Repetitorium Zeugnisverweigerung aus persönlichen Gründen (Strafprozessrecht)

Einführung in das Thema

Zeugnisverweigerungsrechte sind von zentraler Bedeutung in der Strafprozessordnung. Geregelt sind diese in den §§ 52 und 53/53a StPO. Daneben steht das Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen aus § 55 StPO. Diese 3. Folge des Repetitoriums behandelt nur das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO.

Abgrenzung zum Auskunftsverweigerungsrecht

Schon begrifflich unterscheidet sich das Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 Abs. 1 StPO von dem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO. Das „Zeugnis“ ist die gesamte Aussage. Das Zeugnisverweigerungsrecht entsteht nur im Verhältnis zu einem Beschuldigten. In Bezug auf diesen Beschuldigten besteht direkt aus § 52 Abs. 1 StPO ein umfangreiches Zeugnisverweigerungsrecht. Der Zeuge darf umfassend schweigen, darf auch entlastende Aussagen für sich behalten, muss seine Entscheidung nicht begründen.

Ein Zeuge hat in aller Regel viele Angehörige und eventuell (Ex-)Ehegatten, die nicht beschuldigt werden. Zu diesen nichtbeschuldigten Personen, die zur Personengruppe des § 52 Abs. 1 StPO gehören, besteht (nur) ein Auskunftsverweigerungsrecht, kein Zeugnisverweigerungsrecht. Dies bedeutet, dass auf einzelne Fragen dann die Auskunft verweigert werden darf, wenn durch eine  wahrheitsgemäße Antwort die Gefahr einer Strafverfolgung4 besteht. Im Übrigen bleibt es bei der Pflicht, wahrheitsgemäß auszusagen. § 52 Abs. 1 StPO wird in § 55 StPO nur zitiert, um auf  denselben Personenkreis zu verweisen. Die Aussagepflicht des Zeugen besteht trotz § 55 StPO in erheblichem Umfang. Nur ganz selten erstarkt § 55 StPO zu einem umfassenden Auskunftsrecht (aber immer noch: „Auskunftsrecht“, nicht „Zeugnis….“).

Verweise auf § 52 Abs. 1 StPO in der Strafprozessordnung

Auf § 52 Abs. 1 StPO wird siebenmal5 in der StPO zurückgegriffen. Die Beschränkung des Fragerechts an einen Zeugen (§ 68a Abs. 1 StPO) schützt neben dem Zeugen selbst auch den bevorrechtigten Personenkreis. Wichtigste Anwendungsbereiche sind jedoch das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO und das Recht, als Zeuge eine körperliche Untersuchung zu verweigern (§ 81c Abs. 3 Satz 1 StPO), wenn das Zeugnis verweigert werden darf. In § 81c StPO wird § 52 Abs. 1 StPO gar nicht erwähnt! Der ermittelnde Polizeibeamte muss wissen und berücksichtigen, ob ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Es handelt sich also um eine echte Querschnittsmaterie. Dieser Beitrag soll verdeutlichen, welche Angehörigenverhältnisse von § 52  Abs. 1 StPO erfasst werden.

§ 52 Abs. 1 StPO im Detail

Für alle Zeugnisverweigerungsrechte gilt, dass sie zum Zeitpunkt der Aussage bestehen müssen. Sie können also durch nachträgliche Verlobung, Heirat etc. entstehen, mittelbar entstehen dann auch Schwägerschaften. Auf den Zeitpunkt der Tat kommt es nicht an.

Verlobte, Ehegatten, Ex-Ehegatten

Eine Verlobung ist ein beidseitig ernstgemeintes Eheversprechen. Es ist an keine Form gebunden. Wegen der Missbrauchsmöglichkeiten („Verlobung im Gerichtsflur“) sollte dieses Zeugnisverweigerungsrecht mehrfach entfallen. Eine parlamentarische Mehrheit fand sich dafür nicht. Eine Ehe wird standesamtlich geschlossen und muss im Inland gültig sein. Durch Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)6 ist das auch zwischen gleichgeschlechtlichen Personen möglich. Das Zeugnisverweigerungsrecht „überlebt“ eine Scheidung, aber nicht das  Lösen einer Verlobung. Ex-Ehepartner (auch mehrere) sind unverändert zeugnisverweigerungsberechtigt. Nach wohl noch h. M. endet das Zeugnisverweigerungsrecht mit dem Tod des Beschuldigten.

