Rauschgiftkriminalität: Fakten und Entwicklungen
von Dr. Reinhard Scholzen, Buchautor, Daun-Waldkönigen
Polizisten des niedersächsischen Landeskriminalamtes und Zollfahndern gelang Anfang November 2018 ein spektakulärer Erfolg gegen die Drogenkriminalität. Sie stellten 58 Kilogramm synthetische Drogen sicher und zwölf Kilogramm Marihuana. Die Drogen hätten im Straßenverkauf einen Wert von rund 830.000 Euro. Als Tatverdächtige wurden drei Männer im Alter zwischen 25 und 27 Jahren festgenommen. Der Fund war ungewöhnlich, da sich unter den Drogen auch eine große Menge des als besonders gefährlich geltenden „Crystal Meth“ befand. Der Sprecher des Zollfahndungsamtes Hannover, Jörg Meier, kommentierte dies gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk: „Das ist für den Raum Hannover, was die Menge angeht, eine neue Dimension.“
1. Drogentote
In den späten 1960er Jahren nahm die Drogenproblematik zu, wurde in der breiten Öffentlichkeit aber kaum beachtet. Das änderte sich erst, als sich in fast allen deutschen Großstädten offene Drogenszenen entwickelten und die Zahl der Rauschgifttoten ständig stieg. Als im Jahr 1972 Juliane Werding sang: „Der Tag, als Conny Kramer starb“, gab sie der Drogenproblematik einen Namen. Daraufhin ergriffen Politik, Polizei, Krankenkassen und private Initiativen unterschiedliche Maßnahmen. Besonders die Drogenprävention und Aufklärung über die von Drogen ausgehenden Gefahren brachten zunächst Erfolge. Gegen Ende der 1980er Jahre stieg die Zahl der Drogentoten jedoch wieder sprunghaft an und erreichte nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1991 mit mehr als 2.100 Toten den bisherigen Höhepunkt. In den folgenden Jahren sanken die Zahlen bis auf knapp über 1.500, um Ende des Jahrtausends aber wieder deutlich anzusteigen. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts gingen die Zahlen tendenziell zurück. 2017 starben 1.272 Menschen an ihrem Drogenkonsum.
Nach wie vor müssen in den Stadtstaaten weit überdurchschnittlich viele Rauschgifttote beklagt werden. Bezogen auf jeweils 100.000 Einwohner ergaben sich im Jahr 2017 für Berlin 4,7 Rauschgifttote, in Hamburg lag diese Belastungszahl bei 3,3 und in Bremen bei 2,8. Die geringsten Werte weisen Sachsen (0,4) und Mecklenburg-Vorpommern (0,3) auf. Unverändert bergen die Opiate in sich das größte Risiko. Aber auch andere Drogen sind lebensgefährlich: Im Jahr 2017 stieg die Zahl der Menschen, die durch eine Vergiftung mit Kokain starben (81 Tote), im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent an. Immer öfter führen synthetische Opioide zum Tod.
Seit Jahren stellt das Bundeskriminalamt fest, dass das Durchschnittsalter der Rauschgifttoten schrittweise ansteigt. Während deren Durchschnittalter im Jahr 2003 bei 34 Jahren lag, stieg es im Jahr 2014 auf 37 Jahre an. Im Jahr 2017 lag das durchschnittliche Alter der Drogentoten bei 39 Jahren. Nach wie vor gilt, dass sehr viel mehr männliche als weibliche Rauschgifttote zu beklagen sind: Der Anteil der Männer liegt seit vielen Jahren bei über 80 Prozent.
2. Steigende Rauschgiftkriminalität
Seit Jahren nimmt die Zahl der Rauschgiftdelikte stetig zu. Im Jahr 2013 wurden 189.783 Fälle erfasst, 2014 waren es 209.514, bis 2017 stieg die Zahl der Fälle auf 255.344 an.
Die sichergestellten Rauschgiftmengen erlauben Rückschlüsse auf die Konsumgewohnheiten. Im Jahr 2017 wurden in 2.515 Fällen 298 Kilogramm Heroin sichergestellt. Dies bestätigt den seit Jahren feststellbaren Trend, dass die Zahl der Fälle sinkt, aber die sichergestellte Menge zunimmt.
