Predictive Policing – Umsetzung und Wirkung von Kriminalitätsprognosen

von Kai Seidensticker, Kriminologe, Duisburg

Diskussionen zu prädiktiven Kriminalitätsanalysen, auch unter dem Begriff Predictive Policing bekannt, prägen noch immer die kriminologische und polizeiwissenschaftliche Literatur im nationalen und internationalen Kontext. In wissenschaftlichen Abhandlungen werden Sinn und Nutzen sowie die positiven und negativen Auswirkungen von Predictive Policing auf das Entstehen und die Konstruktion von Kriminalität sowie allgemein auf die Gesellschaft und das gesellschaftliche Zusammenleben diskutiert. Hersteller entsprechender Softwarelösungen berichten von vielversprechenden Ergebnissen, meist bezogen auf die „Trefferraten“ ihrer Systeme.
Medienberichte unterschiedlichster Art setzen sich mit der operativen Umsetzung – mehr oder weniger kritisch und vielfältig – auseinander. Bei der Diskussion um Predictive Policing erfolgt zumeist eine theoretische Diskussion über Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren einer datengestützten Steuerung polizeilicher Einsatzkräfte. In diesem Beitrag wird versucht, die konkrete Umsetzung des Predictive-Policing-Prozesses darzustellen, um so zu mehr Klarheit in der Diskussion beizutragen.

1. Begriffsbestimmung

Der Begriff „Predictive Policing“ ist in Wissenschaft und Praxis nicht einheitlich und allgemeingültig definiert. Er setzt sich aus den englischen Begriffen „predict“ und „policing“ zusammen und lässt sich somit verstehen als vorhersagende oder vorausberechnende Polizeiarbeit . Unter diesem Label findet sich ein breites Spektrum unterschiedlicher Zielrichtungen und methodischer Umsetzungen wieder. Diese reichen von der Berechnung raumbezogener Wahrscheinlichkeiten für zu-künftig auftretende Kriminalität über täterbezogene Prognosen bis hin zu dem Versuch, bereits begangene Delikte zu untersuchen und aufzuklären . Pearsall definiert Predictive Policing umfassend als „[…] taking data from disparate sources, analysing them and then using results to anticipate, prevent and respond more effectively to future crime“ .

Während täterbezogene Modellierungen und Prognoseerstellungen beispielsweise im amerikanischen Raum (z. B. die sogenannte Heat List in Chicago) prominent vertreten sind und in der öffentlichen Diskussion äußerst kritisch betrachtet werden , haben sich die deutschen Polizeibehörden auf einen einheitlichen Sprachgebrauch verständigt und eine verbindliche Definition der Methode Predictive Policing erarbeitet. Hier wird Predictive Policing definiert als ein computergestütztes Verfahren zur delikt- und raumbezogenen Wahrscheinlichkeitsberechnung künftiger Straftaten. Auf der Basis verschiedener, kriminalitätsrelevanter Datenquellen wird anhand komplexer mathematischer Verfahren prognostiziert, wo in Zukunft die Entwicklung von Brennpunkten im räumlichen Kriminalitätsgeschehen wahrscheinlich ist. Als Resultat solcher Wahrscheinlichkeitsberechnungen werden räumlich abgrenzbare Gebiete definiert (Prognosegebiete), die höhere Kriminalitätswahrscheinlichkeiten – im Vergleich zu anderen Gebieten des Prognoseraumes – aufweisen. Ziel eines solchen Verfahrens ist die Identifizierung von Risikobereichen, in denen Kriminalität durch die Auswahl, Planung und Durchführung geeigneter Maßnahmen begegnet werden soll. Dabei muss Predictive Policing als „ein technisches Hilfsmittel zur Unterstützung der polizeilichen Intuition und des kriminalistischen Gespürs“ verstanden werden. In aller Regel geht mit dieser Ausrichtung auch die Absicht einher, eine Senkung der Kriminalitätsbelastung durch den ressourceneffizienten Einsatz von Polizeikräften zu erreichen . An dieser Stelle wird deutlich, dass es nicht darum geht, einen spezifischen Täter zu einem genau definierten Zeitpunkt auf frischer Tat festzunehmen. Predictive-Policing-Verfahren werden im Polizeialltag inzwischen umfassend angewendet.

