Polizeiwissenschaft im Wandel

Eine kritische Bestandsaufnahme im Rückblick der letzten 10 Jahre

Von Polizeidirektor Christoph Keller, HSPV NRW – Abteilung Münster

1. Einleitung

Die in Deutschland geführte Diskussion um Polizeiwissenschaft und ihre Grundlegung als eigenständige Wissenschaftsdisziplin ist auch in den letzten zehn Jahren kontrovers diskutiert worden und bis zum heutigen Tag nicht entschieden. Es ist nicht gelungen, eine eigenständige Disziplin der Polizeiwissenschaft herauszubilden (vgl. Frevel 2015, S. 18 f.). Dabei hat sich die Polizeiwissenschaft im modernen Sinne in den letzten Jahrzehnten international gut entwickelt. In der englischsprachigen Literatur ist die Beschäftigung mit policing seit Jahrzehnten fest etabliert (vgl. Feltes/Reichertz 2019, S. 27). In Deutschland wird zwar seit 1950 immer wieder über eine Polizeiwissenschaft diskutiert, allerdings ist nennenswerter Geländegewinn nicht zu verzeichnen. Vielmehr ist in den letzten Jahren eine Abnahme der Bedeutung der Polizeiwissenschaft zu konstatieren.

Insgesamt ist die deutsche Polizeiwissenschaft gegenüber dem gegenwärtigen internationalen Stand in Rückstand geraten. Vermisst wird etwa ein polizeiwissenschaftlicher „think-tank“, etwa nach amerikanischem oder englischem Vorbild, in dem ausgewiesene Polizeiwissenschaftler als Politikberater tätig sind (vgl. Behr 2015, S. 35). Zwar hatte die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Institution Polizei und mit den dort tätigen Akteuren um die Jahrtausendwende einen vorläufigen Höhepunkt erreicht (vgl. Feltes/Reichertz 2019, S. 21), allerdings stagniert die gesellschaftliche und wissenschaftliche Anerkennung. Dabei ist unbestritten, dass der Polizei in der wissenschaftlichen Forschung eine zentrale Bedeutung zukommt. Die Gesellschaft verändert sich in einem enormen Tempo. Alles scheint sich zu beschleunigen. Die Polizei bleibt davon nicht unberührt. Im Gegenteil. Innere Sicherheit ist zu einem wichtigen Gut geworden. Die Menschen erwarten vom Staat, dass er angesichts der verstärkt empfundenen Verunsicherungen, die mit diesen Entwicklungen verknüpft sind, Sicherheit vermittelt. Für die Polizei – wie überhaupt für die öffentliche Sicher-heitsverwaltung – wird die Arbeit komplizierter, die Anforderungen wachsen (vgl. Lange 2019, S. 28). Wie keine andere Institution steht die Polizei immer wieder im Fokus des öffentlichen Interesses, insbesondere (auch) dann, wenn es zu aufsehenerregenden Einzelfällen kommt. Exemplarisch sei aktuell an das Polizeiversagen auf dem Campingplatz Lügde erinnert, welches bundesweit für Schlagzeilen sorgte.

Während im Ausland „Policing“ und „Police Science“ anerkannte und wichtige Elemente an Hochschulen und in der Praxis darstellen, wird in Deutschland die Existenz der Polizeiwissenschaft als eigenständige Wissenschaft gar in Abrede gestellt (vgl. Kersten 2014, S. 53). Überdies ist mitunter ein Wildwuchs verschiedener Terminologien auszumachen. Sie reichen von Polizeiwissenschaft, angewandte Polizeiwissenschaft, Police Science, Polizeiwissenschaft i.e.S., Polizeiwissenschaft i.w.S. bis hin zum Begriff der Sicherheitswissenschaft (vgl. Liebl 2015, S. 25). Angesichts der Unklarheiten im Hinblick auf unterschiedliche Begrifflichkeiten erfolgt nachfolgend auch eine Abgrenzung der beiden zum Teil synonym benutzten Begriffe Polizeiwissenschaft und Polizeiforschung (Ziff. 2). Sodann wird darauf eingegangen, wie sich die Polizeiwissenschaft in den letzten 10 Jahren entwickelt hat. Im Zentrum der Betrachtung sollen dabei die Gründe stehen, die ursächlich dafür sind, dass die Polizeiwissenschaft stagniert. Als Ursachen kommen vor allem in Betracht die Beschränkung der Professionalisierung der Polizei auf Expertisierung (Ziff. 3), Aspekte der Aus- bzw. Fortbildung der Polizei (Ziff. 4) sowie Tendenzen der Abschottung der Polizei gegenüber der Forschung (Ziff. 5) und damit einhergehend eine kaum ausgeprägte Fehlerkultur in der Polizei (Ziff. 6).

