Wirksame Bekämpfung des Cybermobbings durch geltendes Strafrecht?

von Prof. Dr. Anja Schiemann

1. Einleitung

Während die Strafbarkeit des Cyberstalkings prominent durch das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – effektivere Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings sowie Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen Zwangsprostitution“ am 1.10.2021 in Kraft getreten ist (BGBl. I, S. 3513), haben Anpassungen im Strafgesetzbuch zur wirksameren Bekämpfung des Cybermobbings zwar moderat stattgefunden, allerdings nicht so öffentlichkeitswirksam, wie es zu wünschen gewesen wäre. Der Gesetzgeber hat sich bislang – zu Recht – gegen die Einführung eines eigenständigen Cybermobbing-Straftatbestands entschieden. Er hat aber durch das ebenfalls bereits in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität die Beleidigungstatbestände modifiziert, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass durch die Anonymität des Internets und die fehlende soziale Kontrolle in den letzten Jahren verstärkt Äußerungen im Netz mit beleidigendem Inhalt über andere Menschen abgegeben werden.[1] Ansonsten greift ohnehin ein bunter Strauß an Straftatbeständen, der Cybermobbing erfasst und so eine Strafverfolgung sicherstellen kann.

2. Was ist eigentlich Cybermobbing?

Für den Begriff des Cybermobbings gibt es keine feststehende Legaldefinition. Nach allgemeinem Sprachverständnis werden hierunter Handlungsweisen zusammengefasst, die verschiedene Formen der Diffamierung, Belästigung, Bedrängung und Nötigung beinhalten können und mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel, insbesondere über das Internet, verbreitet werden.[2] Empirische Erkenntnisse zeigen, dass Cybermobbing  jeder auf Täter- noch auf Opferseite ein seltenes Phänomen ist und es Überschneidungen zwischen Täter- und Opferrollen gibt.[3] Cybermobbing kommt dabei primär bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor. Die Studien zeichnen dabei ein unterschiedliches Bild und Betroffenenraten von 5-35 %.[4]

Cybermobbing macht es den Tätern möglich, anonym zu bleiben, da sie Pseudonyme oder falsche Benutzerprofile verwenden.[5] Hinzu kommt, dass das Publikum im Gegensatz zum traditionellen Mobbing durch die Reichweite der sozialen Netzwerke unkontrollierbar groß ist.[6] Zudem haben öffentliche Cybermobbinghandlungen eine sehr lange Wirkungsdauer und sind nur schwer aus dem Internet zu entfernen.[7] Während beim klassischen Mobbing eine gewisse soziale Kontrolle durch Lehrer, Arbeitskollegen oder Vorgesetzte ausgeübt werden kann, besteht beim Cybermobbing ein Überwachungsdefizit.[8]

Es gibt diverse Untergruppen des Cybermobbings, wovon an dieser Stelle einige beispielhaft aufgeführt werden sollen. So versteht man unter Harassment die zielgerichtete und wiederholte Belästigung von Personen durch Beleidigungen, unerwünschte Fragen, rassistische oder sexuelle Inhalte und Konfrontation mit peinlichem Foto- oder Videomaterial. Denigration ist die Rufschädigung und Verunglimpfen einer Person durch die Verbreitung von Gerüchten oder falschen bzw. diffamierenden Informationen. Impersonation als Untergruppe des Cybermobbings ist der Identitätsmissbrauch, indem sich der Täter Zugang zu Accounts oder Geräten verschafft, um unter der Identität des Opfers nachteilige Handlungen vorzunehmen. Unter Exclusion versteht man im Kontext des Cybermobbings die bewusste Ausgrenzung einzelner aus der Onlinekommunikation. Werden Outing und Trickery im Zusammenhang mit Cybermobbing genannt, so versteht man darunter ein Täuschen des Opfers, um an vertrauliche oder intime Informationen, Bilder und Videos zu gelangen, um diese anschließend öffentlich zu machen.[9]

3. Straftatbestände

Durch Cybermobbing können diverse Straftatbestände erfüllt werden. Im Rahmen dieses Beitrags werden nur solche Straftatbestände aufgeführt, die die Fälle klassischen Cybermobbings erfassen. Mit Cybermobbing verwandte Phänomene wie etwa Happyslapping, Cybergrooming und Sexting sind nicht Gegenstand der Betrachtung.

