Urteile in Kürze: Umgangsrecht, Tachomanipulation u. a.

von Ernst Böttcher, Rechtsanwalt, Hanau

1. Umgangsrecht und Corona

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 20.05.2020 (Az: 1 UF 51/20) eine Entscheidung getroffen, die das Rangverhältnis zwischen den Anforderungen aus den Maßnahmen der Corona-Pandemie und dem Umgangsrecht des getrennt lebenden Elternteils mit dem Kind regelt.

Sachverhalt

Die Eltern eines fast 6-jährigen Mädchens lebten getrennt. Der Vater hat eine Umgangsregelung erwirkt, bei der das Mädchen an den Wochenenden ihn besuchen und auch bei ihm übernachten sollte. Gegen die Entscheidung des Familiengerichts Braunschweig legte die Kindesmutter Beschwerde beim Oberlandesgericht ein und beantragte hierfür Verfahrenskostenhilfe. Sie befürchtete das Kind könnte sich wegen der Corona-Pandemie einer erhöhten Gefahr aussetzen.

Entscheidung

Die Kindesmutter hatte mit ihrer Beschwerde keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht war der Auffassung, dass der Umgang mit dem Vater dem Kindeswohl entspreche. Die Kontakte des Kindes mit dem Vater können von der Mutter nicht mit der Begründung der Corona-Pandemie verweigert werden. Diese böte weder einen Anlass, die bestehende Umgangsregelung abzuändern, noch den Umgang auszusetzen. Dieser Umgang sei auch dann nicht verboten, wenn Vater und Kind nicht in einem Haushalt lebten. Das Gericht war der Auffassung, dass der Umgang zwischen einem nicht-betreuenden Elternteil und seinem Kind zu dem absolut notwendigen Minimum zwischenmenschlicher Kontakte gehöre. Das Gericht wies darauf hin, dass diese Entscheidung keine absolute Regelung sei und auch nicht schrankenlos gelte. Wenn etwa wegen Quarantäne, Ausgangssperre oder einer nachweislichen Infektion des umgangsberechtigten Elternteils oder eines anderen Angehörigen seines Haushaltes mit dem Erreger Covid-19. Die Erkrankung des Kindes selbst stehe einem Umgang dagegen grundsätzlich nicht entgegen, weil auch der zum Umgang berechtigte Elternteil sein krankes Kind versorgen und pflegen könne.

Fazit

Es ist natürlich nachvollziehbar, dass die Regelung, die seitens der Bundesregierung über das Verhalten und der Begegnung zum Schutz der Bevölkerung gegen die Ansteckung vor Covid-19 ergangen sind, hier nur eingeschränkt gelten soll. Die Regelungen, die hinsichtlich des dauernden Aufenthalts von Personen, die nicht im gleichen Haushalt leben, werden mit diesem Gerichtsurteil eingeschränkt. Das Gericht stellt inzident fest, dass es wichtigere Rechtsgüter (Kindeswohl) gibt, als die Regeln, die unter dem Begriff „social distancing“ aufgestellt wurden. Es dürfte auf der Hand liegen, dass der getrennt lebende Elternteil nicht im Haushalt des Kindes und der Mutter lebt und deshalb sich zu den Hochzeiten der Pandemieregelung nicht mit der Kindesmutter und seinem Kind treffen dürfte. Es ist nachvollziehbar, dass die Relativität der Entscheidungen, die zur Pandemiebekämpfung getroffen wurden, zu einer Verunsicherung darüber führten, was denn nun erlaubt ist und was nicht. Daher ist es sicherlich hilfreich, wenn das Gericht hier geklärt hat, dass der Kontakt des getrennt lebenden Vaters mit seinem Kind so behandelt werden müsse, als lebe der Vater mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt.

2. Beihilfefähigkeit der Pille

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit seinem Urteil vom 26.06.2020 (Az 5 C 4/19) einen Fall entschieden, der alle beihilfeberechtigten Personen interessieren dürfte.

