Racial Profiling und Rechtsextremismus
Rassismusvorwürfe in der Polizei und Unschärfen im Diskurs
Prof. Dr. Anja Schiemann, DHPol
1. Einleitung
In steter Regelmäßigkeit wird in der Presse über neue Rassismusverdachtsfälle in den Reihen der Polizei berichtet. Während sich einige Innenminister der Bundesländer dafür aussprechen, entsprechende Studien zu den Einstellungen von Polizeibeamten in Auftrag zu geben, widersprechen dem andere. Neben dieser Debatte um extremistische Einstellungen in der Polizei mischt sich der Vorwurf, Polizeibeamte würden Racial Profiling betreiben. Hier lehnt der Bundesinnenminister unter Hinweis auf das bestehende Verbot des Racial Profilings ebenfalls eine entsprechende Studie ab – nach dem Motto: weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Diese unterschiedlichen Vorwürfe und die teilweise ablehnende Haltung gegenüber aufklärenden Studien werden in der medialen Debatte häufig vermischt, was nicht nur zu Unschärfen, sondern auch zu Missverständnissen führt. Um die Debatte zu versachlichen, möchte der Beitrag die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Aspekte verdeutlichen. Schließlich wird dadurch, dass sich der PIR in zwei Heften einmal dem Extremismus in der Polizei und einmal dem Racial Profiling (nächstes Heft) widmet, beiden Phänomenen Rechnung getragen und die unterschiedlichsten Facetten beleuchtet.
2. Racial Profiling
2.1 Begriffsklärung
Weder im deutschen Recht, noch im Unions- oder Völkerrecht gibt es eine juristische Definition von Racial Profiling. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats versteht unter Racial Profiling „die ohne objektive und vernünftige Begründung erfolgende polizeiliche Berücksichtigung von Merkmalen wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft im Rahmen von Kontrollen. Überwachungen oder Ermittlungen.“[2] Auch wenn die einzelnen Definitionen anderer Organisationen oder der Literatur im Detail variieren, so besteht doch Konsens zumindest darüber, dass die Normadressaten in erster Linie nicht anhand ihres individuellen Verhaltens oder konkreter Verdachtsmomente gegen sie, sondern primär anhand ihrer Rasse bzw. Ethnie ausgewählt werden.[3] Insofern wird Racial Profiling auch als eine der sichtbarsten Formen von strukturell rassistischer Gewalt bezeichnet.[4]
Die Bundesregierung hatte im Jahr 2016 als Antwort auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten zum Ausschluss der Hautfarbe als Motiv für Personenkontrollen durch die Bundespolizei menschenrechtswidriges Racial Profiling nur dann angenommen, „wenn die Hautfarbe oder die ethnische Zugehörigkeit das einzige oder das tatsächlich ausschlaggebende Kriterium für eine polizeiliche Maßnahme ist“.[5] Das diese Eingrenzung zu kurz greift, zeigt sich in diversen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Deutlich wird jedoch auch durch eine so enge Begriffsbestimmung, dass Racial Profiling gegen das Diskriminierungsverbot verstößt und insoweit unzulässig ist.