3.1 Ehrverletzungsdelikte

Die Ehrverletzungsdelikte sind technikoffen und daher grundsätzlich auch auf Beleidigungen, Verleumdungen und üble Nachrede mittels Nutzung des Internets oder anderer Kommunikationsmittel übertragbar.[10] Der Beleidigungstatbestand § 185 StGB umfasst drei unterschiedliche Begehungsformen. Neben der Äußerung eines beleidigenden Werturteils gegenüber dem Betroffenen oder einem Dritten wird auch die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache gegenüber dem Betroffenen unter Strafe gestellt, wobei bei letzterem die Behauptung unwahr sein muss.[11]

Die beiden ersten Handlungsalternativen setzen eine Äußerung in Form einer Missachtung oder Nichtachtung voraus. Der ehrverletzende Inhalt hängt dabei vom objektiven Sinngehalt ab, die ein verständiger Dritter der Äußerung beimisst. Bei Äußerungen im Internet sind aber die Eigenart und die besondere Internetsprache zu berücksichtigen. Gerade bei Bewertungsportalen, aber auch in Blogs oder Foren, sind plakative und provokative Äußerungen nicht per se ehrverletzend. Insgesamt ist im Internet in der Regel ein großzügiger Maßstab anzulegen.[12] Klassische Mobbinghandlungen, bei denen persönliche Angriffe oder Diffamierungen einer Person erfolgen, erfüllen aber zweifelsohne § 185 StGB. Durch die Verbreitungsmacht des Netzes kann die Mobbinghandlung den Betroffenen mit viel stärkerer Wucht treffen und so zu viel größeren psychischen Belastungen führen, als die klassische Beleidigung in kleinem Kreis. Daher hat das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität den Straftatbestand des § 185 StGB um die Einfügung „öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder“ um weitere Qualifikationen neben der Beleidigung mittels einer Tätlichkeit erweitert. Was die Auslegung des Begriffs „öffentlich“ betrifft, kann sich an §§ 186, 187 StGB orientiert werden. Eine Beleidigung ist dann öffentlich, wenn sie von einer größeren, nicht durch nähere Beziehung zueinander verbundene Anzahl von Personen zur Kenntnis genommen werden kann. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es dagegen nicht an.[13] Dem höhere Unrechtsgehalt solcher öffentlichen Beleidigungen, die auch das Cybermobbing umfassen, wird durch den höheren Strafrahmen der Qualifikation von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe Rechnung getragen.

Tatsachenbehauptungen gegenüber Dritten, die einen Angriff auf die Ehre des Opfers darstellen und im Internet verbreitet werden, können unter den Straftatbestand der üblen Nachrede gem. § 186 StGB fallen. Eine Tatsachenbehauptung kann prinzipiell alles umfassen, was wahr oder falsch sein kann und der Nachprüfbarkeit prinzipiell zugänglich ist.[14] Die Tatsache muss dabei geeignet sein, die betroffene Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Ein sachlicher Unterschied besteht zwischen den Varianten nicht. Die Tatsache muss objektiv geeignet sein, das Opfer in der Meinung eines größeren, nicht geschlossenen Teils der Bevölkerung als verachtenswert erscheinen zu lassen.[15] Verbreitet der Cybermobber daher unwahre Tatsachen im Netz, dann wird der Straftatbestand des § 186 StGB regelmäßig erfüllt sein. Denn Öffentlichkeit ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn es sich um frei zugängliche Bereiche, wie öffentliche Webseiten, offene Chats und nicht geschlossene Foren handelt.[16] Bei zugangsbeschränkten Bereichen des Internets muss dagegen im Einzelfall untersucht werden, welcher Personenkreis erreicht wird.[17] Neben der Öffentlichkeit ist aber auch bei der Frage der Strafbarkeit des Cybermobbings gem. § 186 StGB relevant, ob es sich um unwahre Tatsachen handelt. Denn der Straftatbestand des § 186 StGB fordert die Verbreitung nicht erweislich wahrer Tatsachen.[18] Beschränkt sich der Täter auf die Verbreitung ehrverletzender, sich aber als wahr herausstellender Tatsachen, so kommt eine Strafbarkeit nach § 186 StGB nicht in Betracht. Werden z.B. peinliche Videoaufnahmen des Opfers im Internet veröffentlicht, so ist § 186 StGB gerade nicht erfüllt. Anders ist es dagegen, sofern Videomontagen ins Netz gestellt werden.[19] Da ehrverletzende Publikationen im Internet grundsätzlich weltweit abrufbar, dauerhaft auffindbar und kaum wieder zu löschen sind, ist in der Regel die Qualifikation des § 186 Hs. 2 StGB erfüllt, die einen höheren Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht.[20]

