Polizei und Tattoos – Spiegelbild des gesellschaftlichen Wandels
Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D.
Tempora mutantur – die Zeiten wandeln sich
Tätowierungen, umgangssprachlich Tattoos, waren ursprünglich, da sie als besondere Merkmale bei Seefahrer und Sträflinge galten, gesellschaftlich negativ konnotiert. Zwischenzeitlich sind sie nicht nur Ausdruck von Jugendkultur, sondern sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nahezu jeder fünfte Erwachsene hat sich diesem Mainstream angeschlossen, zumal zahlreiche Idole aus Sport, Showbusiness und Kunst beispielgebend und kreativ vorangehen. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (Allensbacher Kurzbericht vom 8. Juli 2014) hat sich der Anteil der Tätowierten in Deutschland in den letzten zehn Jahren um über 40 % erhöht. 24 % der 16- bis 29-Jährigen – und damit fast jeder Vierte – hat zwischenzeitlich eine Tätowierung. Bei Frauen liegt der Anteil in dieser Altersgruppe sogar bei 30 %, in Ostdeutschland (geschlechterübergreifend) bei 41 %. Auch an der Polizei ist diese Entwicklung nicht vorbeigegangen.
Allerdings ist das Meinungsbild nicht einheitlich. So hat bei Tätowierungen nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach die Akzeptanz in der Gesellschaft in den letzten Jahren zwar zugenommen, jedoch bestehen in weiten Teilen der Bevölkerung noch erhebliche Vorbehalte hiergegen (Allensbacher Kurzbericht vom 8. Juli 2014). Eine Studie der Universität Leipzig zur „Verbreitung von Tätowierungen, Piercing und Körperhaarentfernung in Deutschland“ aus dem September 2017 bestätigt die Tendenzen der Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach. Nach einer Studie der Arbeitsgruppe „Erscheinungsbild“ der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz aus dem Dezember 2017 werden uniformierte Personen mit Tätowierung als etwas weniger kompetent und weniger vertrauenswürdig wahrgenommen als nichttätowierte Personen in Uniform. Tätowierten Personen in Uniform werde zudem etwas weniger Respekt entgegengebracht. Ähnliche Ergebnisse waren bei Merkmalen des Erscheinungsbilds wie Piercings oder sogenannten Tunneln zu sehen. Eine Polizistin oder ein Polizist in Uniform und ohne jede Form des Körperschmucks werde als vertrauenswürdiger als eine Polizistin oder ein Polizist mit Körperschmuck eingestuft. Entsprechendes gilt für den Polizeibediensteten entgegengebrachten Respekt. Im Ergebnis kann davon ausgegangen werden, dass Tätowierungen und vergleichbare Merkmale des Erscheinungsbilds in breiten Teilen der Bevölkerung immer noch als besonders auffällige und sehr stark individualisierende Formen des Erscheinungsbilds wahrgenommen werden. Im Vergleich zu einer Person ohne sichtbare Tätowierungen wird eine im sichtbaren Körperbereich tätowierte Person weniger als Repräsentantin der Institution, für welche sie tätig wird, sondern erheblich stärker als Individuum und Privatperson wahrgenommen.[1]
Während in Wirtschaft und Arbeitswelt Regelungen über Arbeitsschmuck ungeregelt und im gegenseitigen Einvernehmen ausgehandelt werden, wurde Körperschmuck unterschiedlicher Art insbesondere bei Polizeibediensteten zum Gegenstand unterschiedlicher Regelungen, die in vielen Fällen aufgrund ungesicherter Vorannahmen zu Rechtstreitigkeiten unterschiedlicher Intensität führten. Dies insbesondere in den Fällen, in denen Tattoos zum Einstellungshindernis wurden. Erst in jüngster Zeit wurden verbindliche Leitplanken sichtbar, die Dienstherren und Polizeibediensteten Möglichkeiten und Grenzen des Erlaubten aufzeichnen, wobei das Bundesverfassungsgericht selbst das Bundesverwaltungsgericht korrigierte. Zwischenzeitlich wurde auch der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 28.6.2021[2] tätig.
