Urteile in Kürze: Gefälligkeitsverhältnis, Tierquälerei, Gesichtsschleier

von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau

Abfall muss nicht auf Zahnprothese untersucht werden

Eine bemerkenswerte Entscheidung hatte das Oberlandesgericht Koblenz in einem Beschluss vom 13.04.2021, Az: U 8 1596/20, zu treffen.

Sachverhalt

Die Klägerin war an Pneumonie (Lungenentzündung) erkrankt und musste das Bett hüten. In dieser Zeit erhielt sie Krankenbesuch. Dies unter anderem von der Lebensgefährtin ihres Sohnes, die bei der Gelegenheit des Besuches gleich aufräumte. Dabei entsorgte sie benutzte Papiertaschentücher, die sich auf dem Nachttisch angesammelt hatten  und schüttete sie in einen brennenden Ofen. Unter den Taschentüchern befand sich, was die Schwiegertochter in spe nicht wusste, die in ein Papiertuch eingewickelte Zahnprothese der Klägerin. Diese verlangte nun von der Schwiegertochter in spe Schadensersatz für den Verlust der Zahnprothese. Es handelte sich dabei um eine Summe in Höhe von € 11.800,00.

Die Klage landete vor dem Landgericht. Dort war die Klägerin erfolglos. Das Landgericht nahm eine stillschweigende vereinbarte Haftungspriviligierung an. Dies hat zur Folge, dass die Beklagte der Klägerin nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schadensverursachung für die Beschädigung des Zahnersatzes in Anspruch genommen werden könnte. Dies sei jedoch nicht erfüllt. Die Klägerin war mit diesem Ergebnis nicht einverstanden und legte Berufung ein.

Entscheidung

Der Senat des Oberlandesgerichts Koblenz verneinte bereits eine einfache Fahrlässigkeit. Die beklagte zukünftige Schwiegertochter habe weder gewusst, dass in den Papiertaschentüchern eine Zahnprothese eingewickelt war, noch habe sie das erkennen können oder müssen. Als sie die Taschentücher als Paket aufnahm und in den Kohleofen warf, habe es keine Indizien dafür gegeben, dass außer den Taschentüchern noch andere Gegenstände, insbesondere die Prothese der Klägerin, enthalten sein mussten. Auch anhand des Gewichtes habe sie das nicht wahrnehmen können.

Der Beklagten sei insbesondere nicht vorzuwerfen, dass sie die zu entsorgenden Papiertaschentücher möglichst wenig berührt habe. Auch die Entsorgungsform selbst, also das Verbrennen im Ofen, begründe keine Fahrlässigkeit. Im Gegenteil: Durch diese Form der Entsorgung seien die Krankheitserreger mit denen die Taschentücher belastet waren, effektiv beseitigt und die Keimbelastung verringert bzw. aufgehoben worden.

Nach einem Hinweis des Gerichts nahm die Klägerin die Berufung zurück.

Fazit

Der vorliegende Fall ist eine Sonderform des sogenannten „Gefälligkeitsverhältnisses“, bei dem eine Person unentgeltlich für eine andere Person tätig wird. Hier besteht nach Lehre und Rechtsprechung eine Haftungspriviligierung dahingehend, dass die unentgeltlich tätige Person nur für die Überschreitung eigen-üblicher Sorgfalt haftet. Das bedeutet, dass einfache fahrlässige Schadensverursachungen nicht zu einer Haftung desjenigen führen, der dem Anderen einen Gefallen tut und dadurch einen Schaden verursacht. Nach dieser Rechtsprechung müsste die Beklagte gewusst haben (Vorsatz) oder aber damit hätte rechnen müssen (grob fahrlässig), dass die Zahnprothese hier in den Taschentüchern eingewickelt war. Dass dies nicht der Fall war, so hatte schon das Landgericht geurteilt. Das Oberlandesgericht ist in diesem Punkt noch weiter gegangen und hat einfache Fahrlässigkeit verneint, so dass selbst die einfache Fahrlässigkeit nicht in Betracht kommt.

  • 276 Abs. 2 BGB lautet:

„Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts hatte die Beklagte keinerlei Sorgfaltspflicht, die üblicherweise zu erwarten wäre, außer Acht gelassen.

Ich halte das Urteil für begrüßenswert, auch wenn möglicherweise hinter dieser Entscheidung eine Haftpflichtversicherung steht, die den Schaden sonst hätte ausgleichen müssen. Für das soziale Miteinander in unserer Gesellschaft ist es aber wichtig, dass derjenige, der altruistisch für einen Anderen tätig wird, hier sich nicht erhöhter Haftungsrisiken ausgesetzt sieht.

Tierquälerei im Schlachthof

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 14.12.2020 (Az: 2 Ss 194/20) die Verurteilung des Geschäftsführers eines nordhessischen Schlachthofes bestätigt.