Ist die behauptete Tatsache unwahr und hat der Täter hiervon sicheres Wissen, so kann auch Verleumdung gem. § 187 StGB in Betracht kommen.[21] § 187 StGB sieht schon für den verwirklichten Grundtatbestand eine gegenüber § 186 StGB höhere Strafdrohung vor, nämlich Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren. Wird die Tat öffentlich begangen, wovon wiederum bei einer Mehrzahl der Cybermobbinghandlungen auszugehen sein wird, so steht sogar eine Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren im Raum. Stellt der Cybermobber also eine unwahre Tatsache wider besseres Wissen ins Internet, die geeignet ist, das Mobbingopfer verächtlich zu machen oder herabzuwürdigen, so drohen empfindliche Strafen.

Schließlich kann die Verbreitung wahrer Tatsachenbehauptungen nach Maßgabe des § 192 StGB als Formalbeleidigung strafbar sein, sofern sich das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form oder den Umständen der Behauptung ergibt.[22] Beispielsweise kann das Verbreiten einer Videoaufnahme über Soziale Medien und Internet, die den Betroffenen in einer intimen oder unangenehmen Situation zeigt, eine Strafbarkeit nach § 192 StGB in Verbindung mit § 185 StGB begründen. Dadurch, dass § 185 StGB nunmehr eine Qualifikation im Hinblick auf die öffentliche Tatbegehung enthält, kommt dieses Qualifikationsmerkmal auch bei der Formalbeleidigung zur Anwendung. So kann auch hier dem besondere Unrechtsgehalt, der durch Veröffentlichung im Internet gegeben ist, Rechnung getragen werden.

Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität wurde auch das Strafantragsrecht modifiziert und vom absoluten Antragserfordernis dann abgesehen, wenn bei Zugänglichmachung der Öffentlichkeit der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt (§ 194 Abs. 1 S. 2 StGB). Der Verletzte kann dem jedoch widersprechen.

Insgesamt kann man also – gerade auch vor dem Hintergrund der neuerlichen Anpassungen des Beleidigungstatbestands – von einem durchweg umfassenden Schutz gegen Cybermobbing sprechen. Eine weitere Gesetzesverschärfung scheint hier weder notwendig noch zielführend, um Cybermobbing zu ahnden.

3.2 Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs

Auch § 201a StGB kann durch Cybermobbinghandlungen verwirklicht werden. Dieser Straftatbestand stellt die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen unter Strafe. Die Vorschrift wurde erst 2004 ins Strafgesetzbuch eingefügt und sollte die Diskrepanz zwischen dem durch § 201 StGB gewährleisteten Schutz der Vertraulichkeit des nicht öffentlich gesprochenen Wortes und dem bis zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich nicht geschützten Rechts auf Wahrung des persönlichen Lebensbereichs vor unbefugten Bildaufnahmen auflösen. Denn durch die Einführung neuer Technologien und die immer stärkere Verbreitung von Bildaufnahmen wuchs das praktische Bedürfnis nach Stärkung des Persönlichkeitsschutzes im Bildbereich.[23]

Strafbar ist gem. § 201a StGB u.a. das unbefugte Anfertigen und die Weitergabe von Bildaufnahmen einer Person, die sich in einer Wohnung oder in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befinden oder von Bildaufnahmen, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellen, sofern hierdurch der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt wird (§ 201a Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB). Eine Handlungsalternative ist zudem erfüllt, sofern man eine durch eine Tat der Nr. 1 oder Nr. 2 erlangte Bildaufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht (§ 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB). Schließlich werden auch solche Handlugen erfasst, nach denen befugt hergestellte Bildaufnahmen wissentlich unbefugt einer dritten Person zugänglich gemacht werden, wenn dies den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt (§ 201a Abs. 1 Nr. 5 StGB).