Die Regelungen der Vergangenheit waren, wie bei der föderalen Vielfalt in Polizeifragen nicht anders zu erwarten, uneinheitlich und waren in einer Vielzahl von Verwaltungsvorschriften und Einzelerlassen geregelt, die-wie noch auszuführen sein wird-vor der aktuellen Rechtsprechung der Obergerichte keinen Bestand hatten. Nahezu übereinstimmen waren nicht erlaubt
- die Abbildung von verfassungsfeindlichen Organisationen (Symbole, Parolen, Fahnen oder Ähnliches)
- rechts-, linksradikale oder allgemein extremistische Darstellungen
- diskriminierende, frauenfeindliche oder sexistische Motive
- Gewalt verherrlichende, menschenverachtende oder andere politisch sensible Motive
Auch sehr große und auffällige Tattoos in sichtbaren Köperbereichen konnten als Eignungsmangel bewertet werden.
Regelungen zum Erscheinungsbild der Beamtenschaft wurden bisher im Bund und in den Ländern überwiegend auf generelle Befugnisse zur Regelung der Dienstkleidung – für Bundesbeamtinnen und -beamte auf § 74 BBG – gestützt. Das BVerwG hat nunmehr entschieden, dass eine Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamtinnen und Beamten einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedarf. [3]Nach dem Urteil bedarf die Ausgestaltung der Einschränkung oder Untersagung von Formen des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten einer Leitentscheidung des Gesetzgebers und darf nicht allein der vollziehenden Exekutive überlassen werden. Dies gilt dabei umso mehr, als hiervon auch unveränderliche Merkmale des Erscheinungsbilds betroffen seien, deren Regelung auch in den privaten Bereich hineinwirkten. Aus der parlamentarischen Leitentscheidung muss erkennbar und vorhersehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.[4]
Die Rechtsprechung – Einheitlichkeit sieht anders aus
In der Vergangenheit wurden deutliche Zweifel an den Rechtsgrundlagen der rigiden Erlaubnispraxis bei der Zulassung von Körperschmuck erstmalig in einem Beschluss des VG Düsseldorf[5] deutlich, das über den Ausschluss eines Anwärters vom Auswahlverfahren wegen einer sichtbaren großflächigen Tätowierung um Unterarm verhandelte und den Ausschluss des Antragstellers vom weiteren Auswahlverfahren als rechtsfehlerhaft einstufte.
Das Gericht stellte fest, dass nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Stellt der Dienstherr Vorgaben für das äußere Erscheinungsbild von Beamten auf, die – wie hier – auch außerhalb des Dienstes Bedeutung haben, muss die Einschätzung der obersten Dienstbehörde, die Bestimmungen seien aus dienstlichen Gründen geeignet und erforderlich, auf plausible und nachvollziehbare Gründe gestützt sein.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze war der Ausschluss des Antragstellers vom weiteren Auswahlverfahren rechtswidrig. Zwar kann der Dienstherr Anforderungen an die charakterliche und persönliche Eignung von Beamtenbewerbern durch Erlass aufstellen. Die Beurteilung des Antragsgegners, die Tätowierung des Antragstellers auf der Innenseite des linken Unterarms beeinträchtige die Neutralitätsfunktion der Uniform, ist aber ermessensfehlerhaft. Denn hierfür mangelt es an einer hinreichenden Erkenntnisgrundlage. Auch ist nicht offenkundig, dass Tätowierungen der vorliegenden Art zur Folge haben, dass ein Polizeivollzugsbeamter von weiten Teilen der Bevölkerung ausgegrenzt wird oder ihm Vorbehalte der Art begegnen, die erwarten lassen, dass er bei der Amtsausführung nicht ernst genommen wird oder dass ihm das dabei erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird. Die Annahme des Antragsgegners, dass großflächige Tätowierungen auf der Innenseite eines Unterarms, auch wenn sie keine mit dem beamtenrechtlichen Neutralitätsgebot unvereinbare Botschaft transportieren, das seriöse und neutrale Auftreten des Bewerbers beeinträchtigen könnte, unterliegt aber durchgreifenden Zweifeln. Denn sie ist nicht belegt. Der Antragsgegner hat davon Abstand genommen, belastbare Erkenntnisse, auf die er entsprechende Feststellungen hätte stützen können, einzuholen. Es mag sich so verhalten, dass es in Teilen der Bevölkerung Vorbehalte gegenüber großflächig tätowierten Polizeivollzugsbeamten gibt. Art und Umfang dieser Vorbehalte sind aber völlig unklar.