2.2 Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Spiegel der Rechtsprechung
Bereits im Jahr 2012 stellte das OVG Koblenz fest, dass das an den Kläger gerichtete Verlangen, seinen Ausweis vorzuzeigen, rechtswidrig war, weil die Hautfarbe das ausschlaggebende Kriterium für die Ausweiskontrolle war. Eine solche Maßnahme verstoße gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG.[6] Zwei Jahre später konkretisierte das OVG Koblenz die Voraussetzungen eines Verstoßes. Das Diskriminierungsverbot sei nicht erst dann verletzt, wenn die Ungleichbehandlung ausschließlich oder ausschlaggebend an eines der dort genannten Merkmale anknüpft, sondern bereits dann, wenn bei einem Motivbündel ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal ein tragendes Kriterium unter mehreren gewesen ist. Insofern erklärte es die verdachtsunabhängige Kontrolle in Anknüpfung an die Hautfarbe für unzulässig.[7] Zu dieser Einschätzung kam auch das OVG Münster. Eine gem. Art. 3 Abs. 3 GG grundsätzlich verbotene Differenzierung läge auch dann vor, wenn eine Maßnahme an ein dort genanntes Merkmal kausal, als (mit-)tragendes Kriterium („wegen“) neben anderen Gründen in einem Motivbündel, anknüpft.[8] Insoweit schließen sich die Gerichte der Rechtsprechung des BVerfG an, das eine rechtfertigungsbedürftige Diskriminierung auch dann als gegeben ansieht, wenn neben der Anknüpfung an die Hautfarbe andere Gründe maßgeblich sind.[9]
Betont werden muss allerdings, dass trotz dieser eindeutigen oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Personenkontrollen prinzipiell rechtlich zulässig sind. So ermöglicht § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG Identitätsfeststellungen einer Person im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet oder zur Verhütung von Straftaten. § 23 Abs. 1 Nr. 4 BPolG erlaubt die Identitätsfeststellung bspw. auf Bahnhöfen und Flughäfen. Das OVG Saarlouis hat festgestellt, dass § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG europarechtlich nicht zu beanstanden ist.[10] Das OVG Koblenz hat gleiches für die Personenkontrollen in Zügen gem. § 22 Abs. 1 lit. a BPolG bejaht.
Dennoch gibt es in der Literatur zahlreiche Stimmen, die gerade für letztere Eingriffsermächtigung davon ausgehen, dass die Vorschrift zwangsläufig zu Diskriminierungen seitens der Bundespolizei führt.[11] Sie sei daher grund- und menschenrechtlich nicht haltbar und sollte aufgehoben werden.[12]
2.3 Voraussetzungen und Grenzen einer Identitätsfeststellung nach dem Bundespolizeigesetz am Beispiel des § 22 Abs. 1 lit. a BPolG
Solange sich das BVerfG nicht positioniert und die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung – wovon auszugehen sein wird – weiterhin die Verfassungskonformität der Vorschriften unterstellt, kommt es für die Rechtmäßigkeit einer Personenkontrolle entscheidend darauf an, ob sich das polizeiliche Vorgehen im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen bewegt oder die Grenzen unzulässigen Racial Profilings überschritten sind. Dies ist aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 22 Abs. 1 lit. a BPolG nicht nur in der retrospektiven Beurteilung der Gerichte eine Herausforderung, sondern stellt auch die Polizeibeamte vor Ort vor erhebliche Schwierigkeiten.
Gem. § 22 Abs. 1 lit. a BPolG kann die Bundespolizei zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet in Zügen und auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes jede Person kurzzeitig anhalten, befragen und ihre Ausweispapiere verlangen, soweit auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass diese zur unerlaubten Einreise genutzt werden. Betrachtet man den Wortlaut, so handelt es sich bei dieser Eingriffsermächtigung gerade nicht um eine von den Kritikern vielfach angeprangerte „verdachtsunabhängige“ Kontrolle, sondern um Maßnahmen, die dazu dienen unerlaubte Einreisen zu verhindern.[13] Dazu müssen sich diese Verdachtsmomente einer unerlaubten Einreise „auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung“ ergeben. Grundlage der Überprüfung sind also Lageerkenntnisse, die ständig ausgewertet und aktualisiert werden. Dies impliziert, dass die Auswahl der befragten Personen auf einem objektiven Kriterienbündel beruhen soll, in das polizeiliche Erfahrungen mit einfließen.[14] Allerdings handelt es sich um sehr unbestimmte Rechtsbegriffe, da sich für jeden Einzelfall die Frage stellt, wann genau auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung anzunehmen ist, dass die Verkehrsmittel von der angetroffenen Person zur unerlaubten Einreise genutzt werden.[15] Es ist im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz kritisch zu sehen, dass eine Ermächtigungsnorm durch die Voraussetzung der grenzpolizeilichen Erfahrung eine subjektive, intuitive Folgerung des handelnden Polizeibeamten für ausreichend hält, um einen Grundrechtseingriff zu legitimieren.[16] Auch bei dem Begriff der „Lageerkenntnisse“ handelt es sich um einen sehr weit gefassten und damit unbestimmten Rechtsbegriff. Lageerkenntnisse im Sinne des Gesetzes liegen dann vor, wenn die Annahme der unerlaubten Einreise auf Grund von Informationen durch Dritte, sei es durch Private oder durch Behörden, oder im Hinblick auf anderweitig gewonnene polizeiliche Erkenntnisse gerechtfertigt ist[17]. Auch dies wirft Zweifel am Gebot der Normklarheit und -bestimmtheit auf.[18] Gerade diese Unbestimmtheit führt dann auch immer wieder zu falschen Auswahlentscheidungen der Polizeibeamte – bis hin zu Verstößen des Diskriminierungsverbots.
