Urteile in Kürze: Masern-Schutzimpfung, Pkw-Einbruch, Auskunftsanspruch

von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau[i]

1. Kein Besuch der Kindertagesstätte ohne Schutzimpfung

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat in einem Beschluss vom 9.10.2020 (Az: 10 Me 207/20) über einen Eilantrag der Eltern eines dreijährigen Kindes entschieden.

Sachverhalt

Eine Kindertagesstätte weigerte sich im Jahr 2020 ein dreijähriges Kind aufzunehmen, das nicht gegen Masern geimpft war. Im Vorfeld war dem Kind ein Kindergartenplatz in der KiTa zugewiesen worden. Die Aufnahmeverweigerung beschränkte sich daher lediglich auf die fehlende Impfung. Das Kind beantragte, vertreten durch die Eltern, beim Verwaltungsgericht Oldenburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dieser war gerichtet auf Zugang zur Kindertagesstätte ohne Masern-Schutzimpfung. Dieser Eilantrag hatte keinen Erfolg. Gegen die ablehnende Entscheidung des Gerichts legten die Eltern Beschwerde ein.

Entscheidung

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg wies den Antrag der Eltern ab und bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Zur Begründung wurde argumentiert, dass das Kind ohne den gemäß § 20 Abs. 8 und 9 des Infektionsschutzgesetzes erforderlichen Nachweis eines ausreichenden Impfschutzes gegen Masern keinen Zugang zur KiTa erhalte. Es sei erforderlich, einen medizinischen Nachweis der Immunität gegen Masern oder einer medizinischen Kontraindikation gegen die Masern-Schutzimpfung vorzulegen.

Die Eltern hatten in dieser Nachweispflicht eine evidente Verfassungswidrigkeit gesehen. Diesem Argument folgte das OVG Lüneburg nicht. Hierbei muss festgestellt werden, dass die Prüfung auf offensichtliche, ins Auge fallende Verfassungsverstöße beschränkt war, da es sich um ein Eilverfahren handelte. Hierbei wog das Gericht das Interesse des Kindes auf Betreuung mit dem Schutz der Gesundheit der anderen Kinder und dem Schutz vor Weiterverbreitung der gefährlichen Masernerkrankung ab. Das Gericht war der Auffassung, dass das Betreuungsinteresse des Kindes hinter dem Gesundheitsschutz zurückstehen müsse. Dieser überwiege, nach Auffassung des Gerichts, klar.

Fazit

Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar lediglich um eine Eilentscheidung, in der eine materiell-rechtlich kursorische Prüfung erfolgt. Gerade bei der Güterabwägung wird man angesichts der gravierenden Auswirkungen einer Erkrankung erwarten dürfen, dass sie immer zu Gunsten der Gesundheit der anderen Kinder erfolgen wird. Dem gegenüber steht die Angst der Eltern des Kindes, dass eine Impfung ungesund ist bzw. Nebenwirkungen habe, vor die Eltern ihr Kind schützen wollen. Dieses Risiko ist im Vergleich zu einer Masernerkrankung als äußerst gering anzusehen, da das Risiko der Ansteckung ohne Impfung mögliche Nebenwirkung keine wirklich gründliche mit der augenscheinliche Verfassungsverstöße beschränkt war.

Der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgericht hatte in einem Beschluss vom 20.8.2020 (Az: 3 B 233/20) bereits entschieden, dass Eltern, die ihr Kind vorher in einer Kindertagespflege (Tagesmutter) zur Betreuung hatten, vor der Aufnahme in einer gemeindliche KiTa den Nachweis eines ausreichenden Impfschutzes oder einen Nachweis über die Immunität gegen Masern zu führen hätten. In diesem Zusammenhang stellte das Oberverwaltungsgericht darauf ab, dass eine Ausnahme nach dem Infektionsschutzgesetz nur für solche Personen vorgesehen sei, die vor dem 1.3.2020 bereits in einer Gemeinschaftseinrichtung betreut oder dort tätig sind und dort bis zum 31.7.2020 verblieben. Die Systematik der Regelung des Infektionsschutzgesetzes sowie der maßgebliche Sinn und Zweck zeige, dass der Gesetzgeber habe erreichen wollen, dass ein Schutz gegen die Ansteckung mit Masern, einer Krankheit, die schwer verlaufen und Komplikationen und Folgeerkrankungen nach sich ziehen könne, und deshalb nicht harmlos sei, möglichst frühzeitig erreicht werden solle. Von einem solchen Gemeinschaftsschutz würden besonders Personen profitieren, die wegen ihrer gesundheitlichen Verfassung keine Impfung in Anspruch nehmen könnten.