2. Polizeiwissenschaft und Polizeiforschung

2.1 Polizeiwissenschaft

Gegenstand der modernen Polizeiwissenschaft ist die Polizei als Institution (Police), wobei deren Organisation, ihre Aufgaben und ihre Arbeit (Policing) ebenso einbezogen sind wie ihre Rolle in der Gesellschaft, die Beziehungen zu sozialen Gruppen, das Bild der Polizei in den Medien sowie ihr Ansehen in der Bevölkerung. Zur Institution Polizei als Gegenstand der Polizeiwissenschaft gehört auch das Personal, dessen Zusammensetzung, die Personalauswahl, die Aus- und Fortbildung der Polizeibeamten  sowie Führung und Zusammenarbeit in der Polizei und die Polizeikultur (vgl. Mokros 2009, S. 14 f.). Diesem Ansatz streng folgend lehnt sich die Polizeiwissenschaft jedoch mehr oder weniger ausschließlich an die „Institution Polizei“ an, sozusagen als Polizeiwissenschaft i.e.S. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, dass polizeiliche Aufgaben auch von anderen Institutionen und Dienstleistern wahrgenommen werden. Polizeiwissenschaft muss daher über eine Wissenschaft von der Polizei oder über die Polizei hinausgehen. Sie muss berücksichtigen, dass Sicherheitsaufgaben von verschiedenen Institutionen, aber auch von nicht institutionellen Teilen der Gesellschaft (wie Individuen, Nachbarschafts-gruppen etc.) wahrgenommen werden. Innere Sicherheit wird gar wesentlich von Faktoren beeinflusst, auf die die Polizei keinen oder kaum Einfluss hat. Es handelt sich bei der Polizeiwissenschaft im hier verstandenen Sinne um eine Wissenschaft von der Polizei und anderen Sicherheitsdienstleistern, „deren Handeln im Kontext der Gewährung von individueller Sicherheit und der politischen Verortung und Bewertung dieser Aufgaben gesehen“ (Feltes 2015, S. 5).

2.2 Polizeiforschung

Konstitutives Element jeder Wissenschaft ist die ihr zugrunde liegende For-schung. Wissenschaft braucht Forschung. Auf der anderen Seite kann es keine Forschung ohne wissenschaftliches Fundament geben. Polizeifor-schung ist somit eine Säule der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Polizei (Polizeiwissenschaft). Gegenstand ist die Untersuchung der Polizei und ihres Handelns mit wissenschaftlichen Methoden. Fragen, Theorien und Methoden sind hierbei von unterschiedlichen Fachdisziplinen geprägt (Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Soziologie, Kriminologie u.a.). Unterschieden wird zwischen theoretischer und empirischer Forschung. Erstere wird als Grundlagenforschung bezeichnet und dient der Entwicklung wissenschaftlicher Theorien in Abgrenzung zu Alltagstheorien. In der polizeiwissenschaftlichen Forschung dominiert die Empirie („Empirische Polizeiforschung“). Empirische Polizeiforschung versucht, erfahrungs- und datengeleitet, Aspekte des Wirklichkeitsverständnisses der Polizei zu einer eigenen Perspektive zu verbinden. Sie erfindet keinen neuen Gegenstand, sondern hat denselben Gegenstand im Blick, den auch Polizeibeamte vor Augen haben bzw. haben können. Aber sie interpretiert ihn anders. Forschung geht notwendigerweise auf Distanz zum Wissen und Erfahrungshintergrund der in dem Forschungsfeld Tätigen. Es geht dabei nicht um Besserwissen, sondern um Perspektivwechsel. Weil es um die Polizei als gesellschaftliche Institution geht, ist empirische Polizeiforschung immer auch sozialwissenschaftliche Forschung (vgl. Mokros 2009, S. 11).

3. Das Erkenntnisinteresse der Polizeiwissenschaft

Das Selbstverständnis der Polizeiwissenschaft und der -forschung und das darauf fußende Erkenntnisinteresse provoziert zu der Frage, mit welchem Ziel Forschung betrieben werden soll. Die Fragen, was genau denn For-schungsgebiet der Polizeiforschung sei, welche Theorie oder Empirie geleiteten Methoden zu verwenden seien und die Grundsatzdebatte über die Unabhängigkeit der Forschenden von der untersuchten Organisation der Polizei, die in der Fragestellung „Forschung der Polizei“, „Forschung für die Polizei“ oder “Forschung über die Polizei“ zum Ausdruck kommt, werden mitunter pointiert diskutiert und erschweren den thematischen Zugang (vgl. Reinartz 2009, S. 181). Ob der Begriff der Polizeiwissenschaft tatsächlich Interpretationen auslösende Bilder hervorruft, „die in der Wissenschaft und in der Polizei die Mutmaßung stärken […], dass diese neue Wissenschaft der Polizei zuarbeiten würde“ (Ohlemacher 2015, S. 43), mag dahingestellt sein. Es besteht jedenfalls Klärungsbedarf im Hinblick auf die Frage, ob für oder über die Polizei geforscht wird. Die Praxis hat mitunter ein anderes Erkenntnisinteresse als die Polizeiwissenschaft bzw. die Polizeiforschung. Zum Verhältnis von Polizeipraxis und Wissenschaft stellte der langjährige Leiter des LKA Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Gatzke, fest, dass es einer zielgerichteten Forschung zu polizeilich relevanten Themen bedürfe (Gatzke 2015, S. 48). Allerdings forderte er: „Die polizeiliche Praxis benötigt von Wissenschaft und Forschung vorrangig Ergebnisse mit Anwendungsbezug für ihre konkrete Aufgabenwahrnehmung“ (Gatzke 2015, S. 49).

