckbriefe oder bei Vorgängen in denen ein ethnisches Kriterium sachlich begründet werden kann. Das ist dann der Fall, wenn bei der Verdächtigenbeschreibung die Hautfarbe angegeben wird oder wenn verdächtige Personengruppen zu bestimmten Zeiten mit besonderen Verhaltensweisen in Erscheinung getreten sind. Problemlos dürften auch die Fälle sein, in denen unterstützende Erkenntnisse vorliegen, weil sich der Adressat durch bestimmte Verhaltensweisen oder sonstige erkennbare Indikatoren verdächtig macht.[xvii] Bei der Beweislast hat die Polizei eine günstigere Ausgangsposition, wenn sie anhand von Protokollen nachweist, dass ihre Stichproben nach dem Zufallsprinzip erfolgten. Hilfreich kann auch der Rückgriff auf fundierte und belastbare Lagebilder sein, aus denen sich für bestimmten Personengruppen Indikatoren wie Verkehrswege, Migrationsrouten, mögliche Tatorte, Altersstrukturen, äußerliche Verhaltensweisen u.Ä.[xviii] ergeben und die begründet nachweisen, warum Maßnahmen gegen bestimmte Personengruppen zielführend sein können.

So betont z.B. selbst das Handbuch der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte „Für eine effektive Polizeiarbeit. Diskriminierendes „Ethnic Profiling“ erkennen und vermeiden“ aus dem Jahre 2010 interessanterweise, dass es sich „nicht mit Profiling in den Bereichen Immigration, Asyl oder Zoll beschäftigt, in denen die Nationalität (und somit auch Rasse, ethnische Herkunft oder Religion) eine andere Relevanz für die Entscheidungsfindung haben kann.“[xix]

Gegenstrategien

Will man dem Racial Profiling bei Einsatzhandlungen abhelfen, müssen zunächst die Ursachen erforscht werden. Mögliche Ursachen sind missglückte Gesetzgebung, verinnerlichten Stereotype, routinemäßiger Einsatzabwicklung, mangelnde Sensibilisierung für das Problem, unreflektierte Übernahme fremder Erfahrung oder Defizite in der Ausbildung. Viele der zurzeit angebotenen Lösungsmöglichkeiten leiden unter der Abstraktheit und Unverbindlichkeit der Aussagen, obwohl der Ausschuss der UN für die die Beseitigung der Rassendiskriminierung in seinem Schlussbericht zu den 19. bis 22. Staatenberichten bei der Bundesrepublik Deutschland die Ausarbeitung einer umfassenden Strategie forderte, um bei Polizisten, Staatsanwälten und Richtern ein besseres Verständnis des Phänomens der rassistischen Diskriminierung und der Möglichkeit ihrer Bekämpfung zu erreichen und sicherzustellen, dass in Bezug auf alle Handlungen, die rassistisch motiviert sein könnten, wirksam ermittelt wird und ggf. Anklage erhoben und eine Strafe verhängt wird.[xx] Hierzu muss jedoch ein ganzheitlicher Ansatz gewählt werden, der von der Gesetzesformulierung über konkrete Vorgaben für die Sicherheitsbehörden bis zu einer intensiveren Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und Menschenrechtsorganisationen reichen muss. Zumindest in die richtige Richtung geht allenfalls die nunmehrige Einführung der rassistischen und fremdenfeindlichen Beweggründe in die Nr. 15, 86 und 234 der Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren sowie deren Berücksichtigung in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB.

Im Gegensatz zum Ausland existieren in Deutschland kaum empirische Forschungen zu Racial oder Ethnic Profiling; auch wurden z. B. im Gegensatz zu England oder den Vereinigten Staaten grundlegende Daten bisher nur in Einzelfällen erhoben. Soweit es überhaupt Untersuchungen gibt, beziehen sie sich weithin auf die Befragung der mit stereotypen Vorannahmen belasteten Bevölkerungsgruppen, ohne auf die konkreten Wechselbeziehungen zwischen Polizei und Adressaten in den Konfliktsituationen oder auf die spezifischen Selektionsentscheidungen im Einzelfall einzugehen. Eine Verknüpfung der Daten unter dem Gesichtswinkel der unterschiedlichen beteiligten Disziplinen findet überhaupt nicht statt Gleichwohl vermuten Fachleute beim Führungspersonal der Polizei, da ohnehin unmittelbar betroffen, mehr Sensibilität für das Thema als im politischen Raum. Dort vermeidet man das Thema oder behilft sich mit formelhaften Aussagen. So stellt die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen ohne vertiefendes Eingehen auf die Problematik formelhaft fest: „Eine unterschiedliche Behandlung von Personen in Abhängigkeit von Rasse, Religion oder Herkunft ist im Bundespolizeigesetz sowie den weiteren für die Bundespolizei geltenden Vorschriften und Erlassen schon deshalb nicht enthalten, weil solche Methoden unvereinbar mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat sind.“[xxi] Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass die Bundespolizei von Januar 2018 bis April 2019 nur 58 Beschwerden wegen Racial Profiling registrierte.