Auffällig an diesem Judikat ist der Umstand, dass die Notwendigkeit eindeutiger Ermächtigungsgrundlagen für die Regelung von Körperschmuck nicht thematisiert wurde. Hier markierte das Bundesverwaltungsgericht mit dem Urteil vom 17. November 2017[6] einen entscheidenden Wendepunkt, indem es im Hinblick auf Regelungen zum Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten die Notwendigkeit einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage hervorgehoben. Die Polizei tritt bei ihrer Aufgabenwahrnehmung, insbesondere bei der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse, der Bevölkerung als Verkörperung des Staates gegenüber. In dieser Funktion muss das Verhalten jedes einzelnen nach bereits geltender Rechtslage gemäß § 61 Absatz 1 Satz 3 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) und § 34 Satz 3 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die der Beruf erfordert. Dazu gehört auch das Auftreten und damit untrennbar verbunden das Erscheinungsbild. Besonders deutlich wird das in Bereichen des öffentlichen Dienstes, in denen die Hoheitsträger Dienstkleidung tragen, wie beispielsweise die Polizeiuniform. Diese dient neben der Kennzeichnung der Zugehörigkeit ihrer Trägerin und ihres Trägers zur Polizei sowie des Dienstrangs insbesondere auch der Betonung der amtlichen Funktion, kann es – abhängig von Funktion und Aufgabenbereich – notwendig sein, konkrete Vorgaben zum Erscheinungsbild zu machen oder bestimmte Formen des Erscheinungsbilds zu untersagen.
Regelungen zum Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten wurden bisher im Bund und in den Ländern überwiegend auf generelle Befugnisse zur Regelung der Dienstkleidung – für Bundesbeamtinnen und -beamte auf § 74 BBG – gestützt.[7] Das BVerwG hat nun mit seinem Urteil bestimmt, dass eine Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamtinnen und Beamten einer hinreichend bestimm gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Nach dem Urteil bedarf die Ausgestaltung der Einschränkung oder Untersagung von Formen des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten einer Leitentscheidung des Gesetzgebers und darf nicht allein der vollziehenden Exekutive überlassen werden. Dies gilt dabei umso mehr, als hiervon auch unveränderliche Merkmale des Erscheinungsbilds betroffen seien, deren Regelung auch in den privaten Bereich hineinwirkten. Aus der parlamentarischen Leitentscheidung muss erkennbar und vorhersehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll.