Gefordert wird somit eine Wissenschaft, die auf die polizeiliche Praxis ausgerichtet ist und zur Lösung praktischer polizeilicher Probleme beiträgt. Wissen soll praxistauglich sein oder zumindest die Ausübung der beruflichen Praxis nicht stören. Wenn die Polizei mit diesem Anwendungsimperativ an die Wissenschaft herantritt, betritt aber ein (altbekannter) Perspektivfehler die Bühne (vgl. Grutzpalk et.al. 2018, S. 258). Die Wissenschaft folgt einer anderen Handlungslogik, sie soll ohne Zeitdruck bestimmte Dinge näher untersuchen. Die empirische Poli-zeiforschung untersucht zwar auch die Organisation der Polizei bzw. die Polizeiarbeit. Untersucht wird aber die polizeiliche Handlungslogik, ohne ihr zu folgen. Mithin wird das Geschäft der Polizei untersucht, ohne es selbst zu betreiben (vgl. Reichertz 2015, S. 12; ders. 2013, S. 65 ff.). Polizeiforschung ist somit in erster Linie „Forschung über die Polizei“. Gleichwohl soll Wissenschaft nicht im „Elfenbeinturm“ stattfinden, sondern muss auch einen Bezug zum realen Leben haben. Als erwünschte Nebenwirkung können durch Forschung natürlich auch Hinweise für die praktische Arbeit gewonnen werden.

Es ist aber in der Regel nicht der Hauptzweck. Es geht vielmehr um Aufklärung. Vor dem Ergebnis steht die Analyse. So wichtig praktische Erfahrung, die Erprobung in einem System von „trial and error“, ist, so darf nicht übersehen werden, dass erst das theoretische Fundament die Versuchsanordnung ermöglicht und Erfolge und Fehler unterscheidbar macht. Polizeiwissenschaft ist jedenfalls keine wie auch immer geartete Hilfswissenschaft zur Optimierung oder Bestätigung der eigenen polizeilichen Arbeit. Vielmehr ist eine Be-schränkung der Profession auf Expertisierung kontraproduktiv. Polizeifor-schung hat mithin die Logik der polizeilichen Arbeit zu untersuchen, indem sie z.B. danach fragt, wie das Handeln der Polizei ausgerichtet ist, welche Normen ihrem Handeln zugrunde liegen oder wie die Organisation struktu-riert ist (vgl. Feltes/Reichertz 2019, S. 33). Gefordert ist wissenschaftliche Perspektivenneutralität, kritische Distanz und Reflexivität, und keine Auf-tragsforschung mit „gewünschten“ Ergebnissen. Allerdings wird von Teilen der Praxis weder eine Akademisierung der Ausbildung noch eine Verwissenschaftlichung der Polizeipraxis gefordert, gefördert oder für gutgeheißen. Repulsionseffekte gegenüber der „Wissenschaft“ sind genauso stark wie die Zustimmung, und zwar organisationskulturell durchaus mit unterschiedlichen Gewichtungen. Je näher man der sog. „Cop Culture“ kommt, desto höher scheint die Ablehnung jedweder „Theorie“, die sich nicht mit der eigenen Erfahrung deckt (vgl. Behr 2015, S. 35). Forschung steht letztlich in Abhängigkeit zu dem jeweiligen Organisationsverständnis von der wissenschaftlichen Beschäftigung mit polizeilichem Handeln. Die Frage zum Verhältnis von Wissenschaft und Polizei stellt sich somit im besonderen Maße für jene Forschungseinrichtungen, die innerhalb der Polizei forschen.

Zwar wird der Nutzen der Wissenschaft für die Organisation Polizei heute weitgehend anerkannt, nichtsdestotrotz besteht gemeinhin die Gefahr einer Vereinnahmung der Wissenschaft durch die Polizei (vgl. Ohlemacher 2010, S. 7). Zudem ist davon auszugehen, dass gewisse Themen, die als wenig prestigesteigernd empfunden werden, abgeblockt werden. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass sich polizeieigene Forschung (auch) in einem Spannungsfeld verschiedener Interessen befindet. In diesem Zusammenhang wird von einer „Interessen-Trilogie“ (Jarchow 2016, S. 193 f.) gesprochen, welches sich aus einem Verwaltungsinteresse, einem Verwendungsinteresse und einem Verwertungsinteresse speist.

4. Die Akademisierung der Polizeiausbildung

4.1 Polizeiwissenschaft an den Fachhochschulen

Mitte der 1970er begann mit der Gründung der Fachhochschulen für die Polizei die Akademisierung der Polizeiausbildung. Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse wurden in den polizeilichen Kernfächern (Einsatzlehre, Verkehrslehre, Kriminalistik, Führungslehre) berücksichtigt. Wenngleich die genannten Fächer als Polizeiwissenschaften bezeichnet wurden (und werden), fand eine kritische Reflektion des Polizeihandelns auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse kaum statt. Die Polizeiwissenschaft ist in der Ausbildung des gehobenen (und höheren) Polizeivollzugsdienstes nach wie vor nicht hinreichend angekommen (vgl. Liebl 2015, S. 25 ff.). Die traditionelle Didaktik „berufsschulmäßiger“ Polizeilehre folgt vielfach immer noch dem Prinzip „Polizisten lernen von Polizisten, was Polizisten von Polizisten gelernt haben“ (Kersten 2012, S. 8). Diese „technokratische[n] Handhabung von Bildung, die oft genug in der Nachahmung der vorgängigen Praxis endet“ (Behr 2013, S. 182), ist sicherlich nicht zeitgemäß, wenngleich man sich in bestimmten Pra-xisfächern (z.B. Einsatzlehre) auf Kompromisse wird einlassen müssen (vgl. Salzmann 2019, S. 150 ff.).