Daran vermag auch der Einwand nichts zu ändern, dass falsche Auswahlentscheidungen und erst recht Racial Profiling die absolute Ausnahme bleiben. So weist Hesse darauf hin, dass den 2.373.701 im Jahr 2015 durchgeführten Maßnahmen nach § 22 Abs. 1 lit. a und § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG lediglich 26 Beschwerden gegenüberstehen, von denen sich 19 als unbegründet erwiesen.[19] Walter wiederum spricht von 58 Beschwerden gegen die Bundespolizei wegen Racial Profilings von Januar 2018 bis April 2019, allerdings ohne die Zahl der durchgeführten Eingriffe zu benennen.[20] Zu berücksichtigen bleibt jedoch, dass von einem hohen Dunkelfeld auszugehen ist und nicht jeder zu Unrecht Kontrollierte gegen die Maßnahme vorgehen wird, ganz im Gegenteil wird dies eher die Ausnahme sein.
Zu fordern ist daher – wenn schon keine Streichung möglich ist – zumindest eine Konkretisierung der Vorschriften, um Bedenken wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz auszuräumen und den Polizeibeamten klare Entscheidungskriterien an die Hand zu geben.
2.4 Resümee
Racial Profiling ist zwar verboten, kommt aber dennoch vor. Dabei fördern unbestimmte Eingriffsermächtigungen diskriminierendes Vorgehen. Dieses muss nicht zwangsläufig rassistisch geprägt sein, sondern speist sich ggf. aus Vorurteilen der Beamten, die ein Einschreiten auf grenzpolizeiliche Erfahrung stützen, jedoch den Normadressaten primär und diskriminierend nach der Hauptfarbe auswählen. Um dies zu verhindern, bedarf es bestimmter Eingriffsbefugnisse, die der Polizei klare Eingriffsvoraussetzungen vorgeben. Daneben fordert die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz schon seit Jahren, dass Racial Profiling in Deutschland auf gesetzlicher Ebene explizit verboten werden sollte.[21]
Solange das Gesetz nicht angepasst wird, muss durch Ausbildung und Weiterbildung das Bewusstsein der Polizeibeamten geschult werden, um Vorurteile zu erkennen und abzubauen. Polizeibeamte sind im Hinblick auf Racial Profiling zu sensibilisieren. Durch die Dokumentation von Einsätzen und Abläufen der Kontrolltätigkeit kann zudem überprüft werden, inwieweit grundgesetzliche Vorgaben eingehalten werden.
Auch wenn es sich bei Racial Profiling um ein verbotenes Vorgehen handelt, so kann dennoch eine Studie nicht nur zur Erhellung des Dunkelfeldes beitragen, sondern auch den rechtmäßigen Umgang mit den Eingriffsermächtigungen beleuchten, um hier Best-Practice-Modelle zu entwickeln. Wichtig wäre es zudem zu untersuchen, wie bekanntgewordene Fälle von Racial Profiling nicht nur durch die Gerichte, sondern auch seitens der Polizei intern aufgearbeitet werden.