Sachverhalt

Kläger ist eine Frau, die an einem Uterusmyom mit Hypermenorrhöe leidet. Hierbei handelt es sich um einen gutartigen Tumor in der Gebärmutter, wodurch die Regelblutung zu einem extrem starken Blutverlust führt. Der Arzt der Klägerin verschrieb ihr daraufhin die Pille mit dem Wirkstoff Desogestrel. Mit diesem Wirkstoff wurde das Myomwachstum gehemmt und die Blutungen auf ein Minimum reduziert. Alternativ hierzu hätte es nur die Möglichkeit der Entfernung der Gebärmutter gegeben. Dies konnte vermieden werden.
Zur Behandlung der Beschwerden war der Patientin das Präparat Juprele verschrieben worden. Hierfür wurde zunächst Beihilfe bewilligt.
Im Jahr 2014 lehnte der Freistaat Sachsen die Beihilfezahlungen für das verordnete Präparat mit der Begründung ab, das Arzneimittel sei zwar zur Verhütung zugelassen, aber nicht zur Therapie der Krankheit der Klägerin. Kontrazeptiva (Arzneimittel, die zur hormonalen Empfängnisverhütung eingesetzt werden) würden außerdem auch von Gesunden verwendet und seien daher der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen. Daraus folgerte die beklagte Partei, der Freistaat Sachsen, dass eine Beihilfe daher nicht zu leisten sei.
Die Klägerin zog zunächst vor das Verwaltungsgericht Leipzig. Das Verwaltungsgericht gab ihr Recht. Die daraufhin eingelegte Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Bautzen führte zur Zurückweisung der Berufung.

Entscheidung

Die Revision des Freistaats Sachsen vor dem BVerwG hatte ebenfalls keinen Erfolg und wurde zurückgewiesen. Nach Auffassung des BVerwG scheitert der Beihilfeanspruch nicht daran, dass die sächsische Beihilfeverordnung nur Aufwendung für ärztlich verordnete Arzneimittel als beihilfefähig ausweist, wenn diese bestimmt sind durch Einwirkung auf den menschlichen Körper der Heilung oder Linderung einer Erkrankung zu dienen. Das BVerwG stellte fest, dass diese Zweckbestimmung im Einzelfall auch der verordnende Arzt auf der Grundlage seiner fachlichen Bewertung unabhängig von der arzneimittelrechtlichen Zulassung treffen kann. Kontrazeptiva sind außerdem nicht deshalb von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen, weil sie entsprechend einem beihilferechtlichen Ausschlagungsgrund der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen sind. Nach einer diesem Ausschlagungsgrund vorgehenden Sonderregelung in der sächsischen Beihilfeverordnung können empfängnisverhütende Arzneimittel unabhängig vom Alter der Beihilfeberechtigten beihilfefähig sein, wenn sie aus Anlass einer Krankheit verordnet werden. Auch die nach der Beihilfeverordnung weiterhin erforderliche medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit dem Arzneimittel Juprele war nach dem BVerwG bindenden Feststellungen der Vorinstanz gegeben. Diese hat unter Hinweis auf tatsächliche Ausführungen des Verwaltungsgerichts festgestellt, dass die Wirkungsweise und der Einsatz des Arzneimittels zu der konkreten Krankheitsbehandlung wissenschaftlichen Erkenntnissen entspräche und damit der therapeutische Nutzen erwiesen sei.

Fazit

Die Klägerin war 1964 geboren, zum Zeitpunkt der Entscheidung daher 56 Jahre alt. Es ist, den Normalverlauf der körperlichen Entwicklung der Klägerin zugrundegelegt, offensichtlich, dass sie dieses Medikament nicht zur Verhütung benötigte. Die Auslegung der Beihilfeverordnung durch den Freistaat Sachsen hielt sich da mechanisch am Wortlaut fest, ohne eine teleologische Interpretation (Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes, also ratio legis) vorzunehmen.

Der Bundesgerichtshof hat schon in seiner Entscheidung (BGH, St 10, 157/159 ff; NJW 1957 718, 719) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGSt. 12, 371 ff) festgestellt, dass kein Gesetz in seinem Anwendungsbereich auf die vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Fälle begrenzt ist, „denn es ist nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepasst weiter gelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist“. Der BGH beschäftigte sich in diesem Fall mit mehreren ärztlichen Gutachten, die unrichtige und gefälschte Befunde enthielten, im Endergebnis den Gesundheitszustand der Patienten aber zutreffend beschrieben.

