Musterklausur Einbrüche im Industriegebiet

Von Christoph Keller, LPD, HSPV NRW – Abt. Münster

Musterklausur zum Download (PDF).

Sachverhalt

Der 25-jährige drogenabhängige X erhält von einem Freund einen „sicheren Tipp“, und zwar sollen sich in der Firma des Unternehmers U ständig größere Mengen Bargeld sowie Münzsammlungen befinden. Die Firma des U befindet sich in einem kleinen Industriegebiet am Stadtrand von A-Stadt, an der Peripherie des Wohngebietes Fangkamp, am Holtenweg 100. Das Gebiet rund um den Fangkamp ist seit einigen Wochen stark kriminalitätsbelastet, vor allem aufgrund mehrerer Firmen- aber auch Wohnungseinbrüche.

Aufgrund des „sicheren Tipps“ beschließt X in das Firmengebäude des U einzubrechen. X ist in den letzten vier Jahren bereits mehrfach wegen verschiedener Eigentumsdelikte in Erscheinung getreten, u.a. wurde er auch bereits wegen Firmeneinbrüche verurteilt. X ist arbeitslos und bewohnt – seit er von seiner Frau geschieden ist – in A-Stadt ein kleines Appartement. Seinen Beruf als Bäcker hat er aufgegeben, weil er immer so früh aufstehen musste. X, der insgesamt ein unstetes Leben führt, hält sich mit Gelegenheitsjobs „über Wasser“ und ist Halter eines 14 Jahre alten VW Golf 4, der aufgrund seiner goldfarbenen Lackierung auffällt.

Der Polizei in A-Stadt werden die Pläne des X anonym telefonisch mitgeteilt. Angeblich soll X am ersten Dezemberwochenende in der Nacht von Freitag auf Samstag in die Firma des U einbrechen. Beamte des Einsatztrupps entschließen sich, sich um den „Fall zu kümmern“. Aus diesem Grund befinden sich Beamte des Einsatztrupps A-Stadt auf Streifenfahrt in A-Stadt. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf dem Industriegebiet Nähe des Wohngebietes Fangkamp.

Gegen 01:00 Uhr bemerken sie einen goldfarbenen VW Golf, besetzt mit einer männlichen Person. Als der Pkw am Ende des Holtenweges hält, steigt der den Beamten bekannte X aus dem Fahrzeug und sucht das Wohngebiet „Fangkamp“ auf. Die Beamten beobachten den X gezielt über einen Zeitraum von etwa 20 Minuten, verlieren ihn dann aber aus den Augen. Einbrüche sind nicht festzustellen.

Gegen 04.30 Uhr erhalten mehrere Streifenwagen der Polizei A-Stadt über den Fahndungsaufruf der Leitstelle den Auftrag, zum Holtenweg 100 zu fahren. Eine Taxifahrerin (T) habe soeben beobachtet, wie eine männliche Person mit einem Werkzeug ein Fenster zur Firma des U aufgehebelt habe. In einer Seiteneinfahrt zur Firma würde überdies ein weißer Lieferwagen mit auswärtigem Kennzeichen und geöffneter Fahrertür stehen. Die Person müsste sich noch in der Firma befinden. Der den Anruf entgegennehmende Beamte auf der Leitstelle der Polizei (A-Stadt) hält die Personalien der T fest. Einer Streifenwagenbesatzung (POK A und PK B), die sich zufällig in der Nähe des Industriegebietes befindet, kommt auf dem Weg zum Tatort ein weißer Lieferwagen mit auswärtigem Kennzeichen und augenscheinlich überhöhter Geschwindigkeit entgegen.

Die Beamten können den Lieferwagen schnell einholen. Als Anhaltezeichen ignoriert werden, versucht POK A nach Abgabe eines Warnschusses durch gezielte Schüsse auf die Hinterreifen den Lieferwagen zu stoppen. Die Schüsse verfehlen zwar ihr Ziel, der Fahrer des Lieferwagens stoppt aber vor Schreck das Fahrzeug. Er wird festgenommen und dem Polizeipräsidium zugeführt, seine Personalien werden festgestellt. Es handelt sich um den 30-jährigen in A-Stadt wohnhaften Z, der kinderlos verheiratet ist.

Im Handschuhfach des Lieferwagens finden die Beamten eine Münzsammlung sowie einen sog. „Kuhfuß“[i]. Die Gegenstände werden von den Beamten in Verwahrung genommen.

Am nächsten Morgen, samstagvormittags, wird Z auf der Kriminalwache A-Stadt durch KOK C verantwortlich vernommen. Z verweigert die Aussage. Nach Rücksprache mit dem Eildienst der Staatsanwaltschaft soll er dem Haftrichter vorgeführt werden. KOK C erwägt die Bestellung eines Pflichtverteidigers, unterlässt dies aber, da Z die Aussage verweigert hat. Z wird dem Haftrichter vorgeführt. Ein Untersuchungshaftbefehls wird nicht ausgestellt. Z wird nach der Vorführung entlassen.

In der der darauffolgenden Wochen entschließt sich der zuständige Sachbearbeiter der Kriminalpolizei (KHK D), den Z erkennungsdienstlich zu behandeln. KHK D hat die Sorge, dass Z auch zukünftig Einbrüche begehen werde und seine Fingerabdrücke sodann zur seiner Überführung beitragen können. KHK D überlegt, ob er den X zum Zwecke der ED-Behandlung zur Dienststelle verbringen darf oder ob es dafür eines richterlichen Beschlusses bedarf.

Aufgaben

  1. Nehmen Sie problemorientiert Stellung zu folgenden polizeilichen Maßnahmen
    1. Beobachten des X über einen Zeitraum von 20 Minuten
    2. Festhalten der Personalien der Taxifahrerin (T)
    3. Warnschuss und gezielte Schüsse auf die Hinterreifen den Lieferwagens
    4. Inverwahrungnahme Münzsammlung und Kuhfuß
  2. Nehmen Sie Stellung zur Vernehmung des Z im Hinblick auf die Nichtbeiziehung eines Pflichtverteidigers.
  3. Darf Z zwecks erkennungsdienstlicher Behandlung durch KHK D vorgeführt werden?

Hinweis

Die örtliche Zuständigkeit als formelles Erfordernis ist zu unterstellen.
Die Rechtmäßigkeit der Identitätsfeststellung und Festnahme des Z ist zu unterstellen.


[i] Ein sog. Kuhfuß ist ein auch für Einbrüche häufigsten verwendetes Hebelwerkzeug, mit dem man – im Vergleich mit einem Schraubendreher – bis zur 10-fachen der Hebelwirkung erzeugen kann.