2. Der Predictive-Policing-Prozess

Wie bereits dargestellt, handelt es sich bei Predictive Policing in Deutschland um eine Methode, mit welcher Kriminalitätsprognosen für bestimmte abgrenzbare Räume und einen begrenzten, meist kurzen Zeitraum erstellt werden. Auf der Grundlage dieser Prognosen erfolgt im weiteren Verlauf die Planung operativer polizeilicher Maßnahmen. Da die Aussagekraft von Prognosen als zeitlich begrenzt betrachtet werden muss werden diese in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Dieser Prozess wird häufig mit dem von Perry et al. entwickelten „Prediction-Led Policing Business Process“ dargestellt. Betrachtet und dokumentiert werden der Kreislauf und die Wechselwirkungen, welche mit Umsetzungsmöglichkeiten von Predictive Policing verbunden sind (Abbildung 1).

Abbildung 1
Abbildung 1: Prediction-Led Policing Business Process

Die Ausgestaltung eines methodischen Prozesses findet aber in dieser Darstellung keine Anwendung, weshalb bisweilen auf eine andere Illustration des Predictive-Policing-Prozesses zurückgegriffen wird (Abbildung 2).

Abbildung 2
Abbildung 2: Der Predictive-Policing-Prozess

Aufgeteilt in sechs Schritte, bietet dieser Prozess eine Einsicht in die einzelnen Arbeitsschritte zur Umsetzung von Predictive Policing aus polizeilicher Sicht. Abweichungen davon sind natürlich denkbar, jedoch dürften zumindest ähnliche Ausgestaltungen immer dann vorliegen, wenn Techniken des maschinellen Lernens angewendet werden .

Alle Prozessschritte sind abhängig von den zu verarbeitenden Daten, deren Erfassung und Aufbereitung für die weitere Verarbeitung. Für die Methode Predictive Policing ist daher die Datenqualität von entscheidender Bedeutung. In diesem Zusammenhang sind Datenerfassungsprobleme beispielsweise bei der Aufnahme der vermuteten und nicht exakt bestimmbaren Tatzeit eines Wohnungseinbruchdiebstahls denkbar. Auf Seiten der Polizeikräfte können Datenunsicherheiten zudem auftreten, wenn Straftaten rechtlich falsch eingeschätzt oder von den Opfern verspätet gemeldet werden, was zum Beispiel für das Delikt des Wohnungseinbruchdiebstahls nicht auszuschließen ist. Darüber hinaus besteht die grundsätzliche Problematik, dass Kriminalitätsphänomene mit den zur Verfügung stehenden Daten in der Regel nicht vollständig beschrieben werden können, insbesondere wenn nicht beobachtbare oder nicht quantifizierbare Effekte von Bedeutung sind. Bei der Erstellung von
Kriminalitätsprognosen muss somit die Frage gestellt werden, ob das erwartete Ereignis unabhängig von den verwendeten kriminologischen und mathematischen Modellen aufgetreten ist.

Im weiteren Verlauf wird der Predictive-Policing-Prozess am Beispiel SKALA (System zur Kriminalitätsauswertung und Lageantizipation) der Polizei Nordrhein-Westfalen (NRW) dargestellt.

3. Predictive Policing in NRW

In Nordrhein-Westfalen wurde die Methode Predictive Policing im System SKALA als einem weiterer Baustein bei der polizeilichen Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahls, zunächst im Rahmen eines (Forschungs-)Projektes, etabliert. Ziel des Projektes war die Prüfung der Möglichkeiten und Grenzen der Prognose von Kriminalitätsbrennpunkten sowie der Effizienz und Effektivität darauf aufbauender polizeilicher Interventionen. Dazu wurden in einem Zeitraum von knapp drei Jahren regelmäßig Prognosen für die Kreispolizeibehörden (KPB) Duisburg, Köln, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen und Bonn erstellt. Die Prüfung der Methodik von Predictive Policing sollte im Rahmen des Projektes unabhängig und mit einem offenen System durchgeführt werden. Durch diesen Anspruch sollte der Forderung einer transparenten, nachvollziehbaren Methodik Rechnung getragen werden. Darüber hinaus bestand der Anspruch, die Datenhoheit zu behalten. Das bedeutet, dass polizeiliche Daten weder an externe Dienstleister übermittelt, noch durch diese verarbeitet werden sollten. Das Projekt endete mit der Fertigung eines Abschluss- und eines Evaluationsberichtes Anfang 2018 . Im Anschluss an die Projektlaufzeit wurde SKALA in den Alltagsbetrieb über-führt und der Wirkbetrieb auf 16 Kreispolizeibehörden in NRW ausgedehnt.