Lebenspartner, Ehe für Alle, ehe-ähnliche Lebensgemeinschaft

Eine Lebenspartnerschaft im Rechtssinne ist nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) eine eingetragene Verbindung zwischen Personen gleichen Geschlechts. Die rechtliche Bedeutung des Wortes „Lebenspartner“ ist damit enger als seine umgangssprachliche Bedeutung. Durch die Einführung einer „Ehe für Alle“ besteht die Regelung der Lebenspartnerschaft nur noch für sog. Altfälle. Seit 2017 kann keine Lebenspartnerschaft mehr eingegangen werden.

Alle nicht-ehelichen, nicht-lebenspartnerschaftlichen, ehe-ähnlichen Lebensgemeinschaften erfasst § 52 Abs. 1 StPO nicht. Dies mag als ungerecht empfunden werden, entspricht aber dem gesetzgeberischen Willen. Die Änderungen des § 52 Abs. 1 StPO zeigen, dass der Gesetzgeber geänderten Lebensverhältnissen Rechnung getragen hat, aber bei beständig unverheiratetem Zusammenleben (ohne Verlobung) kein Zeugnisverweigerungsrecht einräumen will. Eine analoge Anwendung kommt daher nicht in Betracht. Zeugnisverweigerungsrechte sind restriktiv auszulegen.

Verwandte und Verschwägerte

Verwandtschaft und Schwägerschaft sind im BGB geregelt. Die §§ 1589, 1590 BGB müssen also inzident geprüft werden. Natürlich kann man auch Einzelfälle auswendig lernen, z.B. „Bruder hat, Cousin hat nicht.“ Dann wird es aber schwierig, komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse, z.B. in Patchwork-Familien zu lösen. Deshalb hier die Prüfungsreihenfolge und die Grundzüge der zivilrechtlichen Regelungen9: Verwandtschaft wird vor Schwägerschaft geprüft. Gem. § 1589 BGB ist verwandt, wer entweder voneinander abstammt (in gerader Linie verwandt) oder gemeinsame Vorfahren hat (in Seitenlinie verwandt). Die Verwandtschaft in gerader Linie wird vor der Verwandtschaft in Seitenlinie geprüft.

Verwandtschaft in gerader Linie

In gerader Linie verwandt ist, wer voneinander abstammt, also Eltern von Großeltern von Urgroßeltern einerseits, Kinder, Enkel und Urenkel andererseits. Der Grad dieser Verwandtschaft ist  unerheblich. Ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht bei Verwandtschaft in gerader Linie immer. Es entfällt auch nicht, wenn die Generationenkette durch Tod Lücken aufweist, also beispielsweise der Großvater der Beschuldigte ist, das Enkelkind Zeuge, aber das Bindeglied „Sohn des Beschuldigten = Vater des Zeugen“ bereits verstorben sein sollte.

Verwandtschaft in Seitenlinie

Der Grad der Verwandtschaft muss dann ermittelt werden, wenn eine Verwandtschaft in Seitenlinie vorliegt, z.B. zwischen Geschwistern. Anna und Bruno sind Geschwister, stammen also nicht voneinander ab. Sie haben aber gemeinsam dieselben Vorfahren, ihre Eltern. Ausreichend ist, dass ein Elternteil identisch ist. Auch Halbgeschwister sind in Seitenlinie miteinander verwandt. Nun muss (für § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) der Grad der Verwandtschaft ermittelt werden. Das Gesetz sagt dazu, dass es auf „die Zahl der sie [die Verwandtschaft] vermittelnden Geburten“ ankommt. Hier hilft eine Zeichnung weiter. Jede Generation wird mit einem Pfeil ausgewiesen, bis hinauf zu den gemeinsamen Vorfahren und wieder hinunter. Achtung: nur ein Pfeil pro Generation und Richtung, also zu den Eltern gemeinsam, nicht zu Vater und Mutter getrennt.

