Urteile in Kürze: Rechtsmissbräuchliches Verhalten, Quarantäneanordnung u. a.

von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau[1]

Rechtsmissbräuchliches Verhalten des Bevollmächtigten

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in einem Urteil vom 24.11.2020 mehrere gleichgelagerte Verfahren entschieden (Az: 10 C 12.19, 10 C 13.19, 10 C 14.19 und 10 C 15.19).

Sachverhalt

Die Prozessbevollmächtigten der Kläger stellten im Jahr 2015 beim Bundesministerium der Finanzen und bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für mehr als 500 geschädigte Anleger der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig West AG gleichlautende Anträge auf Informationen über die Wohnungsbaugesellschaft. Diese Anträge wurden vom Bundesministerium zum überwiegenden Teil abgelehnt. Die in sämtlichen Fällen erhoben Klagen vor dem Verwaltungsgericht wurden entweder zurückgenommen oder blieben ohne Erfolg, wobei die Abweisung wegen rechtsmissbräuchlicher Klageerhebung erfolgte.

Einige Kläger legten gegen die Entscheidung Berufung ein. Diese Berufung wurde vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Die massenweisen Einzelantragsstellungen und anschließende Klageerhebungen seien mit dem Informationszugangsanspruch nicht zu begründen, weil dem der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstünde. Den Prozessbevollmächtigten sei es allein darum gegangen, für sich selbst möglichst weitgehende Gebührenansprüche zu generieren.

Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht, das die Revision der Kläger zu bearbeiten hatte, folgte den Entscheidungen der Vorinstanzen nicht. Es stellte fest, dass das Informationsbegehren der Kläger nicht deshalb rechtsmissbräuchlich sei, weil die Prozessbevollmächtigten sich möglicherweise rechtsmissbräuchlich verhalten hätte. Das könne erst dann angenommen werden, wenn positiv festgestellt würde, wenn es einem Antragsteller selbst nicht um die begehrte Information gegangen war, sondern nur um die Gebührenansprüche seiner Bevollmächtigten. Da derartige Feststellungen fehlen, sei davon auszugehen, dass das Informationsinteresse der vertretenen Antragsteller bestand und auch während des Rechtsstreits fortbestehe. Das Verhalten der Prozessbevollmächtigten außerhalb des eigenen Mandats sei einem Antragsteller nicht zuzurechnen.

Eine eigene Sachentscheidung hatte der Senat nicht vorgenommen, weil ihm hierzu die Tatsachen fehlten. Die Angelegenheit wurde an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Fazit

Die grundsätzliche Frage in dieser Angelegenheit ist, ob ein Anwalt die Kenntnis über einen Dritten, die er aus einem Mandat erhält, auf ein anderes Mandat übertragen kann. Im vorliegenden Fall waren offensichtlich 500 gleichartige Mandate zu bearbeiten. Jedes einzelne Mandat hatte zur Voraussetzung, dass der Anwalt von einem Dritten eine Information einholte. Die Informationseinholung außerhalb bzw. vor Beginn eines gerichtlichen Verfahrens gehört zu einer außergerichtlichen Tätigkeit, die nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gesondert honoriert wird. Für den Fall der Klageerhebung sind die Hälfte der, durch die außergerichtliche Tätigkeit, angefallenen Gebühren auf das gerichtliche Verfahren anzurechnen. Wenn daher 500 Anfragen gleichartiger Art für verschiedene Antragsteller gefertigt werden, so ist dies aus jedem einzelnen Mandat gerechtfertigt. Die Frage ist, ob diese Rechtfertigung entfällt, wenn dem Anwalt die Antwort des Dritten bereits aus anderen Verfahren bekannt ist.

Dem steht entgegen, dass der Anwalt hinsichtlich eines Mandanten zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet ist. Diese Verschwiegenheitspflicht geht soweit, dass er nicht offenbaren darf, dass er weitere Mandanten mit gleichartigen Ansprüchen vertritt. Selbst wenn man nun unterstellt, dass sich die Mandanten mit den gleichartigen Ansprüchen untereinander kennen, weil sie in einem Haus wohnen und sich sogar möglicherweise dahingehend abgesprochen haben, dass sie ein bestimmtes Anwaltsbüro aufsuchen, so können diese Personen nicht gemeinsam vertreten werden, weil jeder der betroffenen Gemeinschaftsmitglieder seinen eigenen Anspruch verfolgt.