Es kann nach diesen Entscheidungen als gesichert angenommen werden, dass ein Impfgegner sich zwar nicht selbst oder sein Kind unbedingt impfen lassen muss, er aber mit der Konsequenz leben muss, dann sein Kind auch nicht in einer öffentlichen Einrichtung betreuen lassen zu können.

2. Pkw-„Einbruch“ durch Funksignal

Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 20.10.2020 (Az: 274 C 7752/19) eine Entscheidung getroffen, die eine Überarbeitung der Versicherungsbedingungen von Hausratversicherungen nahelegt.

Sachverhalt

Der Kläger, ein Pilot, stellte sein Fahrzeug im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main ab und verließ das Fahrzeug für lediglich 5 Minuten. Als er wieder zurückkam, hatte ein Unbekannter seinen Reise- und einen Pilotenkoffer entwendet. An dem Pkw befanden sich keine Aufbruchsspuren. Der Kläger verständigte unmittelbar die Polizei und erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt. Teile der gestohlenen Sachen, wie Uniform, Ausweisdokumente und Pilotenlizenz, wurden in einer Mülltonne in unmittelbarer Tatortnähe gefunden und von der Polizei dem Geschädigten ausgehändigt. Das Verfahren wurde eingestellt, da kein Täter ermittelt werden konnte. Teile der gestohlenen Gegenstände, die seinem Arbeitgeber gehört hatten, wie Pilotenkoffer und Uniform, wurden von dem Arbeitgeber ersetzt.

Der Geschädigte nahm seine Hausratversicherung in Anspruch, die eine Zahlung verweigerte. In den Versicherungsbedingungen ist folgende Klausel enthalten: „Entschädigt werden auch versicherte Sachen, die (….) durch Aufbrechen eines verschlossenen Fahrzeugs (…) entwendet werden.“ Der geschädigte Kläger erklärte, dass er seinen Pkw sicher verschlossen habe. Der Pkw konnte mittels einem Keyless-Go-System über Funk ver- und entriegelt werden, weshalb der Täter durch einen sogenannte „relay attack“ das Fahrzeug entriegelt hat. Hierzu wurde dieses Keyless-Go-System unbefugt mit einem Funksignal überwunden. Die Auffassung der Beklagten bezog sich auf die Klausel des Vertrages, wonach das „Aufbrechen“ des Fahrzeugs erforderlich sei. Hieran fehle es, weil der Begriff des „Aufbrechens“ nicht gleichzusetzen sei mit jeder unbefugten Öffnung des Fahrzeugs. Daher bestehe keine Einstandspflicht.

Entscheidung

Das Amtsgericht München begründete das Urteil unter anderem mit der Formulierung: „Das vom Kläger vermutete unbefugte Öffnen des Pkws per Funksignal fällt nicht unter die Versicherungsbedingungen der Beklagten.“  Der Wortlaut des Begriffs „Aufbrechen“ ist nach Auffassung des Gerichts eindeutig. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch (und auch der Definition des Dudens) umfasst ein entsprechendes Vorgehen die Anwendung von Gewalt. Auch wenn nach Auffassung des Gerichts nicht zwangsläufig eine Beschädigung der Sache erforderlich ist, fällt unter „Aufbrechen“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sicher nicht jedes unbefugte Öffnen mittels Verstärkung eines Funksignals oder Verwendung eines „falschen“ Funksignals.

Das Gericht wendete sich insbesondere auch gegen die Vorstellung, dass nicht versicherte Risiken durch Auslegung entgegen eines eindeutigen Wortlauts in einen Vertrag hineingelesen werden könnten. Dabei bezog sich das Gericht auf die Kosten- und Risikokalkulation der Beklagten, die den Versicherungsumfang und den damit zu erwartenden Risiken für die Kosten- und Risikoeinschätzung kalkulierbar sein müssten.

Das Gericht beschäftigte sich auch mit der versicherungspolitischen Seite dieser Sachverhalte. Es stellte dabei auf die Nachprüfbarkeit durch die Beklagte ab, die eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle sachdienlich erscheinen lassen. Bei versichertem,  gewaltsamem Aufbrechen dürfte in der Regel Spuren zurückbleiben. Diese können dann natürlich ausgewertet werden. Bei der elektronischen Überwindung per Funksignal kann eine Abgrenzung zum schlichten Vergessen des Absperrens, ggf. durch den Versicherungsnehmer, nur deutlich unsicherer anhand von Angaben des Versicherungsnehmers und ggf. Zeugen erfolgen. Dies wäre für die beklagte Versicherung kaum nachprüfbar, weshalb nach Auffassung des Gerichts eine nicht unerhebliche Missbrauchsgefahr bestünde.