Als der Bayerischer VGH[8] die Berufung eines Polizeioberkommissars zurückwies, dem die Genehmigung einer Tätowierung mit einem verzierten Schriftzug – „aloha“ – auf dem Unterarm im sog. sichtbaren Bereich versagt wurde, nahm er ausdrücklich auf das Urteil des BVerwG Bezug, indem er feststellte: Das Verbot des Tragens von Tätowierungen im sichtbaren Bereich bei uniformierten Beamten greift in das auch den Beamten durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht ein. Es bedarf daher einer gesetzlichen Grundlage. Dieser Anforderung ist vorliegend genügt. Mit Art. 75 Abs. 2 BayBG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung personalaktenrechtlicher und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 18. Mai 2018 (GVBl. S. 286) liegt eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage vor, die jedenfalls für die Reglementierung von Tätowierungen von Polizeivollzugsbeamten (die bereits in einem Beamtenverhältnis stehen) Maßstäbe nach Inhalt, Zweck und Ausmaß enthält. Denn nach dieser Bestimmung kann die oberste Dienstbehörde nunmehr nähere Bestimmungen über das Tragen von Dienstkleidung und das während des Dienstes zu wahrende äußere Erscheinungsbild der Beamten und Beamtinnen treffen, sofern es das Amt erfordert (Satz 1). Nach Satz 2 der Bestimmung zählen auch Haar- und Barttracht sowie sonstige sichtbare und nicht sofort ablegbare Erscheinungsmerkmale dazu.“
Der VGH betonte, dass die gesetzgeberische Entscheidung auf plausiblen und nachvollziehbaren Gründen beruht, indem sie den Allensbacher Kurzbericht vom 8. Juli 2014 zur Kenntnis nimmt und eine verwertet die Projektarbeit der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Polizei – zum Thema „Akzeptanz verschiedener polizeilicher Erscheinungsbilder in der Bevölkerung“ vom Januar 2010 verwertet. In der Gesetzbegründung[9] (LT-Drs. 17/21474, S. 2) wird aus der Projektarbeit zusammenfassend zitiert:
„Nach deren Ergebnissen empfanden über 30% der befragten Teilnehmer Tätowierungen im sichtbaren Bereich bei männlichen, uniformierten Polizeibeamten als sehr störend und weitere ca. 20% als störend. Die Ablehnung stieg mit zunehmendem Alter der Befragten an. So gaben 53,1% der bis 25-jährigen Befragten gegenüber 73,8% der über 45-jährigen Befragten an, sie erachteten Tätowierungen bei männlichen, uniformierten Polizeibeamten im sichtbaren Bereich als störend bzw. sehr störend. Noch höher war die Ablehnung gegenüber Tätowierungen im sichtbaren Bereich bei weiblichen, uniformierten Polizeibeamtinnen, die mehr als 40% der Befragten als sehr störend und weitere ca. 20% als störend beurteilten“.
Ausgehend von den Feststellungen der Projektarbeit habe der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden weiten Einschätzungsprärogative die Neutralität von Polizeivollzugsbeamten durch das Tragen von Tätowierungen gefährdet gesehen, die aus seiner Sicht gebotenen Konsequenzen gezogen und die oberste Dienstbehörde legitimiert, permanente oder dauerhafte Erscheinungsmerkmale, die der Beamte nicht nach dem Ende des Dienstes wie Kleidung oder Schmuck ablegen kann, als unzulässig einzustufen, wenn das das Amt erfordert, zumal durch die Bezugnahme auf die Projektarbeit der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Polizei – deutlich wird, dass Art. 75 Abs. 2 BayBG auf berechtigten Annahmen über Vorbehalte in der Bevölkerung und einer damit verbundenen Ansehens- und Vertrauensminderung beruht und nicht lediglich auf Vorurteilen hierüber oder auf eigenen modischen oder ästhetischen Vorstellungen des Dienstherrn selbst.
In dem Revisionsverfahren vor dem BVerwG, das wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen wurde, [10] trug der Kläger trägt zur Begründung vor, die Ablehnung seines Antrags, sich im sichtbaren Bereich seines Unterarmes das Wort „aloha“ tätowieren zu lassen, verletze ihn in seinem Persönlichkeitsrecht. Der Verwaltungsgerichtshof verkenne, dass es nicht ausreichend sei, einen Eingriff in das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit eines Beamten damit zu begründen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit für einen derartigen Eingriff geschaffen habe. Es sei vielmehr zusätzlich erforderlich, dass für diesen Eingriff plausible und nachvollziehbare Gründe durch die oberste Dienstbehörde benannt werden können. Daran fehle es hier.