3. Rechtsextremismus in Reihen der Polizei
3.1 Aktuelle Fallzahlen zu Rechtsextremismus in der Polizei
Im Oktober 2019 hat Bundesinnenminister Seehofer den Lagebericht des Verfassungsschutzes zu Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden vorgestellt. Daraus ergibt sich, dass die Sicherheitsbehörden der Länder im Erhebungszeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. März 2020 Ermittlungen in insgesamt 319 Verdachtsfällen einleiteten. Die Bundessicherheitsbehörden meldeten für den gleichen Zeitraum 58 Verdachtsfälle.[22] Zu den 319 Verdachtsfällen in den Sicherheitsbehörden der Länder wurden insgesamt 303 Verfahren eingeleitet. Davon wurden 237 disziplinarrechtliche Verfahren (78%), 48 Verfahren mit dem Ziel der Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe (16%) sowie 18 arbeitsrechtliche Maßnahmen (6%) eingeleitet. In dem genannten Zeitraum wurden zudem 261 strafrechtliche Verfahren eingeleitet.[23] Bei den Verdachtsfällen des Bundes wurden insgesamt 62 Verfahren eingeleitet, davon 38 disziplinarrechtliche Verfahren (61%), 23 Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe (37%) sowie in einem Fall zu arbeitsrechtlichen Schritten (2%).[24]
Allerdings kamen in manchen Bundesländern seit dem Stichtag Ende März neue Verdachtsfälle dazu. Diverse Fälle erregten durch entsprechende Pressemeldungen im letzten Jahr die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. So sollen beispielsweise in Essen und Mülheim mehr als zwei Dutzend Beamte Teil einer rechtsextremen Chatgruppe gewesen sein. Auch in anderen Bundesländern wurden seit Ende des Stichtags verschiedene neue Verdachtsfälle bekannt.[25]
3.2 Studien zu extremistischen Tendenzen in der Polizei
Insofern wird schon seit längerem die Forderung laut, Extremismus in der Polizei im Rahmen von wissenschaftlichen Studie zu untersuchen. Denn die meisten der empirischen wissenschaftlichen Arbeiten zu dieser Thematik sind schon Jahrzehnte alt, so dass es einer Aktualisierung bedarf. So stellten Jaschke/Kock bereits vor 11 Jahren fest, dass Studien über Ausmaß, Verbreitung und Gründe für solche Einstellungsmuster lediglich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts vorgelegt worden sind und es keine neueren Studien gäbe.[26]
Damals wurden in Folge der tragischen Ereignisse von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen in den Jahren 1991 bis 1993 erste wissenschaftliche Aufsätze zum Thema Fremdenfeindlichkeit in der Polizei geschrieben. Ein erster Beitrag zum Thema konnte keine überprüfbaren Belege für gegenüber anderen Berufs- oder Bevölkerungsgruppen extremistischeren Einstellungen von Polizeibeamten feststellen,[27] wobei diese Einschätzung ohne Hinweise auf eine empirische Untersuchung oder Auswertung erfolgte. Ein anderer Beitrag postulierte aufgrund einiger ausgewerteter Zeitungsmeldungen eine „eher grundsätzliche Anfälligkeit von Polizeibeamten“.[28] Einigkeit bestand aber darin, dass fremdenfeindliche Tendenzen in der Berufsgruppe der Polizei bedenklicher sind als in anderen Berufsgruppen.[29] Denn die Polizei solle „gerade beim Thema ´Fremdenfeindlichkeit` nicht Spiegelbild, sondern Vorbild sein“.[30]
1993 führte Jaschke eine schriftliche Befragung unter 352 Frankfurter Polizeibeamten u.a. zum Thema Ausländer durch. Jaschke stellte fest, dass das Meinungsklima hier sehr stark polarisiert war. Die Umfrage machte aber eine grundsätzlich eher skeptische Einstellung gegenüber Ausländern deutlich.[31] Lindner nahm 1995 eine quantitative Erhebung des 2. Ausbildungsjahres in NRW vor und stellte u.a. Fragen nach dem Ausmaß von fremdenfeindlichen Meinungen und Einstellungen von Auszubildenden der Polizei aller Ausbildungseinrichtungen von Nordrhein-Westfalen. Ca. ein Viertel der Befragten (23,3%) vermuteten rechtsextreme Tendenzen in der Polizei. 39,7% waren der Auffassung, dass es viele Polizisten gibt, die gegen Ausländer eingestellt seien.[32]