Sachverhalt

Angeklagt war der Geschäftsführer eines nordhessischen Schlachthofes. Er war dort für die betrieblichen Abläufe, also auch für das konkrete Vorgehen beim Schlachtvorgang zuständig. Die Schlachtung der Schweine erfolgte nach den Feststellungen des Landgerichts in der Weise, dass eine automatisierte Elektro-Betäubungsanlage durch Ansetzen von Elektrokontakten betäubt werden sollten. Hier wurde die Betäubung mit maximal 1,6 A durchgeführt, wodurch die Tiere neben der Betäubung auch schmerzunempfindlich gemacht werden sollten. Anschließend war die Entblutung auf einem sogenannten Entblutungsrost vorgesehen. Ein Wiedererwachen vor und während der Entblutung sollte damit verhindert werden. Zusätzlich gab es handgeführte Betäubungszangen mit variabel einstellbaren Frequenzen und Stromstärken, die zusätzlich die Betäubung der Tiere sicherstellen sollten. Nach den Feststellungen des Gerichts funktionierte die elektrische Betäubungsanlage nicht hinreichend, um die Tiere vor ihrer Entblutung zu betäuben und ihre Empfindungsfähigkeit zu beseitigen. Zwar gab es verschiedene Anpassungen, um das Gerät ordnungsgemäß nutzen zu können, was aber nicht zu einer zuverlässigen Betäubung der Tiere führte. Auch die Betäubung mit den handgeführten Betäubungszangen war überwiegend fehlerhaft und für den Betäubungserfolg in der Regel unzureichend. Es wurde ein unvertretbar hoher Anteil von Fehlbetäubungen festgestellt. Gegen den Schlachthof erging der Erlass einer Ordnungsverfügung. Bei einer erneuten Überprüfung stellte sich heraus, dass den Auflagen des Erlasses nicht nachgekommen worden war. Das Amtsgericht verurteilte den angeklagten Geschäftsführer daher wegen „roher Tierquälerei“ im Tatzeitraum 2011 – 2013 zu einer Geldstrafe. Die hiergegen eingelegte Berufung  führte zu einer Änderung des Urteils. Das Landgericht bestätigte den Schuldspruch, verwarnte den Angeklagten und behielt sich eine Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe vor.

Entscheidung

Die Revision des Angeklagten vor dem Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht sah in dem Verhalten des Angeklagten ebenfalls eine „rohe Tierquälerei“. Es stellte fest, dass der Angeklagte gewusst habe, dass die gesetzlich vorgesehene „Betäubung zur Vermeidung von Schmerzen und Leiden in einem bis zum Tod anhaltenden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit“, wie es § 13 der Tierschutz-Schlachtverordnung vorsah, mit den hier in Rede stehenden Betäubungsanlagen nicht erfüllt werden konnte. Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte im Zeitraum von zwei Jahren den wirtschaftlichen Interessen des Schlachthofes und auch den eigenen finanziellen Interessen Vorrang gegenüber dem Empfinden der Tiere eingeräumt habe. Der Angeklagte sei gegenüber dem Leid der Tiere gleichgültig gewesen, was sich darin zeigte, dass er in dem langen Zeitraum die unzureichenden Betäubungen nicht abgestellt habe, obwohl ihm die Mängel immer wieder aufgezeigt worden seien. Das Revisionsgericht wich in seiner Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten von der landgerichtlichen Bewertung insoweit ab, als es feststellte, dass es sich bei dem Handeln des Angeklagten um aktives Tun und nicht, wie es das Landgericht gemeint hatte, um ein Unterlassen gehandelt habe. Das Revisionsgericht sah in der Anordnung des Schlachtens auf einer für die Betäubungsanordnung unzureichenden Anlage ein aktives Tun, weshalb der Angeklagte die „rohe und quälerische“ Schlachtung angeordnet hatte, ohne entweder die ungeeignete Anlage durch eine geeignete zu ersetzen oder aber die Schlachtung einzustellen. Diese Verschärfung des mit dieser Bewertung verbundenen Schuldspruches wirkte sich wegen des Verschlechterungsverbots nicht auf die Höhe der Strafe aus. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt hätte.

Das Gericht stellte noch fest, dass sowohl der Verwaltungsrat als auch das Veterinäramt für die ihnen bekannten strafrechtlichen Zustände im Schlachthof mitverantwortlich gewesen seien, wobei der damalige Bürgermeister der Stadt als Miteigentümer des Schlachthofs und oberster Dienstherr des Veterinäramtes sich im Ergebnis selbst kontrolliert habe.  Diese Mitverantwortung entlaste den Angeklagten jedoch nicht.

Fazit

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Gefühllosigkeit die hier handelnden Personen, die Zustände in dem Schlachthof gebilligt hatten. Mit der letzten Feststellung des Revisionsgerichts steht fest, dass die Zustände im Schlachthof einer größeren Gruppe von Entscheidern bekannt waren. Weshalb hier offensichtlich ein Klima des Ignorierens und Wegschauens geschaffen worden war.