Es gibt viele Fälle, die in diesem Sinne auch rechtlich interpretiert werden müssen. So ist die Abgrenzung zwischen Kosmetik und Arzneimittel fließend. Dies liegt daran, dass die Kosmetikindustrie häufig Produkte entwickelt, die auch im Falle einer Hauterkrankung durchaus wirksam sind, aber nicht unter den Begriff der Arzneimittel fallen.

in anderes Beispiel aus unserer Praxis ist die Frage, ob kleinwüchsige Menschen erkrankt sind oder nicht. Solange die Wachstumsfugen noch nicht geschlossen sind, kann das Wachstum mittels Hormongaben gefördert werden. In dieser Zeit wird der Hormonmangel als Erkrankung anerkannt und die Hormone von der Krankenkasse gezahlt. Ob Menschen, die aufgrund einer wachstumshemmenden Hormonstörung kleinwüchsig und deren Wachstumsfugen bereits geschlossen sind, als erkrankt angesehen werden können oder nicht, ist höchst umstritten.

Dies hat häufig zur Folge, dass ihnen eine OP zur Beinverlängerung seitens der Krankenkasse nicht gewährt wird und die OP auch nicht beihilfefähig ist. In diesen Fällen wird die Finanzierung deshalb versagt, weil sie nach Auffassung der Beihilfestelle oder auch der Krankenkasse keine Behandlung einer Krankheit darstellt, sondern eine rein kosmetische Operation ist.

3. Unterlassungsanspruch des Wohnungseigentümers gegenüber dem Nachbarn

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Urteil (Urteil vom 24.01.2020, Az: V Zr 295/16) gefällt, das interessant ist für Wohnungseigentümer, die in der eigenen Wohnung wohnen.

Sachverhalt

Eine in München lebende Wohnungseigentümerin beschwerte sich über Lärm- und Geruchsbelästigungen, die von der Wohnung ausgingen, die unter ihr lag. Diese Wohnung wurde von Mietern des Eigentümers bewohnt. Dieser vermietete an sogenannte „Medizin-Touristen“, das sind Personen, die nur für kurze Zeit die Wohnung mieten, weil bei ihnen ein medizinischer Eingriff vorgenommen werden muss, der eine Verweildauer während der Behandlung erfordert.

Nachdem die Belästigungen nicht beendet wurden, wurde auf einer Eigentümerversammlung im Juni 2014 beschlossen, dass der Unterlassungsanspruch, der dem Wohnungseigentümer zustand, auf die Wohnungseigentümergemeinschaft übertragen, also vergemeinschaftet werden sollte. Ziel dieser Maßnahme war, der Wohnungseigentümergemeinschaft die Befugnis zu verschaffen, eine Unterlassungsklage wegen Lärm- und Geruchsbelästigung gegen den Mieter der Wohnung zu erheben. Daraufhin erhob der Wohnungseigentümer dennoch Klage auf Unterlassung, gegen die Mieter.

Das Landgericht München und danach das Oberlandesgericht München wiesen die Unterlassungsklage ab, weil ihrer Ansicht nach, der Wohnungseigentümer nicht mehr befugt sei, die Unterlassungsklage zu erheben. Die Wohnungseigentümergemeinschaft habe durch Beschluss diesen Anspruch an sich gezogen. Hiergegen legte der Wohnungseigentümer Revision ein.

Entscheidung

Der BGH folgte den Vorinstanzen nicht. Seine Entscheidung zu Gunsten der Wohnungseigentümer führte zu einer Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen. Der BGH war der Auffassung, dass die Wohnungseigentümer nicht befugt seien, den Anspruch auf Unterlassung wegen Lärm- und Geruchsbeeinträchtigungen geltend zu machen. Zur Begründung führte der BGH an, dass sich die Wohnungseigentümergemeinschaft damit gegen die unmittelbare Beeinträchtigung des Sondereigentums in Gestalt von Lärm und Gerüchen, die in die Wohnung eindringen wende. Die Ansprüche, die den räumlichen Bereich des Sondereigentums betreffen, könnten die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht durch Beschluss an sich ziehen.

Nach Auffassung des BGH würde daran nichts geändert, wenn durch Störung zugleich das Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt würde. In einem solchen Fall könnten nur die Ansprüche vergemeinschaftet werden, die auf die Abwehr der Störungen des Gemeinschaftseigentums gerichtet sind.