Die sog. polizeitypischen Fächer leiden letztlich an dem Geburtsfehler, „dass sie als ursprünglicher Nukleus der Polizeiaus-bildung […] vielerorts als bloße Kumulationen von Erfahrungswissen, Rezep-ten, Routinen und ähnlichen pejorativen Zuschreibungen als unakademisch abgelegt werden“ (Walter 2015, S. 217). Gerade diese Fächer versprechen aber eine besonders ertragreiche Begegnung von Theorie und Praxis und provozieren förmlich einen forschenden Zugang. Wissenschaft und Praxis werden mitunter als Gegensatz verstanden. Gemeinsamkeiten und gegen-seitige Abhängigkeiten werden entweder nicht gesehen oder aber ignoriert. Notwendig ist mithin eine praxisorientierte und zugleich wissenschaftlich fundierte Polizeiausbildung. Wissenschaft und Praxis werden damit in ihrer Verbindung zu gemeinsamen Pfeilern effektiver Polizeiausbildung und schließlich effektiver und effizienter Polizeiarbeit (vgl. Heckmann 2007, S. 100).

Polizeiliches Handeln generiert ein Erfahrungswissen, welches geradezu danach verlangt, in theoretische Modellierungen einzufließen. Grundlage der Stoffvermittlung in den polizeitypischen (Kern-)Fächern ist mithin nicht zu reduzieren auf die unwissenschaftliche Alltagserfahrung der polizeilichen Praxis. Diese Annahme verstellt den Blick für die besondere Interdisziplinarität der Polizeiausbildung (vgl. Frevel 2013, S. 194). Welche geringe Rolle die Polizeiwissenschaft in der Ausbildung bzw. im Studium der Polizei an den Fachhochschulen bzw. Polizeiakademien spielt, wird deutlich an den Inhalten des Curriculums der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes NRW. Im fachwissenschaftlichen Studium werden in sechs Modulen theoretische Grundlagen vermittelt. Die Polizeiwissenschaft als eigenständige Disziplin wird in den Modulbeschreibungen des Bachelorstudienganges Polizei an der FHöV NRW nicht erwähnt. Polizeiwissenschaft ist zwar dem Namen nach vertreten, doch bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass die jeweilige Fachidentität, die der Polizeiwissenschaft untergeordnet wurde, im Vordergrund steht. Die Implementierung der Polizeiwissenschaft an den Fachhochschulen und Polizeiakademien könnte dann gelingen, wenn dort eine ausreichend große Zahl von Dozenten – auch als Lehrbeauftragte – tätig sind, die mit der Polizeiwissenschaft vertraut und von deren Notwendigkeit überzeugt sind. Hier sei mit Nachdruck auf die Möglichkeit des Masterstudienganges Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum hingewiesen. Zumindest eröffnet sich ein Berufsfeld an den Fachhochschulen für Absolventen dieses Studienganges.

4.2 Polizeiwissenschaft an der Deutschen Hochschule der Polizei

Die eigentliche Renaissance der Polizeiwissenschaft in Deutschland begann, als die Pläne für die Gründung einer „Deutschen Hochschule der Polizei“ (DHPol) bekannt wurden. In § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPolG) von 2005 wurde die Förderung der Polizeiwissenschaft explizit als Aufgabe der Hochschule benannt. Hiernach hat die Hochschule die Aufgabe, „die Polizeiwissenschaft durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung zu pflegen und zu entwickeln“. Im Gesetzeswortlaut fällt auf, dass mit der Formulierung „die Polizeiwissenschaft“ diese bereits schlicht als existierend vorausgesetzt wird. Andernfalls könnte der neu entstehenden Polizeihochschule auch nicht die Verpflichtung ihrer Pflege und Entwicklung zugewiesen werden (vgl. Neidhardt 2007, S. 221).

In Lehre und Forschung der DHPol ist die „Polizeiwissenschaft“ indes nicht adäquat präsentiert. Im Modulhandbuch 2017/2019 der DHPol findet sich das Wort „Polizeiwissenschaft“ sechsmal. Ausweislich des Vorwortes des Präsidenten der DHPol (Lange) erhalten die Studierenden in einer gemeinsamen Studieneingangsphase „Einblicke in die Neuausrichtung der Polizeiwissenschaft mit einer verwaltungswissenschaftlichen Rahmung (Modul 1)“.  Curricular geht es um „Grundlagen der Polizeiwissenschaft als Spezialgebiet der Ver-waltungswissenschaft“ (sic). Im Zentrum stehen Synthesen aus Verwal-tungswissenschaften und praxeologische Themen der Öffentlichen Sicher-heitsverwaltung. Eine Fragestellung richtet sich dabei auf die Entwicklung einer gemeinsamen Wissenschaftskonzeption für Forschung, Lehre und Fortbildung im Bereich der Öffentlichen Sicherheitsverwaltung sowie der Sicherheits- und Polizeiforschung.