Aufgrund der Intensivierung der Rassismusdebatte im Verlauf des Jahres 2020 scheint jedoch ein Umdenken einzusetzen. So wird im Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus vom 25. November 2020 beim Bundesinnenministerium unter lfd. Nummer 13 ein Forschungsprojekt zur Untersuchung des Polizeialltags und unter Nummer 15 eine Forschungsstudie zu Alltagsrassismus unter Einbeziehung von Zivilgesellschaft , Wirtschaft, Unternehmen und öffentlichen Institutionen angekündigt. Zwischenzeitlich ist bei Finanzierung durch das Bundesinnenministerium der Projektauftrag MEGAVO (Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten) an die die Deutsche Hochschule der Polizei ergangen. Beim Projekt MEGAVO, dem eine Vollerhebung bei allen Polizeien des Bundes und der Länder und der Einsatz qualifizierter Experteninterviews und ein umfangreicher Methodenmix zu Grunde liegt, können verlässliche Erkenntnisse über Berufsalltag und Werteorientierung von Polizeibeamten generiert werden, zumal sich das Vorhaben über 36 Monate erstreckt. Das Projekt kann überdies Best-Practice-Modelle und Handlungsempfehlungen entwickeln, mit denen Arbeitszufriedenheit und Motivation der Polizeibeamten verbessert und Defizite bei der Aufgabenwahrnehmung bereinigt werden können.

Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen und aus polizeikritischen Kreisen, dass Maßnahmen zur Reduktion von Diskriminierung in der polizeilichen Ausbildung nicht ausreichend vermittelt werden, gehen an den Realitäten vorbei, denn zwischenzeitlich ist der Anteil der gesellschaftswissenschaftlichen Bildungsanteile gemessen am gesamten Ausbildungsstoff ständig gewachsen. Dies gilt auch für die Diskussion ethischer Fragen. Selbst ein nur kursorischer Blick in die einschlägigen Curricula zeigt, dass Menschen- und Grundrechte sowie Diskriminierungsverbote zentral als auch dezentral sowohl in der Laubahnausbildung als auch in der Fortbildung, zum Teil im Zusammenwirken mit zivilgesellschaftlichen Antirassismus- und Antidiskriminierungsorganisationen, mit einem hohen Stundenanteil vermittelt werden. Hilfestellung leistet hierbei die kontinuierliche Auswertung von Beschwerdevorgängen im Rahmen einer konsequenten Dienst- und Fachaufsicht.

Eine Umsetzung in die Praxis fordert insbesondere die Kreativität der Vorgesetzten und der Ausbildungsorganisationen heraus, um einerseits die Probleme der rassistischen Diskriminierung im Routinestreifendienst und der Beweislastumkehr im Gerichtsverfahren bewusst zu machen, und um andererseits die Einsatzkräfte so zu qualifizieren, dass sie bei gerichtlichen Auseinandersetzungen in der Lage sind, ihre rechtskonforme Aufgabenwahrnehmung zu belegen bzw. Diskriminierungsvorwürfe zu widerlegen. Methodisches Hilfsmittel ist ein komplexes Verhaltenstraining in Form von Rollenspielen und als praxisnahes Situationstraining. Da es sich um eine Querschnittsthematik handelt, müssen die Ausbildungsmodule der Einsatzlehre, Kriminalistik, Kriminologie Polizeidienstkunde, des Eingriffs- und Verfassungsrechts, der Politischen Bildung und der Sozialwissenschaften interdisziplinär und fächerübergreifend verknüpft werden, wobei es angezeigt sein kann, die Auszubildenden durch geeignete Drehbücher auch in die Rolle des Kontrollierten zu versetzen. Die alleinige Vermittlung von Rechtsnormen klassischer Provenienz reicht jedoch nicht aus. Vielmehr sind zusätzlich Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen, Respekt, Konflikthandhabung und Sprachkenntnisse gefordert. Die Besonderheiten des Einsatzverfahrens gebieten es auch, bereits in der Ausbildung ein Gespür dafür zu vermitteln, unter welchen Voraussetzungen eine Personenkontrolle abzubrechen oder zu modifizieren ist, wenn die Verdachtsmomente nicht ausreichend sind oder der gesamte Vorgang aus Rechthaberei bei dem einschreitenden Beamten oder durch aggressiver Renitenz des Adressaten aus dem Ruder zu laufen droht. Die didaktische Forderung nach Einheit von Theorie und Praxis besagt im Übrigen, dass die Ausbilder in diesem Bereich selbst über einen belastbaren praktischen Erfahrungsschatz im Umgang mit den zu bewältigenden Konfliktsituationen verfügen sollten, eines Voraussetzung, die bei manchen Polizeilehrern mit einer lebenslangen Dauerverwendung im Ausbildungsbereich oder bei manchen Sozialwissenschaftlern ohne jegliche polizeifachliche Einsatzerfahrung nicht immer gegeben ist.