Anna und Bruno sind verwandt in der Seitenlinie im 2. Grad. Eine Verwandtschaft in der Seitenlinie 1. Grades kann es nicht geben! Ein Blick in § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zeigt, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht zwischen Verwandten in der Seitenlinie bis zum 3. Grad gewährt wird. Anna darf also das Zeugnis verweigern, sobald Bruno als Beschuldigter gilt. Nehmen wir an, dass sowohl Anna als auch Bruno Kinder haben: Anna eine Tochter namens Thea und Bruno einen Sohn namens Sascha. Dann sieht die Zeichnung so aus:

Die Zeugin Thea ist mit dem Beschuldigten Sascha verwandt in der Seitenlinie im 4. Grad. Die Cousine hat zu ihrem Cousin kein Zeugnisverweigerungsrecht.

Schwägerschaft

Schwägerschaft entsteht durch Eheschließung und entstand nach § 11 Abs. 2 LPartG auch bei Schließung einer Lebenspartnerschaft10. Nach § 1590 BGB ist der Ehegatte mit den Verwandten seines Ehegatten verschwägert. Der Grad der Schwägerschaft ist derjenige, in welchem der andere Ehegatte verwandt ist. Die Schwägerschaft folgt also der Verwandtschaft. In unserem Beispiel wissen wir, dass Anna und Bruno in der Seitenlinie 2. Grades verwandt sind. Heiratet Anna, wird ihr Ehemann Egon mit Bruno in der Seitenlinie 2. Grades verschwägert. Auslöser einer Schwägerschaft ist immer eine Eheschließung bzw. Lebenspartnerschaft. Es wird auch nur der Ehegatte/Lebenspartner verschwägert. Tipp: Bei Schwägerschaft muss entweder der Zeuge oder der Beschuldigte ein Ehegatte oder Lebenspartner sein, der andere ein Verwandter. Dann, aber nur dann, werden die Verwandten des Ehepartners zu Schwägern. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO haben Verschwägerte nur bis zur Seitenlinie im 2. Grad ein Zeugnisverweigerungsrecht. Das führt dazu, dass zu leiblichen Tanten und Onkeln ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht, zu  angeheirateten Tanten und Onkeln jedoch nicht. Zu leiblichen Tanten besteht eine Verwandtschaft der Nichten/Neffen in der Seitenlinie 3. Grades, zu angeheirateten (verschwägerten) Tanten eine Schwägerschaft in der Seitenlinie 3. Grades. Ein Zeuge weiß das wahrscheinlich nicht, jedenfalls dürfen Vernehmer nicht unterstellen, dass „meine Tante“ im Sprachgebrauch des Zeugen eine leibliche (verwandte) Tante ist.

Das Zeugnisverweigerungsrecht zu Schwägern bleibt bestehen, auch wenn die zugrunde liegende Ehe/Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht, sei es durch Scheidung, Auflösung oder Tod.

Vernehmungspraxis und Aufgabenstellung

In der Vernehmungspraxis findet sich oft die einleitende Formel: „Der Zeuge wurde über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt“. Oder es gibt Formulare, auf denen unter Hinweis auf § 52 StPO die Tatsache der Belehrung durch Ankreuzen und Unterschrift des Zeugen dokumentiert wird. Im Streitfall kann nicht rekonstruiert werden, was der Zeuge und was der Vernehmer verstanden, gemeint und subsumiert haben. Empfehlenswert ist, die genaue Beschreibung eines Angehörigenverhältnisses in den Worten des Zeugen zu dokumentieren. Anna sagt aus: „Der Beschuldigte ist mein Bruder Bruno.“ Das Aufgabenblatt ist genauso aufgebaut. Der Vernehmer fragt den Zeugen: „Sind Sie mit dem Beschuldigten verwandt oder verschwägert?“ Entscheiden Sie aufgrund der wörtlichen Antworten der Zeugen, ob ein Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR) besteht.

Arbeitsblatt mit Lösungen

Laden Sie sich hier das Arbeitsblatt mit Lösungen herunter (PDF).