Urteile in Kürze: Liebesverhältnis Aufseherin/Gefängnisinsasse u. a.
von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau
Liebesverhältnis: Gefängnisinsasse/Aufseherin
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.06.2020, Az: 3a 11024/19 hatte einen Fall zu entscheiden, der gar nicht so selten zu sein scheint, weil ich im Rahmen einer Strafverteidigung schon über das gleiche Problem gestolpert bin.
Sachverhalt
Bei einer Postkontrolle in einer JVA wurden zahlreiche Briefe gefunden, aus denen sich ergab, dass eine Justizvollzugsbeamtin mit einem der damaligen Gefangenen Briefe ausgetauscht hatte. Darüber hinaus hatte sie ihm mehrere Nacktfotos von sich selbst überlassen. Aus den Briefen ergab sich, dass sie über mehrere Monate eine Liebesbeziehung zu dem Gefangenen unterhalten hatte.
Der Dienstherr, also das Land Rheinland-Pfalz, klagte vor der zuständigen Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Trier. Dieses Gericht ist landesweit zuständig. Das Verwaltungsgericht entfernte die Justizvollzugsbeamtin aus dem Dienst, weil sie gegen das als Kernpflicht von Bediensteten im Strafvollzug ausgestaltete Zurückhaltungsgebot (Distanzgebot) verstoßen habe. Das Gericht begründete die Entscheidung mit der Liebesbeziehung zu dem Gefangenen, wobei sie unter Verschleierung der wahren Identität einen umfangreichen Briefverkehr gepflegt hatte. In diesem Briefverkehr wurden unter anderem sexuelle Vorlieben offenbart und Phantasien formuliert, sowie eine gemeinsame Zukunft ins Auge gefasst. Darüber hinaus habe die Beamtin Nacktfotos überlassen und ein Armband sowie ein T-Shirt des Gefangenen unerlaubt mit nach Hause genommen. In diesen Verhaltensweisen sah das Gericht ein schweres Dienstvergehen, und wertete dieses Verhalten insgesamt als untragbar für den öffentlichen Dienst. Darüber hinaus ist eine Offenbarung der Beziehung des Briefkontakts gegenüber der Anstaltsleitung nicht erfolgt. Sie habe aus eigensinnigen Motiven verantwortungslos eine Gefährdungslage für den Strafvollzug geschaffen und dabei alle Kollegen schwer hintergangen, was einer Vertrauensbasis sowohl aus Sicht des Dienstherrn als auch aus Sicht der Allgemeinheit die Grundlage entziehe. In der Überlassung der Nacktaufnahmen sah das Gericht die Grundlage für eine erhebliche Erpressbarkeit. Weiter stellte das Gericht fest, dass sie auch nach der Verlegung des Gefangenen und nach Einleitung des Disziplinarverfahrens über Dritte versucht habe, ihr distanzloses Verhalten zum Gefangenen aufrechtzuerhalten. Des Weiteren habe die Beklagte sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als völlig uneinsichtig, insbesondere hinsichtlich des Umstands ihrer Erpressbarkeit gezeigt. Das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Dienstverrichtung in der Zukunft sei deshalb nachhaltig gestört.
Entscheidung
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts legte die Beklagte Berufung ein. Sie bestritt, eine sexuelle oder sonstige intime Beziehung zum Gefangenen gehabt zu haben. Des Weiteren berief sie sich darauf, dass sie im Jahr 2016 wegen einer akuten Belastungsreaktion und Anpassungsstörung in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Das Oberverwaltungsgericht führte eine Beweisaufnahme durch, bei der die aufgefundenen Briefe verlesen wurde und der Gefangene als Zeuge vernommen und die Beamtin angehört worden war. Danach wies es die Berufung zurück.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Justizvollzugsbeamtin eine sexuelle bzw. Liebesbeziehung zum Gefangenen über mehrere Monate eingegangen und aufrechterhalten habe. Die Angaben des Gefangenen und der Beamtin selbst erschienen dem Gericht als nicht glaubhaft. Daher teile das Gericht die Rechtsauffassung der Vorinstanz, dass die Beamtin ein schweres Dienstvergehen begangen habe, weshalb ihre Entfernung aus dem Dienst erforderlich sei.
Das Gericht nahm die Einlassung der Beamtin, dass sie wegen einer akuten Belastungsreaktion und einer Anpassungsstörung in ärztlicher Behandlung gewesen sei, auf, stellte jedoch fest, dass es keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine verminderte Steuerungsfähigkeit der Beamtin gäbe.