3.1. Deliktanalyse

Vor dem eigentlichen Prozessablauf – siehe Abbildung 2 – bedarf es einer Prüfung, ob das jeweilige Delikt für die Erstellung von raum-zeitlichen Kriminalitätsprognosen grundsätzlich als geeignet erscheint. Eine solche Prüfung erfolgt regelmäßig im Rahmen einer Deliktanalyse . Im Rahmen des Projektes SKALA ergab die Betrachtung anderer Predictive-Policing-Umsetzungen, dass der Wohnungseinbruchdiebstahl (WED) ein sehr gängiges und, unter anderem aufgrund seiner raum-zeitlichen Variabilität, für Prognosen besonders geeignetes Delikt ist . Darüber hinaus zeichnet sich der WED durch seinen relativ exakten räumlichen Bezug (bekannter und bestimmbarer Tatort) und das vergleichsweise geringe Dunkelfeld im Bereich der vollendeten Taten aus. Mit Blick auf die Anfang 2015 sehr hohen Fallzahlen beim WED und dem damit einhergehenden polizeilichen Handlungsdruck, wurde deshalb sowohl aus methodischer wie auch kriminalpolitischer Sicht der WED zu Projektbeginn fokussiert. Ferner besteht, bei der Wahl des WED als zu prüfendes Delikt für die Methodik von Predictive Policing, aus wissenschaftlicher Sicht auch die Möglichkeit einer gezielten Beeinflussung durch polizeiliche Maßnahmen. In der folgenden Darstellung wird sich somit im Wesentlichen auf den WED bezogen, wenngleich inzwischen weitere Deliktfelder wie Einbruchdiebstahl in Gewerbeobjekte oder Kraftfahrzeugdelikte in SKALA auf ihre Prognosefähigkeit methodisch geprüft wurden.

Mit Blick auf den WED, sein Auftreten im Raum und die beabsichtigten polizeilichen Interventionen zur Verhinderung dieser Delikte ist es zudem notwendig, eine geeignete räumliche Bezugsgröße für die Kriminalitätsprognosen zu definieren. Hier bieten sich unterschiedliche Lösungen an, wie zum Beispiel die Einteilung der Prognosefläche anhand eines Gitternetzes (Raster). Als räumliche Bezugsgröße der SKALA-Prognosen wurden, abweichend von einer Raster-Lösung, Wohnquartiere gewählt (siehe beispielhaft Abbildung 3).

Abbildung 3
Abbildung 3: Wohnquartier (Beispiel)

Anhand dieser Wohnquartiere können die örtlichen Gegebenheiten der Stadtstruktur adäquat abgebildet und so die polizeilichen Interventionsplanungen erleichtert werden. Anfänglich orientierten sich die Grenzen eines Wohnquartieres an früheren Stimmbezirken, welche je Quartier ungefähr 400 Haushalte beinhalteten . Die Wohnquartiergrenzen wurden und werden jedoch laufend überarbeitet, um eine höhere Homogenität zu erreichen, beispielsweise im Hinblick auf die Bebauung in den Quartieren. Diese ständige Weiterentwicklung ermöglicht eine bessere Modellgüte und höhere Akzeptanz bei den operativen Polizeikräften, da stetige Veränderungen der Stadtstruktur auch in der räumlichen Bezugsgröße fortlaufend abgebildet werden können. Die Anzahl der Wohnquartiere variiert je nach Größe der Behörde stark, z. B. Köln mit 1.360 Wohnquartieren und Gelsenkirchen mit 277, was die unterschiedlichen Strukturen der KPB andeutet.

3.2. Daten

Zu Beginn des Predictive-Policing-Prozesses erfolgt die Sichtung und Auswahl von Datenquellen sowie die Sammlung und Aufbereitung von Datensätzen, welche für die Modellierung und Prognose des jeweiligen Kriminalitätsphänomens geeignet erscheinen. Ziel der Auswahl, Sammlung und Aufbereitung relevanter Daten ist die Schaffung eines einheitlichen, maschinell verarbeitbaren Datensatzes, welcher die Basis für Predictive Policing darstellt .