Das Gericht wies die Revision mit der Begründung zurück, dass mit der Neufassung des Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG im Jahr 2018 der bayerische Gesetzgeber unmittelbar die parlamentarische Leitentscheidung getroffen habe, dass sich Polizeivollzugsbeamte in dem beim Tragen der (Sommer-)Uniform sichtbaren Körperbereich nicht tätowieren lassen dürfen. Das in Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG normierte Verbot für Polizeivollzugsbeamte, sich an Kopf, Hals, Händen und Unterarmen im sichtbaren Bereich tätowieren oder vergleichbar behandeln zu lassen, verletzt weder das allgemeine Persönlichkeitsrecht dieser Beamten noch verstößt es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn dieses Verbot ist geeignet und erforderlich, das vom Gesetzgeber vorgegebene Ziel eines einheitlichen und neutralen Erscheinungsbildes der Polizei zu fördern.
Das BVerwG verwarf de Revision mit der Begründung, dass nach Art. 75 Abs. 2 Satz 1 BayBG die oberste Dienstbehörde, soweit es das Amt erfordert, nähere Bestimmungen über das Tragen von Dienstkleidung und das während des Dienstes zu wahrende äußere Erscheinungsbild der Beamten und Beamtinnen treffen kann. Dazu zählen gemäß Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG auch Haar- und Barttracht sowie sonstige sichtbare und nicht sofort ablegbare Erscheinungsmerkmale. Zur Regelung in Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG ist der bayerische Gesetzgeber befugt. Die Vorschrift des Art. 75 Abs. 2 BayBG ist hinreichend bestimmt, sowohl was die Tatbestandsmerkmale angeht als auch die Rechtsfolge betreffend. Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG genügt des Weiteren – auch unter ggf. gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen im Hinblick auf Tätowierungen und vergleichbare äußere Erscheinungsmerkmale – den sonstigen Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit, insbesondere an die Verhältnismäßigkeit der Regelung.
Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung von Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG die vom Senat im Urteil vom 17. November 2017 geforderte „parlamentarische Leitentscheidung“ für Polizeivollzugsbeamte selbst getroffen hat. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Gesetzgeber die Neuregelung in Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG im Jahr 2018 ausdrücklich und unter Bezugnahme auf die kompetenzrechtlichen Überlegungen des vorgenannten Senatsurteils geschaffen hat. Zum anderen und vor allem heißt es zur Begründung in der Landtagsdrucksache (LT-Drs. 17/21474, S. 1) wörtlich: „Mit der Dienstkleidung und insbesondere der von Polizeivollzugsbeamten zu tragenden Uniform soll, neben einer Kennzeichnung der Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen, die Neutralität ihrer Träger zum Ausdruck gebracht werden. Diese wäre insbesondere bei Tätowierungen oder auffallendem Körperschmuck (Piercings, Ohrtunnel o.ä.) im sichtbaren Bereich beeinträchtigt. Individuelle Interessen müssen gegenüber der Notwendigkeit eines einheitlichen/neutralen Erscheinungsbilds zurücktreten.“ Daraus folgt, dass der Gesetzgeber – jedenfalls für Polizeivollzugsbeamte, die zum Tragen von Dienstkleidung verpflichtet sind – selbst die Entscheidung über ein generelles Verbot für Tätowierungen und andere nicht sofort ablegbare Erscheinungsmerkmale in dem beim Tragen der Uniform sichtbaren Körperbereich getroffen hat. Das Amt eines hoheitlich tätigen Polizeivollzugsbeamten erfordert nach dem für den Senat maßgeblichen Regelungswillen des bayerischen Gesetzgebers, dass der einzelne Polizeivollzugsbeamte im beim Tragen von Dienstkleidung sichtbaren Körperbereich auf äußerlich erkennbare dauernde Körpermodifikationen grundsätzlich zu verzichten hat.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde , in der die zuständige Kammer des BVerfG einstimmig beschloss, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Mai 2020 – 2 C 13.19 – den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes verletzt. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurde aufgehoben und die Sache wurder an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.[11]