Eine viel beachtete empirische Studie wurde dann von der Polizeiführungsakademie (PFA) in Münster-Hiltrup (Vorgängerinstitution der DHPol) vorgelegt. Die PFA führte ein Forschungsprojekt zu Polizei und Fremdenfeindlichkeit durch, das auf Anregung der Innenministerkonferenz in Auftrag gegeben wurde. Es fand eine qualitative Erhebung durch 8 Workshops mit jeweils zwischen 11 und 20 teilnehmenden Polizeibeamten und anschließenden Einzelinterviews mit den Teilnehmern statt.[33] Als Ergebnis der qualitativen Befragung der Polizeibeamten wurde ein deutlicher „Zusammenhang zwischen alltäglichen Belastungen und Überforderungen im Dienst im Umgang mit Angehörigen ethnischer Minderheiten“ festgestellt, wodurch die Gefahr von Übergriffen erhöht werde. Daneben wird die allgemeine Belastung im Beruf als Ursache angeführt.[34] Jaschke benennt vier Ursachen für die Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei, betont allerdings die „nur unzureichend verfügbaren Basisdaten“. Auf der Makroebene nennt er Ethnisierungsprozesse als Grund, da die Entwicklung hin zu einer multikulturellen Gesellschaft eine Zunahme ethnisch überformter Konflikte in der Gesellschaft bedeute. Dies habe auch Auswirkungen auf die Polizeipraxis.[35] Zudem führe der situative Kontext, in dem die Polizei in der Regel auf Ausländer treffe, zu einer Verfestigung von Einstellungen. Denn Polizeibeamte lernten bestimmte Ausländergruppen häufig nur in spezifischen devianten Konfliktkonstellationen kennen.[36] Des Weiteren wurde das „Unzufriedenheitspotential“ bei den Polizeibeamten als Begründung angeführt, das insbesondere den Bereich der Bezahlung und die materiellen Lebensbedingungen sowie Arbeitsbelastung und -bedingungen betreffe.[37] Später kritisiert Bornewasser die Befunde der Studie und mahnt zur vorsichtigen Betrachtung der Ergebnisse, weil es Mängel in der Methodik und Auswertung gegeben hätte.[38] Dennoch hätten die „alten Befunde“ unabhängig von seiner retrospektiven Kritik weiterhin Bestand.[39]
In einer weiteren Studie befragten Mletzko/Weiss 1996 ca. 500 Polizeibeamte einer großstädtischen, westdeutschen Polizeidirektion, die Rücklaufquote betrug in etwa 30%. Die Autoren konnten bei einer „deutlichen Mehrheit der Befragten … keine Anzeichen für kohärente Fremdenfeindlichkeit feststellen“.[40] Allerdings ergab sich aus dem Antwortverhalten auch, dass bei rund 15% der befragten Polizisten von „verfestigten fremdenfeindlichen Vorurteilsneigungen“ gesprochen werden muss.[41] Entgegen der PFA Studie konnten Mletzko/Weiss keinen linearen Zusammenhang zwischen Stress- und Konfliktbewältigungsmaßnahmen und fremdenfeindlichen Vorurteilen erkennen.[42]
Asmus/Enke führten 2011/2012 in Sachsen-Anhalt eine Datenanalyse durch und nutzten so identifizierte exemplarische Fälle als Stimulus für die Experteninterviews und Gruppendiskussionen. Es wurden Experteninterviews mit 17 Polizeibeamten aus unterschiedlichen Führungspositionen sowie Gruppendiskussionen mit insgesamt 23 Polizisten geführt.[43] In der Auswertung kam man zu dem Ergebnis, dass die meisten befragten Polizeibeamten eine „mangelnde Sensibilität im Umgang mit migrantischen Opfern“ erkennen ließen.[44] Auch wurde festgestellt, dass diskriminierendes Verhalten durch Stressoren und Erfahrungswissen verstärkt wurde.[45]