Fazit
Es ist nicht ungewöhnlich, dass nach jahrelangem Kontakt zwischen Gefangenen und Aufseher, sich ein persönliches Vertrauensverhältnis bildet, was zur Natur menschlichen Beisammenseins gehört. Hiervon ist eine intime Beziehung zu unterscheiden, die über ein bloßes Vertrauensverhältnis hinausgeht, und, was hier offensichtlich besonders schwer gewogen hat, vor den Kollegen verheimlicht wird. Damit hatte der Gefangene und die Beamtin ein gemeinsames „Geheimnis“, das sie außerhalb der Kollegenschaft stellte und mit ihren Dienstpflichten nicht vereinbar ist.
Ich hatte einen ähnlichen Fall, bei dem die Justizbeamtin glaubte, sie könne einen Drogenabhängigen mit Zuwendung und Liebe zu einer Abstinenz bewegen. Es stellte sich später heraus, dass sie schon im Gefängnis eine Liebesbeziehung zu ihm angefangen hatte. Deshalb wurde sie entlassen. Ich lernte sie und ihren Freund dadurch kennen, dass sie sich seiner Drogensucht angeschlossen hatte und er wegen eines Tötungsdeliktes im Rahmen einer Beschaffungskriminalität vertreten werden musste. Die vom Gericht formulierten Anforderungen an das Verhalten haben daher einen ganz realen Hintergrund, weshalb diese Maßstäbe meines Erachtens nach zu Recht angelegt werden.
Seltsam ist in diesem Fall lediglich, dass die Beamtin nach alledem uneinsichtig blieb.
Rückforderung der verschenkten Wohnung
Für den Fall, dass ein Elternteil eine Immobilie oder Wohnung dem zukünftigen Erben oder Enkel schenkt, sich aber das Wohnrecht auf Lebenszeit vorbehält, handelte es sich bisher hierbei um eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB, da die Immobilie aus dem Vermögen des Schenkers entnommen und in das Vermögen des Beschenkten übergeführt wird, ohne dass hierfür eine Gegenleistung erfolgt. Wenn sich beide Teile über die Unentgeltlichkeit der Übertragung einig sind, so handelt es sich hierbei um eine Schenkung.
Üblicherweise behält sich der Schenker das Wohnrecht in diesem Objekt vor, dessen Wert aber deutlich geringer ist als das verschenkte Objekt, weshalb es als Entgelt für die Überlassung nicht angesehen werden kann. Wird nun der Schenker zum Pflegefall, so genügen die Einkünfte des Schenkers häufig nicht, um die Kosten der Pflegeeinrichtung zu finanzieren, so dass der Staat einspringen muss. Mit der Leistung des Staates tritt er in die Rechtsstellung des Schenkers und kann dessen Ansprüche gegenüber anderen Verpflichteten geltend machen. Hier ist der § 528 BGB zu nennen, wonach der Schenker einen Anspruch darauf hat, die Rückübertragung des Geschenks zu verlangen, wenn er selbst nicht in der Lage ist, seinen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Da hier der Staat für die Finanzierung der Pflegeeinrichtung einen Zuschuss gewähren muss, ist die Situation des § 528 BGB gegeben. Daher wird in solchen Fällen häufig die Rückübertragung der geschenkten Immobilie verlangt, wenn nicht der Beschenkte die nicht gedeckten Kosten des Pflegeheims übernimmt.
Nun hatte der BGH einen Fall zu entscheiden, der dem Grunde nach etwas komplizierter als der oben genannte typische Sachverhalt war. (Beschluss vom 20.02.2019, Az: XII ZB 364/18)
Sachverhalt
Eine pflegebedürftige Frau hatte im März 2017 bis zum ihrem Tod im Dezember 2017 vollstationär in einem Altersheim gelebt. Der Sozialhilfeträger hatte in dieser Zeit Sozialhilfeleistungen erbracht. Er beanspruchte nunmehr vom Sohn der Verstorbenen Elternunterhalt bzw. Ersatz der Kosten, die der Sozialhilfeträger für die Mutter bis zu deren Tod aufgebracht hatte. Nun lebte der Sohn in einer Eigentumswohnung, die er vorher seiner Tochter geschenkt hatte. In dieser Wohnung wohnte er und hatte sich bei der Schenkung ein lebenslanges Nießbrauchrecht vorbehalten. Der Soziallhilfeträger verlangte nun vom Sohn, dass er nach § 528 Abs. 1 BGB diese Wohnung zum Zwecke der Unterhaltsleistungen von seiner Tochter zurückfordern solle, um die Wohnung für die Unterhaltszahlungen einsetzen zu können.