Fazit

Diese Entscheidung ist sicherlich dogmatisch nicht zu beanstanden. Die Rechte, die eigene Wohnung betreffend, können von der Miteigentümergemeinschaft dem Eigentümer nicht einfach durch Mehrheitsbeschluss entzogen werden. Hintergrund dieses Bemühens ist vermutlich, dass der Eigentümer der Wohnung wahrscheinlich nicht in diesem Haus wohnt, daher selbst nicht beeinträchtigt ist und nicht zeitnah seine Mieter verklagt hat. Die anderen Miteigentümer in der Gemeinschaft versuchten, den Unterlassungsanspruch direkt durchzusetzen. Dieser Unterlassungsanspruch betrifft aber lediglich die Beeinträchtigungen, die in das Gemeinschaftseigentum oder aber in das Sondereigentum eines anderen Miteigentümers/Mieters gelangen. Hierbei handelt es sich dann um die eigenen Rechte beeinträchtigendes Verhalten im Deliktsrecht, da der Mieter mit den anderen Miteigentümern kein vertragsrechtliches Verhältnis hat. Die Ansprüche auf Unterlassung innerhalb der Wohnung hat lediglich der Eigentümer. Hier ist ein vertraglicher Anspruch gegeben, da das Verhältnis Mieter/Eigentümer vertraglicher Natur und daher einfacher durchzusetzen ist.

Wenn jetzt die Wohnungseigentümergemeinschaft versuchen will, Einfluss zu nehmen, so nur dann, wenn die eigenen Rechte beeinträchtigt sind. Ansonsten ist es erforderlich, den Eigentümer der Wohnung zu veranlassen, seine Ansprüche gegenüber dem Mieter auch durchzusetzen.

4. Tachomanipuation

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm hat unter dem 05.05.2020 eine Entscheidung getroffen, die es verdient, ausführlich dargelegt zu werden.

Sachverhalt

Ein Angeklagter hatte vor dem Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen deren Tachos manipuliert. Das Amtsgericht Bottrop hatte mit Urteil vom 14.05.2019 den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in drei Fällen, davon in 2 Fällen in Tateinheit mit Betrug und wegen Kennzeichenmissbrauchs in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Hiergegen legte der Angeklagte Berufung ein. Das Landgericht Essen hat durch Urteil vom 02.12.2019 das Urteil des Amtsgerichts Bottrop abgeändert und den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Betrug zu einer Gesamtheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Der Verteidiger hatte die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.  Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Entscheidung

Das OLG Hamm, Az: 5 RVs 31/20, hat festgestellt, dass das Landgericht seine Feststellung lückenhaft vorgenommen hat und deshalb der Schuldspruch wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB hiervon nicht getragen würde. Das Gericht rügte insbesondere, dass die Feststellung eines Vermögensschadens der Geschädigten nicht vorgenommen worden sei. Es stellte fest, dass der Betrug kein bloßes Vergehen gegen Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr sei, sondern eine Vermögensstraftat. Nicht die Täuschung an und für sich, sondern die vermögensschädigende Täuschung sei strafbar. Demgemäß erleide der Kunde, der beim Kauf eines Gebrauchtwagens über die Umstände, die den Verkehrswert (Marktwert) des Fahrzeugs maßgeblich mitbestimmen, getäuscht und dadurch zum Kaufabschluss bewogen wird, einen Schaden regelmäßig nur dann, wenn das Fahrzeug objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist. Für die Schadensbewertung sei daher grundsätzlich die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend. Die sich ausschließlich an den Marktverhältnissen auszurichten habe, nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten. Es reicht für einen Vermögensschaden nicht aus, dass der Käufer, ohne die Täuschung durch den Verkäufer, den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt.