Die Türkei liegt seit mehr als einem Jahrzehnt als Herkunfts- bzw. Transitland für Heroin auf einem der vorderen Plätze. In den letzten Jahren nahm die Bedeutung Bulgariens als Transitland deutlich zu. Dies deckt sich mit der Erkenntnis der IKPO-Interpol, die bereits vor Jahren feststellte, dass pro Jahr zwischen 60 und bis zu 80 Prozent des auf unserem Kontinent sichergestellten Heroins über die Balkanroute geschmuggelt werden. Bei der Rückverfolgung des Rauschgiftes stellten die Ermittler seit Ende der 1990er-Jahre fest, dass die Staaten Zentralasiens (Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgisien und Kasachstan) beim Transport der Opiate nach Europa eine Rolle spielen. Das meiste aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran stammende Heroin kommt aber über die klassische Balkanroute nach Deutschland. Es wird geschätzt, dass die Opiumanbaufläche in Afghanistan im Vergleich zum Vorjahr um 63 Prozent auf 328.000 Hektar anstieg, auf dieser Fläche werden rund 9.000 Tonnen Rohopium geerntet.
Im Jahr 2017 wurden 3.559 Handelsdelikte (plus 18,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) mit Kokain registriert, wobei 3.552 Tatverdächtige festgestellt wurden. Es ist bedenklich, dass die Sicherstellungsmenge im Vergleich zu 2016 um 336,5 Prozent stieg. In Deutschland wurden 8.166 Kilogramm Kokain sichergestellt, wovon 3,8 Tonnen innerhalb von nur drei Monaten im Hamburger Hafen gefunden wurden. Blickt man über die deutschen Grenzen hinaus, wird deutlich, dass auch in anderen Ländern Kokain immer bedeutsamer wird. So wurden im vergangenen Jahr im Hafen von Antwerpen 42 Tonnen dieser Droge gefunden, und EUROPOL schätzt, dass etwa 130 Tonnen jährlich nach Europa transportiert werden. In rund 75 Prozent aller Fälle kommt das Kokain aus Kolumbien, wo auf einer Fläche von rund 146.000 Hektar die Kokapflanze angebaut wird. Beim Transport stellen die Ermittler immer öfter sogenannte „Drop-off/Drop-on“-Fälle fest. Dabei werden wasserdichte Behälter mit Rauschgift gefüllt, mit einem Peilsender oder einer Boje bestückt und dann auf hoher See durch Mannschaftsangehörige größerer Schiffe über Bord geworfen. Die Behälter werden dann von Schnellbooten aufgenommen und an Land gebracht.
Die Menge der in Deutschland sichergestellten Amphetamine stieg 2017 um 18,7 Prozent an und erreichte mit 1.669 Kilogramm eine Rekordmenge. Das BKA erfasste 6.238 Handelsdelikte (2016: 5.255) und ermittelte 5.225 Tatverdächtige. Damit setzte sich ein seit Jahren feststellbarer Trend fort. Ebenso kam, wie in den Jahren zuvor, das geschmuggelte Amphetamin meist aus den Niederlanden. Dort fand die Polizei im Jahr 2017 insgesamt 82 Produktionsstätten für diese Droge.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Ecstasy zur „Modedroge“ schlechthin, die vorwiegend psychotrope Wirkstoffe aus der Gruppe der ß-Phenetylamin-Derivate enthält. Danach sanken die Handelsdelikte nahezu stetig. Im Jahr 2012 begann dann eine Gegenbewegung, die bis zur Gegenwart anhält. Lag die Zahl der registrierten Delikte im Jahr 2012 bei 1.138, wuchs sie bis 2017 auf 2.979 an. Es ist auffällig, dass im vergangenen Jahr die Zahl der sichergestellten Ecstasy-Tabletten um 70 Prozent auf nur noch 693.668 Tabletten zurückging. Die meisten Konsumeinheiten stammten, wie in den Jahren zuvor, aus den Niederlanden.