Die Richter argumentierten, dass Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne gewährleistet, allerdings nur in den von dieser Grundrechtsnorm genannten Schranken. Sie steht insbesondere unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung und kann durch diese eingeschränkt werden. Während der Bayerische Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass – „da eine erkennbare parlamentarische Leitentscheidung vorliegt“ – eine Delegation an die oberste Dienstbehörde erfolgen durfte, die aus Gründen der Praktikabilität die näheren Einzelheiten durch eine Verwaltungsvorschrift oder Weisung ausformt, sieht das Bundesverwaltungsgericht in Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG selbst ein Verbot für Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte, sich im sichtbaren Bereich tätowieren oder vergleichbar behandeln zu lassen. Diese Rechtsauffassung lässt sich mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden begründen. Unschwer lassen sich Tätowierungen im sichtbaren Bereich (bei Zugrundelegung der Sommeruniform auch am Unterarm) zwar unter Satz 2 subsumieren. Die Rechtsfolge, die das Bundesverwaltungsgericht aus Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG herausliest, geht aber sehr deutlich über die Wortlautgrenze hinaus. Dass unmittelbar in Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG ein Verbot für Polizeibeamtinnen und -beamte geregelt ist, sich im sogenannten sichtbaren Bereich tätowieren zu lassen, lässt sich dem Wortlaut der Norm, insbesondere mit Blick auf Satz 1, unter keinem denkbaren begrifflichen Ansatz entnehmen.
Indem das Bundesverwaltungsgericht Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG einen Sinn zugrunde legt, den der Gesetzgeber offensichtlich nicht hat verwirklichen wollen und der auch in keiner Weise Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden hat, überschreitet es die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung. Es mag sein, dass eine bloße Ermächtigung, die es der obersten Dienstbehörde ermöglicht, dauerhafte oder permanente Erscheinungsbilder als unzulässig einzustufen, nicht den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2017 festgelegten Anforderungen entspricht. Deshalb jedoch entgegen dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung davon auszugehen, dass das Tätowierungsverbot direkt in Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayBG geregelt ist, widerspricht den anerkannten Auslegungsmethoden.
Der Gesetzgeber hat gesprochen
Als vorläufige Zwischenetappe im Streit um Körpermerkmale ist nunmehr das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 28.06.2021 in Kraft getreten.[12] Das Gesetz hatte bereits im Mai 2021 die Zustimmung des Bundesrats erhalten und passierte vorab ohne Debatte mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der Oppositionspartei AfD den Bundestag. Hauptbestandteil des Gesetzes ist die Schaffung einer einheitlichen Grundlage zum Erscheinungsbild der Beamtenschaft.
In der Gesetzesbegründung wurde als Problem unter Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2017 herausgestellt, dass eine Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen bei Beamtinnen und Beamten einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das Verbot des Tragens von Tätowierungen greife in das auch Beamtinnen und Beamten durch Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht und in ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG ein. Die bisherigen Regelungen im Bund und in einigen Ländern zum Erscheinungsbild von Beamtinnen und Beamten überwiegend durch Verwaltungsvorschriften oder Runderlasse erfüllen nicht die Anforderungen an eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Inhalt und Art entsprechen nicht dem vom BVerwG festgelegten Maßstab zur Regelung des zulässigen Ausmaßes von Tätowierungen und anderer Formen des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten.[13]
Zur Lösung der Problematik wurden durch die Neufassung des § 61 Absatz 2 BBG und des § 34 Absatz 2 BeamtStG hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlagen zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten geschaffen. Wesentliche Fragen des Eingriffs in die Grundrechte von Beamtinnen und Beamten werden damit in einer Leitentscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers geregelt. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, Einzelheiten zum Erscheinungsbild durch Rechtsverordnungen zu regeln. Mit den neuen Ermächtigungsgrundlagen korrespondierend wurden in § 7 Absatz 1 Nummer 4 BBG und in § 7 Absatz 1 Nummer 4 BeamtStG Regelungen eingefügt, wonach es einer Berufung in das Beamtenverhältnis entgegensteht, wenn unveränderliche Merkmale des selbst gewählten Erscheinungsbilds der zu ernennenden Person gegen § 34 Absatz 2 BeamtStG oder § 61 Absatz 2 BBG verstoßen. [14]
Der Bestimmung des § 61 BBG über Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten und Erscheinungsbild (gleichlautend § 34 BeamtStG) wurde nach Absatz 1 folgender Absatz eingefügt:
Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz werden ermächtigt, jeweils für ihren Geschäftsbereich die Einzelheiten zu den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.