Das Gericht stellt dabei auf die objektiv abstrakte Betrachtung ab, wonach Leistung und Gegenleistung gleichwertig sein müssen. Es kann im Sinne des sogenannten persönlichen Schadenseinschlages ein Schaden im Sinne des Betrugstatbestandes nur vorliegen, wenn die Leistung für den Getäuschten bei objektiver Beurteilung nicht oder nicht im vollen Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden kann. Das Gericht stellte auf den Fall ab, dass der Käufer aufgrund ganz besonderer individueller Bedürfnisse auf einen Pkw mit geringer Laufleistung, etwa wegen einer daraus folgenden geringeren Reparaturanfälligkeit oder höherer Verkehrssicherheit, erkennbar besonderen Wert legt. Dies kann die Minderwertigkeit der Gegenleistung, trotz eines an sich angemessenen Marktpreises ausnahmsweise begründen. Dabei muss es sich aber um ganz spezielle individuelle Bedürfnisse des Käufers handeln, die über das in der Regel bei jedem Gebrauchtwagenkäufer vorhandene allgemeine Interesse hinausgehen, im Hinblick auf geringere Reparaturanfälligkeit einen Pkw mit geringer Laufleistung zu erwerben. Dies folgt schon daraus, dass die Gesamtfahrleistung eines Wagens im Hinblick auf den Grad der Reparaturanfälligkeit bei jedem Gebrauchtwagen ohnehin ein maßgeblich wertbestimmender Faktor für den Marktpreis des Fahrzeugs ist, so dass die durch einen höheren Kilometerstand zu erwartende höhere Reparaturanfälligkeit, auch von der Interessenlage des Käufers her, durch einen geringeren Marktpreis des Fahrzeugs ausgeglichen wird und umgekehrt. Da das angefochtene Urteil keine Angaben über den objektiven Wert des Fahrzeugs enthielt, wurde aus diesem, neben anderen Gründen, das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Fazit

Es ist schon faszinierend. § 263 StGB hat eine bestimmte Prüfungsreihenfolge: Es muss eine Täuschung erfolgen. Aufgrund dieser Täuschungshandlung muss beim Getäuschten ein Irrtum entstehen. Aufgrund dieses Irrtums bewirkt der Getäuschte eine Vermögensverfügung und aufgrund dieser Vermögensverfügung muss ein Schaden entstehen.

Diese Reihenfolge ist so einfach wie klar und führt doch dazu, dass bei einschlägigen und vertrauten Sachverhalten zumindest die letzte Position nicht mehr sorgfältig geprüft wird, weil der Schadensbegriff durch die Verführung zum Kauf ersetzt wird. Selbst wenn man dagegen einwenden wollte, dass die erhöhte Laufleistung eines Fahrzeuges, die mit der Manipulation verschleiert wurde, immer zu einem geringeren Wert führe, so muss das bei der Subsumption ausdrücklich festgestellt werden, weil der Tatbestand des § 263 StGB sonst nicht vollständig erfüllt ist und daher eine Bestrafung danach auch nicht möglich ist.

5. Kosten der Hortbetreuung – Mehrbedarf?

Eine Entscheidung des Amtsgerichts Pforzheim (Beschluss vom 22.02.2019, Az: 3 F 160/18) behandelt ein Rechtsproblem im Unterhaltsrecht, das häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Unterhaltsberechtigten ist.

Sachverhalt

Die Mutter zweier Minderjähriger beanspruchte vom unterhaltspflichtigen Kindesvater die Hälfte der Beteiligung an den Hortkosten. Die Kinder besuchten seit der Einschulung einen Schülerhort. Ansonsten lebten die Kinder bei der Mutter. Dieser Hortbesuch ermöglichte der Mutter, zusätzlich arbeiten zu gehen.

Das Amtsgericht Pforzheim lehnte den Anspruch auf anteilige Übernahme der Hortkosten ab. Ein Anspruch gegen den Kindesvater auf anteilige Übernahme der Hortkosten könne deshalb nicht verlangt werden, weil diese Kosten unterhaltsrechtlich als berufsbedingte Aufwendungen der Kindesmutter einzuordnen seien und daher keinen Mehrbedarf der Kinder darstellten.

Das Gericht führte aus, dass auf den Zweck der Fremdbetreuung abzustellen sei. Wenn diese Fremdbetreuung aus erzieherischen Zwecken erfolge, so könne man von einem Mehrbedarf der Kinder ausgehen. Hierbei kommt es darauf an, ob die Fremdbetreuung aus erzieherischen oder pädagogischen Gründen erfolgen würde. Dies sei etwa bei der Betreuung in einem Kindergarten der Fall. Auch der Besuch eines Schülerhorts könne aus pädagogischen Gründen mit dem Ziel einer entsprechenden Erziehung erfolgen. In diesem Fall wäre die zusätzliche Freizeit für die Mutter lediglich Nebeneffekt und gegenüber den pädagogischen Zielen von untergeordneter Bedeutung. In diesem Fall sei ein echter Mehrbedarf des Kindes gegeben, während die Unterbringung des Kindes in einem Kinderhort zum Zwecke der Schaffung eines Freiraums, um arbeiten zu gehen, eben kein Mehrbedarf des Kindes bedeute.