Seit Beginn des dritten Jahrtausends stellt „Crystal“, ein kristallines Methamphetamin, ein Problem dar. Im Jahr 2012 wurden in 3.512 Fällen mehr als 75 Kilogramm „Crystal“ beschlagnahmt. Dies war der Höchstwert aller bisher erfassten Jahre. Seither sanken die Zahlen der Handelsdelikte auf 2.127 im Jahr 2017. Dass der weiß- oder beige-farbige Stoff jedoch nicht aus der Mode gekommen ist, belegt die um 84 Prozent gestiegene Sicherstellungsmenge: 2017 wurde mit 114 Kilogramm eine Rekordmenge gefunden. Die Droge stammte zum größten Teil aus der Tschechischen Republik. Dort wird diese Rauschgiftart häufig auf sogenannten „Asia-Märkten“ in der Nähe zur deutschen Grenze illegal gehandelt. Daraus erklärt es sich, dass rund zwei Drittel des beschlagnahmten Crystal in Sachsen, Bayern und Thüringen gefunden wurden. Wie der eingangs beschriebene Fall aus Niedersachsen zeigt, häufen sich aber auch in anderen Bundesländern die Funde.
Seit rund drei Jahrzehnten stellen die Ermittler immer wieder neue synthetische Drogen fest. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts rückte GHB (Gamma-Hydroxy-Buttersäure) in den Mittelpunkt des Interesses, als neun Labore entdeckt wurden, in denen der seit dem 1.3.2002 dem Betäubungsmittelgesetz unterstellte Wirkstoff produziert wurde. Die Beliebtheit von GHB nahm jedoch rasch ab, so dass im Jahr 2005 diese Droge nicht mehr im Lagebericht des BKA auftauchte. Das grundsätzliche Problem der synthetischen Drogen blieb aber bestehen. Im Jahr 2012 stellten die Ermittler 37 neue psychoaktive Substanzen fest, die allesamt nicht in den Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes aufgelistet waren. Daher wurden sie fälschlicherweise als „Legal High“-Produkte zum Teil über das Internet angeboten und verkauft. Als sogenannte „Kräutermischungen“ werden diese Drogen auch aus dem benachbarten Ausland nach Deutschland eingeführt. Die „Neuen Psychoaktiven Stoffe“ (NPS) sind ein stetig wachsendes Problem, wobei synthetische Opioide – zu denen zahlreiche Fentanylderivate zählen – stetig auf dem Vormarsch sind. Darauf reagierte der Deutsche Bundestag mit einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Im November 2016 trat das „Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz“ (NpSG) in Kraft. Damit sollte eine gängige Praxis der Drogenproduzenten durchbrochen werden, die mit lediglich marginalen Veränderungen der Zusammensetzung der Drogen stets ein neues, langwieriges Verbotsverfahren in Gang setzten. Ob mit dem NpSG die beabsichtigte Wirkung erzielt wird, soll in einem zurzeit laufenden Projekt des Bundesgesundheitsministeriums evaluiert werden.
Die Zahl der Handelsdelikte mit Cannabis steigt seit vielen Jahren ständig an. 2017 wurde mit 32.546 Fällen ein neuer Hochpunkt erreicht. Damit ist diese Droge das mit weitem Abstand meist gehandelte Betäubungsmittel in Deutschland. Im Jahr 2017 wurden hier 1.295 Kilogramm Haschisch sichergestellt, wovon das Gros aus Marokko stammte und über die Niederlande nach Deutschland eingeschmuggelt wurde.
Ähnliche Ergebnisse liegen für Marihuana vor. Auch bei dieser Droge nahm die sichergestellte Menge nochmals deutlich zu und erreichte 2017 mit 7.731 Kilogramm einen Höchstwert. Nach wie vor ist Albanien der Hauptproduzent von Marihuana, daran ändern auch einige Erfolge der albanischen Polizei gegen die Rauschgiftproduzenten nichts.