Das würde in der Praxis bedeuten, dass sich der Anwalt einen oder zwei Antragsteller aussucht, hier den Auskunftsantrag stellt, um anschließend die erhaltenen Auskünfte für alle anderen Antragsteller auch zu verwerten. Dies hat den Nachteil, dass die außergerichtlichen Kosten nur bei dem Antragsteller entstehen, in dessen Namen die Auskunft verlangt wird. Alle anderen Antragsteller profitieren von dieser Auskunft, ohne dass sie an den entstandenen Kosten beteiligt werden.

Mangels näherer Information kann ich nicht beurteilen, ob die Auskunftsansprüche individualisiert werden können oder nicht. Das bedeutet, dass im Falle einer Klage auf eine Auskunft der Gegenseite Bezug genommen wird. Wenn diese Auskunft nun nicht gegenüber dem vertretenen Mandanten, sondern gegenüber einem Dritten gegeben wurde, so besteht zumindest theoretisch die Frage, ob ich diese Auskunft im vorliegenden Verfahren verwerten kann. Dies kommt darauf an, welcher Art diese Information ist.

Zum Vergleich muss man feststellen, dass diese Problematik nicht auftauchen würde, wenn sich die Antragsteller 500 verschiedene Anwälte genommen hätten.

Hierbei handelt es sich sicherlich um einen Extremfall, jedoch ist es nicht so selten, dass ein Anwalt Kenntnis über einen Gegner erhält und diese Kenntnis auch in einem anderen Verfahren verwerten kann. Sollte diese Kenntnis einem Auskunftsanspruch entsprechen, den der Mandant hat, so muss der Anwalt die Auskunft einholen, auch dann, wenn er ziemlich sicher ist, wie die Auskunft ausfallen wird. Dies gehört zu den Sorgfaltspflichten des Anwalts.

Selbsthilfe gegenüber Ferienwohngästen

Einen Fall des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin, der mit Urteil vom 12.10.2020 (Az: VG 1 K 107.19) entschieden wurde, soll hier dargestellt werden.

Sachverhalt

Der Kläger, Eigentümer einer Ferienwohnung vermietete diese in Berlin an zwei Feriengäste. Im Juli 2018 verlangte er von der Polizei die Durchsetzung seines Hausrechts. Die Polizei sollte die Mieter aus der Wohnung entfernen. Zur Begründung teilte er mit, dass die Gäste zwar die Buchungskosten gezahlt hätten, nicht aber die weiteren Gebühren, die dadurch angefallen waren, dass sie verspätete eingecheckt hatten. Die Polizei kam der Aufforderung des Eigentümers der Ferienwohnung nicht nach und verwies den Kläger auf die zivilrechtliche Geltendmachung seiner Ansprüche.

Am Tag darauf wandten sich die beiden Ferienhausmieter ihrerseits an die Polizei, weil sie feststellen mussten, dass sie nicht mehr mit dem Schlüssel, der ihnen vom Vermieter überlassen worden war, in die Wohnung hineinkamen. Es stellte sich heraus, dass der Vermieter die Schlösser ausgetauscht hatte. Sie gaben an, dass sie noch ihre persönlichen Sachen in der Wohnung hätten. Hier sei der Zugang zur Wohnung deshalb besonders dringlich, weil in der Wohnung Medikamente lägen, die einer der Mieter der Ferienwohnung täglich einnehmen müsse. Die Polizei beauftragte daher einen Schlüsseldienst, der die Wohnung öffnete. Die Medikamente wurden im Beisein der Polizei dann eingenommen.

Der Polizeieinsatz wurde vom Polizeipräsidenten  Berlin mit einer Gebühr von € 135,71 in Rechnung gestellt. Der Schlüsseldienst stellte eine Rechnung in Höhe von € 210,78. Diese Beträge wurden dem Eigentümer der Wohnung in Rechnung gestellt, der eine Zahlung verweigerte und vor dem Verwaltungsgericht Berlin klagte.

Entscheidung

Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Polizei die Wohnungsöffnung zu Recht angeordnet und den Kläger deshalb auch für die Kosten in Anspruch nehmen dürfe. Dabei stützte sich das Gericht auf das allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Berlin (ASOG), weil es in der Tätigkeit der Polizei eine Maßnahme zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben sah, der nicht anders hätte begegnet werden können. Daher sei das Betreten der Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers bzw. des Eigentümers rechtmäßig gewesen. Dabei stützte sich das Gericht auf die Tatsache, dass hier ein HIV-infizierter Tourist auf die tägliche Einnahme seiner Medikamente angewiesen und das Betreten der Wohnung mutmaßlich durch das Auswechseln des Schlosses seitens des Klägers unmöglich geworden sei. Hier habe der Erkrankte entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht ohne Weiteres anderweitige ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können, weil er auf die Medikamente eingestellt gewesen sei. Der Kläger sei als Veranlasser der Maßnahme auch der richtige Kostenschuldner.

