Musterklausur Polizeirecht: „Goetheplatz und Schillerstraße“

Prof. Dr. Tobias Wagner, Mag. iur., Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit, Wiesbaden

Musterklausur mit Lösung zum Download (PDF).

Sachverhalt

In der hessischen Kleinstadt S haben sich zwei Schüler der dortigen Realschule an die örtliche Polizeistation gewandt und berichtet, dass ein Mann auf dem an ihre Schule angrenzenden Goetheplatz allem Anschein nach Betäubungsmittel an Schülerinnen und Schüler verkaufe. Der Mann halte sich – so die beiden Schüler – in den letzten Tagen wiederholt in den Pausenzeiten und zu Schulschluss in einer entlegenen Ecke des Platzes auf. Sein Verhalten und seine Interaktion mit Schülerinnen und Schülern deute klar auf Geschäfte mit Betäubungsmitteln hin.

Während ihres gemeinsamen Streifendienstes machen POK Anton Althaus (A) und POK Birger Berthold (B) die gleiche Wahrnehmung. Sie sehen an der von den Schülern beschriebenen Örtlichkeit einen Mann, auf den die Beschreibung der Schüler passt und dessen Verhalten auch nach ihrer Einschätzung eindeutig als Handel mit Betäubungsmitteln zu erkennen ist. POK A und POK B identifizieren den Mann bereits aus der Ferne als den ihnen hinlänglich bekannten Clemens Claßen (C), der schon in der Vergangenheit mit Betäubungsmitteldelikten auf dem Goetheplatz aufgefallen war. In den letzten zwei Jahren war er jedoch nicht mehr in Erscheinung getreten. POK A und POK B gehen auf den C zu. Dieser versucht nicht zu flüchten und lässt sich widerspruchslos von den Polizeibeamten durchsuchen. Dabei kommen zwei kleine Päckchen Kokain zu Tage, die C als seinen Eigenbedarf abtut.

Um zu verhindern, dass C Betäubungsmittel an Schülerinnen und Schüler verkauft, sprechen POK A und POK B nach erfolgter Anhörung gegenüber dem C das Verbot aus, für die Dauer von zwei Monaten den Goetheplatz von Montag bis Freitag jeweils zwischen 7:00 Uhr und 17:00 Uhr zu betreten. Der örtlich von dem Verbot umfasste Bereich wird dem C dabei genau erläutert. Auf den Einwand des C, am Goetheplatz befinde sich die Praxis seiner Hausärztin, die er aufgrund einer chronischen Erkrankung regelmäßig aufsuchen müsse, entgegnet POK A, der C könne sich für die beiden Monate doch einen anderen Arzt suchen.

Um 19:05 Uhr werden POK A und POK B in die von Dieter Dexheimer (D) bewohnte Wohnung in der Schillerstraße gerufen. POK A und POK B mussten dort in den letzten Tagen bereits mehrfach tätig werden, weil es wiederholt zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen dem D und seinem Enkel Erik Ewald (E) gekommen war, der in demselben Gebäude eine andere Wohnung bewohnt. Wiederholt hat D in den letzten Tagen die Polizei gerufen, weil E ihn in seiner Wohnung aufgesucht hatte und ihn äußerst aggressiv angegangen war. E hat sich im Rahmen der vergangenen Einsätze gegenüber POK A und POK B stets uneinsichtig gezeigt und die polizeilichen Verfügungen der letzten Tage, darunter auch einen Platzverweis, weitestgehend ignoriert. Vor einigen Stunden mussten die beiden Beamten sogar einen Notarzt anfordern, nachdem E dem D ins Gesicht geschlagen hatte.

Als die Polizeibeamten diesmal an der Wohnung des D ankommen, hören sie bereits im Treppenhaus die lautstarken Drohungen, die E gegen seinen Großvater D richtet. Auch nachdem D die Beamten in seine Wohnung gelassen hat, beruhigt sich E nicht. Vielmehr schimpft er weiter wutentbrannt und mit erhobener Faust auf D ein und will erneut auf ihn losgehen. POK A und POK B klären die Situation, indem sie den E in Gewahrsam nehmen. Sie erklären dem E, warum er festgehalten wird und holen unverzüglich eine richterliche Entscheidung ein, um ihn bis zum nächsten Morgen im Gewahrsam halten zu können.

Bevor POK A und POK B den E in eine Einzel-Gewahrsamszelle verbringen, lassen sie ihn kurz bei seiner Ehefrau anrufen, um diese zu benachrichtigen. Sodann fordern sie den E auf, sein Handy und seinen Gürtel bis zu seiner Entlassung zur Verwahrung herauszugeben. E kommt dem wortlos nach. POK A und POK B erstellen eine Bescheinigung mit Begründung der Maßnahme und Bezeichnung der herausgegebenen Sachen, verzeichnen und kenn­zeichnen die Gegenstände und nehmen sie in Verwahrung.

Als E in der Gewahrsamszelle sitzt und die Polizeibeamten etwas zur Ruhe kommen, fällt ihnen ein, dass sie den E zum Herausgabeverlangen von Handy und Gürtel nicht angehört haben. Daher gehen sie zurück zur Gewahrsamszelle, erläutern dem E ihre Maßnahme und geben ihm Gelegenheit, sich dazu zu äußern. E möchte aber nichts sagen. Als er am nächsten Morgen um 6:00 Uhr entlassen wird, erhält E Handy und Gürtel zurück.

Aufgaben

Prüfen Sie die Rechtmäßigkeit

  1.  des gegenüber C ausgesprochenen Verbots, für die Dauer von zwei Monaten den Goetheplatz von Montag bis Freitag jeweils zwischen 7:00 Uhr und 17:00 Uhr zu betreten,
  2.  der Ingewahrsamnahme des E und
  3.  der gegenüber E ausgesprochenen Aufforderung, sein Handy und seinen Gürtel herauszugeben.

Hinweis:

Sollten Sie eine oder mehrere Maßnahme/n für rechtswidrig halten, erörtern Sie die in der Prüfung noch nicht angesprochenen Gesichtspunkte in einem Hilfsgutachten.