In einer ersten Langzeitstudie von 2013-2017 wurden nach dem Zufallsprinzip 194 Polizeibeamte zu Beginn ihres Studiums im September 2013 an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen für eine Befragung zum Umgang mit Fremdheit ausgewählt, von denen sich 160 zur Teilnahme bereit erklärten. Daran anschließend fanden zwei Folgebefragungen während des Studiums und eine letzte Datenerhebung im April 2017 statt. Bei der letzten Erhebung (n=69) hatten die Teilnehmer ihr Studium beendet und waren seit ca. einem halben Jahr in der Polizeipraxis tätig.[46] Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bei der ersten Messung die Studierenden zu Beginn ihres Studiums eine der Alters- und Bildungsgruppe vergleichbare Verteilung der Einstellungen aufwiesen. Insbesondere sei keine erhöhte Fremdenfeindlichkeit festzustellen. Allerdings war eine Veränderung der Einstellungsmuster über den Befragungszeitraum hinweg festzustellen. Während es im Laufe des Studiums zu einer Abnahme fremdenfeindlicher Einstellungen kam, verzeichnet die Studie einen leichten Anstieg fremdenfeindlicher Tendenzen während des ersten praktischen Jahres.[47]
Nach dem hessischen Polizeiskandal um rechte Gesinnungen innerhalb der Polizei im letzten Jahr, fand im Auftrag der hessischen Landesregierung von November bis Dezember 2019 eine Befragung von rund 17.000 hessischen Polizisten, Verwaltungsbeamten und Tarifbeschäftigten bei einer Rücklaufquote von ca. 25% statt. Es erfolgte eine Befragung zur politischen Selbstverortung, aber auch zu Einstellungen oder Fragen zur Zufriedenheit und zu besonderen Belastungssituationen. 97% der Teilnehmer halten die parlamentarische Demokratie für die beste Staatsform, jeder 4. Befragte sieht die Gefahr, dass Deutschland ein „islamisches Land“ wird. 12,5% der Teilnehmer gaben an, häufiger rassistische Äußerungen von Kollegen beobachtet zu haben.[48]
3.3 Forschungsbedarf
Der Forschungsstand macht deutlich, dass Studien zu extremistischen Einstellungen von Polizeibeamten selten sind. Insofern sind kontinuierliche Forschungsarbeiten zu diesem Thema erforderlich. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf einen ganzheitlichen Ansatz, der bei den bisherigen Studien nicht erkennbar ist. Denn der Großteil der Studien zu extremistischen Einstellungen von Polizeibeamten bezieht sich punktuell auf einzelne Bundesländer, Behörden oder Auszubildende einzelner Bundesländer. Umfassende Studien, die mehrere Bundesländer mit einbeziehen, liegen lange zurück (PFA). Zudem verfolgte die PFA-Studie mit sehr kleiner Stichprobe einen rein qualitativen Ansatz. Ein Methoden-Mix aus quantitativer und qualitativer Erhebung fand bislang nicht statt und ist lediglich für die Hessen-Studie noch geplant. Allerdings ist diese Studie auf ein einzelnes Bundesland bezogen und sah sich bereits erheblicher Kritik ausgesetzt.
Auch sind in den Studien der Vergangenheit nicht alle Polizeidienststellen berücksichtigt bzw. eine kleine Stichprobe genommen worden. Selbst bei der Hessen-Studie wurde trotz geplanter Bundesland-Vollerhebung die Bereitschaftspolizei nicht beteiligt. Viele Bundesländer und auch der Bund haben bislang gar keine empirischen Studien zu extremistischen Einstellungen ihrer Polizeibeamten vorgelegt. Eine quantitative Vollerhebung der Einstellungsmuster von Polizeibeamten des Bundes und der Länder existiert nicht. Zudem handelt es sich bei dem Großteil der Forschungsarbeiten um Querschnittstudien. Lediglich in der Studie von Krott/Krott/Zeitner fand eine Längsschnittstudie – aber auch nur über einen Zeitraum von 4 Jahren und lediglich unter Befragung von Auszubildenden – statt. Eine Panelstudie ist aber zwingend erforderlich, um die Entwicklung von Einstellungsmustern zu untersuchen, ein theoretisches Konzept zu entwerfen und Handlungskonzepte bereitzustellen, um Entwicklungen hin zu extremistischeren Einstellungen zu verhindern.