Fazit

Das ganze Dilemma entstand deshalb, weil der Kläger für das verspätete Einchecken eine zusätzliche Gebühr verlangt hatte. Eine derartige Gebühr ist nicht unbedingt üblich. Zumindest habe ich so etwas noch nicht erlebt. Eine Rechtsgrundlage hierfür kann nur dann gegeben sein, wenn diese Gebühr im Vertrag ausdrücklich festgehalten worden ist. Gleichwohl rechtfertigt dieser Anspruch nicht das Auswechseln der Schlösser.

Grenzen einer Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes

Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat mit Beschluss vom 10.12.2020 (Az: 4 L 1947/20. DA) eine Entscheidung getroffen, die lehrbuchhaft Inhalt und Adressatenkreis eines Verwaltungsaktes klärt.

Sachverhalt

Ein Bewohner einer Seniorenresidenz hatte sich gegen eine Anordnung des Gesundheitsamtes gewendet, das aufgrund bestätigter Covid-19-Infektionen gegenüber der Seniorenresidenz verschiedene Quarantänemaßnahmen verfügt hatte. Hierzu gehörte unter anderem die sogenannte Absonderung sämtlicher nicht-infizierter Personen des Hauses sowie im Weiteren die Anordnung, diesen Personen ein Verlassen ihrer Zimmer „bis mindestens 26.11.2020“ nicht zu gestatten.

Entscheidung

In einem Eilverfahren wendete sich der Bewohner vor dem Verwaltungsgericht gegen diese Anordnung. Er hatte Erfolg. Das Gericht beanstandete die Anordnung als zeitlich zu unbestimmt, weil für die Betroffenen unklar bleibe, ob die angeordnete Maßnahme („bis mindestens 26.11.2020“) am 26.11.2020 ende oder gegebenenfalls darüber hinaus wirksam bleibe.

Weiter stellte das Gericht fest, dass die Behördenkreise sich an den falschen Adressatenkreis ihrer Entscheidung gewendet haben. Die Seniorenresidenz sei keine Adressatin der Quarantäneanordnung. Hier habe sich die Behörde an die in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit unmittelbar betroffenen Bewohner bzw. Mieter der Residenz zu wenden. Schließlich sei es auch rechtlich unzulässig, der Seniorenresidenz aufzugeben, den in Quarantänen befindlichen Personen ein Verlassen ihrer Zimmer zu untersagen. Durch das Infektionsschutzgesetz können solche hoheitlichen Befugnisse nicht auf Dritte übertragen werden, weil es hierbei um einen erheblichen Eingriff in Freiheitsrechte geht.

Fazit

Eine derartige Anordnung des Gesundheitsamts ist ein Verwaltungsakt, d.h. eine Entscheidung einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalles. Diese Regelung muss Außenwirkung haben. Des Weiteren muss der Verwaltungsakt bekanntgegeben werden (§§ 35 Satz VwVfG, 41, 43 VwVfG). Nach diesen Voraussetzungen war der Verwaltungsakt rechtlich zu unbestimmt und nicht dem richtigen Adressatenkreis bekanntgegeben worden. Ferner ist auch keine Rechtsgrundlage ersichtlich, nach der die Seniorenresidenz gesunde, nicht-infizierte Personen dadurch absondert, dass sie sie in den Zimmern einsperrt.

Möglicherweise könnte diese Lage anders beurteilt werden, wenn die Seniorenresidenz im Rahmen der Gefahrenabwehr infizierte   Personen in ihren Zimmern einsperrt, um andere nicht-infizierte zu schützen. Dies war aber nicht Gegenstand der Entscheidung.


[1] Unser Autor Ernst Böttcher begann seinen beruflichen Werdegang  als Kriminalbeamter  bei der Kriminalpolizei Frankfurt am Main, bevor er Jura studierte und später Rechtsanwalt wurde. Seit vielen Jahren berät er den Vorstand der hessischen Verkehrswacht und ist jetzt unter anderem als Strafverteidiger und Mediator tätig.