Bis zum Jahr 1990 wurden Tiere unter § 90 BGB – Sachen subsummiert. Erst ab dem 20.08.1990 (Bundesgesetzblatt Bd. 1, 1762) wurde der Stellung der Tiere gegenüber Sachen Rechnung getragen. Zweck der Änderung war, der gesellschaftlichen Stellung der Tiere als schmerzempfindlichen Wesen Rechnung zu tragen. Hierbei ging der Gesetzgeber davon aus, dass es sich bei Tieren um „Mitgeschöpfe“ handele. Hier kommt die christlich geprägte Werteordnung auf der Grundlage der Schöpfungslehre zum Tragen. Angesichts der sozialen Bedeutung der Tiere im gesellschaftlichen Leben, sollte die Akzeptanz des fühlenden, schmerzempfindenden Lebewesens auch unabhängig von dem christlichen Fundament beachtet werden.

Keine Genehmigung für Gesichtsschleier

Ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.05.2021, Az: 8 B 1967/20, soll hier vorgestellt werden.

Sachverhalt

Nach der Straßenverkehrsordnung darf der Kraftfahrzeugführer sein Gesicht nicht bis zur Unkenntlichkeit verhüllen.

  • 23 Abs. 4 StVO lautet: „Wer ein Kraftfahrzeug führt darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist.“

Eine Ausnahme gilt lediglich für Motorräder und ähnliche Fahrzeug, bei denen eine Helmpflicht besteht.

Von dieser Verpflichtung kann nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO die zuständigen obersten Landesbehörden oder sonstige nach Landesrecht bestimmte Stellen von allen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller genehmigen. Daher sind Ausnahmegenehmigungen von dem Verhüllungsverbot nach § 23 Abs. 4 StVO möglich. Eine Dame muslimischen Glaubens stellte bei der Bezirksregierung Düsseldorf einen Antrag auf Entbindung von dem Verhüllungsverbot, was die Bezirksregierung Düsseldorf ablehnte.

Entscheidung

Ein Eilantrag, der muslimischen Glaubensangehörigen beim Verwaltungsgericht blieb erfolglos. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde wurde vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verbot der Gesichtsverhüllung. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung steht im Ermessen der Behörde. Der hier in Rede stehenden  Religionsfreiheit der Antragstellerin steht die Sicherheit des Straßenverkehrs gegenüber. Es handelt sich dabei um einen Gemeinschaftswert von Verfassungsrang. Zweck des Verhüllungs- und Verdeckungsverbots ist die Sicherstellung der Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen. Hierdurch soll die Möglichkeit eröffnet werden die jeweiligen Fahrer bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Damit soll der Schutz der hochrangigen Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer gesichert werden.

Das Gericht war der Auffassung, dass das Gesichtsverhüllungs- und Verdeckungsverbot nur mittelbar in die Religionsfreiheit eingreife und deshalb ein Vorrang der Religionsfreiheit nicht in Betracht komme. Außerdem sei dieses Verhüllungsverbot auf einen begrenzten Zeitraum beschränkt, nämlich in dem Zeitraum, in dem die Antragstellerin ein Fahrzeug führen möchte.

Weitere, einzelfallbezogene Gründe, die zwingend eine Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung erfordern, waren nicht glaubhaft gemacht worden.

Fazit

Der Entscheidung der Behörde, die das Gericht zu prüfen hatte, lag ein Ermessen zugrunde. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hätte sich nur dann ergeben können, wenn dieses Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden wäre, d.h. sogenannte sachfremde Erwägungen bei der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt hätten. Ansonsten hätte bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung sich der Ermessensspielraum auf Null reduzieren müssen, um einen Anspruch der Antragstellerin zu begründen. Beides lag hier nicht vor.

Diese Entscheidung ist nicht überraschend. Gerichte hatten sich schon häufiger mit dem Bedürfnis einer Vollverschleierung von muslimischen Autofahrerinnen auseinander zu setzen. Das individuelle Bedürfnis, sich aus religiösen Gründen zu verschleiern, muss stets hinter dem öffentlich-rechtlichen Sicherheitsinteresse der anderen Verkehrsteilnehmer zurücktreten.

Eine vergleichbare Entscheidung hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit Beschluss vom 08.01.2021, Az: 14 L 1537/20, entschieden. Hier wurde noch vom Gericht auf die Notwendigkeit hingewiesen, mit anderen Verkehrsteilnehmern non-verbal zu kommunizieren und den Fahrzeugführer anhand des Gesichts erkennen zu können. Die Gewissheit, sich im Straßenverkehr nicht unerkannt bewegen zu können, wirke präventiv gegen Verkehrsverstöße und steigere dadurch die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs und diene folglich dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer.