Trompetenspiel im Nachbarhaus – Gerichtsentscheidung

von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau

„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.“
An dieses Zitat von Wilhelm Busch, das 1874 veröffentlicht wurde, muss man denken, wenn das Urteil des BGH vom 26.10.2018, Az: VZR 143/17 zu Lektüre ansteht.

Sachverhalt

Kläger und Klägerin des Streites bewohnen ein Reihenhaus in einem Wohngebiet. Die Beklagten sind Eigentümer und wohnen im benachbarten Reihenhaus. Der Beklagte zu 1) ist Berufsmusiker (Trompete). Er übt im Erdgeschoss und in einem Probenraum im Dachgeschoss Trompete. Nach eigenen Angaben maximal 180 Minuten am Tag und regelmäßig nicht mehr als an zwei Tagen pro Woche. Mittags- und Nachtruhe werden berücksichtigt.

Darüber hinaus unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich externe Schüler.

Die Beklagte zu 2) spielt keine Trompete.

Die Kläger fühlten sich durch die hörbare Musik belästigt und verlangten von den Beklagten, diese so einzudämmen, dass ein eventuelles Musizieren außerhalb des Hauses nicht mehr wahrnehmbar ist. Hierzu verlangten sie von den Beklagten eine Unterlassung oder aber das Ergreifen von Maßnahmen, die zu diesem gewünschten Ergebnis führen sollten.

In der ersten Instanz vor dem Amtsgericht hatten die Kläger Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil geändert und die Beklagten verurteilt, die Erteilung von Musikunterricht an Dritte insgesamt zu unterlassen und es darüber hinaus auch zu unterlassen, überhaupt im Hause Musik zu machen. Hiervon war lediglich das Dachgeschoss ausgenommen. Dort gestattete das Landgericht für maximal zehn Stunden pro Woche von Montag bis Freitag zwischen zehn und 12 Uhr und 15 und 19 Uhr das Musizieren.
Darüber hinaus legte das Landgericht fest, dass der Beklagte zu 1) an acht Samstagen oder Sonntagen im Jahr zwischen 15 und 18 Uhr maximal eine Stunde Trompete üben dürfe.

Der BGH ließ die Revision zu. Hier beantragten die Beklagten insgesamt, die Klage abzuweisen. Im Wege der Anschlussrevision wollten die Kläger das Urteil des Amtsgerichts wieder herstellen lassen.

Entscheidung

Der BGH wies die Klage gegen die Beklagte zu 2) ab und insoweit auch die Anschlussrevision der Kläger zurück. Im Übrigen wurde die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Begründung für die Klageabweisung war, dass gegen die Beklagte zu 2) kein Unterlassungsanspruch bestünde. Dies käme nur dann in Frage, wenn die Beklagte zu 2) mittelbare Handlungsstörerin gewesen wäre, was bedeutet, dass sie verpflichtet gewesen wäre, gegen das Musizieren des Beklagten zu 1) einzuschreiten. Das lehnte der BGH ab, weil der Beklagte zu 1) Miteigentümer des Hauses war und deshalb ein eigenes Recht wahrnehmen würde.

Das Landgericht hatte einen richterlichen Ortstermin vorgenommen und dabei festgestellt, dass das Trompetenspiel des Beklagten zu 1) im Dachgeschoss im Wohnzimmer der Kläger, das im Erdgeschoss liegt, nicht wahrgenommen werden konnte, im Schlafzimmer der Kläger im Dachgeschoss nur leise zu hören ist, während im Erdgeschoss im Wohnzimmer das Trompetenspiel als „schwache Zimmerlautstärke“ zu vernehmen sei. Das Landgericht konstatierte, dass den Klägern als Nießbraucher eines Hauses gegenüber den Nachbarn grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Geräuschemissionen zustehe. Dieser Abwehranspruch sei jedoch ausgeschlossen, wenn die mit dem Musizieren verbundene Beeinträchtigung nur unwesentlich sei. Dabei stellte das Gericht auf das Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ ab, wobei die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung nur aufgrund wertender Beurteilung festgesetzt werden könne.

Hier, so rügte die Revision, habe das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt. Das häusliche Musizieren, einschließlich des dazu gehörenden Übens, gehöre zu den sozial-adäquaten üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung und sei, laut Gericht, aus der maßgeblichen Sicht eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bildet und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein könne. Hierbei bezog sich das Gericht auf die Zugehörigkeit der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit.

Auf der anderen Seite soll die Wohnung des Nachbarn diesem auch die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung sowie häuslicher Arbeit eröffnen, mithin auch die jeweils notwendige von Umweltgeräuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten. Ein Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen könne im Ergebnis nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden. Dabei habe ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt.

Als grober Richtwert könne im Einzelfall eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten, als grober Richtwert dienen. Die örtlichen Gegebenheiten seien ebenfalls von Bedeutung. Können die Geräuscheinwirkungen erheblich verringert werden, indem in geeigneten Nebenräumen musiziert wird, könne es aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker einzuschränken. Das gelte insbesondere dann, wenn auf Seiten des Nachbarn besondere Umstände, wie eine ernsthafte Erkrankung, eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern.

Das Musizieren in den Hauptwohnräumen des Hauses könne aber nicht gänzlich untersagt werden. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht könne je nach Ausmaß der Störung noch als sozial-adäquat angesehen werden. Hier sei eine Orientierung an den üblichen Ruhezeiten erforderlich. Einen nahezu vollständigen Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende, wie ihn das Berufungsgericht vorgesehen habe, komme jedoch nicht in Betracht. Dies ließe nämlich außer Acht, dass Berufstätige, aber auch Schüler häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren finden.

Danach stellte das Revisionsgericht fest, dass das leise Vernehmen des Trompetenspiels im Dachgeschoss zur Mittags- und Nachtzeit als wesentlich, zu den übrigen Zeiten jedenfalls für etwa drei Stunden werktäglich als unwesentlich anzusehen sei. Im Übrigen gab es dem Landgericht nunmehr vor, im Einzelfall genau festzustellen, welches Trompetenspiel an welchem Punkt im Nachbarhaus im Haus der Kläger in den unterschiedlichen Zimmern zu hören ist. Beeinträchtigungen der Kläger durch den Musikunterricht könnten auf diese Weise auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt werden. Sofern das Landgericht feststelle, dass das Dachgeschoss für den Musikunterricht geeignet sei, könne es festlegen, dass nur dort der Musikunterricht erteilt werden dürfe. Entsprechend könnte es auch in Abwägung der Störung durch den Musikunterricht Zeiten abschließend festlegen.

Fazit

Ein Recht auf absolute Ruhe – und dies zu jeder Zeit – gibt es nicht. Wenn das Musizieren des Nachbarn auch in den meist benutzten Wohnräumen, wie z.B. dem Wohnzimmer, leise zu vernehmen ist, so ist das für einige Stunden hinzunehmen. Räume, die tagsüber in der Regel nicht genutzt werden, wie z.B. das Schlafzimmer, sind als Maßstab für die Lautstärke in dieser Zeit ungeeignet. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Schichtarbeiter tagsüber schlafen muss oder krankheitsbedingte Bettlägerigkeit vorliegt.