Da die Prognosen in SKALA auf der Grundlage theoretischer Überlegungen, empirischer Ergebnis-se aus der Forschungsliteratur und polizeilichem Expertenwissen erfolgen, wurde zunächst die Erstellung wissenschaftlich-theoriegeleiteter Hypothesen für den WED notwendig. Beispielsweise wurden die Rational-Choice-Theorien herangezogen, welche auf der Annahme beruhen, dass – mit Bezug zum WED – der Täter eine Kosten-Nutzen-Abwägung durchführt, bevor er einen Einbruch begeht . Aus dieser exemplarischen Annahme heraus ließe sich folgende Hypothese formulieren: Je höher der Wert des erwarteten Diebesguts in einem Objekt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Wohnungseinbruchs.

Ist die Zusammenstellung möglicher Annahmen zum Kriminalitätsgeschehen erfolgt, bedarf es der Operationalisierung dieser theoretischen Konstrukte durch geeignete Indikatoren. So ließe sich der Wert des erwarteten Diebesgutes beispielsweise mit Indikatoren wie der Kaufkraft, dem Mietspiegel oder der Exklusivität des Hauses abbilden. Mit der Erstellung von Hypothesen und deren Operationalisierung können dann potenzielle Datenquellen identifiziert werden. Diese Daten beschränken sich bei SKALA nicht nur auf polizeiliche Vorgangsdaten, sondern beinhalten auch sozioökonomische, soziodemografische und gebäudespezifische Daten. Die Art der einbezogenen Daten zeigt Abbildung 4:

Abbildung 4
Abbildung 4: Datenbasis

Jede der abgebildeten Datenkategorien beinhaltet eine Vielzahl an Variablen, sodass z.B. in der Kategorie „Einwohnerstruktur“ Informationen zu Haushalten mit Kindern oder der Altersstruktur der Haushalte enthalten sind.

In SKALA werden, aufgrund des gewählten Vorgehens und der Zielrichtung, keine personenbezogenen Daten verwendet. Die genutzten Informationen beziehen sich stets auf eine ausreichend große Bezugsgröße, wie in diesem Fall auf Wohnquartiere mit jeweils durchschnittlich 400 Haushalten. Dies steht im Einklang mit der oben genannten Definition der Methode Predictive Policing in Deutschland. Dennoch wurde SKALA von Beginn an datenschutzrechtlich eng begleitet.

Das in SKALA gewählte hypothesengestützte Vorgehen gewährleistet die Testung der Modell- und Prognoseerstellung auf Grundlage belastbarer wissenschaftlicher Theorien und Forschungsbefunde. Gleichzeitig erfolgt hierdurch eine Abgrenzung zu den Predictive-Policing-Verfahren, die ausschließlich den Near-Repeat-Ansatz in ihre Berechnung miteinbeziehen.

3.3. Statistik/Maschinelles Lernen

Im Anschluss an die Auswahl, Sammlung und Aufbereitung der Daten wird ein konkretes Modell unter Verwendung der vorliegenden historischen Daten erstellt, um die Kriminalitätslage möglichst realitätsnah abzubilden. Hierbei gilt es zu beachten, dass die datenmäßige Abbildung vermeintlich objektiv erfassbarer Zustände immer nur eine Annäherung an die Realität leisten kann. Eine Modellierung wäre beispielsweise mittels Regressionen , Entscheidungsbäumen (z.B. Chisquare Automated Interaction Detection [CHAID] ) oder künstlicher neuronaler Netze möglich.

Für die Modell- und Prognoseerstellung in SKALA wurde zunächst die Software „SPSS Modeler“ von IBM genutzt. In diesem Zusammenhang wurden im Wesentlichen Entscheidungsbaummodelle verwendet. Weitere Modellfamilien wurden ebenfalls getestet, z.B. Logistische Regression, Naive Bayes und Neuronale Netze. Die vergleichbar gute Modellperformance der Entscheidungsbaummo-delle, deren Transparenz und Nachvollziehbarkeit waren jedoch ausschlaggebend für die Nutzung. Für einen vertiefenden Einblick in die weiteren Modellansätze wird auf den Abschlussbericht verwiesen . Die WED-Prognosen werden jeden Montag berechnet und haben eine Gültigkeitsdauer von sieben Tagen. Das erstellte Modell wird auf aktuelle bzw. mögliche zukünftige Daten angewendet, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Kriminalitätsphänomens im Prognoseraum zu ermitteln. Dieser Schritt stellt die eigentliche Prognoseberechnung dar und ist der Kern des Predictive-Policing-Prozesses. Im Ergebnis werden Prognosegebiete definiert, die ein höheres Kriminalitätsrisiko aufweisen als andere Räume im gleichen Prognosezeitraum. Da sich dieses erhöhte Kriminalitätsrisiko stets auf einen bestimmten Prognosezeitraum und auf bestimmte Prognosegebiete bezieht, lassen sich solche Wahrscheinlichkeiten auch als raum-zeitliche Prädispositionsfaktoren für das entsprechende Delikt bezeichnen .

