Musterklausur Kindesmisshandlung

Musterklausur zum Download (PDF).

Sachverhalt

Allgemeine Lage

Im Deliktsfeld der Misshandlung von Kindern wurden in den letzten Jahren bundesweit jährlich ca. 3 500 Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Nicht darunter erfasst sind die ungleich häufiger im sozialen Nahbereich vorkommenden Körperverletzungen zum Nachteil (z. N.) von Kindern durch Erziehungsberechtigte. Für Beamtinnen und Beamte des Wach- und Wechseldienstes handelt es bei diesen Vorfällen um nahezu alltägliche Einsatzlagen.

Besondere Lage

Nach erfolgreichem Abschluss des Bachelorstudienganges versehen Sie als Polizeikommissar/Polizeikommissarin Wachdienst in der Polizeiinspektion Mitte des PP D-Stadt. Am heutigen Tag (Freitag, 22. 12. 2017) versehen Sie Nachtdienst in der Nacht von Freitag auf Samstag. Sie befinden sich auf Funkwagenstreife im Gebiet der Polizei­inspektion Mitte zusammen mit Ihrer Streifenpartnerin/Ihrem Streifenpartner als D 11/31. Gegen 23.00 Uhr erhalten Sie von der Einsatzleitstelle den folgenden Einsatz: „D 11/31 Hüttenstraße 11 c, Familie Schmitz, dort offenbar häusliche Gewalt durch Herrn Schmitz.“

Gegen 23.05 Uhr treffen Sie am Einsatzort ein, vor dem Haus Hüttenstraße 11 c werden Sie schon von Frau Müller erwartet. Sie teilt Ihnen mit: „Die Familie Schmitz wohnt über mir im dritten Stockwerk. Eine richtige Familie sind die eigentlich nicht. Frau Schmitz hat ihren Mann vor etwa drei Jahren mit den Kindern verlassen. Jetzt wohnt Herr Schmitz dort mit einer neuen Frau, der Frau Reimers. Frau Reimers ist vor ca. einem halben Jahr bei Herrn Schmitz mit ihren beiden Kindern eingezogen. Seit dieser Zeit ist in der Wohnung tagsüber Theater von den Kindern und abends streiten sich die Erwachsenen. Seit ca. zwei Monaten kommt es auch öfters zu Handgreiflichkeiten zwischen den Erwachsenen, nachdem Herr Schmitz seine Arbeitsstelle als Lagerarbeiter verloren hat. Die Kinder bekommen auch ihren Teil ab, das Mädchen höre ich oft schreien, nachdem zuvor Schläge zu hören waren. Heute Abend war es besonders schlimm. In der Wohnung war ein Gepolter und dann habe ich wieder Schlaggeräusche und Schreie gehört. Es war nicht zum Aushalten, ich konnte im Fernseher meine Sendung gar nicht mehr verfolgen.“ Sie bitten Frau Müller, sich zu ihrer Wohnung zu begeben und sich dort für eventuelle Rückfragen zur Verfügung zu halten.

Bereits im Treppenhaus nehmen Sie laute Geräusche aus der Wohnung Schmitz wahr. Vor der Wohnungstür stehend hören Sie wüstes Gebrüll einer männlichen Person, dann ein lautes Klatschen und den Schmerzschrei einer weiblichen Person. Nach mehrfachem Klingeln und lautem Klopfen wird durch eine männliche Person die Tür aufgerissen. Es scheint sich um Herrn Schmitz zu handeln. Ohne dass Sie zu Wort kommen, schreit er Sie an: „Was wollt Ihr Witzfiguren denn hier, ich muss meiner Frau mal wieder Manieren beibringen und Ihr stört mich dabei nicht.“ Herr Schmitz versucht dann, die Wohnungstür vor Ihrer Nase zuzudrücken. Das können Sie mittels einfacher körperlicher Gewalt verhindern. In der Atemluft der Person nehmen Sie eine sehr starke und deutlich ausgeprägte Alkoholfahne wahr. In der Hand hält er einen ca. 30 mm breiten Holzkleiderbügel. Es gelingt Ihnen dann, Herrn Schmitz durch geschickte Kommunikation soweit zu beruhigen, dass er den Kleiderbügel an die Flurgarderobe hängt. Zwischenzeitlich trifft auch die Streifenwagenbesatz D 11/35 zu Ihrer Unterstützung ein. Mit dieser Streifenwagenbesatzung begibt sich Herr Schmitz dann widerwillig ins Wohnzimmer.