Fazit

Das Familiengericht entsprach damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Beschluss vom 04.10.2017, Az: XII ZB 55/17). Jedoch hat auch diese Rechtsprechung nicht zu einer Einheitlichkeit der Beurteilung dieser Sachlage geführt. Der BGH führte in diesem Zusammenhang aus, dass eine generelle Qualifizierung der Kosten einer Fremdbetreuung als Mehrbedarf des Kindes dem Gesetz widerspräche, denn grundsätzlich obliege nach § 1606, Abs. 3, Satz 2 BGB die Barunterhaltspflicht für ein minderjähriges Kind einem Elternteil allein. Demgegenüber habe dann der andere Elternteil im Gegenzug dessen Betreuung übernommen. Wenn nun der betreuende Elternteil seine Verpflichtung nicht selbst erfüllt, sondern hierfür einen Hort in Anspruch nimmt, so die Argumentation des BGH, so könne dies nicht als erhöhter Bedarf des Kindes gewertet werden, weil dies sonst dem Gesetz widerspräche. „Veranlasst der betreuende Elternteil für die Kinder eine Fremdbetreuung, erfüllt er damit lediglich die ihm obliegende Betreuungspflicht und deswegen auch die hierfür erforderlichen Kosten zu tragen.“ (BGH, S. 8, Rd-Nr. 16)

Der BGH verweist dabei zu Recht darauf, dass die Kosten dieser Fremdbetreuung dann die Einkünfte des betreuenden Elternteils mindern, was sich bedarfserhöhend dann auswirkt, wenn der Zahlungspflichtige zusätzlich zum Kindesunterhalt auch noch Ehegatten- oder Geschiedenen-Unterhalt zu zahlen hat.

Dieses Urteil des BGH hat aber nicht zu einer eindeutigen Klärung der Fragestellung geführt, so hatte das OLG Bremen (Beschluss vom 23.11.2017, Az: 5 UF 54/17) sich mit einem Fall zu beschäftigen, bei dem die Kindesmutter eines der gemeinsamen Kinder in der 4. Grundschulklasse am pädagogischen Mittagstisch teilnahm, bei dem auch anschließend eine 2-stündige Betreuung angeboten wurde, dass das Kind aber nicht in Anspruch nahm. Hier argumentierte die Kindesmutter, dass es sich hierbei um einen Mehrbedarf des Kindes handele, weil es sich bei dem pädagogischen Mittagstisch um eine entwicklungsfördernde Maßnahme handele, die die Persönlichkeit- und Charakterbildung positiv beeinflusse. Hier wirke der pädagogische Mittagstisch als gezielte Fördermaßnahme, weil das Sozialverhalten des Antragsstellers zu wünschen übrig lasse. Dies sei auch bei verschiedenen Elternsprechtagen erläutert worden, daher habe er auch eine schlechte Note in seinem Sozialverhalten.

Das Gericht anerkannte zwar, dass das gemeinsame Essen sicherlich geeignet sei, gegenseitige Rücksichtnahme und Empathie zu fördern, aber diese Form der Betreuung ließe keine Umstände erkennen, die nicht auch von einem Elternteil in einer vergleichbaren Situation geleistet werden könnten. Daher könne nicht von einem pädagogischen Mehrbedarf gesprochen werden.
Wie in vielen anderen Fällen, ist eine generelle Aussage, ob der Besuch eines Kinderhorts einen pädagogischen Mehrbedarf beinhaltet oder nicht, einer Einzelfallbetrachtung unterworfen. Nach der bisherigen Rechtsprechung muss jeder Fall inhaltlich dahingehend analysiert werden, ob die zusätzliche Betreuung eine zusätzliche pädagogische Betreuung bedeutet, die das eigene Elternteil nicht erfüllen kann.