Mit dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz wurde 2015 der Paragraf neu gefasst und erweitert. Beispielsweise werden nun auch Bildaufnahmen verstorbener Personen nach § 201a Abs. 1 Nr. 5 StGB sowie ansehensverletzende Bildaufnahmen gem. § 201a Abs. 2 StGB erfasst. Durch die Einbeziehung von peinlichen bzw. entwürdigenden Darstellungen sollte laut Gesetzesbegründung vor allem Cybermobbing über soziale Medien bekämpft werden.[24] Strafbar ist demnach, wer unbefugt eine Bildaufnahme von einer anderen Person, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. Hier kommt es im Gegensatz zu Abs. 1 nicht auf eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs an, da in diesen Fällen stets das Persönlichkeitsrecht verletzt sein soll.[25] Problematisch kann im Einzelfall sein, wie die Eignung einer Ansehensänderung gem. § 201a Abs. 2 StGB festzustellen ist.[26] Denn ein gesellschaftlicher Konsens darüber, was im Einzelfall minderwertig, eklig, peinlich oder wegen seiner Ehrenrührigkeit geheimhaltungsbedürftig erscheint, lässt sich kaum finden lässt.[27] Dennoch dürfte sich eine Zuordnung nicht nur auf Extremfälle beschränken,[28] sondern auch klassische Cybermobbing-Fälle, sofern Bildmaterial verwendet wird, unter § 201a Abs. 2 StGB zu subsumieren sein.

3.3 Recht der Selbstdarstellung

Auch § 33 KUG kommt als nebenstrafrechtliche Vorschrift bei Cybermobbinghandlungen in Betracht. Bestraft wird hiernach, wer entgegen §§ 22, 23 KUG ein Bildnis ohne Einwilligung des Betroffenen verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Unter Bildnisse fallen alle Abbildungen, die die äußere Erscheinung einer Person erkennbar wiedergeben. Ausreichend ist, dass der Betroffene sich veranlasst sieht zu befürchten, er werde aufgrund der Abbildung im Bekanntenkreis identifiziert.[29] Werden im Rahmen von Cybermobbing solche Bildnisse ohne Einwilligung des Betroffenen im Internet oder sozialen Medien veröffentlicht, so ist eine Strafbarkeit gem. § 33 KunstUrhG gegeben. Allerdings hat dieser Straftatbestand kaum praktische Bedeutung, da es sich um ein Privatklagedelikt handelt und ein Verstoß lediglich mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden kann.[30]

3.4 Nachstellung

Cyberstalking und Cybermobbing sind zwar zwei unterschiedliche Phänomene, können aber wegen des für beide typischen Dauerelements und Überschneidungen in den Einzelhandlungen als verwandt angesehen werden.[31] So kann Cybermobbing Elemente der Nachstellung enthalten und eine Strafbarkeit gem. § 238 StGB begründen. Gerade die neu eingefügten Tatbestandsalternativen des § 238 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 6 StGB weisen Schnittstellen auf, unter die Cybermobbinghandlungen zu subsumieren sind. Daher wird der Auffangtatbestand des § 238 Abs. 1 Nr. 7 StGB (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB a.F.) vermutlich immer weniger Anwendungsfälle unter sich vereinen, da die strafrechtliche Literatur hierunter Fälle des klassischen Cybermobbings subsumierte,[32] die jetzt schon über die anderen Handlungsalternativen erfasst werden.

3.5 Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit

Da der Suizid keine teilnahmefähige Haupttat darstellt,[33] kommt eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Totschlag gem. § 212 StGB selbst dann nicht in Betracht, wenn der Cybermobbingtäter mit seinem Verhalten den Tatentschluss des Opfers zum Suizid hervorruft. Denkbar ist aber eine mittelbare Täterschaft, sofern das Opfer nicht freiverantwortlich gehandelt hat.[34] Dies ist aber nur in seltenen Ausnahmefällen anzunehmen.[35] Ggf. kommt eine fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB in Betracht, sofern auf Tatbestandsebene die kausale Todesverursachung, die Verletzung der Sorgfaltspflicht und die objektive Zurechnung gegeben sind. Indizielle Wirkung kann dabei in Cybermobbingfällen auch Benutzungsregelungen sozialer Netzwerke zukommen.[36] Auch bei Fahrlässigkeitsdelikten entfällt aber die objektive Zurechnung in Fällen eigenverantwortlicher Selbstschädigung, so dass aus diesem Grund eine Strafbarkeit in der Regel entfällt. Sie kommt im Einzelfall nur in Betracht, sofern es sich um Minderjährige in einer Nötigungssituation oder um psychisch Kranke handelt.[37]