Abschließende Bewertung
Polizei und Modeerscheinungen sind Ausdruck einer Heerscharen von Ministerialen und Dienstvorgesetzten beschäftigenden Symbiose, die schon seit Jahren anhält – von der Länge der Haare beginnend über die Zulässigkeit von Bärten bis zu Ohrschmuck, Piercing und letztlich die Bereitschaft, sich tätowieren zu lassen. Bereits die seit Jahren zu verzeichnende augenfällige Zunahme von Tätowierungen im sichtbaren Bereich verdeutlicht aber, dass ein gesellschaftlicher Wandel – in welchem Umfang auch immer – stattgefunden hat. Körperschmuck ist Ausdruck des in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels, der auch vor staatlichen Veranstaltungen wie Schule, Bundeswehr und Polizei nicht Halt macht. Auch lassen insbesondere Tätowierungen, sofern nicht verbotenen Inhalts, keine Rückschlüsse auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu und damit gegebenenfalls einhergehende gesellschaftliche Einstellungen zu.
Eine wissenschaftlich abgesicherte Untersuchung, ob großflächige Tätowierungen tatsächlich dazu führen, dass ein Polizeivollzugsbeamter von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird, steht noch aus. Auch gibt es keine Belege, dass Personen, die Tätowierungen bei Polizeivollzugsbeamten für nicht vorteilhaft halten oder sogar ablehnen, sich deswegen ihren Anordnungen widersetzen, ihre Hinweise nicht ernst nehmen oder es ablehnen, sie um Hilfe zu bitten.
Zwar können bestimmte Verbote von Erscheinungsformen aus Gründen der Repräsentation gerechtfertigt sein, wenn sie geeignet und erforderlich sind, um einer Ansehensbeeinträchtigung vorzubeugen. Aber auch das Interesse an einer angemessenen staatlichen Repräsentation vermag in einer pluralistischen Gesellschaft nur das Verbot von Erscheinungsformen rechtfertigen, die in der Weise aus dem Rahmen des gesellschaftlich Üblichen fallen, dass sie nach den herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen als unkorrekt oder unüblich gelten. Ob es den anstehenden Rechtsverordnungen gelingen wird, den Spannungsbogen zwischen dienstlichen Erfordernissen und fortschreitendem gesellschaftlichen Wandel aufzulösen, bleibt abzuwarten, zumal der gemeinhin übliche Respekt vor hoheitlich handelnden Personen ohnehin immer weiter erodiert.
Nachsatz: Dem durch alle Instanzen klagenden bayerischen Polizeibeamten wurde zwischenzeitlich durch eine mit Auflagen versehene Einzelfallentscheidung des zuständigen Innenministeriums das gewünschte Tattoo zugestanden.
[1] BT-Drs. 19/26839, S. 31
[2] BGBl. I 2021, S. 2250.
[4] B t-Drs. 19/26839 S. 30 f.
[5] VG Düsseldorf, Beschluss vom 24.08.2017 – 2 L 3279/17.
6 BVerwG Urteil vom 17. November 2017-2 C 25.1.
[7] BT-Drs. 19/26839.
[8] Bayerischer VGH Urteil v. 14.11.2018-3BV 16.2072
[9] Bayerischer Landtag Drs. 17/21474 S. 2.
[10] BVerwG, Urteil vom 14.05.2020 – 2 C 13.19.
[11] BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 18. Mai 2022 – 2 BvR 1667/20 -.
[12] BGBl. I 2021, S. 2250.
[13] BT-Drs. 19/26839, S. 1.
[14] Ebda. S. 2.