Fazit

Da in den meisten Versicherungsbedingungen die Möglichkeit einer Überwindung der Fahrzeugsicherung durch Funksignal nicht vorgesehen ist, kann man davon ausgehen, dass diese Form des unbefugten Öffnens eines Fahrzeugs, ohne jegliche Gewaltanwendung, regelmäßig nicht von der Hausratversicherung abgedeckt ist. Daher könnte es eine Überlegung wert sein, aus versicherungstechnischen Gründen zum guten alten Schlüssel zu greifen.

 

3. Auskunftsanspruch gegenüber dem Bundeskanzleramt

Das Verwaltungsgericht Berlin (VG) hat mit Urteil vom 13.11.2020 (Az: 27 K 34.17) einen Sachverhalt geregelt, der normalerweise nicht besonders im Fokus der Öffentlichkeit steht.

Sachverhalt

Der Kläger, Journalist einer Tageszeitung, verlangte vom Bundeskanzleramt Auskunft darüber, welche Hintergrundgespräche unter Beteiligung des Bundeskanzleramtes im Jahr 2016 stattgefunden haben. Der Kläger erfragte Datum, Veranstaltungsort, Teilnehmer und Themen sowie Informationsinhalte der Hintergrundgespräche. Des Weiteren begehrte er zu wissen, ob die Bundeskanzlerin im Jahr 2016 an diesen Gesprächen teilgenommen hat.

Nachdem ihm die Auskunft hierüber verweigert wurde, erhob er Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Das VG war der Auffassung, dass der Kläger die begehrten Informationen auf Grundlage des aus Art. 5 GG folgenden presserechtlichen Auskunftsanspruchs verlangen könne und hat deshalb der Klage stattgegeben. Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass der Auskunftserteilung schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen bzw. privater entgegenstünden. Insbesondere sei Vertraulichkeit dieser Informationen vereinbart worden. Hieraus folgerte das beklagte Bundeskanzleramt, dass ein Auskunftsanspruch nicht bestehe.

Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass diese an sich wohl schutzwürdigen Interessen einem Auskunftsanspruch nicht entgegenstünde. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass die Informationen bei der Beklagten auch vorhanden seien. Insbesondere stellte es fest, dass zum Informationsbestand einer Behörde auch das nicht-verschriftliche Wissen von Mitarbeitern gehöre. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand sei nicht unverhältnismäßig.

Das Verwaltungsgericht war weiter der Auffassung, dass die Fragestellung von grundsätzlicher Bedeutung sei und hatte deshalb die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen. Ob hier Rechtmittel eingelegt werden, ist nicht bekannt.

Fazit

Hintergrundgespräche sind Gespräche zwischen Vertretern eines Amtes und Journalisten über die zwischen den Teilnehmern Vertraulichkeit zugesichert wird. In derartigen Hintergrundgesprächen wird nicht innerhalb der Presse öffentlich eingeladen, sondern diese Einladung ergeht nur gegenüber ausgewählten Journalisten. Zu diesen Journalisten hatte der Kläger offensichtlich nicht gehört. Das Thema ist nicht neu. Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Urteil vom 18.9.2019 ( Az: 6 A 7.18) den Bundesnachrichtendienst verpflichtet, einem Journalisten Auskunft über Themen und Teilnehmer von Hintergrundgesprächen zu geben

Im Einzelfall muss immer geprüft werden, ob mit der Auskunftserteilung schutzwürdige Interessen der Behörde berührt werden, die einer Auskunftserteilung entgegenstehen können. Diese müssten aber dargelegt und ausführlich begründet werden. Nur dann kann die Auskunft verweigert werden.

Diese Hintergrundgespräche verschaffen den eingeladenen Journalisten einen Wissensvorsprung gegenüber ihren nicht-eingeladenen Kollegen, der dazu führt, dass die Berichterstattung und die Kommentare kenntnisreicher und wegen der Hintergrundinformationen informativer sind als die der Kollegen, die in solchen Gesprächen außen vorbleiben. Auch die Tatsache, dass über die Einzelheiten Vertraulichkeit vereinbart wird, führt immer noch dazu, dass die Bewertung von öffentlichen Tatsachen, die durch Journalisten verbreitet werden, einer anderen Wertung und Betrachtung unterliegen, wenn der jeweilige Journalist Hintergrundwissen hat, dass er zwar nicht preisgibt, aber ihm eine vertiefte Betrachtungsweise ermöglicht

[i] Unser Autor Ernst Böttcher begann seinen beruflichen Werdegang  als Kriminalbeamter  bei der Kriminalpolizei Frankfurt am Main, bevor er Jura studierte und später Rechtsanwalt wurde. Seit vielen Jahren berät er den Vorstand der hessischen Verkehrswacht und ist jetzt unter anderem als Strafverteidiger und Mediator tätig.