Auch Körperverletzungsdelikte kommen regelmäßig nicht in Betracht. Denn häufig erschöpfen sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Folge von Cybermobbing in psychischen Beschwerden. Die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung geht aber davon aus, dass bloße Einwirkungen auf das seelische Wohlbefinden keine Gesundheitsschädigung i.S. des § 223 StGB darstellt.[38] Insofern schlägt Doerbeck in ihrer Dissertation vor, § 223 StGB wie folgt neu zu fassen: „Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der physischen oder psychischen Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.[39]

3.6 Zwischenfazit

Es ist deutlich geworden, dass Cybermobbinghandlungen durch diverse Straftatbestände des Strafgesetzbuchs aber auch des Nebenstrafrechts erfasst werden. Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität wurden die Beleidigungsdelikte modifiziert, um den besonderen Unrechtsgehalt durch Verbreitung entsprechender Handlungen im Internet besser abbilden zu können. Auch durch die Änderungen des Nachstellungstatbestands gem. § 238 StGB können neben klassischen Cyberstalking-Handlungen auch Cybermobbing-Konstellationen erfasst werden.

4. Kriminalpolitische Forderung

Dennoch wird wegen der angeblich ineffektiven Strafverfolgung von Cybermobbing regelmäßig gefordert, einen eigenständigen Cybermobbing-Straftatbestand im StGB zu implementieren. Bereits im Koalitionsvertrag 2013 hat die Bundesregierung den Erlass eines Cybermobbing-Gesetzes angekündigt, der Koalitionsvertrag von 2018 sieht einen solchen allerdings nicht mehr vor.

Der Forderung von Beck aus dem Jahr 2009, eine Qualifikation der Ehrverletzungsdelikte mit einem höheren Strafrahmen für Beleidigungshandlungen vor einer unbegrenzten Öffentlichkeit einzufügen,[40] ist der Gesetzgeber – wie oben beschrieben – bereits nachgekommen. Daneben sehen einige Autoren die Notwendigkeit der Einführung eines speziellen Cybermobbing-Tatbestands, da die derzeitige Rechtslage das Spezifikum einer andauernden und wiederholenden Bloßstellung durch das dynamische Zusammenwirken vieler Personen, die einen erheblichen psychischen Druck beim Opfer erzeugen, nicht abbilden können.[41]

5. Fazit

Bereits nach geltendem Recht besteht die Möglichkeit, ehrverletzende Mobbinghandlungen mittels Internet oder Sozialen Medien durch die oben beschriebenen Ehrverletzungsdelikte, aber auch andere Straftatbestände abzubilden und dem erhöhten Unrechtsgehalt durch einen höheren Strafrahmen Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber hat durch die Schaffung eines Qualifikationstatbestands im Rahmen des § 185 StGB in diesem Jahr dem besonderen Unrechtsgehalt der öffentlichen Verbreitung und der besonderen Dynamik des Internets auch einen höheren Strafrahmen entgegengesetzt, was zu begrüßen ist. Diese moderaten, zuvor beschriebenen Anpassungen sind zielführender, als die Etablierung eines eigenen Cybermobbing-Straftatbestands. Dieser wäre zum einen angesichts der Vagheit in Bezug auf die Ausgestaltung des Dauerhaftigkeitselements  sowie seiner Tathandlungen dem Vorwurf des Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 GG ausgesetzt.[42] Zum anderen käme es zu Doppelungen des bestehenden Rechts, da bereits jetzt Cybermobbinghandlungen de lege lata vielfältigste Straftatbestände verwirklichen.

 


[1] S. bereits Schiemann, PIR 2021, 2 (3).

[2] So die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT-Dr. 19/9534, S. 1 vom 17.4.2019. Ähnlich die Definition von Preuß, KriPoZ 2019, 97 (98).

[3] Stodt/Wegmann/Brand, Geschickt geklickt?!, 2015, S. 104 f.

[4] Vgl. zu den einzelnen Studien Doerbeck, Cybermobbing, 2019, S. 53 ff.

[5] Vgl. Jülicher, NJW 2019, 2801; Preuß, KriPoZ 2019, 97 (99).

[6] S. Cornelius, ZRP 2014, 164; Doerbeck, S. 100 f.

[7] S. Brand, Kriminalistik 2015, 687 (688); Cornelius, ZRP 2014, 164.

[8] Vgl. Büchel/Hirsch, Internetkriminalität, 2014, S. 128; Doerbeck, S. 105.