Das Lernziel besteht darin, dass Studierende sich anhand der einschlägigen Literatur im Themenfeld Polizeiwissenschaft-Verwaltungswissenschaft orientieren können. Ob diese Ausrichtung der gesetzgeberischen Intention des § 4 Abs. 2 DHPolG gerecht wird, ist zu bezweifeln. Kersten, von 2007 bis 2013 Leiter des Fachgebietes „Allgemeine Polizeiwissenschaft” an der DHPol ist seinerzeit berufen worden, um die Polizeiwissenschaft weiter zu entwickeln. In verschiedenen Aufsätzen (vgl. Kersten 2012; 2012a; 2014) hat Kersten zur Polizeiwissenschaft bzw. deren Perspektiven Stellung bezogen. Bei der Beschreibung von „Perspektiven der Polizeiausbildung und der -wissenschaft“ (Kersten 2014) werden faktisch nur Mängel in der Polizei beschrieben, die für die unzureichende Entwicklung der Polizeiwissenschaft ursächlich sein sollen: „Die Skepsis [der Polizeiführung] gegenüber externen Kontrollen polizeilichen Fehlverhaltens, das Zögern in Richtung ‚Fehlerkultur‘, die nicht durchgängig erfolgreich verlaufende Integration von Angehörigen von Minderheiten/jungen Menschen mit Migrationshin-tergrund in die Polizei, der Umgang mit erregten Massen, die immer noch mangelhafte Karriereförderung von Polizistinnen verweisen auf Forschungs-bedarf“ (Kersten 2014, S. 53).

Ideen, Vorschläge zur Entwicklung einer Polizeiwissenschaft sind den Beiträgen allerdings nicht zu entnehmen. Ansonsten wird konstatiert, dass Polizeiwissenschaft keinen Bestand haben kann, „weder als ‚kritische Polizeikritik‘ noch als normativ-philosophischer Debattierzirkel“ (Kersten 2012a, S. 14). An dieser Stelle wäre es zielführender gewesen, mit Verve die Chancen zu sehen, die gerade auch das Fachgebiet an der DHPol geboten hätte. Im Kontext einer Auflistung von Mängeln in der Polizei der Polizei gar die Profession abzusprechen, wird der gesetzlichen Aufgabe des § 4 Abs. 2 DHPol nicht gerecht. Die Entwicklung einer neuen akademischen Disziplin ist – das darf bei alledem nicht vergessen werden – ein langjähriger Prozess. Es kann 10 bis 20 Jahre dauern, bis Universitäten und ihre Beschäftigten ihren Arbeitsplatz und ihr Selbstverständnis gefunden haben (vgl. Reichertz/Broderius 2011, S. 13).

Bei der DHPol ist man stark auf die Polizei und die Polizeiarbeit orientiert, gleichwohl besteht die Notwendigkeit, sich für die Wissenschaft zu öffnen. Ob der Polizeiberuf eine Profession ist, kann sicherlich aus unterschiedlicher Perspektive beurteilt werden. Oft wird nach gelungenen Einsätzen von professioneller Arbeit gesprochen. Diesem Sprachgebrauch folgend hat der der Professionsbegriff die Bedeutung von Hauptberuflichkeit und/oder Fachlichkeit. Aus professionstheoretischer Perspektive ergibt sich eine andere Einschätzung. Als Hauptmerkmal für eine Profession gilt die Anwendung eines abstrakten und universalen Wissens bei der konkreten Problembearbeitung, dass keine Routinen zulässt und auch keine reine Deduktion theoretischer Gesetzmäßigkeiten.

Aufgrund der gestiegenen Anforderungen der polizeilichen Arbeit vor allem auch in qualitativer Hinsicht ist Profession notwendig. Erforderlich sind Polizeibeamte „mit einer besseren Qualifikation, die nicht nur eine Akademisierung des Berufsstandes erforderlich macht, sondern eine systematische Professionalisierung auf allen Handlungs- und Entscheidungsebenen“ (Feltes/Reichertz 2019, S. 41). Hierfür benötigt die Polizeiwissenschaft einen institutionellen Rahmen insbesondere an der DHPol. Im Zuge von Organisationsänderungen (2015) wurden an der DHPol die Fachgebiete in drei Departments (vergleichbar zu Fachbereichen bzw. Fakultäten) thematisch gebündelt, polizeilich und professoral geleitete Fachgebiete wurden zusammengelegt. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Verortung der Polizeiwissenschaft. Diese versteht diese sich nun als „integrative Verwaltungs- und Polizeiwissenschaft“ (Lange 2019, S. 29). Ob die Einbindung der Polizeiwissenschaft in die Verwaltungswissenschaft neue Impulse setzen kann, bleibt abzuwarten. Zielführender wäre gewesen, der Polizeiwissenschaft ein Alleinstellungsmerkmal zu verleihen, sie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin hervorzuheben und nicht nur in die Verwaltungswissenschaft einzubinden.