Die klassische Palette der Gegensteuerungsmaßnahmen bezieht sich auf die Verbesserung der Ausbildung, die Einrichtung von Beschwerdemechanismen, die Schaffung spezialisierter unabhängiger Antidiskriminierungsstellen sowie die Formalisierung der Eingriffe beispielsweise durch Dokumentation und Verpflichtung des Eingriffsbeamten, dem Adressaten seine Rechte und Beschwerdemöglichkeiten aufzuzeigen. Viel wäre schon erreicht, wenn der Gesetzgeber bei der Einführung einer neuartigen Eingriffsnorm unter Hinzuziehung von Polizeiexperten eine Gesetzesfolgenabschätzung durch Identifizierung von Schwachstellen und Umsetzungsschwierigkeiten vornehmen würde, denn der Vorwurf kritischer Polizeikreise, dass die Formulierung mancher Eingriffsnorm der rassistischen Diskriminierung Vorschub leistet, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Unter diesen Aspekt kann auch die kritische Durchsicht von Vorschriften, Direktiven und Einsatzbefehlen zu neuen Erkenntnissen führen. Auch wenn einige Fachbroschüren über den rein theoretischen Grundlagen hinaus sich der Umsetzung in der Praxis widmen, bleiben offizielle schriftliche Unterlagen rar gesät.

Fazit

Bei Maßnahmen der Schleierfahndung steht der Kontrollbeamte unverändert im hochsensiblen Spannungsfeld von gesetzlichen Vorgaben und dem Vorwurf der rassistischen Diskriminierung. Wird das Thema in der Organisation tabuisiert oder unterbleiben Anpassungen und Korrekturen, führt das zur Verunsicherung der Bediensteten, an denen diesbezügliche Vorwürfe nicht spurlos vorübergehen. Der von ihnen gewählte Ausweg, im Zweifelfall nicht zu handeln, dient weder dem Ansehen der Organisation noch der effektiven Kriminalitätsbekämpfung. Andererseits sind alle Beteiligten an der Diskussion gut beraten, das Phänomen Racial Profiling seines ideologischen Charakters zu entkleiden, um von vornherein Abwehrreflexe auf beiden Seiten und damit die Verfestigung gegenseitiger Vorbehalte zu unterbinden. Die Polizei ist gut beraten, dabei mitzuwirken, um der weiteren Erosion polizeilicher Legitimität und einer möglichen Entfremdung zwischen Bevölkerung und Ordnungsmacht entgegenzutreten.

Außerdem ist die Diskussion wieder auf den eigentlichen Kern zurückzuführen, den die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der LINKEN wie folgt klagestellt hat:

Es ist darauf hinzuweisen, dass das Verbot des sog. racial profiling in der Öffentlichkeit mitunter falsch so verstanden wird, als sei die Berücksichtigung der Nationalität oder der ethnischen Herkunft bei polizeilichen Maßnahmen auch im Zusammenhang mit Einreisekontrollen grundsätzlich unzulässig. Nicht nur von der Europäischen Grundrechtsagentur wird anerkannt, dass die Berücksichtigung beider Kriterien gerade im Zusammenhang mit der Einreisekontrolle unerlässlich für die polizeiliche Praxis ist. Nach dem geltenden Völkerrecht und auch der Rechtsaufassung des Fachausschusses ICERD erfasst das Verbot von „racial profiling“ die Durchführung polizeilicher Maßnahmen nur dann, wenn diese ausschließlich oder ganz überwiegend aufgrund der Nationalität oder ethnischen Herkunft einer Person durchgeführt werden, ohne dass andere Verdachtsmomente und Lageerkenntnisse berücksichtigt werden. [xxii]

 


[ii] So war die Kontrollpraxis der Bundespolizei allein im Jahre 2012 Gegenstand dreier parlamentarischer Anfragen BT-Drs. 17/10007, 17/11015, 17/11971. Die aktuellste Anfrage ist die BT-Drs. 19/19458 v. 23.4.2020.

[iii]     BT-Drs. 17/14569, S. 2.

[iv]       Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz. Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 11 von ECRI. Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung bei der Polizeiarbeit. CRI (2007)39.

[v] BGBl.  1973 II S. 1553.

[vi] BGBl. 1969 II S. 961.

[vii] Richtlinie 2000/43/EG des Rates v. 29.  Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft ABl. EG L 180/222 v. 19.7.2000.

[viii] Abl EU C 326/53 v. 26. 10.2012.

[ix] ABl. EU C 83/389 v. 30.3.2010.

[x] V gl. BT-Drs. 19/19458.

[xi] VG Koblenz 5 K 1026/11.KO.

[xii] OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 29.10.2012 – 7 A 10532/12.OVG

[xiii] OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 21.4.2016-7 A 11108/14.OVG.

[xiv] VG Dresden Urteil v. 25.1.2017 Az.: 6 K 3364/14

[xv] OVG Münster Az.: 5 A 294/16 v.

[xvi] Urteil EGMR Rechtssache Z.  gegen Deutschland v. 3.12.2009 (Individualbeschwerde Nr. 22028/04).

[xvii] S. Wagner, Kriminalistik 8-9/2013, S. 566,

[xviii] S. BT-Drs. 17/14569 S. 3.

[xix]  S. 11.

[xx] CERD/C/DEU/CO/19-22 v. 30. Juni 2015

[xxi] BT-Drucksache 17/6778.

[xxii] S. BT-Drs. 18/5435, S. 4.