[9] Insgesamt zu den Untergruppen knapp Brand, Kriminalistik 2015, 687 (688); Jülicher, NJW 2019, 2801 (2802); sehr ausführlich Doerbeck, S. 123 ff.

[10] S. Fischer, StGB, 68. Aufl. (2021), § 185 Rn. 12; Preuß, KriPoZ 2019, 97 (100) – technikneutral.

[11] Vgl. Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. (2018), § 185 Rn. 2; s. auch Zaczyk, NK-StGB, § 185 Rn. 3.

[12] S. Regge/Pegel, in: MK-StGB, 3. Auf. (2017), § 185 Rn. 10; vgl. auch Beck, MMR 2009, 736 (737).

[13] Vgl. Fischer, § 186 Rn. 16.

[14] S. die Definition in Facetten bei Fischer, § 186 Rn. 2; vgl. auch Regge/Pegel, in: MK-StGB, § 186 Rn. 2.

[15] S. Fischer, § 186 Rn. 4; vgl. auch Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, § 186 Rn. 5; Lackner/Kühl, § 186 Rn. 4.

[16] Vgl. Heinrich, ZJS 2016, 698 (701, 709); Doerbeck, S. 155 m.w.N.

[17] Hier differenzierend Doerbeck, S. 155 f.

[18] S. Fischer, § 186 Rn. 2.

[19] Vgl. hierzu auch Beck, MMR 2009, 736 (737).

[20] Ebenso Preuß, KriPoZ 2019, 97 (101); Hilgendorf, ZIS 2010, 208 (213); Beck, MMR 2009, 736 (738).

[21] Vgl. Lackner/Kühl, § 187 Rn. 1; Fischer, § 187 Rn. 2.

[22] S. Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, § 192 Rn. 1; Fischer, § 192 Rn. 2.

[23] Vgl. Graf, in: MK-StGB, § 201a Rn. 1; Kargl, in: NK-StGB, § 201a Rn. 1; Fischer, § 201a Rn. 2.

[24] S. BT-Drs. 18/2601, S. 37 – „ein Signal gegen Cyber-Mobbing“.

[25] Vgl. Eisele, in: Schönke/Schröder, § 201a Rn. 37;

[26] Vgl. zur Kritik an der Vagheit der Vorschrift statt vieler Graf, in: MK-StGB, § 201a Rn. 71; Kargl, in: NK-StGB, § 201a Rn. 10.

[27] Kritisch insoweit Graf, in: MK-StGB, § 201a Rn. 72.

[28] So aber Graf aaO.

[29] Vgl. Kaiser, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 223. EL (Januar 2019), § 33 KunstUrhG Rn. 5; Cornelius, ZRP 2014, 164 (166).

[30] Vgl. hierzu Cornelius, ZRP 2014, 164 (166). Zur geringen praktischen Bedeutung auch Kaiser, in: Erbs/Kohlhaas, § 33 KunstUrhG Rn. 3.

[31] S. Doerbeck, S. 119; Knauer, Der Schutz der Psyche im Strafrecht, 2013, S. 245 f. Ausf. zum Cyberstalking Reuter (in diesem Heft).

[32] So die h.M. wie Fischer, § 238, Rn. 17b; Gericke, in: MK-StGB, § 238 Rn. 39; Eisele, in: Schönke/Schröder, § 238 Rn. 22; Sonnen, in: NK-StGB, § 238 Rn. 40.

[33] BGHSt 2, 150 (152); Fischer, Vor §§ 211-217, Rn. 19a.

[34] Doerbeck, S. 221.

[35] Ausf. zur Verantwortlichkeit des Suizidwillens Fischer, Vor §§ 211-217 Rn. 26 ff.

[36] S. Reum, Cybermobbing, 2014, S. 84 f.

[37] S. Doerbeck, S. 224.

[38] Vgl. Fischer, § 223 Rn. 12; Jahn, JuS 2007, 384 (385); BGH, NStZ 2003, 149 (150); NStZ 2015, 269.

[39] Doerbeck, S. 372.

[40] S. Beck, MMR 2009, 736 (740); ihr folgend Hilgendorf, ZIS 2010, 208 (215).

[41] S. Cornelius, ZRP 2014, 164 (167); Heckmann/Paschke, DRiZ 2018, 144 (145).

[42] S. hierzu ausf. Doerbeck, S. 324 ff.