5. Abschottungstendenzen der Polizei

Die (sozial-)wissenschaftliche Polizeiforschung in Deutschland ist aus ihrem Forschungsfeld selbst immer wieder mit Skepsis betrachtet worden. Ursächlich hierfür ist sicherlich auch ein grundlegendes Misstrauen der Organisation gegenüber einer auch polizeikritischen Forschungstradition. Praktiker stehen einer Polizeiwissenschaft vor allem mit dem Argument skeptisch gegenüber, dass der Wissenschaftler nicht „vom Fach sei“, er könne Hintergründe, Zusammenhänge usw. nicht richtig einordnen.

In der Disqualifikation qua fehlender Zugehörigkeit spiegelt sich eine Abweisung von Theorie wider. Wenn aber nur eigene Erfahrungen im Mittelpunkt der Akzeptanz von Meinungen stehen, wird man die Innenperspektive nicht verlassen können. Nicht selten findet sich diese Haltung in der Negation konkreter Ereignisse, weil diese die eigene Position gefährden. Wissenschaftliche Ergebnisse sollten im Hinblick auf die polizeiliche Praxis idealerweise anschlussfähig sein. Allerdings ist es absurd zu fordern, die Wissenschaft dürfe dem Einzelnen vor Ort nicht mehr und nichts Anderes erzählen als dieser aufgrund seiner Praxis schon weiß (vgl. Feltes/Reichertz 2019, S. 40).

Zum Misstrauen gegenüber der Forschung kommen weitere Schließungsmotive wie in der organisationalen Rationalität angelegte Geheimhaltungsinteressen und wohl auch die Macht, diese Interessen im Zweifel gegenüber der Forschung durchzusetzen (vgl. Ullrich 2019, S. 156). Abschottungstendenzen der polizeilichen Praxis gegenüber der Polizeiforschung sind das Ergebnis einer Entwicklung, an der mehrere Akteure beteiligt sind. Im Zentrum der Forschung stehen Polizeibeamte als Experten der Praxis. Möchte man nun an deren Alltagspraxis teilnehmen, kommt als Verfahren idealerweise die teilnehmende Beobachtung in Betracht. Allerdings ergeben sich Schwierigkeiten beim Feldzugang.

Beispielhaft erwähnt sei das Projekt MORS („Migranten in Organisationen von Recht und Sicherheit“). Untersucht werden sollte mittels Befragung und teilnehmender Beobachtung der Zugang zum Polizeiberuf und die Berufssituation von Polizeibeamten aus Zuwandererfamilien (vgl. Mokros 2015, S. 24; Gesamtdarstellung bei Hunold et al. 2010). Beides wurde durch das nordrhein-westfälische Innenministerium untersagt. In einem anderen Fall wurde einer ethnografischen Praxisforschung zur polizeilichen Kriminalprävention mit Kritik begegnet, die letztlich eine Positionierung der Forschenden über die Frage einforderte, ob es sich um eine Forschung über, in oder gar mit der Polizei handele (vgl. Negnal/Howe/Porsché 2019, S. 192). Als offizielle Gründe für die Ablehnung einer Feldbeobachtung werden regelmäßig rechtliche Regelungen (Datenschutz, Versicherungsschutz, Haftungsrecht) oder Akteure (Innenministerium) vorgeschoben.

Dass die Polizei sich sträubt, sich über einen längeren Zeitraum bei der täglichen Arbeit beobachten zu lassen, hat auch mit (Feld-)Studien zu tun, die in der Vergangenheit durchgeführt wurden. Wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse bleiben nicht unter Verschluss, „sondern werden von Freund wie Feind in den gesellschaftlichen Diskurs eingespeist und dort für politische Auseinandersetzung oder Verteilungskämpfe genutzt – weshalb in der Regel Forschung heute Folgen für das Untersuchungsfeld hat. Und da diese Folgen nicht immer im Interesse der Untersuchten sind und auch nicht sein können, schließen sich die Untersuchungsfelder zunehmend ab – wenn auch freundlich“ (Feltes/Reichertz 2019, S. 36).

Mithin ist auf Seiten der Wissenschaft eine häufig verengende Perspektive auf die Polizei zu beobachten, „in der sie entweder als Gewalt- und/oder Labeling-Agent des Staates in Erscheinung tritt oder als juristisches Phänomen ohne reales soziales Eigenleben“ (Grutzpalk et.al. 2018, S. 258). Arbeiten zur hermeneutischen Polizeiforschung haben letztlich nicht dazu beigetragen, Sozialwissenschaftler leichter ins Feld gelangen zu lassen. Allerdings sind Arbeiten von der Polizei durchaus zwiespältig rezipiert worden: „Einige Polizisten vertreten die Ansicht, dass unsere Arbeiten zu kritisch seien. Andere sagen dagegen: ‚Ja, das ist ein Versuch, die Polizeiarbeit, wie sie verläuft, zu rekonstruieren. Das nützt auch der Polizei‘“ (Reichertz/Broderius 2011, S. 9). Das Ergebnis ist mitunter gegenseitiges Misstrauen, welches über Jahre hinaus Rückwirkungen entfaltet.