Auch lag der Fokus der Studien in der Vergangenheit auf den Einstellungsmustern der Polizeibeamten. Der interne Umgang der Polizei mit extremistischen Handlungen und Haltungen wurde bislang nicht erforscht. Angesichts eines neuen Polizeiskandals in NRW, in dem ein Polizeimitarbeiter im Verdacht steht, an Aktivitäten einer rechten Terrorgruppe beteiligt zu sein, hat Innenminister Reul für alle Polizeibehörden Nordrhein-Westfalens Extremismusbeauftragte eingeführt.[49] Dies ist eine Möglichkeit im Umgang mit extremistischen Einstellungen innerhalb von Polizeibehörden. Wie ein solcher Umgang mit Verdachtsfällen repressiv aber auch präventiv im Einzelnen zu erfolgen hat, um effektiv extremistischen Handlungen und Haltungen von Polizeibeamten entgegenzuwirken, ist noch nicht Gegenstand von Forschungsarbeiten geworden, so dass auch hier eine Forschungslücke klafft, die es zu schließen gilt.
4. Fazit
Racial Profiling und Rechtsextremismus innerhalb der Polizei sind zwei verschiedene Phänomene. Unzulässiges Racial Profiling kann rechtsextremistische Hintergründe haben, muss es aber nicht. Vorurteile, aber auch die Unbestimmtheit der Eingriffsbefugnisse führen zur rechtswidrigen Auswahl des Normadressaten.
Rechtsextremismus in Reihen der Polizei ist laut Lagebericht des Bundesamts für Verfassungsschutz ein seltenes Phänomen. Allerdings wird dort nur das Hellfeld beleuchtet. Zudem sind auch wenige Fälle kritisch in den Blick zu nehmen, da gerade Polizisten fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen sollten. Insofern tut Forschung in einem ganzheitlichen Ansatz Not. Neben einer umfassenden Erhebung von politischen – und auch rechtsextremistischen – Einstellungen von Polizeibeamten ist der Umgang mit Verdachtsfällen in den Blick zu nehmen. Um zu überprüfen, ob und inwieweit sich Einstellungen von Polizeibeamten im Laufe des Berufslebens verändern, reichen einmalige Erhebungen nicht aus. Vielmehr sollten diese kontinuierlich erfolgen.
[1] Die Autorin ist Universitätsprofessorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik an der Deutschen Hochschule der Polizei
[2] ECRI, Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit, 2007, S. 4, abrufbar unter: https://rm.coe.int/ecri-general-policy-recommendation-no-11-oncombating-racism-and-racia/16808b5ade (zuletzt abgerufen am 5.10.2020).
[3] Liu, „Racial Profiling“: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des Rassendiskriminierungsverbots, 2018, S. 21; Bender, in: Kugelmann (Hrsg.), Polizei und Menschenrechte, 2019, S. 358 (359), jew. m.w.Nachw.
[4] S. Baile/Dankwa/Naguib/Purtschert/Schilliger, Strukureller Rassismus und antirassistischer Widerstand, 2019, S. 9.
[5] BT-Drs. 18/9374, S. 2.
[6] OVG Koblenz, Beschl. v. 29.10.2012 – 7 A 10532/12.
[7] OVG Koblenz, NJW 2016, 2820.
[8] OVG Münster, NVwZ 2018, 1497.
[9] BVerfGE 89, 276 (288 f.).
[10] OVG Saarlouis, NVwZ-RR 2019, 725 (727).
[11] So bspw. Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz, 2013, S. 31; ders., in: Fereidooni/El, Rassismuskritik und Widerstandsformen, 2017, S. 405 (412); Liebscher, NJW 2016, 2779 (2781); vgl. auch Tischbirek, DPolPl 3/2019, S. 17 (18) m.w.Nachw.; unschlüssig Liu, S. 240.
[12] So die Forderung von Cremer (o. Fußn. 10), S. 31; für eine tatbestandliche Konkretisierung Seckelmann, in: Kugelmann (Hrsg.), Polizei und Menschenrechte, S. 342 (352).
[13] Vgl. auch Hesse, in: Kugelmann (Hrsg.), S. 372 (374); Busch, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 104 (Dez. 2013), S. 3 (6); Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz, S. 6.
[14] So Hesse, in: Kugelmann (Hrsg.), S. 372 (374).
[15] Kritisch auch Seckelmann, in: Kugelmann (Hrsg.), S. 342 (346).
[16] So auch Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz, S. 19.
[17] Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. (2019), § 22 BPolG Rn. 18.
[18] Schütte, ZRP 2002, 393 (398); Cremer, „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz, S. 19.