Weil die Modell- und Prognoseerstellung in SKALA vor allem auf eine statistische Betrachtung des Kriminalitätsgeschehens ausgerichtet ist und kleinräumige Tatserien mit sehr wenigen Fallzahlen somit aus dem Fokus geraten können, wird ein ergänzendes (analytisches) Modell für die Erkennung möglicher Tatserien mit Fokus auf kleine Datenmengen erstellt. Dieses Modell ermöglicht es auch, entsprechendes Tatgeschehen besser zu analysieren und in den Prognosen besser zu reflektieren.
Weiterentwicklungen der Modelle zielen aktuell auf eine effizientere Modellerstellung und die Anpassung der Modelle an örtliche Gegebenheiten der einzelnen Behörden.

3.4. Visualisierung

Ein weiterer Schritt im Predictive-Policing-Prozess ist die adäquate, zielgruppengerechte Visualisierung der Prognosegebiete (siehe auch Schritt 4 der Abbildung 2). Im Projekt SKALA wurde hierfür, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Datenanalyse und Visualisierung der Universität Konstanz, ein entsprechendes Tool programmiert (SKALA | MAP). Mit dem Programm ist eine Darstellung der Prognosen auf Grundlage digitaler Karten möglich. Die jeweiligen Organisationseinheiten haben die Möglichkeit, die Prognosen optisch anzupassen (z. B. in der Farbe oder der Transparenz). Darüber hinaus können Sie zur Ergänzung der Lageeinschätzung unterschiedlichste Delikte parallel in Form von Heatmaps visualisieren. Abbildung 5 zeigt eine Beispiel-Prognose mit Heatmap.

Abbildung 5
Abbildung 5: Beispiel- Prognose mit Heatmap KPB Köln(Ausschnitt Leverkusen).

Eine web-basierte Visualisierung wurde ebenfalls realisiert, sodass die Darstellung der Prognosen z.B. auch über Tablet-PCs in den Streifenwagen möglich ist. Perspektivisch wird es auch möglich sein, die Prognosen dynamischer darzustellen, sodass sich beispielsweise die Visualisierung entsprechend des Wochentages oder der Uhrzeit anpasst. Dies dürfte die polizeiliche Interventionsplanung zusätzlich optimieren, da die Relevanz einzelner Prognosegebiete, insbesondere im Hinblick auf die Tatzeiten, variiert und Kräfte so zielgenauer gesteuert werden können.

3.5. Maßnahmen

Die mit SKALA-Prognosen bedienten Polizeidienststellen initiieren geeignete präventive und/oder repressive Maßnahmen in eigener Zuständigkeit und legen überdies fest, in welchen der übermittelten Gebiete diese Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Hierzu wird zumeist auf Kräfte aus dem Wach- und Wechseldienst, dem Bezirks- und Schwerpunktdienst, den Einsatztrupps und Bereitschaftspolizeihundertschaften, den Präventionsdienststellen sowie der Direktion Verkehr zurückgegriffen, was den ganzheitlichen Ansatz von SKALA verdeutlicht. Im Wesentlichen besteht der Maßnahmenkatalog der KPB aus verdeckten Aufklärungsmaßnahmen, Verkehrskontrollen an Knotenpunkten und Autobahn-Anschlussstellen, Präsenzmaßnahmen in Prognosegebieten und im öffentlichen Personennahverkehr sowie einer gezielten Präventionsberatung vor Ort .