Gründe für die ablehnende Haltung der Polizeibehörden liegen auch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Alle Polizeibehörden haben Polizeipressestellen, die als Ansprechpartner für die Journalisten zur Verfügung stehen. Die Relevanz und die Gestaltungsmöglichkeiten von Medieninhalten und -diskursen durch aktive und professionelle polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit wird nicht mehr unterschätzt. Nicht nur die Effektivität polizeilicher Arbeit, sondern auch das öffentliche Erscheinungsbild sowie das gesellschaftliche Vertrauen in die Polizei stellen elementare Bestandteile der Polizeiarbeit dar. Öffentlichkeitsarbeit besteht nicht nur darin, die Öffentlichkeit über möglichst vielen Kanäle darüber zu informieren, was man gerade tut, sondern dass man dieses auch guttut. Überdies sollen die Botschaften stimmig sein, niemand soll etwas Anderes kommunizieren, alle sollen das Gleiche sagen (vgl. Feltes/Reichertz 2019, S. 37). Dementsprechend sollen alle Informationen, die von innen nach außen gehen, daraufhin kontrolliert werden, ob sie für das Bild der Institution Polizei gut oder schlecht sind. Wenn jetzt Wissenschaftler kommen und sich Wissen über die Institution erarbeiten, dann gelangt dieses Wissen „unkontrolliert“ nach außen, d.h. ohne durch den Public-Relation-Filter zu laufen. Insofern ist es schwieriger geworden, in das Feld der Polizei hineinzukommen (vgl. Reichertz/Broderius 2011, S. 11). Forschungsergebnisse, die gar diametral zu Leitbildern der Polizeibehörden stehen („Wir sprechen Fehler offen an“), passen nicht ins Bild. Ohnehin ist von einer ungenügend ausgeprägten Fehlerkultur der Polizei auszugehen, wie nachfolgend kurz dargelegt wird (grundlegend Seidensticker 2019, S. 63 ff.; Behrendes 2013, S. 41 ff.).

6. Fehlerkultur der Polizei

Trotz einer mittlerweile stattfindenden und hoffentlich in Zukunft weiter vertieften Auseinandersetzung der Polizeiforschung mit der Fehlerkultur der Polizei zeigen sich innerhalb der polizeilichen Organisationskultur nur wenige bis gar keine Veränderungen (vgl. Jasch 2017, S. 99 ff.). Polizeiliche Fehlerkultur wird bisher nahezu ausschließlich polizeiextern thematisiert und findet in diesem Rahmen keinen Eingang in organisationsinterne Veränderungsprozesse.

Die Diskussion über den Umgang mit polizeilichem Fehlverhalten wird in Deutschland nur ungern geführt. Man vermutet, dass ein Eingeständnis von Fehlern dem Image der Polizei schadet (Feltes 2012, S. 285). Überdies haben Fehler – sofern dem Fehlverhalten Dienstvergehen zugrunde liegen – disziplinarische Konsequenzen. Zudem trauen sich viele Polizeibeamte nicht, Fehlverhalten von Kollegen zu melden, weil sie keine entsprechende Unterstützung erfahren. Vor allem aber bietet ein auf Strafe ausgerichtetes Verfahren dem Betroffenen keine Möglichkeit, aus seinem Fehlverhalten zu lernen, da er von Anfang an nur daran interessiert ist (und sein muss), mögliche negative Konsequenzen abzuwehren (vgl. Feltes 2012, S. 309). Entsprechend werden Fehler, wenn sie passieren, vertuscht, was der Beginn einer problematischen gegenseitigen Abhängigkeit ist oder sein kann (vgl. Feltes 2012, S. 290).

Eine selbstkritische Aufarbeitung von Fehlern ist jedoch notwendig, wenn ein Fehler als das genutzt werden sollen, was er eigentlich ist: „Eine Chance zum Lernen“ (Seidensticker 2019, S. 65). Ein konstruktiver Umgang setzt aber eine genaue Analyse und grundlegende Differenzierung von Fehlern voraus (vgl. Andersson 2018, S. 51). Forschung ist vonnöten, diese aber bedingt einen Feldzugang.

7. Fazit und Ausblick

Das Handeln der Polizei unterliegt besonderen Wirk-, aber auch Kontrollmechanismen sowie Legitimitätsfragen, insbesondere aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols. Hinzu kommen gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die als Symptom für die Strukturprobleme der postmodernen Weltgesellschaft identifiziert werden können. Als aktuelles Phänomen sei das Erstarken des (Rechts-)Populismus genannt. Als Folge schlagen sich diese Probleme auch auf die Innere Sicherheit und damit auf die Polizei nieder.

Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse wirken sich dabei aber nicht nur deshalb auf die Polizei aus, weil sich die Kriminalitätslage verändert, sondern auch, weil der demografische Wandel die Nachwuchsgewinnung beeinflusst und vor allem auch die Erwartungen an Formen und Inhalten der Aus- und Fortbildung verändert. An den Masterstudiengang „Öffentliche Verwaltung – Polizeimanagement“ der DHPol werden Anforderungen und Erwartungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven gestellt, die unmittelbar im Zusammenhang mit Veränderungen im Berufsfeld stehen (vgl. Hauff/Schulze 2019, S. 63). Angesichts der gesellschaftlichen und politischen Relevanz der Polizei ist eine eigenständige Disziplin Polizeiwissenschaft schlicht notwendig.