Im Kinderzimmer der Wohnung sitzt Frau Reimers heulend und völlig aufgelöst auf dem Boden. Sie ist mit einer Jogginghose und einem kurzärmeligen T-Shirt bekleidet. Sie sprechen Frau Reimers mit den Worten an: „Beruhigen Sie sich, hier ist die Polizei, es kann Ihnen jetzt nichts mehr passieren.“ Darauf äußert Frau Reimers direkt: „Ich kann das alles nicht mehr gutmachen, mein Verlobter hat meine Kinder verprügelt und ich hab nie was dagegen gemacht, ich hatte nur Angst um mich.“ Im Gesicht von Frau Reimers zeichnen sich deutlich sichtbar mehrere frische Hautrötungen und Schwellungen ab. Zudem erkennen Sie auf den Unterarmen von Frau Reimers mehrere parallel verlaufende, ca. 30 mm breite, länglich ausgeprägte Hämatome ab.

Im Kinderzimmer finden Sie dann versteckt im Kleiderschrank sitzend, weinend die achtjährige Eileen. Das Kind hat im Gesicht mehrere frische und eine Vielzahl ältere, deutlich ausgeprägte Hämatome. Aus dem linken Nasenloch tritt Blut aus. Das Kind hält sich mit der Hand das linke Ohr und klagt über heftige Ohrenschmerzen. In einer weiteren Zimmerecke hat sich der 13-jährige Kevin zusammengerollt. Der Junge zittert am ganzen Körper und ist am Oberkörper nur mit einem T-Shirt bekleidet. Im Bereich der Unterarme zeichnen sich auf der Haut deutlich ausgeprägt mehrere frische, ca. 30 mm breite, parallel verlaufende, hellrötliche Striemen als Verletzungsmerkmale ab. Weiterhin sind an den Unterarmen des Jungen auch eine Vielzahl ältere Hämatome, in unterschiedlichen Abheilungsstadien, sichtbar. Weiter weist der Junge mehrere frische Prellungen und Hautrötungen im Gesicht auf. Auf Ihre Frage an Kevin, was passiert sei, antwortet er Ihnen im aggressiven Ton: „Mensch, was ist wohl passiert, der Schmitz hat mich mit dem Kleiderbügel verprügelt. Er hat erst meine Mutter geschlagen und dann bin ich dazwischen gegangen, damit er aufhört, sie zu schlagen.“ Als Sie dem Jungen vom Boden aufhelfen wollen, stellen sie fest, dass für den Jungen eine schmerzfreie Bewegung kaum möglich ist. Sie stellen dann fest, dass der Rücken des Jungen gleichfalls mit Hämatomen in unterschiedlichen Heilungsstadien übersäht ist.

Bemerkungen zur Lage

Die Hüttenstraße liegt im Norden von D-Stadt. Die Bevölkerung des Stadtteils weist eine hohe Arbeitslosigkeit und geringe Kaufkraft auf. Die Hüttenstraße ist durch eine Bebauung mit Hochhäusern durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft geprägt. Bei dem Gebäude Hüttenstraße 11 c handelt es sich um ein neungeschossiges Hochhaus mit je vier Wohnungen pro Etage.

Witterung: Temperatur: 2 °C, leichter Nieselregen.

Aufgaben

  1. Bearbeiten Sie im Rahmen der Kriminalistischen Fallanalyse (KFA)
    – die Verdachtslage im Hinblick auf eine Tat
    – die Verdachtslage im Hinblick auf eine Person
    – die allgemeine Beurteilung
  2. Beurteilen Sie den Personalbeweis bezogen auf Frau Reimers, Kevin Reimers und Eileen Reimers.
  3. Beurteilen Sie, welche Maßnahmen vor Ort durch Sie und die Kräfte der Kriminalwache zur Durchführung des Auswertungsangriffs durchgeführt bzw. veranlasst werden müssen.