Über Jahre hinweg nahm die Zahl der Cannabisplantagen zu. Einen Wendepunkt stellt das Jahr 2015 dar. Seither sinken die Zahlen und erreichten mit 668 Anlagen im Jahr 2017 nahezu den Wert des Jahres 2012, als in Deutschland 665 Cannabis-Indoor-Plantagen festgestellt wurden. Jedoch sind die Zahlen nicht eins zu eins miteinander vergleichbar, da seit einigen Jahren erst ab einer Zahl von 20 Pflanzen von einer Cannabis-Plantage gesprochen wird. Werden zwischen 20 und 99 Pflanzen angebaut, so werden diese als Kleinplantagen bezeichnet. In Großplantagen stehen zwischen 100 und 999 Pflanzen, und in den sogenannten Profiplantagen werden mehr als 1.000 Cannabispflanzen aufgezogen. Nur bei Letzteren wurde im vergangenen Jahr ein Anstieg verzeichnet, der aber sehr deutlich ausfiel: Waren es 2016 noch 24 solcher Anlagen, so stieg ihre Zahl 2017 auf 32 an. Somit setzt sich der vom Bundeskriminalamt bereits seit Jahren festgestellte Trend zu einer zunehmenden Professionalisierung fort. Mit Sorgen wird beobachtet, dass diese Plantagen durch spezielle Pflanzenzüchtungen und den Einsatz von aufwendiger Technik sehr viel höhere Produktionsmengen ermöglichen. Außerdem liegt hier der THC-Gehalt mit durchschnittlich 12 Prozent deutlich höher als bei herkömmlich im Freien gezüchteten Pflanzen. Damit geht eine deutliche Steigerung der Gesundheitsgefährdung und des Abhängigkeitspotenzials für die Konsumenten einher.
Im Jahr 2017 verringerte sich die Zahl der festgestellten Cannabis-Outdoorplantagen auf 95. Sowohl bei den Indoor- als auch bei den Outdoor-Plantagen besaß die Mehrzahl der Täter die deutsche Staatsangehörigkeit.
Das Bundeskriminalamt fasst im aktuellen Lagebild zusammen, dass bereits im siebten Jahr in Folge die Anzahl der Rauschgiftdelikte in der Polizeilichen Kriminalstatistik gestiegen ist. Dies sei, so das BKA, ein internationales Problem:
„Rauschgifthandel ist ein fester Bestandteil und eine der wichtigsten Einnahmequellen international Organisierter Kriminalität (OK). Die Bekämpfung des international organisierten Rauschgifthandels ist daher eine wesentliche Aufgabe der deutschen und europäischen Strafverfolgungsbehörden.“
Ein weiteres Indiz für eine Internationalisierung des Drogenhandels sehen die Bundeskriminalpolizisten in der kontinuierlich steigenden Bedeutung des Internets:
„Die gestiegenen Fallzahlen zum Rauschgifthandel im Internet sowie beim Postversand dürften das tatsächliche Ausmaß jedoch nicht annähernd widerspiegeln. Konsumenten empfinden in der vermeintlichen Anonymität des Internets mehr Sicherheit vor Strafverfolgung, da beim Betäubungsmittel-Erwerb kein persönlicher Kontakt zu Straßenhändlern aufgenommen werden muss.“
Diese Einschätzung deckt sich mit den Erkenntnissen der Landespolizeien. Insbesondere im Handel mit Kokain läuft die Geschäftsanbahnung häufig über verschlüsselte App-Dienste, die Abwicklung erfolgt dann im Darknet. Im Jahr 2017 wurde „Alpha Bay“ von den Behörden zerschlagen, ein Marktplatz im Internet, über den Kokain im großen Stil verkauft wurde. Aus Belgien gibt es Berichte, dass dort das Rauschgiftgeschäft zunehmend über von Spanien aus betriebene Call-Center angebahnt wird, die Drogenlieferung erfolgt dann über Kuriere. Im Januar 2019 fand die bayerische Polizei bei einer Wohnungsdurchsuchung in Deggendorf rund 300 Gramm Amphetamine und geringere Mengen Crystal. Die Ermittlungen ergaben, dass der 30-jährige Tatverdächtige die Drogen im Darknet beschafft hatte.