Sowohl das Amtsgericht Unna als auch das Oberlandesgericht Hamm hatten die Pflicht zur Rückforderung der Eigentumswohnung verneint. Der Unterhaltsverpflichtete müsse nicht seine verschenkte und selbstbewohnte Immobilie zum Zweck der Unterhaltsleistung verwerten. Gegen diese Entscheidung legte der Sozialhilfeträger Rechtsbeschwerde ein.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Rechtsbeschwerde des Sozialhilfeträgers zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen. Er bestätigte in dieser Entscheidung, dass die Rückforderung eines Geschenkes nach § 528 Abs. 1 BGB grundsätzlich zum einzusetzenden Vermögen gehöre, jedoch sei infolge der Schenkung das vom Unterhaltspflichtigen einzusetzende Vermögen nicht verringert worden. Das bedeutet, dass der Unterhaltspflichtige die Wohnung auch dann nicht hätte unterhaltsrechtlich einsetzen und verwerten müssen, wenn er die Wohnung nicht verschenkt hätte. Da die selbstgenutzte eigene Wohnung zum Unterhalt nicht eingesetzt werden muss, kann nichts anderes gelten, wenn diese Wohnung verschenkt wurde.
Fazit
Mit diesem Rechtsstreit hatte sich der Sozialhilfeträger offensichtlich ausschließlich am Wortlaut des Gesetzes (§ 528 BGB) orientiert, ohne weiter nachzudenken. Voraussetzung für die Anwendung ist natürlich, dass der Schenker selbst verarmt sein muss, um sein Geschenk zurück verlangen zu können. Für die Möglichkeit der Geltendmachung dieses Rechts gibt es eine Verjährungsfrist von 10 Jahren nach der Schenkung.
Grenzen des Akteneinsichtsanspruchs der Eltern in die Daten des Jugendamtes
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 27.04.2020, Az: 12 S 579/20 eine Entscheidung getroffen, die Klarheit in das Spannungsverhältnis zwischen Eltern und Kindesinteressen gebracht hat.
Sachverhalt
Ein Kindesvater hatte Akteneinsicht in die Akte des Jugendamtes betreffend seiner Tochter beantragt. Der Grund dieses Antrags war, dass das Jugendamt eine Kindeswohlgefährdung festgestellt hatte. Der Kindesvater wollte nun wissen, auf welcher Grundlage diese Feststellung erfolgt war. Der Antrag des Vaters wurde von der Behörde abgelehnt, worauf der Vater einen Antrag beim Verwaltungsgericht stellte und sich auf sein Elternrecht stützte. Die Mutter des Kindes, sowie das Kind selbst, lehnten eine Einsichtnahme durch den Vater ab. Das Verwaltungsgericht Freiburg wies den Antrag des Vaters zurück und ließ eine Berufung hiergegen nicht zu.
Daraufhin stellte der Kindesvater den Antrag auf Zulassung der Berufung.
Entscheidung
Der Anspruch, auf den sich der Kindesvater stützte, ergibt sich aus § 25 Abs. 1 SGB X. Danach haben die Behörden die Pflicht, den Beteiligten Einsicht in das Verfahren betreffende Akten zu gestatten, soweit dies zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen erforderlich ist. Dieses Recht stehe dem Kindesvater nicht zu, da der Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII den Anspruch auf Akteneinsicht verdrängen würde. Das Gericht stellte dabei auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Kind und dem Mitarbeiter des Jugendamtes. Dieser Schutz würde nicht erreicht werden, wenn ein Kindesvater unter Verweis auf sein Elternrecht und das sich darauf ergebende allgemeine Informationsrecht ohne Einwilligung des Kindes Einsicht in die Daten nehmen könnte.
Fazit
Das Akteneinsichtsrecht aus § 25 SGB X ist auch bereits durch Abs. 3 desselben Paragraphen eingeschränkt, weil hier die Behörde die berechtigten Interessen der anderen Beteiligten oder dritter Personen wahren muss und bei einer Gefährdung dieser Interessen zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet ist.
Tatsächlich sind die Akten des Jugendamtes im Einzelfall sehr heikel, weil häufig Familiengeheimnisse niedergelegt sind, die, wenn sie einmal erledigt sind, innerhalb der Familie nicht mehr thematisiert werden. So hat beispielsweise ein mir bekannter Sozialpädagoge während seines Anerkennungsjahres im Jugendamt seiner Heimatstadt gearbeitet und dort seine eigene Jugendamtsakte gezogen. Aus dieser Lektüre konnte er dann entnehmen, was für ihn neu war, dass seine Mutter ursprünglich als Prostituierte gearbeitet hatte und er das leibliche Kind eines Freiers gewesen war. Der Mann, der ihn mit aufgezogen hatte, hatte ihn als Säugling adoptiert. Dies alles war ihm nicht bekannt und führte zu intensivsten Klärungsgesprächen innerhalb der Familie.