3.6. Formale Evaluation/Bewertung/Rückmeldung

Bezogen auf den methodischen Predictive-Policing-Prozess ist eine durchgehende Evaluation und Bewertung der angewandten Methoden von zentraler Bedeutung. Es handelt sich um die formale, statistische Beschreibung von beobachteten Effekten, z.B. mit der Berechnung von Trefferraten, als auch um durchgehende Plausibilitätsprüfungen und Ad-Hoc-Verifikationen von Zwischenergebnissen, um beispielsweise die Eignung der gewählten Prognosemethode oder der gewählten Visualisierungstechnik kontinuierlich sicherzustellen.

Aus den KPB werden regelmäßig Rückmeldungen zu den im Rahmen von SKALA übermittelten Prognosegebieten eingeholt, damit eine laufende Anpassung der Modelle an die örtlichen Gegebenheiten der jeweiligen Behörde erfolgen kann. Nach Übermittlung der Prognosegebiete durch das LKA an die KPB erfolgt in diesen zunächst eine kriminalfachliche Bewertung in den für das jeweilige Delikt zuständigen Fachkommissariaten. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass Prognosegebiete den operativen Kräften nur nach Einbezug kriminalstrategischer und -taktischer Erwägungen in visualisierter Form zur Verfügung gestellt werden. Da die kriminalfachliche Bewertung in SKA-LA von entscheidender Bedeutung ist, werden sich daraus ergebene zeitliche Einbußen bezogen auf den Prozessablauf in Kauf genommen.

4. Wirksamkeitsbetrachtung von Predictive-Policing

Aussagen zur Wirksamkeit von Predictive-Policing-Verfahren sind nicht einfach zu treffen. Zum einen fehlen empirisch belastbare Evaluationen im Bereich Predictive Policing und zum anderen ergeben sich bei der Bewertung solcher Verfahren Probleme grundsätzlicher Natur. Ziel von Maß-zahlen bei Predictive-Policing-Umsetzungen ist es, die Qualität der Modelle gesichert zu bewerten. Da Qualitätsmetriken zumeist jedoch hoch variabel, subjektiv und uneinheitlich sind, lässt sich dies nicht abschließend realisieren.
In diesem Zusammenhang muss auch die Verwendung sogenannter Hit-Rates kritisch betrachtet werden: Die Anzahl der aufgetretenen Delikte sind Grundlage für die Trefferratenberechnung, ob-wohl die Delikte durch polizeiliche Interventionen, unter anderem auf Grundlage von Predictive Policing, aktiv verhindert werden sollen. Es wird also versucht, etwas zu messen, was aktiv und in unbekanntem Maße von der Polizei beeinflusst wurde . Die Evaluation des Shreveport Experiments aus dem Jahr 2014 stellt zusammenfassend heraus, das sich durch den Einsatz von Predictive Policing kein wesentlicher Einfluss auf die Fallzahlen von Eigentumsdelikten zeigte . Die wenigen in Deutschland vorhandenen Evaluationsstudien kommen zu dem Schluss, dass eine belastbare Aussage zur Wirkung von Predictive Policing (noch) nicht getätigt werden kann.

Im Projekt SKALA wurde unter Beteiligung der Kriminalistisch-Kriminologischen Forschungsstelle (KKF) und der Zentralstelle Evaluation (ZEVA) des LKA NRW, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V. (GISS) versucht, Aussagen bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen der Prognose von Kriminalitätsbrennpunkten sowie der Effizienz und Effektivität darauf aufbauender polizeilicher Interventionen zu treffen. Die hierfür erforderliche Erprobung der Methodik von Predictive Policing wurde erfolgreich durchgeführt . Dabei erwies sich das hypothesengestützte Vorgehen anhand theoretischer Vorannahmen sowie einer deliktbezogenen Definition räumlicher Bezugsgrößen als zielführend, sodass dieses als Grundlage für perspektivische deliktische Erweiterungen gewählt werden sollte.

Für die im Projekt SKALA getesteten Deliktfelder (WED, Einbruchdiebstahl aus Gewerbeobjekten und Kraftfahrzeugdelikte) konnten im Projektzeitraum häufig drei- bis vierfach erhöhte Kriminalitätswahrscheinlichkeiten im Vergleich zur Grundwahrscheinlichkeit berechnet werden. Es ist dem-nach möglich, prädiktive Kriminalitätsanalysen durchzuführen und so die vorbeugende Bekämpfung von Kriminalität unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Prognosetechniken ergänzend zu gestalten. Die Modellgüte ist allerdings stark von der Qualität und zeitlichen Verfügbarkeit der eigehenden Kriminalitätsdaten abhängig. Die Verwendung von Entscheidungsbaum-Modellen sorgte, aufgrund der guten Nachvollziehbarkeit der Methode, für eine hohe Akzeptanz in allen Hierarchieebenen der beteiligten Polizeibehörden.

Es zeigte sich, dass Prognosemodelle für urbane Gebiete nicht ohne Weiteres auf eher ländlich geprägte Regionen übertragen werden können, da insbesondere auf Grund des relativ geringen Fallzahlenaufkommens in ländlich geprägten Regionen die statistische Modell- und Prognoseerstellung nicht zielführend ist. Erste vielversprechende Ansätze fokussieren sich vor allem auf die Ausarbeitung struktureller Unterschiede der jeweiligen Regionen. Eine detailliertere Prüfung steht in dieser Hinsicht aber noch aus. Die im Projekt SKALA getesteten Einflussstärken der soziostrukturellen Daten auf WED unterscheiden sich je nach Region und Jahreszeit stark. Dieser Befund spricht un-terstützend dafür, dass für einzelne Polizeibezirke erstellte Prognosemodelle nicht direkt auf andere Bezirke übertragbar sind. Unabhängig von den Einflussstärken der soziostrukturellen Daten zeigte sich auch in diesem Projekt, dass das historische Kriminalitätsgeschehen der stärkste Prädiktor für zukünftige Kriminalität ist . Dieser Befund stärkt die Erkenntnis, dass allein die Verwendung von polizeilichen Daten bereits gute Modellierungen, z.B. auf Basis des Near-Repeat-Ansatzes, ermöglicht.

SKALA konnte die Einsatzplanung von zentraler Stelle unterstützen und bot neue Ansatzpunkte für die Kriminalprävention, sowohl im Bereich klassischer polizeilicher Präsenzkonzepte, als auch für die örtliche Präventionsberatung. In diesem Zusammenhang rückt, insbesondere mit den Wohnquartieren als räumliche Bezugsgröße, eine Analyse von Kriminalität in Mikrosegmenten verstärkt in den Fokus. Studien auf internationaler Ebene konnten bereits nachweisen, dass sich in unterschiedlichen Städten die Hälfte der Gesamtkriminalität in nur fünf bis sieben Prozent der Straßenabschnitte (Mikrosegmente) ereignet . Diese Befunde decken sich in weiten Teilen mit denen aus dem Projekt SKALA, wonach ebenfalls eine große Anzahl von Tatorten im Zeitverlauf wiederholt von Einbrüchen betroffen war. Für die Städte Essen und Mülheim an der Ruhr wurden deshalb bereits erste explorative Mikrosegmentstudien durchgeführt, deren Ergebnisse vielsprechend sind.

5. Ausblick

Die Frage, wie Predictive Policing in Zukunft die Arbeit der Polizei beeinflussen wird, ist nicht abschließend und belastbar zu beantworten. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu diskutieren, wann die Anwendung von Predictive Policing einen Mehrwert für die Polizeiarbeit darstellt. Hierzu ist es wohl nicht ausreichend, ausschließlich die Entwicklung der Kriminalitätsstatistik zu betrachten . Problematisch ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Herleitung einer Kausalität zwischen Predictive-Policing-Umsetzungen und einer Veränderung der Fallzahlen. Vielmehr müssen auch die Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, sowie die organisationalen und strukturellen Effekte betrachtet werden, welche sich beispielsweise in einer veränderten Kräftesteuerung und Kriminalitätsbearbeitung zeigen. Als Gradmesser für den Erfolg von Predictive-Policing-Umsetzungen erscheint eine globalere Betrachtung des Mehrwertes dieser Methode für die polizeiliche Arbeit beziehungsweise den polizeilichen Auftrag vielversprechend. Deuten sich hier positive Effekte an, welche für eine weitere Nutzung sprechen, macht dies zugleich weitere Forschung und die Reflexion der bisherigen Nutzung notwendig. Insbesondere müssen bei der Ausweitung des Einsatzes von Predictive Policing in Bezug auf Räume, Zeitspannen und Delikte stets die möglichen Gefahren diskutiert werden, die einer solchen Nutzung inhärent sind.