[19] Hesse, in: Kugelmann (Hrsg.), S. 372 (376).
[20] Walter, Kriminalistik 2020, 240 (244).
[21] Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ECRI-Bericht über Deutschland, 2014, S. 41, abrufbar unter: https://rm.coe.int/ecri-report-on-germany-sixth-monitoring-cycle-german-translation-/16809ce4c0 (zuletzt abgerufen am 5.10.2020.
[22] S. Lagebericht des Verfassungsschutzes, 2020, S. 11, abrufbar unter: https://www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2020-09-lagebericht-rechtsextremisten-in-sicherheitsbehoerden.pdf (zuletzt abgerufen am 7.10.2020.
[23] Lagebericht, S. 13.
[24] Lagebericht, S. 16.
[25] Vgl. Gude/Wiedmann-Schmidt, Huderte rechtsextreme Verdachtsfälle in Sicherheitsbehörden, spiegel.de vom 6.10.2020, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-stellt-lagebericht-zu-rechtsextremismus-hunderte-verdachtsfaelle-in-sicherheitsbehoerden-a-3d025fc0-99bd-45d1-9316-6cf5044f80c6 (zuletzt abgerufen am 7.10.2020).
[26] S. Jaschke/Kock, Die Polizei 2009, S. 324 (327); später bspw. auch Kopke, APUZ 21-23/2019, abrufbar unter: https://www.bpb.de/apuz/291189/polizei-und-rechtsextremismus (zuletzt abgerufen am 7.10.2020).
[27] Vgl. Murck/Schmalzl/Zimmermann, Immer dazwischen. Fremdenfeindliche Gewalt und die Rolle der Polizei, 1993, S. 15.
[28] S. Jaschke, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und die Polizei, in: Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Studien zur aktuellen Entwicklung, 1994, S. 167 (182).
[29] A.a.O., S. 183.
[30] S. Murck, Die Polizei 4/1995, S. 89.
[31] Vgl. Jaschke, Öffentliche Sicherheit im Kulturkonflikt. Zur Entwicklung der städtischen Schutzpolizei in der multikulturellen Gesellschaft, 1997, S. 130.
[32] Vgl. Lindner, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt. Meinungen und Einstellungen von Auszubildenden der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen – Ergebnisse einer empirischen Studie, 2001, S. 49.
[33] Polizei-Führungsakademie, Fremdenfeindlichkeit in der Polizei? Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, 1996, S. 56 ff. und 109 ff.
[34] Bornewasser, in: Polizei-Führungsakademie, Fremdenfeindlichkeit in der Polizei, S. 16 und 41
[35] Jaschke, in: Polizei-Führungsakademie, Fremdenfeindlichkeit in der Polizei, S. 208.
[36] A.a.O., S. 210.
[37] A.a.O., S. 212.
[38] S. Bornewasser, in: Liebl (Hrsg.), Polizei und Fremde – Fremde in der Polizei, 2009, S. 13 (16 f.).
[39] A.a.O., S. 20.
[40] Mletzko/Weiss, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 82 (1999), S. 77 (83).
[41] A.a.O., S. 91.
[42] A.a.O., S. 89.
[43] Vgl. Asmus/Enke, Der Umgang der Polizei mit migrantischen Opfern. Eine qualitative Untersuchung, 2016, S. 82 f.
[44] A.a.O., S. 130.
[45] A.a.O., S. 132.
[46] Vgl. Krott/Krott/ Zeitner, Die Polizei 2019, S. 129 (131).
[47] A.a.O., S. 134 f.
[48] Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport (Hrsg.), Hessische Polizeistudie 2020, Polizeiliche Alltagserfahrungen – Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation. Darstellung erster Ergebnisse der Umfrage, 3.2.2020, S. 4 ff., abrufbar unter: https://innen.hessen.de/sites/default/files/media/hmdis/polizeistudie_2020_-_erste_ergebnisse.pdf (zuletzt abgerufen am 7.10.2020).
[49] Vgl. zu Einführung und Auftaktveranstaltung https://polizei.nrw/artikel/extremismusbeauftragte-der-polizei-reul-kein-pardon-und-keine-halben-sachen (zuletzt abgerufen am 7.10.2020.