Um den Anschluss an andere westliche Länder (z.B. Australien, Niederlande, USA) nicht vollends zu verlieren, ist es zwingend, die Zielsetzung „Polizei-wissenschaft als eigenständige Wissenschaftsdisziplin“ in der polizeilichen Ausbildung bzw. im polizeilichen Studium mit Nachdruck weiter zu entwickeln (vgl. Lange/Wendekamm 2019, S. 155). Dies erfordert eine institutionelle Verankerung in der Hochschullandschaft, nicht nur eine Einbindung in eine andere (Verwaltungs-)Wissenschaft. Damit muss die Einrichtung entsprechender grundständiger Studiengänge einhergehen, die wiederum neue Wissenschaftler hervorbringen, welche die Disziplin inhaltlich, theoretisch und methodisch vorantreiben. Hierfür ist eine entsprechende Anzahl an Befürwortern erforderlich, die sich für die Ausgestaltung der konkreten Disziplin einsetzen. Zudem muss diese Befürworter-Gruppe eine hinreichende Größe aufweisen, um die Wissenschaft durch genuine Forschung entwickeln und inhaltlich ausgestalten zu können. Ebenso ist ein (institutionalisiertes) Qualifikations- und Reputationssystem in Form von Studienabschlüssen, Promotionen und Habilitationen erforderlich. Dann kann es auch gelingen, „Defizite und Probleme der Teildisziplinen anderer Wissenschaften hervorgehenden Forschungsansätze zugunsten einer stärker homogen angelegten Wissenschaftsdisziplin zu überwinden“ (Lange/Wendekamm 2017, S. 155).

In der polizeilichen Praxis ist der Feldzugang zu gewährleisten. Eine Schließung des Forschungsfeldes ignoriert die Tatsache, dass die Polizei bestimmte gesellschaftliche Aufgaben hat. Das aber erfordert eine Wissenschaft, die genau diese Aufgaben einer (wissenschaftlichen) Untersuchung unterzieht. Es ist notwendig, eine eigene polizeiwissenschaftliche Forschung nach Maßgabe klassischer wissenschaftlicher Methodik, d.h. auf der Grundlage rationaler Erkenntnisgewinnung zu etablieren, ohne dabei den notwendigen Bezug zur Polizeipraxis zu verlieren (vgl. Heckmann 2007, S. 99). Mithin ist Forschung eine mehr denn je „notwendige Ressource der Polizei“ (Jarchow 2016, S. 187).

Abschließend stellt sich die Frage nach den Themen für die Zukunft. Womit kann sich die Polizeiforschung ganz praktisch beschäftigen? Als zukünftige Forschungsfelder seinen nur einige genannt: Personalrekrutierung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, Diversität, Gewalt durch Polizei-beamte , Organisationsstrukturen im Hinblick auf besondere Kriminalitäts-phänomene (z.B. Cyber-Crime), Arbeits- und Berufszufriedenheit oder Poli-zeibeamte mit Migrationshintergrund (vgl. Heidorn 2011, S. 44 f.).
Auf die Notwendigkeit eigener Forschungsförderprogramme (z.B. bei der DFG) sei last but not least hingewiesen.

8. Literatur

  • Andersson, Dörte (2018): Fehlerkultur innerhalb der Polizei: Rekonstruktion von Führungspraktiken. In: Ritsert, Rolf/ Vera, Antonio (Hrsg.). Die Polizei als kultursensible Organisation, Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft, 11-61
  • Behr, Rafael (2015): Polizeiwissenschaft in Deutschland – eine persönliche Zustandsbeschreibung. In: Polizei & Wissenschaft, Heft 1, S. 33-41
  • Behr, Rafael et al. (2013): Braucht die Polizei Bildung? Braucht sie Theorie? Braucht sie Forschung? In: Die Polizei, Heft 7, S. 181-212
  • Behrendes, Udo (2013): Wechselwirkungen zwischen externer Kontrolle und interner Fehlerkultur der Polizei. In: Vorgänge, Nr. 204, S. 41-50
  • Feltes, Thomas/Reichertz, Jo (2019): Polizieren. Versuch einer Definition. In: Klukkert, Astrid/Reichertz, Jo/Feltes, Thomas (Hrsg.): Schriftenreihe Polizieren: Polizei, Wissenschaft und Gesellschaft. Band 10: Torn between Two targets: Polizeiforschung zwischen Theorie und Praxis, Frankfurt a.M.: Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 21-48
  • Feltes, Thomas (2015): Ist die deutsche Polizeiwissenschaft schon am Ende, bevor sie angefangen hat sich zu etablieren? In: Polizei & Wissenschaft, Heft 1, S. 2-10
  • Feltes, Thomas (2012): Polizeiliches Fehlverhalten und Disziplinarverfahren – ein ungeliebtes Thema. In: Die Polizei, Heft 10, S. 285-292 und Heft 11, S. 309-314
  • Frevel, Bernhard (2015): Entwicklung von Strukturen der Polizeiforschung und -wissenschaft. In: Polizei & Wissenschaft, Heft 1, S. 18-24
  • Frevel, Bernhard (2013): Forschung und forschende Lehre an Polizeihoch-schulen. In: Die Polizei, Heft 7, S. 191-194
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